Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

aber ein schöner Mann ist, trifft der Strahl eines brennenden 
Lichtes, und augenblicklich ist er in eine Taube verwandelt und muß 
ieben Jahre mit den Tauben fliegen. Aber alle sieben Schritte 
ãßt die Taube einen roten Blutstropfen und eine weiße Feder 
'allen, die jollen seiner Frau den Weg zeigen, damit sie ihn er— 
õsen Lann. Als die sieben Jahre um sind, hört die Spur auf. 
und die arme Frau fragt bei Sonne, 
Mond und den Winden nach der weißen 
Taube, bis der Südwind zu erzählen 
weiß, daß dieselbe nach dem Roten Meer 
log und dort wieder ein Löwe geworden 
ist. Gleichfalls eine doppelte Verwandlung 
hat der Königssohn zu erdulden, den die 
Alte im Walde verzaubert hat. Er ist in 
reinen Baum verwünscht, und alle Tage ein 
paar Stunden in eine weiße Taube. Als 
olche bringt er dem armen Dienstmädchen, 
dessen Herrschaft im Walde von Räubern 
erjchlagen ward, nacheinander drei goldene 
Schlüselchen, durch die es sich Nahrung, ein 
Nachtlager und Kleidung verschaffen kann, 
und das ihn nachher durch einen King, den 
es der Alten entwendet, erlöst. 
In dem Märchen „Der Meisterdieb“ 
jchleppt der Dieb den Sack, in dem er Pfarrer 
und Küster gefangen hat, in den Tauben⸗ 
jchlag, und als die Tauben flattern, jagt er: 
„Hört ihr, wie die Engel sich freuen und mit 
den Fittichen schlagen!“ 
In dem Märchen vom Schlauraffenland 
heißt es, daß dort zwei Tauben einen Wolf 
zerrupften. 
Die dicke Trine, nicht minder faul als ihr Mann, ist der müh— 
amen Siegenzucht überdrüssig und will die beiden Siegen dem 
Nachbar gegen einen Bienenstock vertauschen. „Den Bienenstock 
tellen wir an einen sonnigen Platz hinter das Haus und bekümmern 
ins weiter nicht darum. Die Bienen brauchen nicht gefüttert zu 
verden; sie fliegen aus, finden den Weg nach Haus von selbst 
wieder und sammeln Honig, ohne daß es 
uns die geringste Mũhe macht.“ Heinz ist 
mit dem Vorschlag einverstanden, denn er ist 
der Ansicht, daß der Honig beseer schmeckt 
und nährt als die Siegenmilch und sich auch 
ãänger aufbewahren läßt. Als sie dann im 
zlũcklichen Besitz des Bienenstockes sind, 
heißt es weiter: „Die Bienen flogen uner- 
nüdlich vom frühen Morgen bis zum späten 
Abend aus und ein und füllten den Stock 
nit dem schönsten Honig, so daß Heinz im 
Zerbst einen ganzen Krug voll herausnehmen 
onnte.“ Leider hat die dicke Trine das 
Mißgeschick, in ihrer Heftigkeit den Honig- 
opf zu zerschlagen. Heinz hält es noch für 
ein Glück, daß ihm der Topf nicht auf den 
Kopf fiel, und sagt weiter: „Wir haben alle 
Ursache, mit unserem Schicksal zufrieden zu 
jein.“ Und da er in einer Scherbe noch 
etwas Honig bemerbte, so langte er danach 
und sprach ganz vergnũgt: „Das Restchen, 
Frau, wollen wir uns noch schmecken lassen 
ind dann nach dem gehabten Schrecken 
ein wenig ausruhen; was tut's, wenn wir 
etwas später als gewöhnlich aufstehen, der 
Tag ist doch noch lang genug.“ „Ja,“ ant- 
wortete Trine, „man kommt immer noch 
zu rechter Seit. Weißt du, die Schnecke 
war einmal zur Hochzeit eingeladen, machte 
sich auf den Weg, kam aber zur Kindtaufe 
an. Vor dem Haus stürzte sie noch über den 
Zaun und sagte: „Eilen kut nicht qut.“ 
Die Biene. 
Obwohl wilde Bienen im MWärchen 
nehrmals vorbommen, werden doch nur in 
em Märchen vom faulen Heinz Blenen als 
Hausfiere erwähnt. 
Denkmal der Gebr. Grimm in Hanau 
Copyright: Foto Zinn 
— 
Auf Heimatwegen. 
Grimm⸗Stätten. 
Welches deutsche Kind bennt nicht den Namen der Gebrũder 
Grimm, der sich schon in Großvaters Lesebuch unter den schönsten 
und lustigsten Stücken fand! Ein solches Kind würde eine leere 
A 
Kindern die beglückenden Sauber⸗ 
»orstellungen und erhebenden 
Hemũtskräfte lagern. Noch auf 
Erwachsene pflegt ein Hauch von 
Märchenpoesie einzuströmen und 
ie über die Hetze des Alltags 
zu erheben, wenn der Name der 
Hebrüder Grimm dankbar und 
ehrfurchtsvoll genannt wird. Und 
wo wäre gar das hejssische Kind, 
das nichts wũßte von diesen Hessen⸗ 
söhnen, die mit der Wäünschelrute 
durch die Dörfer gingen und die 
berborgenen Märchenquellen er— 
schlossjen Welches Hessenkind 
hätte noch nichts von ihnen ver— 
nommen, von ihnen und von der 
Märchenfrau Katharina Vieh— 
mann geb. Pierson zu Nieder- 
zwehren! Von den wunderschönen 
Kinder- und Hausmärchen, in 
denen verzauberte Königs- und 
hirtenlinder, Kiesen und Swerge, 
Soldaten und Bauern und alle 
Bewohner Himmels und der 
Erde ihre Rolle spielen! Sogar 
„das liebe Dieh“, wie der hessische Bauer durchaus nicht ironisch 
jagt, und alle unsere bekannten Haustiere, wie aus dem nunmehr 
abgeschlossenen Beitrag von Olga Stückrath⸗Stawitz hervorgeht. 
Anjsere Bilder zeigen die bedeutendsten Grimm-⸗Stätten. 
Das Wohnhaus der Gebrüder Grimm in Cassel brachten wir 
bereits in Ne. 2 unserer Seitschrift vom vorigen Jahre, worauf 
hiermit verwiesen sei. 
Jakob und Wilhelm Grimm, das wahrhaft edle und treue 
Brüderpaar, nennen Hanau ihre VDaterstadt. Dort wurde Jabob 
im 4. Januar 1185, Wilhelm am 24. Februar 11860 geboren. Die 
ꝛrsten Eindrücke empfingen sie in Skteinau, wo der Dater von 
791 - 1796 als Amtmann kätig war. Nach dem frühen Tode des 
Ddaters besuchten sie das Lyceum zu Cassel und die Universität 
Marburg. Durch Johannes von 
Müller, den Kabinettjebretär des 
Königs Jeéerôme von Westfalen, 
erhielt Jabob eine Anstellung als 
Bibliothekar, während der börper- 
liich schwächere Bruder Wilhelm 
von einem Herzleiden Genesjung 
uchte und später (1814) eben- 
alis ein Amt in Cassel erhielt. 
In der Casseler Seit sammelten 
die Brũder eifrig die fast ver— 
jessenen schönen Dolksmärchen 
und gaben sie in drei Bänden 
1812, 1815 und 1822) als die 
Kinder - und Hausmärchen“ 
heraus. Damit vollbrachten sie 
zine Großtat. Im Jahre 1829 
jolgten die Brüder einem Ruf 
nach Göttingen. Doch wurden 
sie 1831 ihres Amtes entsetzt, 
weil sie zu den Göttinger Sieben 
zgehörten, die gegen den Ver— 
ahungsbruch des Königs von 
Hannover protestierten. Das 
—A 
Wirkungskreis an der Abademie 
»er Wissenschaften in Berlin. Von ihren zahlreichen wissen⸗ 
chaftlichen Werben sei nur noch das „Deutsche Wörterbuch““ 
ewãhnt, an dem gegenwärtig noch die namhaftesten Germanisten 
rbeiten. Wilhelm Grimm starb am 16. Dezember 1859, sein 
Zruder Jabob am 20. September 1868. Beide fanden auf dem 
friedhof der Matthäi Gemeinde zu Berlin-Schöneberg ihre leßte 
Zuhestätte 2
	        
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