Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Heimat· Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
Nr. 18 / 1926 
Erscheinungsweise Nmal monatlich. Bezugspreis 1,20 Mbo. im Vierteljahr. Frũhere 
Jahrgänge können, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-⸗Derlag nachbezogen werden 
6. Jahrgang 
Des alten Schreibers Jugend n 
Don Otto 6 
vweighöfer. 
VDon großen Begebenheiten wird nicht zu reden sein. 
Doch woerden auch die bleinen Dinge wohl ein wenig den 
niederen Pfeilern und Bogen nicht ganz unähnlich sein, mit 
denen die Brücke allmählich anhebt am flachen Afer, und 
über die glänzenden Wasser spannen sich dann kühn und 
gewaltig die hoch gespannten Kunden. 
Swölf Jahre war der Bube alt, da kam in sein Leben 
zum erstenmal etwas, das sich wie ein auffällig BSildwerk 
abhob von dem langen Einerlei der Meilensteine Essen, 
Treinben, Schlafen, Schule. Der in Vergißmeinnicht ein- 
gebetteten nicht zu vergessen und der andern, die das Leben 
an den Straßenrand wälzt, die unbehauen sind und freĩ von 
tröstlich redenden Sahlen und ungefüge manchmal und hin— 
gelagert an der ungeeignetsten Stelle. Waren sehr selten, 
die blumenumreihten, die unvergeßlichen Meilensteine sonnigen 
Kinderspiels, und dafür waren in immer kbürzeren Abständen 
die andern zu zählen, und von fleißiger Arbeit redeten die 
und früh vergossenem Schweiß. 
Erst das Dieh, dann der Mensch. Erst der Stall, dann 
die Stube. Das war dem Jungen recht früh schon ein 
wichtiges Gebot. 
VDon der Schule auf den Acker, zur Wiese hin oder 
in den Garten, Ferienerholung im Heu, bei der Frucht, den 
Kartoffeln, dem Grummet und der Plünderung des alten 
Sienbaums, trotz seiner säuerlichen, harten, bleinen Früchte 
doch der vielgeliebte Freund, dem man noch bis zur nächsten 
Ernte hin das Mus auf dem Brote verdanbte. 
AUnzählige Fahrten dazwischen, mit einem bleinen Wägelein 
oder bei Schnee mit dem Schlitten, und dann war immer 
nur die Rückfahrt ein billiges, immer wieder gern gebostetes 
Hergnügen, weil sie vorangegangene Quälerei mit einer lustigen 
fahrt auf irgend einer der abschüssigen Straßen versüßte. 
Kohlen und Holz für die vielen Kunden, die kleinere 
Mengen Brennstoffs in einzelnen Sentnern bezogen, lieferte, 
ils er kaum höher war als die Säcke, der fleißige Bube 
in. And war gutmütig genug, der Unverschämtheit manch— 
nal zu Diensten zu sein mit einem Kaubbau an seinen 
einen Kräften. 
Von solch einer Gelegenheit stammte eine fingerlange 
Narbe an seinem Schädel. Da war er ein paar Meter 
»och abgestürzt mit jamt seiner schweren Last und bopfüber 
n abgelagerte Steine, zerbrochene Flaschen, schadhafte alte 
Blechtöpfe und ähnliche liebliche Dinge gefallen. Und hatte 
um Trost von dem hämischen Buchbinder, der den Jungen 
o schnöde mißbraucht hatte, noch nicht einen Sehner oder 
och einen Apfel, nein, noch nicht einmal ein wertloses 
Bildchen erhalten. Das ist auch der Grund gewesen, daß 
r einmal in seinem Leben sich gegen das gewehrt hat, was 
indere über ihn beschlossen. Sonst wäre er nicht Schreiber 
ondern ein Buchbinder geworden. 
Dann bam der Tag, der sich aus dem Einerlei wunder— 
am hervorhob. Ein Gast hatte sich eingemietet, von dem 
Buben erst mit offenem Munde bestaunt, dann bewundert, 
erehrt und schließlich mit heißen Sähren betrauert. 
Heimweh hätte der Besucher gehabt. hatte Dater einem 
Neugierigen burz bedeutet. 
Heimweh? Das mußte etwas Arges sein und kam wohl 
ꝛrst dann, wenn man wieder so recht drin saß in den Ge— 
nũssen der lange nicht mehr geschauten Stätte der Jugend. 
Venn schon das Wiedersehen mit Sauermilch und Kartoffeln 
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