Da erschien eines Morgens vor dem Schultheißen der Stadt
Hersfeld der Nachrichter Abraham Göppel und erklärte, daß „jeine
lieben Hausfrauen ihrer weiblichen Bürden entbunden und ihn
mit einem Jungen Söhnlein erfreut habe“. Mit Bezugnahme au
den fürstlichen Befehl bat er den Schultheißen um die Erlaubnis,
„das Kindbett (die Taufe) in seiner eigenen Wohnung halten zu
dürfen, dieweilen er von der VBürgerschaft separiert“.
Sei es nun, daß der Herr Schultheiß beinen guten Tag hatte, oder
daß ihn sonst dienstliche Sorgen drũckten, genug, dem Nachrichter
wurde seine Bitte „gänzlich abgeschlagen“, daß er aljo weder auf
dem Rathause noch in seiner eigenen Wohnung das Kindbett
(Kindtaufe) feiern dürfe. Worauf der Nachrichter ruhig erbklärte,
wenn ihm der Herr Staͤdtschultheiß hierin nicht willfahren wolle,
dann müßte er den Herrn Amtmann um die Vergünstigung er⸗
juchen, und sich zum Gehen wandte.
Der Schultheiß, ein gar rechthaberischer Mann, riß zornro
das Fenster auf, und rief dem sich Entfernenden nach, wenn er gleich
von dem Amtmann die Bewilligung erhalte, so gebe er, der
Schultheiß, doch auf dessen Befehl nichts.
Es muß hier vorausgeschickt werden, daß sich der Amtmann
Siegmund von Peterswald und der Stadtschultheiß Johann Klein.
jchmidt wenig wohlgesinnt gegenüberstanden. Erst Lürzlich hatte
das Stadtratskollegium sich beĩ der Fürstlichen Kanzlei in Casse!
über den Amtmann beschwert und ihn pflichtwidriger und eigen—
mächtiger Handlungen zum Nachteil der Stadt beschuldigt.
Der Nachrichter geht spornstreichs nach dem Kammerhof am
Marktplatz, wo der Amtmann wohnt, erhält dort auch die VDer—
günstigung, die Taufe in seinem Hause halten zu dürfen und begibt
sich mit dem schriftlichen Bescheid wieder nach dem Rathaus zum
Schultheißen. Und nun beginnt sich die Szene dramatisch zuzuspitzen.
Wüũtend schnaubt der Schultheiß den Eintretenden an: „Was
will er noch hier? Ein Hundof. .. ist er, ein leichtfertiger Vogel
und Schelm!“ Dem gescholtenen Manne schwillt die Sornader
an der Stien, doch antwortet er noch mit bescheidener Stimme,
daß er ein solcher nicht wäre, sondern seinem gnädigen Fürsten
treulich und ehrlich diene. Außer sich vor Entrüstung ergreift der
Schultheiß einen Prũgel, und nur durch eine geschickte Bewegung
entgeht der Nachrichler dem nach ihm geführten Schlage. Er
jpreingt zur Tür hinaus und ruft dem Schultheißen zu, wenn er
ihn je schlagen wollte, dann müßte er dies öffentlich auf der Straße
tun, denn dann würde er sich gegen unbillige Gewalt nach bestem
Oermögen schützen und verteidigen, da er nicht vergeblich seinen
Degen an der Seite trüge. Mit bezeichnender Geste schlägt er an
sein Wehrgehänge und geht burz und grimmig auflachend davon.
Der Herr Schultheiß aber läßt alsbald nach diesem Vorgange
durch den Wachtmeister die junge Mannschaft mit ihren besten
Gewaffen aufs Kathaus fordern, befiehlt auch die Bürger- oder
Sturmglocke zu läuten, um den Nachrichter in seiner Wohnung
gefangen zu nehmen.
Nun wäre sicher ein großer Tumult und ein Anglück entstanden,
venn nicht auf das Läuten der Sturmglocke der fürstliche Amtmann
ziligst herbeigekommen wäre, und den zusammenströmenden Bürgern
und Stadtknechten verboten hätte, dem Nachrichter ein Leid anzutun.
Damit gab sich aber der Stadtschultheiß nicht zufrieden. Als
zu seiner Kenntnis gelangte, daß der Nachrichter etliche Leute aus
—ED
handwerbs und Kerbermeister Hans Caspar Riebener gebeten
habe, bei dem Kinde Gevatter zu stehen, hat er diesen durch den
Herichtsnecht ernstlich verbieten lassen, in das Haus des Nachrichters
zu gehen, viel weniger mit ihm einen Trunk zu tun. Durch diesen
Streit hat sich die Verrichtung der heiligen Taufe, die auf Donners⸗
ag angesetzt war, bis zum nächsten Dienstagabend verzögert, was
dem Nachrichter sowohl als seinem Eheweib „schmerzlich zu Gemũt
gegangen“.
Wegen der Kriegszeiten und der Unsicherheit im Lande
vohnte der Nachrichter, entgegen der sonstigen Gepflogenheit,
nnerhalb der Stadtmauern in einem städtischen Hause. Nun aber
vollte der Schultheiß, der seinen Willen nicht hatte durchseten
zönnen, den Naͤchrichter in der Stadt nicht länger leiden und befahl,
daß er wieder vors Tor in die Wasen-Meisterei ziehen sollte, troßdem
er seinen Sins stets richtig bezahlt und auch die Meisterei durch
das Kriegsvolk arg verwüũstet war.
Aljo schrieb der Nachrichter Abraham Goppel einen Bericht
in Kanzler und Käte zu Cassel, in welchem er sich ũüber die ihm
viderfahrene Beleidigung beschwerte und bat, Kanzler und Räte
nöchten großgünstigst geruhen, dem Stadtschultheißen die ihm zu—
gefügten Injurien gebührlich zu verweisen und ihm zu besehlen,
hu (den Nachrichter) in seinem Stand und Beruf zu belassen,
nsonderheit ihn in seinem bürgerlichen Hause zu gedulden, bis die
Zeiten wieder friedlicher wũrden.
Der Kanzler und die Käte der füerstlichen Kanzlei zu Cassel
entjchieden zu Gunsten des Nachrichters. Von besonderem Interesse
jt in diesem Streit eine Urbunde, in der die Juristenfabultät
der Universität Marburg über die Frageé entscheidet, ob die
Nachrichter ais ehrliche Leute anzusprechen seien. Es heißt darin
u. a. wie folgt:
. ...So haben wir demnach mit Fleiß verlesen und erwogen,
und berichten darauf vor Kecht, daß die Nachrichter, welche
in solchem Stand geboren, und sich sonst ehrlich halten, für
ehrlich zu achten, und ihr Amt und Stand ein ehrlicher und
gottwohlgefälliger Stand sei. Und von deswegen auch, wenn
sije wider Kecht und Billigkeit gehöhnet und geschmähet werden,
daß ihnen alsdann wider Gegenteil rechtlichen Prozeß zu er—
bennen und zu verstatten sei von Rechtswegen. Dessen in
Urkund haben wir unser Facultät Insiegel hierauf drucken
lassen. So geschehen Marburg, den J7. Decembris No: 16030
7 59 Decanus Undt andere Doctoris der Juristen Facul-
äf allhier.“
VDom Pulsschlag der Hoeimat.
Schnurrpfeifereien.
Ein Haus, in dem Ordnung herrscht.
In dem alten Cassel war die feinste Wohngegend und beste
Geschäftslage der Schloßplaß. In den Häusern am Schloßplatz
wohnten die vornehmsten Bürger, und die besten Geschäfte hatten
hler ihre Läden. Läden im heutigen Sinne waren es nicht, ee
waren, besser gesagt, Stuben, in denen verkauft wurde. Der Eingang
zum Laden war vom Hausflur aus, und manche Goschäfte, wie z. B.
die Bäcker, verkauften ihre Waren zum Fenster hinaus. Die
Kunden standen auf der Straße und blopften ans Fensterchen.
In einem der Häuser am Schloßplatz wohnte der Goldarbeiter
Kaupert, der das bedeutendste Goldarbeitergeschäft in Cassel hatte
und ein sehr vermögender wie auch angesehener Bürgersmann war.
Zu ihm bam eines schönen Tages, es war so in der Seit um 1809
ein biederer Mann vom Lande, so, wie man sich damals trug, bar⸗
häuptig, die Haare lang gewachsen und nach hinten gelämmt, blauen
Kitiel wollene Tuchhose, Gamaschen, derbe Halbschuhe mit Schnallen,
umgehängt elinen großen dickvollen Schießranzen und in der Hand
einen aus der Hecke geschnittenen derben Stock. Gepatter Kaupertf
steht in jeiner Ladentür und freut sich über die Frühjahrssonne, die
so wohltuende Wärme ausstrahlt, da tritt der Mann vom Lande
bescheiden auf ihn zu und fragt, „ob hä der Goldarbeiter Kaupert
wär?“ „Jo“, sagte der Kaupert, „der ben ich.“ „Ach“, jagte der
Mann vom Lande, „Gevatter Kaupert, ich will uch bloß emoh
was frochen. Was giweds denn wohl for so en Goldklumpen?“
und dabei machte er eine Bewegung so groß als wie eine Kegel-
Lugel. Kaupert spißte die Ohren, und als richtiger Geschäftsmann
sijeß er Sonnenschein Sonnenschein sein und dachte nur noch: Hier
st was zu verdienen. Er überlegte, der Mann hat wahrscheinlich
in Hause oder auf dem Felde einen versteckt gewesenen Gold—
lumpen gefunden und will ihn jetzt verkaufen. Er gibt denn auch
dem Manne ausweichende Antwort, das ließe sich nicht gleich so
sagen, da müsse man den Goldklumpen erst mal sehen usw. und
wötigte dann den Mann ins Haus und in die Stube. „Frau“,
euft er da, „bring doch hier dem Manne mal was Gutes zu früh—
tũcken“. Er selbst holt aus dem Wandschrank einen guten alten
Schnaps, schenkt dem Besuch gut ein und nötigt ihn küchtig zum
Fsjen. Der gute Mann läßt sich das auch nicht zweimal sagen und
Bßt, sobiel er nur kann. Rachdem der größte Hunger des guten
Mannes gestillt ist, fängt dann der Gevatter Kaupert wieder
zon dem Goldklumpen an. Was er wohl wiegt; ob es auch reines
BSold wäre und wo er denn den Goldklumpen hätte? (Kaupert
dachte an den dicken Schießranzen.) „Hätte“, spricht der Mann
oom Lande, „hättel!“ — und guckt den Kaupert groß an. „Ich
neinte ja bloß, wenn ich emoh einen finnen dät — — —.“ Aber
dal! „Du verdammtes Dunnerwetter, du ganz infamter Bure!
Dich soll ja doch ein Unglück in alle vier Weltteile verschlahn.
Frissest mäh minne scheenste Cervelatsworscht, siffest mäh minnen
jansen Schnaps, un dann widd du sprechen: Wenn ich emoh einen
innen dät! Uzen widd du mich? Dich soll doch glich.. ...“
ind da hatte der Kaupert auch schon den aus der Hecke geschnittenen
Stock erwischt und: plautz, pardautz. blatschten die Schläge auf den
erdutzten Kerle, der sich gar nichts Böses bewußt war und schnellstens
mit seinem Schießranzen die Flucht ergriff, auf der Straße darüber
aachdenkend, wie nahe bei einander Freud und Leid sind. Wochen
0