Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

hervorschießen und sich wie stahlblaue Pfeile in die Lüfte schnellen. 
Den Kindern war es eine seltsame und freudig bestaunte Ent— 
deckung, zu sehen, daß Schwalben in der Erde wohnen. Wir 
traten an den Kand der Grube und zählten in der hohen Wand 
65 Fluglocher, breisrund und etwas größer als der von Daumen 
und Seigefinger eines Mannes umschlossene Ring. Dicht neben⸗ 
einander lagen die Löcher, die tief in die Erde gingen. Mitunter 
schienen zwei zu einem Nest zu führen. 
Hoch über uns breiste das scheue Schwalbenvoll. Kein 
Schwälbchen flog mehr ein noch aus. In einer Entfernung von 
20 bis 30 Schritten ließen wir uns unterhalb der Niststätten am 
jenseitigen Wegrain nieder, um die Tierchen zu beobachten. Der 
Schwarm der Segler senbte sich allmählich und flog nun oberhalb 
der Grube dicht ũüber der Erde hin. Jeßt wagte es eine bühne 
Schwalbe, flog herzu, faltete blitzgeschwind die Schwingen, schoß 
in ihr Flugloch hinein und war verschwunden. Sehn andere 
folgten ihr, jede zu ihrem eignen Nest. Ansere Blicke blieben 
auf die befahrenen Stollen geheftet, bis der geflügelte Bergmann 
wieder zu Tage fuhr. Es war ein reizendes Spiel der Natur, 
dem wir wohl eine halbe Stunde lang zuschauten. Nahten wir 
uns leise, so verließen auch die letzten ihre Nisthöhlen und schwirrten 
und irrten mit ihren beschwingten Genossen in demselben begrenzten 
Luftraum umher. Nahmen wir unseren entfernteren Beobachtungs- 
platz wieder ein, so Lamen auch sie wieder herzu und juchten ihre 
Nester in der Erde auf, die unter der Lehmschicht vor Näjsse geschützt 
waren. 
Durch ein nicht alltägliches Erlebnis bereichert, verließen wir 
die Kolonie der Uferschwalben unweit des Mosenberges und 
wanderten durch Ahrenruch und Heuduft heimwärts. 
Der Dorfteich. 
VDon De. Werner Sunbel, Marburg (H.). 
SZwei Dinge üben auf das kindliche Gemüt, das der Natur 
gegenübertritt, besonderen Keiz aus: das Leben und das Wasser. 
Beide regen durch Bewegung und Beweglichbeit zum Spielen und 
—AEX 
Spieltrieb und erwachender Forschungsdrang sich in der heimischen 
Natur dort zuerst betätigen, wo Leben und Wasser vereinigt sind 
in einem von Pflanzen bewachjenen und Tieren bevölkerten Gewässer. 
Es wird wohl manchem so gehen wie mie, daß er seine Naturbe⸗ 
obachterlaufbahn weit in die Kindheit zurũckverfolgen kann und 
sich da auch eines bleinen Dorfteiches erinnert, wie sie früher ũberall 
zu finden waren und für die kbindlichen „Naturforscher“ wahre 
Fundgruben von unerschöpflichen Herelichbeiten darstellten. Und 
cinst hat es auch bei den Städten kleine Teiche gegeben, die der 
Stadtjugend einen Tummelplatz für ihre plantschenden Beine und 
ihren auf Abenteuer und Entdeckungen gerichteten Sinn boten. 
VDon einem solchen hat unser Hermann Löns so anschaulich erzählt 
in seiner Skizze „Die Forscher“: 
„Schon seit langem hatten sie sich vorgenommen, die in 
zoologischer Beziehung so ergiebigen Försterteiche einer genauen 
Untersuchung zu unterziehen. Sie wußten zwar, daß schon vor 
ihnen bedeutende Leute, z. B. ihre eigenen VBäter, Groß-, 
Argroß- usw. Däter und die Onkbels väterlicher- und mütterlicher⸗ 
seits ebenfalls die Tierwelt jener berühmten Binnengewäjsser 
zwijchen der großen Savanne, Exerzierplatz genannt, und dem 
undurchdringlichen, von feindlichen Stämmen bevölkberten Urwald, 
jo sich Stadtwald nennt, mit großem Eifer erforscht hatten...“ 
Die Schilderung der Gegenstände, die zur wissenschaftlichen Aus- 
rüstung der Expedition dienten, ist auch böstlich: Marbtnetz, ein 
etwas gesprungenes Einmachglas, eine lange Stange, Umhänge— 
tasche und sogar ein richtiges Fangnetz. Wir hören dann von den 
mancherlei Un- und Swischenfällen, von den stechenden Wasserwanzen, 
dem zerbrochenen Glas, verlorener Beute und ihrem Ersaß durch 
neuen Fang, ein munteres Kinderleben und Treiben, das durch 
inmittelbaren Umgang mit der Natur Einblicke in das Leben der 
eimischen Natur gewinnt, die fester im Herzen und Verstand 
aften bleiben als manche gelehrte Schulweisheit. All dies 
ẽeleben bringt, bzw. brachte die jungen Menschen der Natur und 
heimat nahe auf eine Weise, die von der Betrachtungsweise des 
Fewachsenen, besonders des Bauern, noch ganz verschieden ist; 
enn dieser läßt sich bei seiner Stellungnahme zur Natur und ihren 
seschöpfen in so ausgesprochenem Maße von den Begriffen der 
düßzlichkeit und des Vorteils leiten, daß er fast nie mehr zu der 
daturbetrachtung kommt, die wir Naturfreunde und Schützer selbst 
iben und in anderen wecken und stärken wollen. Der in der Jugend, 
uch der Landjugend, lebende Drang zur Naturbeobachtung ist die 
ßrundlage, auf der wir Naturschutzverständnis auch dort pflegen 
önnen und müssen, wo der Gedankbe des Naturschutzes bisher am 
hwersten Eingang fand: auf dem Land und in den bleinen Städten. 
diesen Drang zur Naturbeobachtung, wie ihn Löns in der Plauderei 
Die Forscher“ so lebenswahr schildert, gilt es zu erhalten und 
zurch ein verständnisvolles und bluges Leiten zu einem Grund- 
feiler in der gefestigten Weltanschauung zu machen, auf dem auch 
ie Liebe zur Heimatnatur, auf dem auch der Naturschut beruht. 
— — Aber! — Ja, ein Einwand drängt sich auch mir 
jleich auf: wo hat die Dorf- und Kleinstadt Jugend von heute 
ioch einen solchen Teich, in dem schon „VDäter, Groß-. Urgroß- 
ijw. VDäter“ fischten? — 
Die bleinen Teiche, die früher als Wasserbehälter dienten, um 
»ei Feuersbrünsten den Brand löschen zu helfen, verloren diejse 
rablijche Bedeutung, als jedes Dorf seine Wasserleitung bekam; 
iuch die Verwendung der Teiche für die Flachsbearbeitung und 
ur Reinigung der Schafe vor der Schur bommt für die Florstrumpf- 
Hegenwart, in der die Schafzucht in demselben Maße abnimmt, in 
em der „Mode“ genannte Herden-Trieb der Leute dumme Formen 
mnimmt, zurũckgeht, kLaum noch in Betracht. Deshalb fielen zum 
keil schon vor dem Keieg. meist aber in diesem an Absonderlich- 
eiten bejonders reichen Abschnitt der Geschichte, neben manchem 
nderen schönen Fleckchen heimischer Erde unsere Dorfteiche dem 
Bodenkultur“Fanatismus zum Opfer, dessen Kultjymbol die 
Steckrüber unseligen Andenbens ist. Die trockengelegten Teiche 
hyurden also (chlechte) Gärten und Acker oder aber ein Stück 
Wüũste“, das heutzutage auch nirgends fehlen darf, ein Fußballplaßz; 
enn auch der Fußball ist ein Götze unserer Seit. 
Mit den vernichteten Teichen ist zweierlei verloren gegangen: 
rstens eine (vielleicht die beste) Gelegenheit zur Naturbeobachtung 
ir die Jugend, zweitens ein (in vielen Gegenden leßter) Sufluchtsort 
ũr die von der menschlichen Bodenkbultur schwer bedrängte Tier— 
ind Pflanzenwelt unserer Binnengewässer. Beides bedeutet einen 
etrãächtlichen Schaden für die Sache des Natur- und Heimatschutzes, 
vobei es nicht leicht zu entscheiden ist, welcher Punbt mehr ins 
ßewicht fällt. Jedenfalls darf, wie ich eingangs betonte, die Tat- 
ache nicht außer acht gelassen werden, daß ein Dorfteich als eine 
zjute naturkundliche Schule jür die Kinder auch zZum Ausgangs- 
»unkt ländlichen und volkstümlichen Naturschutzes werden Lbann. 
Ddaß manche Tiere (z. B. Molcho) aus vielen Gegenden ũberhaupt 
erschwinden, sollte zudem schon genügen, uns für Erhaltung der 
och bestehenden Gewässer eintreten zu lassen. Dann aber halte 
h die Anlage neuer stehender Gewässer im Sinne des Natur— 
hutzes ebenso wie des naturbundlichen Unterrichtes (wie jeder 
Det einen Schulgarten haben sollte, so dürfte auch ein Schulteich, 
oenigstens ein bleiner, nicht fehlenl) für nicht minder notwendig 
vie die Schaffung von Nistgehölzen für Kleinvögel. Am besten 
bäre es, einen bleinen Weiher mit allerlei Bäumen und Gebäsch 
zu umgeben und so nicht nur den Lebewesen des Wassers, sondern 
iuch den Vögeln in der Luft und dem Getier, das auf der Erde 
ind im Gesträuch brlecht und krappelt, einen Sufluchtsort zu bieten; 
zer Natur zum Segen, den jungen und den alten Menschen zur 
Belehrung und Freude. 
VDom Buchertische der Heimat. 
Selige Reise. Ein Terzinenkreis. Von Max Bruns. 
Oerlegt bei J. C. C. Bruns, Minden i. W. 
Im fünfzigsten Jahre seines Lebens legt Max Bruns, unter 
den deutschen Syribern der Gegenwart einer der selbständigsten 
und zugleich zuchtvollsten, nunmehr ein zweites Versbuch bedeutenden 
Umfanges vor. ein Seichen. daß die dichterische Schaffensbraft, 
die sich in Wesen und Werb dieses Seitgenossen offenbart, eben 
auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit angelangt ist. In jeiner 
jormal besonderen Art aber, der energischen Beschränbung des 
Ausdrucks vielfältiger Gehalte auf eine einzige Versform, die der 
Terzine, führt die „Selige Keise“‘ wiederum zu der Erbenntnis, 
daß bei Max Bruns wie bei jedem Lyriker von Länstlerischer 
Bedeutung das zyblische Moment, die gestaltende Susammenfassung 
es schöpferischen Wollens zu einer einheitlichen Form, zum Ge— 
ichtbreis, die Hauptepoche der dichterischen Keife beherrscht. Das 
st in diesem Falle um so mehr zu bewundern, als Bruns, gleich- 
am „der Phantasie gewaltiges Feuerroß“ reitend, Kaum und Seit 
iach allen Dimensionen durchfährt und schier alle denbbaren Tiefen 
es menschlichen Gefühls durchmißt, gleichwohl aber in beinem 
falle von dem einmal gewählten Ausdrucksmittel, der Terzine, 
bweicht, die in Deutschland bisher, von der DantoUÜbertragung 
5tefan Georges abgesehen, am vollkommendsten wohl von Rückert 
ind Chamisso gehandhabt worden ist. Bruns braucht den Vergleich 
nit diesen Dichtern nicht zu scheuen. Seine Terzinen, durch Vobal—
	        
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