sein Einziger in der Fremde weile, recht wie einer ohne
Kinder. Und ob der Dater wohl auch so trübe bleiben
würde, wenn jein Bub erst in Leipzig war? Den Jabob und
Schwesterchen Grete wollte er bitten, doch ja doppelt lieb
zu sein zu Dater und Mutter.
Tags drauf merkte der Bube zum erstenmal, was man
damit sagen will, wenn man vom Blitzstrahl redet aus
heiterem Himmel.
Den lieben guten Herrn fand der Vater, der endlich
gegen Mittag auf Mutters Drängen und aus eigener Sorge
sich zum Blicke in das Stüblein unterm Dache entschloß,
selig entschlafen, ein Lächeln in dem guten Gesicht, wie in
friedlicher Kuhe auf seinem Lager. Ein Herzschlag, urteilte
der Arzt. And ein gar schöner Tod.
Es hat den Schreiber dann noch in späten Jahren gar
manchmal gedrückt, daß damals in der Selbstsucht der Jugend
es sein erster Gedanke gewesen war: Sie ist hin, meine
schöne Zubunft!
Doch hat das nicht lange vorgehalten. Den Toten
durfte er sehen in seinem friedlichen Schlaf, und da kam
hm die Scham. Da konnte er aus innerstem Herzen trauern
um einen edlen Wann, und unter bitteren Tränen nahm er
Abschied von ihm unter der Linde vorm Tore.
Es war ein Freund des Gastes gebommen im NAuftrag
der niedergebrochenen Witwe, den Entschlafenen wieder
heimzuholen, und sehr enttäuscht war er gewesen, weil er
beiĩnen BSlick mehr tun durfte in das Gesicht des entschlafenen
Lebensgenossen. Der Arzt hatte aber im Hinblick auf die
große Hitze die Anordnung getroffen, den zur ÜÄberführung
einer Leiche notwendigen Metallsarg endgültig zu verschließen.
Unter der Linde gab der Geistliche dem ktreuen Sohn der
Gemeinde, der gekommen war, hier zu sterben, schöne Worte
des Abschieds mit. Dann fuhr der Wagen mit einer bleinen
Begleitung nach der nächsten Haltestelle der Bahn.
Später ist dem Schreiber klar geworden, daß sein für—
sorglicher Dater, der von dem Besucher wohl von dessen
schwerem Herzleiden erfahren hatte, die Begleitung auf den
Spaziergängen angeordnet hatte, daß nicht vielleicht der Freund
irgendwo ohne Hilfe liegen müsse und ohne rechtzeitiges Be—
gräbnis beim schlimmsten Ausgang. And mit vieler Kührung
mußte er auch der Rücksicht seines lieben alten Begleiters
gedenken, der wohl alle paar hundert Schritte stehen geblieben
war, der aber immer getan hatte, als bewundere er irgendwo
ein besonders schönes Eckchen, und der dann seinem Herzen,
wenn es wieder einigermaßen leidlich im Takt war, noch
eine Kuhepause gegönnt und auch die mit ein paar guten
Worten zugedecht hatte. den weichherzigen Buben nicht zu
reschrecken. — — —
Ein knappes Jahr lief hin. Dann kam noch einmal
ein Besuch und wurde liebreich aufgenommen wie der erste.
EFin junger Mann war's und stellte sich vor als der Sohn
dessen, der vor Jahresfrist als stiller Mann dies gastliche
Haus verlassen habe.
Der Bube sah die Mutter unruhig werden. Ob die
sich über die Speisen auf dem Herd ein wenig sorgte, weil
der feine junge Herr sie gar nicht losließ mit den workt—
reichsten Ausdrücken seines Dankes und sich nach tausend
Kleinigkeiten erkundigte bis zu dem hin, ob man seine alte
liebe Brieftasche dem Toten auch mitgegeben habe? Er
eilte der Mutter zur Beruhigung in die Küche und fand
alles in bester Ordnung.
Er kbonnte es der Lieben nicht gut zuflüstern, denn eben
nerbte er einen ihm noch viel weniger erblärlichen Blick,
den Dater der Mutter zuwarf. Und die war jetzt breide—
oleich im Gesichte.
Ganz unerklärlich, denn der junge Mann erzählte doch
o fesselnd von seinen Plänen, seinen Erfindungen, seinen
Feisen, den mannigfachen NAufgaben in seiner Stellung als
zingenieur. Eine Maschine wollte er erfunden haben, die
Drucksjachen aller Art in der Hälfte der bisher benötigten
z*eit und in nie gesehener Vollkbommenheit fix und fertig
ejchnitken und obendrein gezählt den staunenden Fachleuten
or die Füße lege. Dater habe ihm zwanzigtausend Mark
ur Ausbeutung der Erfindung zugesagt, habe ihm geschrieben,
r sende sie ihm, weil das vielleicht etwas ganz besonders
zutes bedeute, gelegentlich seines Besuches aus der lieben
lten Heimat. Bis heute sei er nicht in den Besitz der
⸗umme gebommen, und nun möchten die Freunde es nicht
ar übel nehmen, wenn er zu fragen sich erlaube, ob die
zumme, die ihnen zur Aufbewahrung übergeben sei, nun
ücht zu seiner Derfügung sein Lönne. Umfangreiche Auf-
räge seiner Firma hätten ihn bis nach Brasilien hingeführt,
onst hätte er sich schon eher gemeldet. Er nähme es natür—
ich nicht für übel, wenn die lieben Freunde mit der Aus—
ahlung der Summe vorsichtig seien, aber er hoffe mit dem
Zriefe seines Daters und seinen sonstigen Papieren genügend
egitimiert zu sein, und nun dulde er nicht, daß man um
eine geringe Person Umstände mache. Sein Simmer im
ßasthaus jei schon belegt. Wenn's irgend möglich sei, bitte
»x, die Summe bis morgen für ihn zu erheben. Leider
jestatte ihm sein Keiseplan bein längeres Derweilen in der
ieben Heimat seines Daters und unter den teuren Freunden,
ind er sage zum Abschied ein herzliches Wiedersehen.
Der Junge hatte sich langsam in eine Ecke gedrüchkt.
Fr wurde ein sonderbares Gefühl nicht los. Es war dem
ücht unähnlich, das er gehabt hatte, als er zum ersten-
nal und ganz unvermutet einer Schlange gegenüberge—
tanden hatte, mit Entsetzen im Herzen nur mit unmerkblichen
schrittchen sich zurückzubewegen getraut hatte, und mit
chmerzenden Augen hatte er jedes Süngeln, jede der ruck⸗-
veisen Bewegungen des Kopfes betrachtet. Einen Angst-
asen hatte er sich später gescholten, als er wußte, wie
armlos die zierliche Kingelnatter wirklich gewesen war.
Jetzt schalt er sich heimlich einen niederträchtigen Kerl,
uind — — — das häßliche Gefühl wurde nur stärker in ihm.
Den Vater sah er dann dem Besucher durchs Fenster
achblicken mit einem Gesicht, aller Hoffnung bar. Die
Mutter hörte er auf einmal wild aufschluchzen aus dem
ilten Stuhl, in dem sie zusammengesunken war. O, so schreck-
ich hatte sie damals nicht gebebt beim Tode des lieben
heren! War denn heute erst die richtige Trauer zum
Ausbruch gekommen? Den Vater sah er zur Mutter hin—
vanben. Dann jagte ihn ein wildes Stöhnen aus der Stube.
Tags drauf war Dater am Morgen viel unterwegs. Die
Mutter stand mit verweinten Augen am Herd.
Den jungen Mann empfing Vater allein. Nach ein
aar Minuten ging der Besucher merkwürdiger Weise wieder.
Pieder sah ihm Vater mit solch starren Augen nach, und
vie er zu dem Guten sich hinstahl, ihm schmeichelnd die
hand in die Kechte legte, da zuckte der Dater zusammen.
Ind maß ihn mit einem unerblärlichen Blick. And sprach
in ganz unerblärliches Wort. „Mein armer, armer Junge!“
agte der Vater.
Dann war mit einem Male auch solch ein unerblärliches
Benehmen bei den Kameraden. Sie tuschelten, wenn sie
hn sahen. Sie spielten nicht mehr mit ihm, und war er
elbst bereit zu Räuber und Gendarm, so liefen sie auscinander.
Sie machten auch so sonderbare Bemerkungen zu ihm.
Ob er wüßte, wie man am schnellsten reich werden bönnte?
Ob er die Brieftasche einmal erben würde? „Welche?“