Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

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Heimat Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
eĩ i mal m i ei im Vierteljahr ũ J 
Nr. 20/ 19260839unaweile wol mwonatnh. Pezuadhroeis .2o Whr nn Oiertsihe. Godbere 6. Jahrgang 
Swei Kammern õ Von Heinrich Ruppel. 
sischen Dorfleben— 
Durch das gebrechliche Lattentor in der dichten, dunbel⸗ 
grünen Fichtenhecke, die ein mäßig großes Geviert umschloß. 
Lämpfte sich ein Trauerzug gegen regenführende Windstöße 
oorwärts auf den Gottesacker. Der alte Jörg, ein längst 
abständiger Auszüger, wurde zu Grabe getragen. So weit 
sich das Geflüster der Leichenleute mit dem Toten befaßte, 
gab es nur einer Meinung Ausdruck: Er hat's überstanden. 
Ihm ist wohl. Jaja, gönnt ihm die Kuh! VDiel Gutes 
hatte der alte Kerl hier unten ja doch nicht mehr zu erwarten! — 
Das waren so die Gedanken, die sich in den Herzen regten, 
während die Männer nach ihren wehenden Kirchenrochschößen 
und die Weiber nach den flatternden Kopf- und Halstuch— 
zipfeln griffen und sie an sich rafften. 
Die Totenlade sank ins Grab, und die Seile schnurrten 
herauf. Der Goistliche, ein übergroßer, hagerer Mann mit 
tiefliegenden, lodernden Augen, sprach den Leichentert: Sieche. 
sch liege und schlafe ganz in Frieden.“ 
Anter dem Schild seiner schwarzen Tuchmütze hervor sah 
der alte Kleiber-Kurt, ein alter achtundvierziger Schleswig- 
Holsteiner, über die Hecke hin nach den nördlichen Khön— 
bergen, die sich gleich einem in langer Keihe aufgestellten 
Kegelspiel erhoben. Hinter diesen Bergen fuhren die Kegen- 
schauer hervor und über das Witfeld dahin, bis das graue 
Flutgesträhn auch über ihn und das offene Grab hinweg- 
fjegte. Da mußte der Kleiber-Kurt an seine Tüncherarbeit 
denken, wenn er auf dem Gerüst hoch oben an dem Giebel 
hockte und mit der Strohfieder in der Hand das Fachwerb 
mit Kalkmilch bespritzte. Es war ihm fast, als tauche hinter 
der fernen Bergwand eine Kiesenhand auf, die mit triefendem 
Birbenbesen Schauer über Schauer auf das weite Wikfeld 
täubte. Und wenn ein solcher Schauer über die Trauer— 
»ersammlung hinfuhr, blähten und plusterten sich über den 
Weibsleuten die Schirme auf, daß baum noch eine Nasenspitze 
zuu sehen war und ein richtiges Gesperr entstand, zumal jede 
hren Schirm am tiefsten halten und das Geträufel der 
Nachbarschieme von sich ableiten wollte. Auch einige Manns- 
erle überdachten sich mit der schwarzen Schiembuppel, neigten 
ie gegen den Wind und ließen die Kegenrinnsale den Um— 
tehenden auf die Schultern tropfen, bis diese aus der Traufe 
vichen, wodurch sich die gedrängte Schar der Leichenleute 
angsam ausceinanderzog. 
Der Pfaerer stand, den Kegenwind im Rücken, und sprach 
on der Vergänglichkeit alles Irdischen. Nicht nur sein aus— 
jestreckter Arm wies nach dem Grabe, auch sein Talar, vom 
Armel bis zum Saume windgebauscht und flatternd, gab ihm 
en Anschein, als neige sich die ganze gütige Gestalt im 
5prechen dem Toten tröstend zu. Die Linke preßte das 
Sarett aufs lange, wirre Haar, um zu verhüten, daß es in 
ie Grube fliege. Der Wind fuhr rauh herzu, riß ihm die 
Vorte von den Lippen und warf sie unter die Trauergemeinde, 
aß sie auch unter dem letzten und kiefsten Schirmdach per— 
lommen werden bonnten. 
AUnd seine Worte malten dieses SBild: 
Swei Kammern stehn den Menschenkindern offen: die 
Zammer des Alters und die Kammer des Todes. Licht und 
varm und wohnlich kann sie sein, die Kammer des Alters, 
venn Kinderhand sie licht und warm und wohnlich macht 
ind dann die schaffensmüden Eltern still hineinführt. Oft 
iber ist sie eine kalte, dumpfe Selle, darin die freudelosen 
Hreisenkage zu vertrauern. Doll Kuhb' und Freieden ist des
	        
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