Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

hackte mit scharfen Schnabelhieben auf ihr Opfer ein. Das 
war das letzte Mäuschen des ausgeacherten Nestes. 
Heute sah Henn die Sache mit anderen Augen an. 
Haͤtte nicht jede Kreatur auf Erden ihren Bruder Hund 
und ihre Schwester Krähe? O unerbittlicher Lebenskampf! 
War nicht schon der Pflug angesetzt, der ihn und sein Nest 
auspflügen und auf die nackte Scholle werfen sollte? O, 
und an die Millionen Menschenbrüder dachte der einsam 
Schreitende, an die Menschenbrüder, mit denen der Kreieg 
auch Schnapphapp gemacht hatte, um sie zuckend oder tot 
aus dem Rachen zu speien. 
Die Dämmerung hatte sich zum Dunkel verdichtet. Am 
Himmel traten einige Sterne zaghaft hervor. Henn bohrte 
jeine Blicke in die Finsternis, die ihn umhüllte. Er fühlte, 
es umwitterte ihn etwas Unfaßbares, Gefahrdrohendes wie 
der lautlose Flug der Eule in der Nacht. Er hob den Kopf, 
und seine Augen kasteten ins Dunkel, bis er plötzlich gegen 
den helleren Himmel ein gespenstisch schwankendes Schatten- 
bild sich abheben sah, auf Sebundenlänge nur, taumelnd wie 
ein riesenhafter Falter, dann war es von Finsternis ver— 
schluckt. Diesjes Lautlose und Gespenstische um sein Haupt 
wich nicht und schreckte und scheuchte alle warmen Gefühle 
aus seinem Herzen. 
Als Henn das VDorf betrat, floh die Stille der Nacht 
hor dem lauten Gebell der Hofhunde. 
* —4 * 
Ich hun gemaant, ich hätt en.“ 
(Hanauer Mundart.) 
De Amtsgerichtsrot Beyer mußt noch Hane, 
Selt wor Desammling, on de Kutscher Mahne, 
Der sollt en fohrn, ganz hin on aach serech. 
„Do getts ze trinke“, säd de Konrod, ganz em Gleck. 
Se fohrn aach ob on bomme baal druff on; 
De Amtsgerichtsrot mächt sich gleich devon 
On säd: „Mein lieber Mahne, ich bin hier, 
Um 12 Uhr halten Sie nur wieder vor der Tür.“ 
De Konrod mächt sich ob, vegniecht e setzt 
Em Lewegärtche, wu beim Bier e schweßtt. 
Die nowle Herrn verweile onnerdesse 
Em „Oadler“* bei em feine Owendesse. 
De Konrod werd d'r meud on schleft aach en; 
Uff aamol fiehrt e huch: „Ihr Leut on Kenn, 
S'es zwelf! He Bella, uff, hopp, hopp.“ 
Met Bonnerwerre gieht's zoum Oadler em Galopp. 
Do setzt e dann, die Aache zougedreckt 
Hanz friedlich uff dem Kutscherbock on neckt. 
De Gaul stieht ongedoldig en seim Sgam, 
Als dechte: „Wiern mer doch nur ierscht dehaam.“ 
Es bimmt en Schowerneck des Wegs daher, 
Dem bom de Konrod richtig en die Quer, 
Der mächt die Diehr vom Woge uff on schleet se zou: 
„Abfahren“, Lreischt e, „fertig“, dann es Rouh. 
De Konrod hot baam 's Wort gehiert. 
—A 
Er donnert d'r zoum Dorf enen. 
Als kam der Deiwoell hennerdren. 
Dierm Amtsgericht do hält e on 
Die Fraa Gerichtsrot es schun do 
On effend selbst die Wogedier — 
Doch ihr Gemahl bom neit ejier. 
On wei se sich zoum Konrod dreht, 
Do stieht der ganz veblifft on säd: 
„Ich bennt mein Kopp vowetten, 
Ich hun gemaant, ich hätt en.“ 
Juli. 
Singende, schwingende Hiße, Sensen und Sicheln erblingen, 
Wolken entprasselnde Blitze, Schnitter und Schnitterin singen 
Ehern rauschende Wälder, Abendlich traute Weijse 
Wogende Weizenfelder .... Juli, dem reichen, zum Preise. 
— Schwalm. 
Aus „Hessenleute“. (Erscheint demnächst im Heimatschollen-Derlag.) 
Getreue Kameraden im Felde 
und in der Heimat. 
Ein wahres Geschichtchen von K.Wehrhan, Franbkfurt a. M. 
Treue und Ehelichbeit mit Gefühl und Verständnis für die Lage 
des Nächsten sind bei uns noch nicht ganz ausgestorben. 
Bei 'einer Pferdeversteigerung in Frankfurt a. M. die nach 
der Heeresauflösung stattfand, wurden endlich zwei prächtige Füchse 
n den Kreis der Kaufliebhaber geführt, und der Soldat, der sie 
m Sügel hatte, war ein Kriegsbeschädigter, dem der linke Arm 
ehlte. Als der Major, der die Versteigerung leitete, die beiden 
Pferde aufs Gebot bringen wollte, trat dieser Soldat auf ihn zu, 
pechselte einige wenige Worte leise mit ihm, worauf sich der Major 
nach kurzem Bedenken den anwesenden Leuten zuwandte und sagte: 
„Goestatten Sie, meine Herrschaften, daß ich den Gang der 
seschäfte einen Augenblick unterbrechel Sie sehen den Mann 
ier, der die beiden Pferde vorführt; Sie sehen auch, daß er ein 
Zriegsbeschädigter ist. Er ist ein Landwirt; die beiden Pferde 
önnen ihm die Möglichbeit geben, sich selbständig durchzubringen, 
hne auf die Hilfse anderer Leute angewiesen zu sein. Allerdings 
ehlt es ihm an einer so großen Geldsumme, die notwendig wäre, 
venn diese beiden Pferde so hoch im Preise steigen, wie nach dem 
isherigen Verlauf des Derkaufes anzunehmen ist. Wenn die 
Rerde also nicht zum Einsatz gelassen werden, kann er sie nicht 
aufen. Den Mann selbst benne ich genau, er war in meiner 
Batterie. Er ist einer der besten gewesen. Er hat sich trefflich 
»ewährt. Das Seugnis bann und will ich ihm hier gern und 
reudig ausstellen. Und nun, meine Herren, sind Sie damit ein- 
erstanden, daß die Pferde in diesem Falle zum Einsatz abgegeben 
verden, daß also nicht geboten wird?“ 
Einen ganz bleinen Augenblick trat tiefe Stille ein; die Augen 
ller Anwesenden richteten sich auf den unglücklichen Soldaten. 
Aber dann, erst leise, schließlich immer lauter, erhob sich ein Su— 
timmungsgemurmel, und niemand erhob Einspruch gegen den Vor— 
chlag des Majors. 
„Nun, meine Herrschaften, wenn Sie also einverstanden sind, 
vill ich mal einen Einsatz machen!“ sagte er, streifte mit einer 
hand nachdenblich seinen Schnurrbart und rief nach kburzer AÄber- 
egung den für die Verhältnisse äußerst billigen Preis: „I0o0 Marb!“ 
Maäuschenstille auf allen Seiten! Angstlich stand der Soldat 
ieben den beiden Tieren. An das eine hatte er sich angelegt, 
Ileichsam als müßte er in diesem Augenblick eine Stütze suchen. 
Unruhig und erregt faßte die Hand den Hals des prächtigen Tieres. 
Der Blick des Soldaten war zur anderen Seite gewandt und das 
an und für sich schon fahle Gesicht färbte sich noch blasser. Auch die 
Menge der Leute verhielt sich still und unbeweglich. Einige Seit ver— 
nahm man beinen anderen Laut als das Stampfen der beiden Füchse. 
Plötzlich wurde die Spannung durch eine Stimme unterbrochen: 
Su kteuer!“ rief sie laut und bräftig. 
Der Soldat fuhr erschrocken zusammen und blickte mit weit 
jeöffneten Augen auf, als wenn er seinen Ohren nicht trauen 
iönüte. Die Teilnehmer der Versteigerung wandten sich nach der 
Kichtung. hin, aus der die Stimme gebommen war, und noch einmal 
eief diese sest und klar: „Su viel!“ 
Ein dunbles Gemurmel erhob sich; einige Stimmen übertönten 
8 und meinten ebenfalls: „Su viel!“ — „Billiger geben!“ 
Niedriger einsetzen!“ 
Die Miene des Majsors erhellte sich zusehends; sein Gesicht 
nahm einen befriedigten Ausdruck an: „Na, dann sagen wir mal 
nun, sagen wir mal: 500 Marbl“ 
Hiesmal dauerte die Pause nicht so lange. Sofort wurden 
einige Stimmen bemerkbar: „Noch zu viell!“ — „Noch zu teuer!“ — 
Moch billiger einsetzen!“ 
„Na dann — 400 Marb!“ 
Seifällig blickten und nickten die Anwesenden. 
„Dierhundert Marbk ist gesetzt!“ sprach der Major und blickte 
ich nach allen Seiten fragend um. „Vierhundert Mark zum ersten — 
TX Mark zum 3weiten — und — vierhundert Mark zum 
ritten!“ 
„Bravol“ erscholl es ringsum, der Major schüttelte seinem 
triegsLameraden und ehemaligen Antergebenen treulich und keäftig 
die Hand, und dieser streichelte seine beiden Füchse, wie eine liebende 
Mutter ihrem Kindchen die Wangen streichelt. Fast wäre er ihnen 
im den Hals gefallen und hätte vor Freude geweint. 
Dieser Tag sah eine Keihe von Menschen glücklich: den be— 
auernswerten Kriegsbeschädigten, der in diesem Augenblick alle 
eine Leiden vergessen hatte, den Major, der sich mit seinem 
Tameraden freute, und nicht zuletzt die Teilnehmer der Versteigerung, 
on denen jeder an seinem Teile zum Glücke des Soldaten bei— 
etragen hatte.
	        
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