Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Linden überbauten Försterhause im schattigen 
Rebental. 
Nach langer Kast für Menschen und 
Pferde stiegen die Keisenden gegen 4 Ahr 
wieder in den Sattel, denn sie wollten 
früh am Abend am Siel sein, um den 
Anfang des Festes, einen Umzug durch 
die Straßen der Stadt, zu sehen. Je näher 
sie der Stadt kamen, desto lebhafter wurde 
die Straße. Fußgänger, die zum Fest 
wollten, kamen verstaubt und müde von 
allen Seiten. Schwere Kaleschen des 
Landadels, der in der Stadt seine Winter— 
häuser hatte, rollten polternd dahin, und 
so gab es ein rechtes Gewimmel an dem 
Tor für Söllner und fluchende Wach— 
soldaten. Aber es half des freundlichen 
Führers bekannter Name, und nach burzer 
Zeit saßen die Vier, erfrischt von der 
Abendkühle und angeregt von dem herr— 
lichen Verlauf des Tages, zujammen im 
freundlichen Eßraum des Gasthofes bei 
Forellen und Wein. And so schön und 
gemütlich war es, daß eine große Freude 
über dem Tische lag, so daß es ein jeder 
der Dier tief im Herzen fühlte. Bettinag besonders war 
bon einer strahlenden Fröhlichkeit, und Karolinens Gesicht 
war lieblich gerötet. Denn ihre Seele entzündete sich an 
der Lebendigbeit der Bettina, von der sie sagte, daß sie wie 
Erdbeeren nach schönem Wetter, nach Sonnen- und Mond- 
strahlen schmecke. 
Als es dunbel wurde, traten sie einen Augenblick auf 
die Straße, denn es bLam Musit von weitem heran: vorau) 
sechs Fackelträger und zwischen ihnen ein bunt angezogener 
schmächtiger Mensch, der „Tänzer“ oder „Läufer“ genannt. 
Er hatte einen geschmückten Stab in der Hand, und seine 
Pflicht war es, mit allerhand börperverrenkenden Sprüngen 
und Sätzen die Suschauer erstaunen zu lassen. Aber er 
war ein schlechter Schauspieler: matt war sein Gesicht, und 
müde ging er daher, so daß die Suschauer ihn bedauernd 
oder böse ansahen. 
Hinter der Musik schritten die sogenannten „Platzburschen“, 
große und stämmige-Kerls. Sie hatten für den morgigen 
Die große Reformationsglocke zu Homberg. 
Dhotograph Carl Eigenbrod, Homberg. 
Hessijche Pfarrer auf dem Weg zur Homberger Kirche. 
Hofphotograph Eberth, Cassel. 
Tag auf dem Tanzplatz für Ordnung zu sorgen; breite 
Schleifen und bunte Sträuße in den Stadtfarben waren 
die Seichen ihrer Würde. 
Da verschwand der Sug um die Ecke. Bettina war, 
inbemerbt von den drei Genossen, zu dem vom Fenster aus 
zusehenden Wirt getreten und hatte bald erfahren, wie es 
nit dem „Läufer“ stand. Es sei ein armer Bursch aus der 
Stadt, der für Geld hier beim Fest seine Arbeit leiste. 
Nun seien ihm seine Kinder plötzlich schwerkrank geworden, 
ind er habe keinen rechten Sug zum Tanzen. Da war 
»s bei Bettina beschlossen, andern Tags den Mann von 
einem traurigen Amt zu lösen; und als Savigny und die 
Hünderode noch einen kurzen Gang durch die mit Maien 
estlich gesjchmückte Stadt machten, überredete sie leicht den 
erliebten Gilja, ihr Männerkleidung zu verschaffen und des 
däufers Stock und Schmuckstücke dazu. Und da am anderen 
Morgen die Vier sich rüsteten, den großen Sug zur Kirche 
inzusehen, schützte sie Müdigkeit vor, schlüpfte dann unbe— 
nerkt aus dem Hause und zog sich im Stadthaus der 
Familie Gilja um. 
Als nun der Sug sich ordnete, fehlte zuerst der „Läufer“, 
bis im letzten Augenblick ein neuer sich einfand, der in der 
flinksten und alles Volk erstaunenden Art und Weise seine 
Sprünge machte, so daß die Sonne heller zu scheinen schien 
und die Klänge der Musik frischer erblangen als jemals. 
Hinter dem Läufer aber ging in der Keihe der adligen 
Landjugend — es war ein altes Kecht des benachbarten 
Adels — Freeund Gilsa als unerkannter Schützer des lieb— 
lichen „Läufers“. 
Wenn nun auch Karoline voll Entsetzen Bettinen in 
ihrer Derkleidung erkannte und vor Sorn und Scham fast 
umbam, so überzeugte sie ein schneller Blick, daß Savignh, 
der Gelehrte, weniger scharfsichtig war als sie. Denn trotz 
dem auch er die Sprünge des Läufers bewunderte, kam 
hm keinen Augenblick der Gedanke an seinen Schützling 
Bettina. 
Karoline ließ den Professor bald allein, und als sie ihr 
Zimmer betrat, war die überaus schnelle Bettina schon 
wieder da.
	        
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