In der Nebenstube hielten indes die Platzburschen ihre
geheime Beratung ab: ob der süße Schnaps schickte, ob
auch alles stimmte, ob jede Schöne ihren Kausführer hatte,
um wie viel Ahr die weltbewegende Tatsache des Festzuges
vor sich gehen sollte, wieviel Annels und Annkäathring
gegeben hatten als freie Spende zu den Kosten der Kirmeß.
In der einen Ecke aber standen zwei Platzburschen allein,
die sich augenscheinlich stritten. Der eine war Helwig Schmitt-
henner und der andere Jerges?) Schwarzer, der Hannerch?), der
behauptete Helwig gegenüber: „Ich führ' die Pfarrbarb raus!“
„Warum denn gerade die?“ bezwang sich Helwig so leicht⸗
hin zu fragen, „nimm doch Nells Els, oder Kurte Kath,
oder Mulln Morleng.“
„Nein, gerade nicht, ich will die Pfarrbarb.“
„Die briegst du net.“
„Ei, warum denn net?“
„Die hab' ich mir bestellt.“
„Gott, du dir bestelltl Was willst du denn mit der?“
„Was willst du denn mit Bärbchen?“
„Heiraten,“ sagte Hannerch ganz besfimmt.
„Ich will sie aber auch heiraten, gleich wenn ich von 'n
Soldaten komme,“ entgegnete Helwig ebenso bestimmt.
„Du — du kannst sie nicht freien.“
„Warum denn nicht?“
„Komm mal mit in die Ecke.“
Helwig folgte langsam.
„Das will ich dir erzählen,“ sagte Hannerch dort, „woeil
du ein braver Kerl bist, beine Hochnas wie die andern
Bauernberle, die ein paar Acher mehr haben wie wir
Geringen. Du bannst Bärbchen net heiraten, weil sie doch
eigentlich deine Schwoster ist.“
„Schwester ist?“ echote Helwig. „Du bist wohl 'n biß—
chen übergeschnappt!“
„O nein, ganz blar. Du weißt doch, daß mein Eller—
bater der alte Seèéfejerg war. Der hat für deinen VBater
die Freierei mit deiner Mutter zurechtgebracht, und bei der
Gelegenheit hat er's von deinem Ellervater rausgepetzt).
Särbchen stammt von deinem Dater. So 'ne Jugendlieb—
schaft, weißt du. Sonst weiß es, glaube ich, beine Menschen—
seel auf der Welt.“
Helwig war so blaß wie die Wand geworden. Er
sagte: „Hannerch, weißt du das gansz, ganz bestimmt?“
„Ganz, ganz bestimmt,“ antwortete der, und die zwei
Worte fielen wie eben so viel Hammerschläge auf den armen
Helwig Schmitthenner nieder.
„Hannerch,“ bat er mit schwerer, trockener Sunge, „willst
du mir eine Liebe antun — dann laß mich Bärbchen raus—
führen.“
Hannerch nickte gutmütig.
Und Helwig führte Bärbchen raus. Als erstes Paar
des Suges schritten die beiden. Wer sie sah, der schwur,
ein schöneres Paar habe Wiesenbach noch nicht gesehen.
Auch Ann, die sich ebenfalls unter den Suschauern
befand, sah das, und sie sah zu ihrem Entsetzen noch mehr.
Da wurde auch sie leichenblaß und ging schwerfällig heim
in ihre Kammer im Pfarrhaus und warf sich quer auf ihr
SBett und rang die Hände und seufzte ein über das andere
Mal: „Das arme Kind, das arme Kindl — Was hab'
ich gemacht, daß ich's nicht schon eingeweiht hab' in die
Sünd meines Lebens. Lieber himmlischer VDater, sei eine
Mauer um's her, daß nicht was Schrechliches geschiehtl —
Das arme Kind, das arme Kind,. 's Herz wird ihm
—VRXXV
Georgs. 8) Johann Heinrich. 9) Herausgepreßt.
Weich wogten die Paare beim Walzer. Bärbchen hatte
die Augen halb geschlossen: „Immer so forttanzen, immer
'o fortwalzen zum Himmel hinein“ — das waren so ihre
eligen Gedanken dabei.
Aber was war das! Helwig war aber auch heute gar
zu stumm. And totenblaß sah er aus, und, du lieber Gott,
die Sähne biß er knirschend aufeinander ...
„Helwig,“ flüsterte sie, „lieber Helwig, was ist dir? BSist
du kranb?“
„Nein, nicht krank,“ flüsterte er matt zurück, „lustig bin
ch — Juchl!“ Einen Jauchzer stieß er aus, aber der quälte
Bärbchen noch entsetzlicher als sein Schweigen. Sie fand
ich nicht aus. Auf die Kiemeßfreude ihrer neunzehn Jahre
egte sich ein Mehltau so dick, daß die Freude unter ihm
autlos starb. Nur noch mechanisch fanzte sie weiter und
nahm sich zusammen, daß nicht neugierige Augen in ihr
Seelentöpfchen gucken bonnten.
Jetzt wurde der letzte Strich dieses Tages getan.
Hett heèm, ehr Mäd — *) Geht heim, ihr Mädchen,
Hett heèem, ehr Mäd, Geht heim, ihr Mädchen,
De Fochs, dä setzt em Kraut; Der Fuchs, der sitzt im Kraut;
däã leest die gäle Blerrer of: Er liest die gelben Blätter auf:
Die Märe seng so faul.*) Die Mädchen sind zu faul.
So bliesen die-Musikanten den Kehraus.
Helwig war schon vor Bärbchen hinausgegangen und
rwartete sie auf der Straße. Er faßte sie an der Hand,
vie als Kinder von sechs und sieben Jahren; als sie zusammen
zur Schule gepilgert waren und sich dabei tausenderlei erzählt
hatten, so wanderten sie dahin.
Dort stand schon das alte, traute Pfarrhaus.
Nun blieben sie stehen und Helwig sagte: „BSärbchen,
du hast wohl heut einen Schrecken vor mir gebriegt?“
„Ja, Helwig,“ sagt sie herzlich.
„Du kannst dir gewiß nicht denken, wie's jemand ist, der
zum. Tode schreitet ?“
„Helwig!“ schrie Bärbchen leise auf, „was sagst du?“
Der aber redete in demselben Tone weiter: „Oder wie
einem ist, der jemand, den er so lieb hat, das Messer in
die Brust stoßen muß?“
„Helwig! bist du brank?“
„Ja, sehr kranb,“ beuchte er. And fuhr dann fort:
„Bärbchen, du hast beinen Vater. Man hat mir früher
gesagt, der wär' kot. Bärbchen, wenn nun mein VBater dein
Dater wär?“
„Helwig, wie bannst du nur so was denken!“
„Ja, dann wär ich dein Bruder ...“
Bärbchen schwieg plötzlich, bis ins Herz hinein erschüttert.
„Gib mir einen Kuß, Bärbchen,“ bat Helwig weich.
„Es sollte ein anderer Kuß sein heute Abend, so hatte ich
nir vorgenommen. So ist's ein Schwesterkuß — ein Bruder—
uß.“
Das Mädchen reichte Helwig die beuschen Lippen dar.
Und dann gingen sie wortlos auscinander — langsam —
oeide eine schwere Bürde auf dem Herzen. — — —
Mit einem wilden Schrei empfing Ann ihr Kind. Sie
ragte nicht weiter: Was ist dir? Es wußte alles — das
ühlte Ann. Und zum zweiten MWal in ihrem Leben bniete
sie vor einem Menschen, vor ihrem Kinde ...
In Schmitthenners Hof aber liefen die Haushälterin
und die Mägde und die Knechte aufgeregt durcheinander.
Helwig, der Sohn des Hauses, war in ein hitziges Fieber
oerfallen und raste und schlug um sich, schlug alles burz und
lein im Fieberwahn. Sechs Männer mochten ihn nicht
u bändigen. Fortsetzung folgt.)