Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

sein Einziger in der Fremde weile, recht wie einer ohne 
Kinder. Und ob der Dater wohl auch so trübe bleiben 
würde, wenn jein Bub erst in Leipzig war? Den Jabob und 
Schwesterchen Grete wollte er bitten, doch ja doppelt lieb 
zu sein zu Dater und Mutter. 
Tags drauf merkte der Bube zum erstenmal, was man 
damit sagen will, wenn man vom Blitzstrahl redet aus 
heiterem Himmel. 
Den lieben guten Herrn fand der Vater, der endlich 
gegen Mittag auf Mutters Drängen und aus eigener Sorge 
sich zum Blicke in das Stüblein unterm Dache entschloß, 
selig entschlafen, ein Lächeln in dem guten Gesicht, wie in 
friedlicher Kuhe auf seinem Lager. Ein Herzschlag, urteilte 
der Arzt. And ein gar schöner Tod. 
Es hat den Schreiber dann noch in späten Jahren gar 
manchmal gedrückt, daß damals in der Selbstsucht der Jugend 
es sein erster Gedanke gewesen war: Sie ist hin, meine 
schöne Zubunft! 
Doch hat das nicht lange vorgehalten. Den Toten 
durfte er sehen in seinem friedlichen Schlaf, und da kam 
hm die Scham. Da konnte er aus innerstem Herzen trauern 
um einen edlen Wann, und unter bitteren Tränen nahm er 
Abschied von ihm unter der Linde vorm Tore. 
Es war ein Freund des Gastes gebommen im NAuftrag 
der niedergebrochenen Witwe, den Entschlafenen wieder 
heimzuholen, und sehr enttäuscht war er gewesen, weil er 
beiĩnen BSlick mehr tun durfte in das Gesicht des entschlafenen 
Lebensgenossen. Der Arzt hatte aber im Hinblick auf die 
große Hitze die Anordnung getroffen, den zur ÜÄberführung 
einer Leiche notwendigen Metallsarg endgültig zu verschließen. 
Unter der Linde gab der Geistliche dem ktreuen Sohn der 
Gemeinde, der gekommen war, hier zu sterben, schöne Worte 
des Abschieds mit. Dann fuhr der Wagen mit einer bleinen 
Begleitung nach der nächsten Haltestelle der Bahn. 
Später ist dem Schreiber klar geworden, daß sein für— 
sorglicher Dater, der von dem Besucher wohl von dessen 
schwerem Herzleiden erfahren hatte, die Begleitung auf den 
Spaziergängen angeordnet hatte, daß nicht vielleicht der Freund 
irgendwo ohne Hilfe liegen müsse und ohne rechtzeitiges Be— 
gräbnis beim schlimmsten Ausgang. And mit vieler Kührung 
mußte er auch der Rücksicht seines lieben alten Begleiters 
gedenken, der wohl alle paar hundert Schritte stehen geblieben 
war, der aber immer getan hatte, als bewundere er irgendwo 
ein besonders schönes Eckchen, und der dann seinem Herzen, 
wenn es wieder einigermaßen leidlich im Takt war, noch 
eine Kuhepause gegönnt und auch die mit ein paar guten 
Worten zugedecht hatte. den weichherzigen Buben nicht zu 
reschrecken. — — — 
Ein knappes Jahr lief hin. Dann kam noch einmal 
ein Besuch und wurde liebreich aufgenommen wie der erste. 
EFin junger Mann war's und stellte sich vor als der Sohn 
dessen, der vor Jahresfrist als stiller Mann dies gastliche 
Haus verlassen habe. 
Der Bube sah die Mutter unruhig werden. Ob die 
sich über die Speisen auf dem Herd ein wenig sorgte, weil 
der feine junge Herr sie gar nicht losließ mit den workt— 
reichsten Ausdrücken seines Dankes und sich nach tausend 
Kleinigkeiten erkundigte bis zu dem hin, ob man seine alte 
liebe Brieftasche dem Toten auch mitgegeben habe? Er 
eilte der Mutter zur Beruhigung in die Küche und fand 
alles in bester Ordnung. 
Er kbonnte es der Lieben nicht gut zuflüstern, denn eben 
nerbte er einen ihm noch viel weniger erblärlichen Blick, 
den Dater der Mutter zuwarf. Und die war jetzt breide— 
oleich im Gesichte. 
Ganz unerklärlich, denn der junge Mann erzählte doch 
o fesselnd von seinen Plänen, seinen Erfindungen, seinen 
Feisen, den mannigfachen NAufgaben in seiner Stellung als 
zingenieur. Eine Maschine wollte er erfunden haben, die 
Drucksjachen aller Art in der Hälfte der bisher benötigten 
z*eit und in nie gesehener Vollkbommenheit fix und fertig 
ejchnitken und obendrein gezählt den staunenden Fachleuten 
or die Füße lege. Dater habe ihm zwanzigtausend Mark 
ur Ausbeutung der Erfindung zugesagt, habe ihm geschrieben, 
r sende sie ihm, weil das vielleicht etwas ganz besonders 
zutes bedeute, gelegentlich seines Besuches aus der lieben 
lten Heimat. Bis heute sei er nicht in den Besitz der 
⸗umme gebommen, und nun möchten die Freunde es nicht 
ar übel nehmen, wenn er zu fragen sich erlaube, ob die 
zumme, die ihnen zur Aufbewahrung übergeben sei, nun 
ücht zu seiner Derfügung sein Lönne. Umfangreiche Auf- 
räge seiner Firma hätten ihn bis nach Brasilien hingeführt, 
onst hätte er sich schon eher gemeldet. Er nähme es natür— 
ich nicht für übel, wenn die lieben Freunde mit der Aus— 
ahlung der Summe vorsichtig seien, aber er hoffe mit dem 
Zriefe seines Daters und seinen sonstigen Papieren genügend 
egitimiert zu sein, und nun dulde er nicht, daß man um 
eine geringe Person Umstände mache. Sein Simmer im 
ßasthaus jei schon belegt. Wenn's irgend möglich sei, bitte 
»x, die Summe bis morgen für ihn zu erheben. Leider 
jestatte ihm sein Keiseplan bein längeres Derweilen in der 
ieben Heimat seines Daters und unter den teuren Freunden, 
ind er sage zum Abschied ein herzliches Wiedersehen. 
Der Junge hatte sich langsam in eine Ecke gedrüchkt. 
Fr wurde ein sonderbares Gefühl nicht los. Es war dem 
ücht unähnlich, das er gehabt hatte, als er zum ersten- 
nal und ganz unvermutet einer Schlange gegenüberge— 
tanden hatte, mit Entsetzen im Herzen nur mit unmerkblichen 
schrittchen sich zurückzubewegen getraut hatte, und mit 
chmerzenden Augen hatte er jedes Süngeln, jede der ruck⸗- 
veisen Bewegungen des Kopfes betrachtet. Einen Angst- 
asen hatte er sich später gescholten, als er wußte, wie 
armlos die zierliche Kingelnatter wirklich gewesen war. 
Jetzt schalt er sich heimlich einen niederträchtigen Kerl, 
uind — — — das häßliche Gefühl wurde nur stärker in ihm. 
Den Vater sah er dann dem Besucher durchs Fenster 
achblicken mit einem Gesicht, aller Hoffnung bar. Die 
Mutter hörte er auf einmal wild aufschluchzen aus dem 
ilten Stuhl, in dem sie zusammengesunken war. O, so schreck- 
ich hatte sie damals nicht gebebt beim Tode des lieben 
heren! War denn heute erst die richtige Trauer zum 
Ausbruch gekommen? Den Vater sah er zur Mutter hin— 
vanben. Dann jagte ihn ein wildes Stöhnen aus der Stube. 
Tags drauf war Dater am Morgen viel unterwegs. Die 
Mutter stand mit verweinten Augen am Herd. 
Den jungen Mann empfing Vater allein. Nach ein 
aar Minuten ging der Besucher merkwürdiger Weise wieder. 
Pieder sah ihm Vater mit solch starren Augen nach, und 
vie er zu dem Guten sich hinstahl, ihm schmeichelnd die 
hand in die Kechte legte, da zuckte der Dater zusammen. 
Ind maß ihn mit einem unerblärlichen Blick. And sprach 
in ganz unerblärliches Wort. „Mein armer, armer Junge!“ 
agte der Vater. 
Dann war mit einem Male auch solch ein unerblärliches 
Benehmen bei den Kameraden. Sie tuschelten, wenn sie 
hn sahen. Sie spielten nicht mehr mit ihm, und war er 
elbst bereit zu Räuber und Gendarm, so liefen sie auscinander. 
Sie machten auch so sonderbare Bemerkungen zu ihm. 
Ob er wüßte, wie man am schnellsten reich werden bönnte? 
Ob er die Brieftasche einmal erben würde? „Welche?“
	        
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