Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

deutlich weiß geworden! — fand es unbegreiflich, daß der 
boshasfte Sensenmann wieder einmal den dürren Ast über- 
jehen und das grünende Keislein abgerissen hatte. 
Er nahm den Beiden das Büblein. Den Allten schien 
der Schlag härter getroffen zu haben als das arme Weib. 
Er hatte bisher sein einfaches Leben so ruhig und zufrieden 
durchlebt, daß ein Schicksalssturm ihm leicht für ein Weilchen 
das Steuer seines Schiffleins aus der Hand riß. Ein paar 
Nachtwachen hatten vorgearbeitet. Die entsetzlich qualvolle 
Untätigkeit angesichts der Qualen eines bleinen hilflosen 
Geschöpfes, die Schmerzen der Mutter, die man noch zu 
den eignen litt, die brachen dem alten Wanne schier Stücke 
aus dem Herzen. 
Was an kleinen Gängen und Liebesbeweisen zu tun 
war, das ließ er sich nicht nehmen. Aber nachher schien 
ihm das alles gar nicht erlebt, und wie er dann als einziger 
nächster Leidtragender hinter dem bleinen Sarge ging, von 
ein paar teilnehmenden Hausbewohnern gefolgt, da war's 
— 
—EDVV 
seiner Hoffnung zu Grabe. 
Ob die Frau den eignen Schmerz in die schwachen Hände 
nahm, ihn vor dem Hausgenossen zu verbergen, der ohne- 
dies sich Laum noch aufrecht hielt? Sie sprachen nicht viel 
miteinander über das Büblein, als folgten sie einer stillen 
Verabredung. Sie ließen es zu, daß eins dem andern ohne 
Worte eine unbequeme Sache abnahm, als seĩ das der einzig 
richtige Trost. 
Her Alte trug abends die fertige Wäsche zu den Kunden, 
wie erst wieder einmal die Maschine surrend die unheimliche 
Stille in der bleinen Stube verscheuchte, die Maschine, die 
ein fleißiges Menschenbind nun nur noch mit der Hand 
lebendig machen bonnte und die es trotzdem bald wieder bis 
zur alten Leistungsfähigkeit in ihren Dienst zwang. 
Dann fand der Schreiber eines Tages sein Essen, das 
er sich des Abends vorzubochen pflegte, gewärmt vor und 
bonnte nun die kleine Mittagspause mit einem Nickerchen 
beenden, gewöhnte sich an beides zu seinem Erstaunen leicht 
und schnell und übertönte die ersten leisen Vorwürfe ganz 
bald mit dem beruhigenden Hinweis an sich selbst, das 
Mütterliche an der Frau bleide sie über alles gut, und es 
—AV— 
And sie habe nun einmal so einen bleinen Eigensinn, wie 
der von einem richtigen Weib seit Evas Seiten gar nicht 
wegzudenben sei, aber wirklich blein sei er und bleide sie 
manchmal noch schöner als die zarteste hellblaue Seide — 
dann haderte der Schreiber allemal ein wenig mit seinem 
Schöpfer ob der von ihm gelieferten verdrehten Welt — und 
gebe er nicht nach, so quäle sich das arme Ding gewißlich 
auf seinen gelähmten Füßen in sein Stüblein herüber und 
hole sich die verweigerten Töpfe selber. 
Nur eins blieb ihm immer wie ein querer Pfahl im 
Zufriedenheitsfeld seines simplen Schreibergemüts: daß es 
ihm gar nicht gelingen wollte, ihr einmal eine bleine Freude 
zu machen. 
Ein paar Groschen fanden sich doch immer irgendwo in 
einer vergessenen Sparkasse zinslos angelegt vor, sei die nun 
die Tasche einer alten abgelegten Weste oder die unergründliche 
Tiefe zwischen Futter und Tuch, und das Loch im Säckel 
war dann der kunstreiche Eingang zum verschwiegensten aller 
Geldsparpaläste. 
Selbst dem Büblein hatte er Laum ein paarmal ein halb 
Dutzend zarte Plätzchen mitbringen bönnen, da hatte sie ihm 
eine Schelte zurechtgemacht, daß er beinahe von sich selber 
glauben mußte, er sei der heilloseste aller Verschwender. Dic 
Ferlaubnis zu einem kleinen Geschenk am Geburtstag des 
sleinen Mannes bam z3war wie eine richtige Abbitte ganz 
on selbst. Es legte aber leider der Tod sein Veto ein und 
rachte den Schreiber um den käglich gewissenhaft genossenen 
dorgeschmack einer bescheidenen Freude, um das frohe Klügeln 
nach dem sinnigsten aller Kindergeschenke wie um seine herz- 
pärmende Gedankbenmalerei: das Gesicht eines lustig juchzenden 
Aeinen Knirpses und das sonnig strahlende einer Jungfrau 
Maria voller Gnaden. 
Und es wußte der Schreiber selber gar nicht, wie reich 
eine Palette mit kböstlichsten Farben versehen war und wie 
neisterhaft er die aufteug, täglich sie neu zu neuen KReizen 
nijchend. Auch das blieb ihm nur eigentlich ein dumpfes 
Hefühl, was in Wirblichbeit ein bitterer Derlust war, daß 
Armichen voll des süßesten Lebens sich nicht mehr alltäglich 
im den welben Hals ihm legten, Augen, funbelnd im Glanze 
zer glücklich gelungenen Äberraschung, ihm die seinen nicht 
vieder jugendfroh machten, birschrote Lippen das garstige 
Stachelwerk um jeinen alten Mund nicht scheuten und kein 
schwälbleinlachen immer wieder neu jedes Eckchen des 
onnenhellen Stübleins erfüllte. 
So kunstvoll hatte der Schreiber immer gemalt, daß sein 
Sildlein in blühendes Leben sich verwandelt hatte unter den 
Dinjelstrichen seiner Gedanken, und grad auslachen mußte 
er sich dann selbst als einen alten Träumer, wenn er dann 
das kleine dumme Menschenküben in dem alten Waschkorb 
ob eben dieser köstlichen Dummheit aus großen Augen und 
inter überaus wichtigen Bemerbkungen über allerhand Gaben, 
io überaus reich unker der Dummheitsdecke sich regten und 
ein Sipfelchen ums andere einmal deutlich lüfteten, britisch 
ergleichend mit dem Ergebnis seiner Gedanbenarbeit verglich. 
Es waren dann am andern Tag noch ein paar Farben mehr 
auf seiner Palette. 
Und dann woeißte der Verlust ihm mit jedem neuen 
Veckruf des Wächters im Hofe ein neues Haar. 
Der Versuch, das Geschenblein eigenmächtig in eins für 
die Mutter umzuwandeln, mißlang gar bläglich, und nicht 
nehr erreichte er, daß die eigensinnige Nachbarin gerade nur 
einmnal wie ihm zum Trost an dem überbrachten Weine 
mppte und den Sünder dann zwang, die Flasche schön selber 
zu leeren. Was dem Leichtsinn eine überaus harte Strafe 
ünkte, denn noch einmal blieb ihm ein Vergleich mit einem 
Hemälde nun böslich unmöglich gemacht, und er erlebte nicht 
elbst eine Hochzeit zu Kana und ein zartes Kosenwunder 
an seiner Maria voller Gnaden. 
Die Groschen einzuschmuggeln bei den kleinen Einkbäufen, 
die man ihm vertrauensvoll zu übertragen geruht hatte, 
unterließ er nach dem ersten Versuch. Es schien ihm, als 
hätte deutlich ein Mißtrauen in der Frage nach den Preisen 
jelegen, und das dumme Herzkblopfen sollte sich nicht mehr 
viederholen, das losgebrochen war als Folge eines einʒigen 
Slicks. Und aufgeatmet hatte er, wie einer, der sich sagen 
nußte, daß er lediglich einem bleinen Sufall es verdankte, 
venn sein leichtsinnig Taumeln zum Abgrund nicht ein Ende 
jefunden hatte in der abgründigen Tiefe. Eine recht all 
ãgliche Sache war dieser Zufall gewesen, ein mehrmaliges 
zräftiges Niesen der Besitzerin jenes unbequemen Blickes, 
iber er hatte ihm Seit gelassen, hinter eine leidlich geschickte 
Masbe sich zu verbriechen und hinter eine bleine Lüge zur 
Oerschleierung des schleunigen Rückzugs. 
Aber ganz frei von Angsten wurde er dennoch nicht. 
Vie, wenn es dem verteufelt gescheiten Ding eines Tages 
zlücken sollte, dahinter zu kommen, daß der bleine Sarg ein 
Erbleckliches mehr gebostet hatte als die vorgewiesene Kech- 
nung aufwies! daß ein paar andere bleine Kechnungen gar
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.