Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Weihespruch 
zjür die Jugend- und Wanderherberge Knüll. 
Von Heineich Kuppel. 
Valtender Gott, der du ewig derselbe bist, 
Ailes von dir Erschaffene wandert und wallt, 
valit dir vorũber und wechselt jeine Gostalt: 
Volken wandern am Himmel zu jeder Frijt; 
Sãaume wachsen und streben empor zum Licht, 
allen und werden gefällt von Schneebruch und Sturm, 
venn fie die mordende Axt nicht niederbricht; 
Menjchen glauben zu stehen wie Mauer und Turm 
und vergehn doch, wie jene zʒerbröckelt sind — 
Menschen sind Halme nur, wehende Halme im Wind; 
Masser quellen aus Tiefen und rauschen daher 
und versinken im unermeßlichen Meer, 
wie die Geschlechter der Vorzeit, von denen wir lejen, 
chweigend versanken im dunbeln Abgrund Gewesen. 
Alles wandert und wallt vorüber an deinem Gesicht: 
Jugend altert, und altes Leben zerbricht, 
gibt der Erde den Staub, den gesetzten Soll, 
hieder zurũck, wie Geschaffenes muß und soll. 
Du, Auwaltender, nur bist ewig unwandeibar! 
Vir Menschen sind eine ziehende Pilgerschar, 
Lommen und gehn, daß baum eine Spur sich findet, 
sqhwinden dahin, wie sernes Abendrot schwindet. 
Dennochl Wir irdischen Wanderer bauten dies Haus, 
auien 28 hier auf die Höhe, damit es schaue 
jber die Wipfel und Weiten ins himmlische Blaue 
und sich erhebe ũber die Nied'rung hinaus, 
daß es die graue Alltãglichkeit ũberrage 
ind uns manches von ewigen Dingen sjage. — 
Nachbarlich rauscht hier der Wanderklause der Wald, 
pendet belebenden Hauch, von Stimmen durchhallt; 
bor den Fenstern spielt lichtgrünes Slãttergold;: 
lralte Buchen umschirmen die Herberge hold. 
Drũben erglänzt, ein Spiegel des Himmels, der Teich. 
Tannenwande umhegen ein stilles Keich; 
einjame Wege führen dich weit hinein, 
veisen dich, ruhlojses Weltlind, zum wahren Sein. 
Haus auf der Höhe, du siehst in jonnigen Weiten 
Hessjenlandes Wälderwogen sich breiten. 
Haus, bleib uns Kichtpunbt! Lehr' alle Kräfte uns geben 
ür das große. gemeinsame deutsche Leben! 
Ewiger, nimm deiner Wandrer Haus in Hut! 
Schirm' es vor Schaden, bewahr es vor Feuersglut, 
chütz es vor unbesonnener Frevlerhand! 
Taß es ein Segen werden für Voll und Land! 
dange laß es die Hessenheimat sehen! 
Taß viele Fuße juchend nach ihm gehen, 
und die Herzen laß Frieden finden allhier, 
daß sie in heiljamer Stille, im Aufblick zu dir 
ich von allem jelbstischen Wejen befreien! 
Solchen Wanderern wollen wir. Haus. dich weihen! 
Das Haus am Wildsberg— 
Von Heineich Ruppel. 
Es steht schon festgegründet auf der dauernden Erde, bald 
wohnlich und zufluchlgewährend, kein Haus in den Wolken. Und 
dennoch: am Tage seiner Weihe, am I. Juni, bonnte es manch 
einem Wanderer als ein Haus in den Wolken erscheinen, wobei 
nicht an holde, schwanenweiß jchimmernde Sommerwölkchen, sondern 
an graue, schwere, vom Wind über die Erde geschleppte pralle 
Kegenwolbensacke zu denben ist. Es „iselte“ jchon, als wir von 
Kopperhausen her über den Saärberg auf der Höhe ankbamen; 
aber unjer hoffnungsfrohes Wanderherz hielt den allmählich ein 
etzenden Dauerregen nur für vorübergehendes Mebelgeriejel. 
Bleich uns zogen zahlloje Wanderer über die Hochfläche zum 
Wildobberg hinüber, um zu dem vom Ortspfarrer zu Schwarzen · 
born unter Mitwirkung des dortigen Posaunenchors gehaltenen 
Feldgottesdienstes trotz Beschleunigung des Wanderschrittes leider 
hoch zu jpät zu kommen. Nur den Geuß der Posaunen, die den 
Holtesdienst beschlossen, vernahmen wir noch in der Nähe. 
Der Festausschuß hatte küchtige Arbeit geleistet. den Festplatz 
ichön hergerichtet und das zu weihende Haus mit Tannenkraͤnzen 
id Gielanden geschmückt. Alles war geschehen, den Tag zu 
einem Höhepunkt im Leben der hejsischen Gebirgs⸗ und Wander— 
bereine zu machen. 
Oen Keigen der Keden eröffnete der Hauptvorsitende des 
ZGV, Amtsgerichtsrat Heußner qus Hersfeld. Er benn⸗ 
eichnete im Anschluß an Hiob 831, 82 (Kein Fremdling brauchte 
raußen zu übernachten, ich offnete meine Tũr dem Wandersmann) 
das nunmehr der Vollendung entgegengehende AUnternehmen mit 
reffenden Worten und wunshte mit einem Hinweis auf die nicht 
erade geschmackvolle Benennung der Villa Sorgenfrei“ unter- 
ib des Knullböpfchens, daß die Jugend, und Wanderherberge 
Znũll nicht das „Haus der grauen Sorge“ genannt werden müsse, 
vie schon manchmal zu befuͤrchten gewesen sei. Er begrüßte alle 
Erschienenen und dankte jhnen für die Mithilfe bei dem großen 
Verbe, besonders den Sehörden, den Vertretern der Kreije 
ʒziegenhain, Hersfeld und Homberg, den Oertretern der Städte, 
or allem aber dem großzügigen Entgegenkommen der Stadt 
ʒchwarzenborn, den Vereinen, dem rũhrigen Festausschuß und 
nlen, die durch Wort und Tat mithalfen. Nun trug Bernhard 
Andre aus Heesfeld den Weihespruch vor, den wir in der 
orliegenden Nummer abdrucken. In Añdres Wiedergabe wurde 
as Gedicht zum starken Erlebnis, wuchtig, eindringlich und 
virkungsvoil. Dann sprach Kreisbaumeijter Koch, Siegenhain, 
Fem die Bauleitung oblag, allen Mitarbeitlern vom Handwerk 
einen Dank aus für treue Pflichterfüllung, auch Architekt Siems, 
Hersfeld, jür den geschaffenen Entwurf. Glũckiicherweise sei bis 
ser bein Anfall eingetreten, mit einer kleinen Ausnahme am 
dorabend des Weihetages, die wohl aber nicht ernster Ratur sei. 
Im Anschluß daran sprach der Landrat des Kreises Siegen- 
»ain als Vertreter des Oberprãsidenten beherzigenswerte Worte. 
Nun händigte der Hauptvorsihende dem Herbergsvater, Lehrer 
Verner, den Schlüssel des neuen Hauses ein. Er begleitete 
ie Schlũselübergabe mit den schönen Worten, die schon in der 
Predigt Pfarrer Kitters angeklungen waren: „Freude dem 
Zommenden, Friede dem Bleibenden und Segen dem Scheidenden!“ 
Sodann ergriff Justizrat Wenning aus Cassel das Wort 
zur Weiherede, die in würdigen Aussührungen den 4. Juni 
ngesichts des nahezu vollendeten Werkes als einen Tag des 
Erfoiges und des KRuhmes jür den zahlenmäßig doch nicht starken 
Znũllgebirgsverein feierten. Er gab einen Überblick über die ge⸗ 
chichtliche Entwicklung des Wanderwoesens, bezeichnete das Hoerbergs· 
aus als eine Stätte der Jugend, die hier von fröhlicher Mander⸗ 
ahrt ausruhen und an Leib und Seele genesen joll, und jchloß mit 
ꝛinem dreifachen „Frisch auf!“ für den Knullgebirgsverein. Leider 
eeinträchtigte der immer stärber einjetzende KRegen den VOerlauf des 
vohlvorbereiteten Festaltes, der von gesanglichen und musibalischen 
Darbietungen des Hersfelder Qucrtatibercins, der Mitglieder des 
ʒweigvereins Wallenstein, der Hersfelder Gymnasialkapelle u. a. 
urchsiochten war, und die unaufhaltsam strömende Kegenflut, gegen 
ie auch der grimmigste Humor nicht mehr aufkbam, ließ zum Se⸗ 
auern der heraufgekommenen Knãlibewohner die Uraufführung des 
‚on Heinrich Röser gedichteten Festjpiels „Mareilis“ auf einer 
Naturbühne im Walde und das anschließend geplante Volkbsfest mit 
Feigen der bleinen Schwälmer Madchen in ihrer bunten Tracht, 
nit iurnerischen Vorführungen u. dergi. im Sinne des Wortes zu 
Vasser werden. Große Wolkbensacke barsten und entleerten sich 
n wahren Fluten auf den hohen Knũll. Wie graue Strähnen hingen 
zie Kegengühse hernieder. Alle Knũllhasen gingen schleunigst in 
hre Sasen unter die Selte, die alten Weidebuchen, in die Tannen- 
ickung und in die geöffnete Jugendherberge. Aber das große 
Festzelt neigte sich unter der Schwere der niederstürzenden Wahsser⸗ 
nassen, zumal auch die Zeltstangen sich im durchweichten Boden 
ockerten, und mußte gerãumt werden. Nun verließ alles, was Beine, 
zahrräder, Motorräder oder gar Autos hatte oder briegen bonnte, 
nter wolkbenbruchartigem Regen den vom Wettergott so stiefvãter⸗ 
ich behandelten Schauplatz der Freignisse, um in den Dörfeen Schutß 
u suchen. Damen in lußstigen, dujtigen Kleidchen sahen kaum noch 
iftig und duftig aus; zerzaust und feiefend von Näßje, mühten sie 
sch auf blitschigen Wegen und zwischen schlammigen Kinnsalen 
indurch der Straße entgegen. Kleine ritten auf dem Rücken von 
hzaler oͤder Mutter durch die große Sintflut. Gleich einer rettenden 
Arche Noah, nur nicht so gerãäumig, standen, an, der Straße 
zchtoarzenborn —Seigertshausen drei große Postautos, bis zum 
eßten Platz ũberfüllt. Die Insassen schauten geruhsam auf die 
‚oͤm Festplaͤß flüũchtenden Wanderer. Hier Bilder zum Jammern, 
sort Büder zum Lachen — wie das im Leben ja meist ist. Ich 
znisann mich der Goetheschen Strophe: 
„Wind und Ströme, 
Donner und Hagel 
rauschen ihren Weg 
und ergreifen, 
borũbereilend, 
einen um den andern.“ 
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