Säumen, erschaffen. Indem der Kranke durch den heiligen Saum
broch, behrte er gleichsam in den uranfänglichen Mutterschoß zurück,
um neugeboren und heil daraus hervorzukommen. (Kolbe, hessijche
Volkssitten und Gebräuche.) Auch die Bestattung der Toten in
ausgehöhlten Baumstämmen beruht auf dieser Vorstellung. Ein in
der Werragegend üblich gewesenér, in chreistlicher Zeit gewiß erst
erweiterter Spruch bei einer Bruchheilung lautete: „Korrante,
borrante, verschwindel Im Namen des Daters, des Sohnes und
des heiligen Geistesl“ Jabob Grimm sagt in seiner Deutschen
Mythologie: „Man heilte aber auch, indein man Kinder oder Bieb
durch ausgehöhlte Erde, hohle Steine
oder durch einen gespaltenen Baum
gehen und briechen ließ. Das hielt
allen Sauber ab oder vernichtete
ihn oder wirkte sympathisch.“ Aus
dem Magdeburgischen teilte er uns
folgendes mit: „Wenn zwei Brüder
einen Kirschbaum in der Mitte
spalten, das kranke Kind hindurch—
ziehen und darauf den Baum wieder
zubinden, so genest das Kind, falls
der Baum zusammenheilt.“ Er er—
zählt weiter von einer dicken Eiche
bei Wittstock, deren Aste ineinander
gewachsen waren und somit Löcher
bildeten: „Wer durch diese Löcher
broch, genas von seiner Kranbheit,
um den Baum herum lagen Krücken
in Deed die nesepen p
geworfen hatten.“ einri öser
führt noch eine ganze Reihé solcher Friedewalder Nadelshe.
Heilverfahren in berschiedenen Teilen Deutschlands an. Bald
ist es eine Eiche, bald ein Steinobstbaum, der unten aufgespalten
und mit Keilen auseinandergehalten wird, um branke“ Kinder
hĩndurchzuziehen. Heilt der Baum nach angelegtem Verband
wieder zu, wird auch das Kind gesund. Man glaubt, daß der Geist
eines auf diese Weise geheilten Menschen beim Tode in den Baum
ũbergehe, und daß dieser, als Krummholz zum Schiffsbau benutzt,
die Seele des Kindes als Klabautermann mitf auf das Schiff bringe.
um diesjes vor Fährnis zu bewahren.
Aus dem Bauminnern sollté der Mensch, der mit dem inneren
Holze in Berührung kbam, Urkraft, alles Heil schöpfen. Schon
Tacitus berichtet in der Germania von der Ansicht der alten
Deutschen, daß Volb und Familie ihren Ursprung von Bäumen
haben, wie auch heute noch in bvielen Gegenden Deutschlands die
Kinder dem Kinderglauben nach aus hohlen Bäumen, Buchen,
Eichen oder Linden, Lommen. Sei den Heilbrauch des Durch⸗
ziehens durch den hohlen Baum handelt es sich also um eine
Wiedergeburt. Das Arsprüngliche ist demnach die Ansicht, daß
nicht der böse Geist in den Baum zieht, sondern der Baum von
seiner Kraft dem mit seinem Innern in Berührung bommenden
Kranben abgibt. Die Seit, in der die Anfänge des Baumkbultus
liegen, wußte noch nichts von Dämonen, die in Bäumen wohnen
und in sie hineingetragen werden Lönnen. Erst mit dem Übergang
des Natürlichkeitsglaußens zum Wunderglauben wurde auch aus
dem VDerband, den man dem angeschnittenen Baum umlegte, um
ihn vor dem Ausbluten zu bewahren, ein magisches Mittel, das
den bösen Geist in dem Baum festhält.
Mit der Ausbildung des Götterglaubens sah man das Baum—
innere an als Aufenthalt eines Gottes; im Baum verehrte man
den Gott, fiel betend vor ihm nieder, berührte seinen Stamm, um
Schutz und Stärbe zu empfangen, und brachte ihm zum Danke
Opfer mannigfaltigster Ari. Hierher gehört auch die Anbekung
der heiligen Eichen, so der Donareiche bei Geismar in der Nähe
Fritzlars, die der Apostel der Deutjchen, Winfried Bonifacius, fällte
In Hessen gab es auch genug jolcher hohlen Bäume, die für
Heilungen in Anspruch genomnmen wurden. Die Stätte, wo auf
der Höhe eines Waldweges zwischen Speckswinkel und Josbach
eine hohle Eiche stand, heißt noch heute das Nadelöhr. Auch ein
Waldort bei dem benachbarken Mengsberg in Oberhoessen heißt das
Mengsberger Nadelöhr. Ein drittes Nadelöhr befand sich zu
Marburg an der Lahn bei dem von der heiligen Elisabeih dem
heiligen Franzisbus zu Ehren erbauten Hospital.
Alle diese Nadelöhre befanden sich wohl in Bäumen; hohle
Steine für gleiche Swecke sind hier unbebannt. Heinrich Röser
führt dagegen aus Ploß-Kenz: „Das Kind in Brauch und Sitte
der Völber“ ein Beispiel aus Franbreich an, wo Kinder die sogen.
Steintaufe erhalten, d. h. man jchiebt sie durch den hohlen Stein,
damit sie gesund werden. Einem früheren hessijchen Fürsten, dem
Landgrafen Woritz von Hessen, mit dem Beinamen des Gelehrten,
ist es zu danken, daß uns ein Nadelohr, wenn auch nicht in der
iejprünglichen Art im vergänglichen Holze, sondern in Stein
earbeitet, ũüberkommen ist. Es steht an der Straße von Berka
lach Friedewald, die in leßterem Grt eine Hauptstraße von Hersfeld
ach Thüringen erreicht. In Friedewald befindet sich ein großes
„chloß der Landgrafen von Hessen, zum Schutz dieser alten Hoer⸗
traße errichtet und von Landgraf Moritz bedeutend erweitert und
erschönert. Nach Paul Hentzners Itinerarium vom Jahre 1617
jst das mitten im Seulingswald liegende Nadelöhr an Steile eines
·lten hohlen Baumes errichtet worden, angeblich um den Jãgern
um besseren Abschuß des Wildes einen Ankerschlupf zu gewähren.
Bleichzeitig aber berichtet Henhner,
daß alle Vorübergehenden zu Scherz
und Qual hindurchzubriechen pflegten.
Solcher Scherz wird noch heute ge—
äbt. Die Qual aber besteht darin,
daß dem, der etwas langsam und
ungeschickt durch die enge Gffnung
Lriecht, von liebevollen Händen auf
der Derlängerung des Räückgrats
rine beschleunigtere Gangart ein—
zebläut wird.
Das Friedewalder Nadelöhr ist
ein aus drei schweren Sandsteinen
gebildetes Tor, umgeben von einem
Sandsteingeplätte; nur unter dem
Tore sind die Platten weggelassen,
jo daß man sich beim Durchbriechen
nicht die Knie beschädigt. An der
serden —— * —
örmigen Deckplatte befinden si
Hosphoteghaph Ederihe Vagel. unter einem achtspitzigen Stern die
z5nitialen M LZH (Moritz Landgraf zu Hessen), an der Kück.
eite atcht MNADEIOR 1561, darunter in den Bogenzirbeln HD 3
Jund 14M.
Es ist schon oben gesagt, daß bei heiligen Bäumen geopfert
vurde. Diesem Brauche trägt auch ein, freilich bedeutend später
zrst errichteter Opferstock, unten mit abgeschrägten Ecken, mit einer
znjchrift auf dem Hals und abgestumpft pyramidalem Kopfdeckel,
vorin sich ein Einwurf für Geld befindet, Kechnung. Der darunter
efindlich gewesene Geldbasten ist gewaltsam entfernt worden. Bei
»en am Nadelöhr noch heute üblichen Vollbsbelustigungen wurden
rüher milde Gaben in diesen Opferstock getan. Wem diese Gaben
zu Gute bamen, das zeigt die Inschrift:
IN OPFER VORDIE WAISENKINDER ZUHERSEFEID 1747.
Der Mardorfer Fähnrich.
Jedes Kind in Mardorf bennt den „Fennerch“, d. h. sein Kelief
riuf einer meterhohen Grabsteinplatte, die neben der dortigen
irchturmtüre in das Gemäuer eingefügt ist. Das Bild zeigt einen
einen Kopf von adligem Typ, mit Knebelbart und burz geschorenem
haupthaar, eine bräftige, gedrungene Gestalt mit Halsbrause,
auschigen Kniehosen und eng ansiegendem Wams, ohne Waffé
ind Rüstung, nur in der Kechten eine burzschaftige Fahuͤe, die sich
inter Kopf und Rücken ausbreitet und unter dem in die Hüfteé
gestemmten linken Arme nach vorn durchlegt.
Die Dorfbewohner haben ein pietätvolles Gefühl für den
rähneich, wenngleich die Überlieferung nur das Wenige von ihm
u berichten weiß, er sei im Dreißigjaährigen Kriege von den Feinden
m Amöneburger Hohlweg erschlagen worden, habe sich, schwer
erwundet, zurückgeschleppt durchs Dorf bis an den „Moritze-Hof“
ind sei dort tot zujammengebrochen.)
Die zum Teil bis zur Anleserlichbeit verwitterte Umschrift des
Zildes am Turme läßt Folgendes entziffern: „...... Fehnderich
illhier zu Mardorf im Felde von niederläüdischen Keutern er“
chlagen ward. Gott gnadig sein.“
Obschon die beiden Quellen sich ergänzen, verbreiten sie doch
iur schwaches Licht über die Person und Bedeutung des Fähnrichs.
Voesentlich gellärt wird die Sache durch folgendes geschichtliche
kreignis: Im Jahre 1619, also im zweiten Jahre des Dreißigjährigen
Zrieges, rũckte eine Abteilung niederländischer Keiter?) in das
Ohmtal ein und heischte von Mardorf und Roßdorf Quartier und
derpflegung. Die Mardorfer, sicher zeitig unterrichtet, haften
chnell Verstärkbung aus KRoßdorf, Amöneburg und Neustadt ) heran-⸗
jezogen und setzten, d00 Mann starb, vor dem Dorfe sich zur Wehe.
S Ein 2 Meter hohes, plumpes Sandsteinkreuz ohne Schrift oder Sahl bezeichnet
ie elle. J
—— ein Hilfstrupp für den „Winterkönig“ auf dem Wege zum Kriegs-
au
9 MWostabt verlangte nachträglich von Mardorf eine beträchtliche Entschädigung
ür die geleistete Hilfe.