Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Da erschien eines Morgens vor dem Schultheißen der Stadt 
Hersfeld der Nachrichter Abraham Göppel und erklärte, daß „jeine 
lieben Hausfrauen ihrer weiblichen Bürden entbunden und ihn 
mit einem Jungen Söhnlein erfreut habe“. Mit Bezugnahme au 
den fürstlichen Befehl bat er den Schultheißen um die Erlaubnis, 
„das Kindbett (die Taufe) in seiner eigenen Wohnung halten zu 
dürfen, dieweilen er von der VBürgerschaft separiert“. 
Sei es nun, daß der Herr Schultheiß beinen guten Tag hatte, oder 
daß ihn sonst dienstliche Sorgen drũckten, genug, dem Nachrichter 
wurde seine Bitte „gänzlich abgeschlagen“, daß er aljo weder auf 
dem Rathause noch in seiner eigenen Wohnung das Kindbett 
(Kindtaufe) feiern dürfe. Worauf der Nachrichter ruhig erbklärte, 
wenn ihm der Herr Staͤdtschultheiß hierin nicht willfahren wolle, 
dann müßte er den Herrn Amtmann um die Vergünstigung er⸗ 
juchen, und sich zum Gehen wandte. 
Der Schultheiß, ein gar rechthaberischer Mann, riß zornro 
das Fenster auf, und rief dem sich Entfernenden nach, wenn er gleich 
von dem Amtmann die Bewilligung erhalte, so gebe er, der 
Schultheiß, doch auf dessen Befehl nichts. 
Es muß hier vorausgeschickt werden, daß sich der Amtmann 
Siegmund von Peterswald und der Stadtschultheiß Johann Klein. 
jchmidt wenig wohlgesinnt gegenüberstanden. Erst Lürzlich hatte 
das Stadtratskollegium sich beĩ der Fürstlichen Kanzlei in Casse! 
über den Amtmann beschwert und ihn pflichtwidriger und eigen— 
mächtiger Handlungen zum Nachteil der Stadt beschuldigt. 
Der Nachrichter geht spornstreichs nach dem Kammerhof am 
Marktplatz, wo der Amtmann wohnt, erhält dort auch die VDer— 
günstigung, die Taufe in seinem Hause halten zu dürfen und begibt 
sich mit dem schriftlichen Bescheid wieder nach dem Rathaus zum 
Schultheißen. Und nun beginnt sich die Szene dramatisch zuzuspitzen. 
Wüũtend schnaubt der Schultheiß den Eintretenden an: „Was 
will er noch hier? Ein Hundof. .. ist er, ein leichtfertiger Vogel 
und Schelm!“ Dem gescholtenen Manne schwillt die Sornader 
an der Stien, doch antwortet er noch mit bescheidener Stimme, 
daß er ein solcher nicht wäre, sondern seinem gnädigen Fürsten 
treulich und ehrlich diene. Außer sich vor Entrüstung ergreift der 
Schultheiß einen Prũgel, und nur durch eine geschickte Bewegung 
entgeht der Nachrichler dem nach ihm geführten Schlage. Er 
jpreingt zur Tür hinaus und ruft dem Schultheißen zu, wenn er 
ihn je schlagen wollte, dann müßte er dies öffentlich auf der Straße 
tun, denn dann würde er sich gegen unbillige Gewalt nach bestem 
Oermögen schützen und verteidigen, da er nicht vergeblich seinen 
Degen an der Seite trüge. Mit bezeichnender Geste schlägt er an 
sein Wehrgehänge und geht burz und grimmig auflachend davon. 
Der Herr Schultheiß aber läßt alsbald nach diesem Vorgange 
durch den Wachtmeister die junge Mannschaft mit ihren besten 
Gewaffen aufs Kathaus fordern, befiehlt auch die Bürger- oder 
Sturmglocke zu läuten, um den Nachrichter in seiner Wohnung 
gefangen zu nehmen. 
Nun wäre sicher ein großer Tumult und ein Anglück entstanden, 
venn nicht auf das Läuten der Sturmglocke der fürstliche Amtmann 
ziligst herbeigekommen wäre, und den zusammenströmenden Bürgern 
und Stadtknechten verboten hätte, dem Nachrichter ein Leid anzutun. 
Damit gab sich aber der Stadtschultheiß nicht zufrieden. Als 
zu seiner Kenntnis gelangte, daß der Nachrichter etliche Leute aus 
—ED 
handwerbs und Kerbermeister Hans Caspar Riebener gebeten 
habe, bei dem Kinde Gevatter zu stehen, hat er diesen durch den 
Herichtsnecht ernstlich verbieten lassen, in das Haus des Nachrichters 
zu gehen, viel weniger mit ihm einen Trunk zu tun. Durch diesen 
Streit hat sich die Verrichtung der heiligen Taufe, die auf Donners⸗ 
ag angesetzt war, bis zum nächsten Dienstagabend verzögert, was 
dem Nachrichter sowohl als seinem Eheweib „schmerzlich zu Gemũt 
gegangen“. 
Wegen der Kriegszeiten und der Unsicherheit im Lande 
vohnte der Nachrichter, entgegen der sonstigen Gepflogenheit, 
nnerhalb der Stadtmauern in einem städtischen Hause. Nun aber 
vollte der Schultheiß, der seinen Willen nicht hatte durchseten 
zönnen, den Naͤchrichter in der Stadt nicht länger leiden und befahl, 
daß er wieder vors Tor in die Wasen-Meisterei ziehen sollte, troßdem 
er seinen Sins stets richtig bezahlt und auch die Meisterei durch 
das Kriegsvolk arg verwüũstet war. 
Aljo schrieb der Nachrichter Abraham Goppel einen Bericht 
in Kanzler und Käte zu Cassel, in welchem er sich ũüber die ihm 
viderfahrene Beleidigung beschwerte und bat, Kanzler und Räte 
nöchten großgünstigst geruhen, dem Stadtschultheißen die ihm zu— 
gefügten Injurien gebührlich zu verweisen und ihm zu besehlen, 
hu (den Nachrichter) in seinem Stand und Beruf zu belassen, 
nsonderheit ihn in seinem bürgerlichen Hause zu gedulden, bis die 
Zeiten wieder friedlicher wũrden. 
Der Kanzler und die Käte der füerstlichen Kanzlei zu Cassel 
entjchieden zu Gunsten des Nachrichters. Von besonderem Interesse 
jt in diesem Streit eine Urbunde, in der die Juristenfabultät 
der Universität Marburg über die Frageé entscheidet, ob die 
Nachrichter ais ehrliche Leute anzusprechen seien. Es heißt darin 
u. a. wie folgt: 
. ...So haben wir demnach mit Fleiß verlesen und erwogen, 
und berichten darauf vor Kecht, daß die Nachrichter, welche 
in solchem Stand geboren, und sich sonst ehrlich halten, für 
ehrlich zu achten, und ihr Amt und Stand ein ehrlicher und 
gottwohlgefälliger Stand sei. Und von deswegen auch, wenn 
sije wider Kecht und Billigkeit gehöhnet und geschmähet werden, 
daß ihnen alsdann wider Gegenteil rechtlichen Prozeß zu er— 
bennen und zu verstatten sei von Rechtswegen. Dessen in 
Urkund haben wir unser Facultät Insiegel hierauf drucken 
lassen. So geschehen Marburg, den J7. Decembris No: 16030 
7 59 Decanus Undt andere Doctoris der Juristen Facul- 
äf allhier.“ 
VDom Pulsschlag der Hoeimat. 
Schnurrpfeifereien. 
Ein Haus, in dem Ordnung herrscht. 
In dem alten Cassel war die feinste Wohngegend und beste 
Geschäftslage der Schloßplaß. In den Häusern am Schloßplatz 
wohnten die vornehmsten Bürger, und die besten Geschäfte hatten 
hler ihre Läden. Läden im heutigen Sinne waren es nicht, ee 
waren, besser gesagt, Stuben, in denen verkauft wurde. Der Eingang 
zum Laden war vom Hausflur aus, und manche Goschäfte, wie z. B. 
die Bäcker, verkauften ihre Waren zum Fenster hinaus. Die 
Kunden standen auf der Straße und blopften ans Fensterchen. 
In einem der Häuser am Schloßplatz wohnte der Goldarbeiter 
Kaupert, der das bedeutendste Goldarbeitergeschäft in Cassel hatte 
und ein sehr vermögender wie auch angesehener Bürgersmann war. 
Zu ihm bam eines schönen Tages, es war so in der Seit um 1809 
ein biederer Mann vom Lande, so, wie man sich damals trug, bar⸗ 
häuptig, die Haare lang gewachsen und nach hinten gelämmt, blauen 
Kitiel wollene Tuchhose, Gamaschen, derbe Halbschuhe mit Schnallen, 
umgehängt elinen großen dickvollen Schießranzen und in der Hand 
einen aus der Hecke geschnittenen derben Stock. Gepatter Kaupertf 
steht in jeiner Ladentür und freut sich über die Frühjahrssonne, die 
so wohltuende Wärme ausstrahlt, da tritt der Mann vom Lande 
bescheiden auf ihn zu und fragt, „ob hä der Goldarbeiter Kaupert 
wär?“ „Jo“, sagte der Kaupert, „der ben ich.“ „Ach“, jagte der 
Mann vom Lande, „Gevatter Kaupert, ich will uch bloß emoh 
was frochen. Was giweds denn wohl for so en Goldklumpen?“ 
und dabei machte er eine Bewegung so groß als wie eine Kegel- 
Lugel. Kaupert spißte die Ohren, und als richtiger Geschäftsmann 
sijeß er Sonnenschein Sonnenschein sein und dachte nur noch: Hier 
st was zu verdienen. Er überlegte, der Mann hat wahrscheinlich 
in Hause oder auf dem Felde einen versteckt gewesenen Gold— 
lumpen gefunden und will ihn jetzt verkaufen. Er gibt denn auch 
dem Manne ausweichende Antwort, das ließe sich nicht gleich so 
sagen, da müsse man den Goldklumpen erst mal sehen usw. und 
wötigte dann den Mann ins Haus und in die Stube. „Frau“, 
euft er da, „bring doch hier dem Manne mal was Gutes zu früh— 
tũcken“. Er selbst holt aus dem Wandschrank einen guten alten 
Schnaps, schenkt dem Besuch gut ein und nötigt ihn küchtig zum 
Fsjen. Der gute Mann läßt sich das auch nicht zweimal sagen und 
Bßt, sobiel er nur kann. Rachdem der größte Hunger des guten 
Mannes gestillt ist, fängt dann der Gevatter Kaupert wieder 
zon dem Goldklumpen an. Was er wohl wiegt; ob es auch reines 
BSold wäre und wo er denn den Goldklumpen hätte? (Kaupert 
dachte an den dicken Schießranzen.) „Hätte“, spricht der Mann 
oom Lande, „hättel!“ — und guckt den Kaupert groß an. „Ich 
neinte ja bloß, wenn ich emoh einen finnen dät — — —.“ Aber 
dal! „Du verdammtes Dunnerwetter, du ganz infamter Bure! 
Dich soll ja doch ein Unglück in alle vier Weltteile verschlahn. 
Frissest mäh minne scheenste Cervelatsworscht, siffest mäh minnen 
jansen Schnaps, un dann widd du sprechen: Wenn ich emoh einen 
innen dät! Uzen widd du mich? Dich soll doch glich.. ...“ 
ind da hatte der Kaupert auch schon den aus der Hecke geschnittenen 
Stock erwischt und: plautz, pardautz. blatschten die Schläge auf den 
erdutzten Kerle, der sich gar nichts Böses bewußt war und schnellstens 
mit seinem Schießranzen die Flucht ergriff, auf der Straße darüber 
aachdenkend, wie nahe bei einander Freud und Leid sind. Wochen 
0
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.