Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

zerjchlagen. Der Wind läuft über das Feld; es wogt und wallt 
nicht mehr, liegt zerstampft und struppig da. Das uüͤnde Wogen 
auf und ab ist wie schreckerstarrt. Hier und da hat schon die Sense 
»reite Lücken in die Felder gehauen; denn den Bauern pleibt 
nichts Besseres zu tun, als das verhagelte Getreide abzufüttern. — 
Die traurigen Eindrücke vertieften sich noch beim Eintritt in das 
kleine Dorf. Lautlose Stille stand auf der Dorfstraße, die von 
den Wasserstürzen des 5. Junĩ zerrijssen war. Frauen und Mädchen 
in schweren, faltenreichen Tuchröcken traten aus den Türen, Lamen 
aus den Nachbardörfern und wandelten wie Trauernde nach einem 
ohen Hause an der Straße, Kränze mit roten und weißen Rosen 
n den Händen. Männer in Trauerbleidung gejellten sich ihnen. 
Im Gärtchen am Giebel blühte der Kosenbusch. Ein leiser Kegen 
weinte in die roten Rosen. Trauerschwer und tränenbetauft neigten 
sie sich hernieder. Denn eine Tochter des Hauses mußte aus dem 
sonnigen Lenz ihres jungen Lebens in die kLühle Friedhofserde. 
WMädchen, Gespielinnen ihrer Kindertage, sangen vor dem Hause: 
„Mag auch die Liebe weinen“. Sechs Burschen“ (Jünglinge) 
trugen die Totenlade an der Hand; denn „ledige Leuf“ werden 
nicht wie die andern auf den Schultern zu Grabe getragen. And 
der leise Regen weinte in die roten Kosen 
Heute lacht die Sonne, rauscht der Wald, lockt das Leben. 
Scheidegruß dem grauen Gemäuer und unter Ahorn, Eschen und 
Buchen den Gipfel hinabl Acker und Wiesen winken herauf. Ein 
ireundlich Dörfchen grüßt. Der Wald bleibt zurück. Aber dem 
„Witjeld“ steigen die „sieben Brüder“ auf, mit Hinzunahme der 
beiden außeren Berge auch „das große Kegelspiel“ genannt. Wie 
MVellen, einer sturmbewegten See zeichnen sich die Linien dieser 
Keihe bewaldeter Bergbuppen dem Bild. der Landschaft ein. 
Durch das stille Dörschen läuft die Straße, vorbei an zwei 
Dorfteichen, aus denen die Bauern ihr Vieh tränkben. Man glaubt 
aum, daß die Tiere das Schmutzwasser aus dem Kaump (Kump) 
nögen. Aber das Dorf liegt hoch und ist wasserarm. Im Hoch⸗ 
sommer muß das Trinkwasser oft zu Wagen vom Heitersbörnche 
im Walde geholt werden. 
Tannenwald nimmt den Wanderer auf. „Am Sanb“ heißt 
der Schlag, weil die Bewohner Oberstoppels lange mit den Grund— 
— 
zuletzt doch den kürzeren zogen, wie das ja immer war. 
Der Wald lichtet sich und beut Giesenhain, einem winzigen 
Valdnest, KRaum für Schur (Wiese) und Scholle. Aus jedem 
Häuschen, und sei's das ärmlichste, stürzt ein Dorfköter von 
weifelhafter Rasse, der sich nicht genug tun kann mit wüstem 
Bebell. Eine uralte Linde wölbt ihre gewaltige Kuppel, innen 
ichattendunbel, außen sonnengolden. über die Haus- und Scheunen. 
giebel empor. 
Ein enges Waldwiesental leitet nach Buchenau hinab, dem 
Sitz alter Adelsgeschlechter. Steilhänge mit schmalen Fruchtstreifen 
wischen hohen, heckenbestandenen Kainen umschließen das Tai 
des Eitrabaches. Von links schiebt sich eine Hügeiwelle in das 
Tal. Darauf ragen die alten Schlößsser mit grauen und weißen 
Wänden. Die von Buchenau waren eins der mächtigsten buchijchen 
Adelsgeschlechter. Bebannt ist Gottjchalkl von Buchenau mit dem 
Seinamen „die alte Gans“. Die Geschichte verschweigt, was ihm 
diesen wenig rühmlichen Namen eintrug, der so gar nicht zu seinen 
ewigen Fehden und Raufhändeln paßt, die er bald mit Fulda, 
bald mit, Hersfeld und sogar mit dem Landgrafen von Hessen 
führte. Nach Landau (Die hessischen Kitterburgen Bd. 2) besoßen 
die von Buchenau 1706 Güter im Wert von 600 000 Taäleen. 
Nach ihrem Aussterben bam der Besitz an die Freiherren von 
Schenb zu Schweinsberg auf Buchenau und an die Freiherren 
on Seckendorff, Herren auf Buchenau, Oberzenn und Deubsteften. 
Auf, dem stimmungsvollen Friedhof inmitten des Dorfes jchläft 
der letzte der Schenben von Schweinsberg auf Buchenau. Schloß 
und Parb wechselten in den letzten Jahren oft den Besitzer und 
gehören zur Seit der Siedlungsgejelischaft Hessijche Heimat 
G. m. b. H.“, die bauliche Veränderungen vornimnit. Im tiefen 
Graben, der die nebeneinander liegenden Schlösser derer von 
Seckendorff und von Bardeleben umgibt, weiden vier jchnee weiße 
Ziegen. Im Schloßhof blühen hohe Stauden Fingerhut in leuchtender 
Kote. Uber die Schloßbrücke zuͤrück geht es durchs Dorf. Sinn— 
volle Hausinschriften laden zum Verweilen. Aber schon neigt sich 
die Sonne über den Wald hinunter. And Seit ist's. den Waͤnder⸗ 
stecken weiterzusetzen. 
Ein liebliches Wiesental, von Feld und Wald umsäumt, zeigt 
der Straße Siel und Richtung. Swischen umbuschten Ufern glänzt 
die Eitra silberhell auf. Im Walde gurren Wildtauben mi 
weichen Tönen. Königsberzen, hoch wie Wachsstöcke vor Mutter- 
gottesbildern, schmücken einen Feldrain. Wie schoön muß es sein, 
wenn sie erst in goldfarbigen Blüten brennen! Swischen BSuschwerk 
am steilen Waldrand klettern Geißen. von zwei Dorfjungen gehütet. 
Nun noch einen Rückblick auf das Dorf, bevor es entschwindet. 
kin jeltsam feines Dorfbild bietet doch diejes Buchenau. Da ist 
echts, hoch über dem Tal, das „Generalhaus“ mit jeinem wuchtigen 
urm; dahinter das Schenlsche Schloß; links das weiße Schloß 
„⸗on Bardeleben und dicht dabei das steingraue Sockendorffsche 
nit Gebälk in den oberen Stockwerben; riesige Tannen steigen 
ius der Tiefe des Schloßgrabens und bilden mit ihrem Schwarz 
inen wirbungsvollen Gegensatz zu dem Weiß und Grau der 
zchlösser, die von der Kirche auf dem höchsten Punbt des Dorfes 
berragt werden. Einen letzten Gruß dem Dorfé und dann fürbaß 
ie Straße! 
Auf dieser Straße durch das Eitratal ging vor Jahrzehnten 
uch das Walpertsmännchen. Die Gemeinde Salzberg am Eisen- 
»erg hatte denen von Buchenau alljährlich am Walpurgistage 
Knacker (36 Heller) zu entrichten. Punbt 6 Ahr früh mußte 
er Bote, „das Walperksmännche“ genannt, an der Schloßbrücke 
u Buchenau sitzen. Bei seiner Verspätung verdoppelte sich der 
zins mit jeder Stunde, „und am Abend haͤtte ihn die Gemeinde 
icht mehr zu zahlen vermocht“ (Landau). Deshalb gaben die 
ꝰalzberger ihrem Walpertsmännchen der Vorsicht halber einen 
Zeiboten mit, der bei einem AUnfall für das Walportsmännchen 
intreten mußte. Dieser Beibote blieb gewöhnlich in Bodes. 
Ddas Walpertsmännchen wurde vom Burgwart empfangen und 
ach Entrichtung des Kutscherzinses drei Tagẽ lang reichlich bewirtet. 
Aei lange Tage lebte es wie der Hoerrgott in Frankreich, durfte 
ssen und trinben: Herz, was begehrfst du? Widerstand es während 
er drei Tage dem Schlaf, jo mußten es die Sinsherren lebens 
aing verpflegen. Schlief es jedoch ein, so wurde es von den 
dienern auf die Schloßbrücke geschafft, wo es jedenfalls mit wüstem 
copf aus seinem Schlemmerleben erwachte. Das letzte Walperts⸗ 
aãnnchen hieß Peter und erblindete in seinem Alter Noch heute 
veiß man in Kaboldshausen und Salzberg vom „blinden Peter“ 
u erzählen. Der alte Edelherr, der züerst diesjen Sins zu heischen 
atte und die seltsame Zahlungsbedingung kraf, muß ein schnurriger 
cauz gewesen sein. Ganz gewiß hatte er Sinn für feinen Humor. 
Bodes ist erreicht, wo das aus dem Buchenauer Paradies 
erstoßene Walpertsmännchen von seinem Beiboten begrüßt und 
eimgeleitet wurde. Auch ich trete über die Höhe zum Hauntal 
inüber den Heimweg an. Uber dem tannendunkeln Johannisberg 
unbelt nur noch eine goldene Felge vom Radkranz des Sonnen 
»ades. funkelt auf und versinkt hintser dem Walde. 
„Abseits.“ 
(Erste Folge.) 
1. „Backspiel.“ 
Glongelang, glongelang!“, ruft die Ortsschelle. Hier fliegt 
in Fenster auf und dort: „Schusters Heins“ Der Wagen hält 
till, selbst der Steinklopfer läßt für einen Augenblick den Hammer 
asten. „Backjpiel!“ And an der nächsten Ecke rappelt wieder 
zie Ortsschelle 
VOor'm Wachthaus wird's lebendig. Aus allen Gäßchen und 
Vinkeln bommen sie, die „Bärwel Koit“ und die „Flieze Kathrin“, 
ie „Pännesch Mäd“ und des „Schulmestersch Mäche“ Sos hä 
»oll het fer e Hoose ohött?“ Da bomint auch schon das Auge 
es Gesetzes“. Er beguckt sich „seng Leit“ und krault sich in der 
Anbe; es ist jein sauerstes Geschäft. Dann aber ist er ganz Amt 
nd Würde. Kurz knirscht der Schlüssel im rostigen Schloß, und 
ie Hand holt aus dem Innern ein Körbchen. Derwoeil treken die 
or'm Wachthaus von einem Bein aufs andre. „San hä nursch 
1mecht. Ich hon die Kuche ie der Kachel.“ Es Hännesche 
ädd doch nex oorechte, hä es ockescht allee derhemeꝰ So schwirren 
ie Stimmen durcheinander. Schusters Hein mujstert sie sich noch 
inmal: „Du Schlettmaul, best ja öch derbei, du fählst öch grods* 
— „Du höst doch der Backowe net allee gepachti“, bLommts spitz 
arück. Eine bedenbliche Stimmung hat sich eingeschlichen. „Sens 
Al hött en geärgert.“ — „Krrreruh!“, sährt Hein auf. Jeder 
estelt aus seiner Rocktasche einen Settel, mit seinenn Namen 
eschrieben. Währenddes sich das „Kottche“ den „Schewerstee“ 
urechtlegt und den Griffel probiert. — „Bos mach ich nursch, ich 
on kinn Serrel net, äwe hat ich en noch ie der Haand ie det 
jocksbeipy?“ — „Gih noch heem,“ brummt Hein. Mit Kenner— 
licken „beluxt“ Hein die Settel: „Du höst jo der halwe Köfbriebs“ 
lnd der Settel fliegt wieder hinaus. „Allewéil langt de die 
eckescher !“*“, bichert's und lacht's. Und richtig, mit einer alken 
Aapetenschere stutzt Hein die Settel auf das amtiich vorgeschriebene 
Naß zurück: „Es es Veerschreft, on veer die Veerschrefte seng ich 
o1“ Da muß jeder Widerfpruch verstummen Fäddichse Allet
	        
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