Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Auf der Heimatwarte. 
Hessischer Geschichtsvereĩn. 
Im allmonatlichen wissenschaftlichen Unterhaltungsabend ge⸗ 
achte man der vor 150 Jahren erfolgten Umbenennung der 
asseler Strahennamen. Landgraf Friedrich II. durchaus deutsch. 
Jesinnt, schloß sich dem damaligen Seitgeschmack an und erließ 
im 20. Sezember 1715 eine Verordnung, nach der eine Anzahl 
Straßen mit alten sinngemäßen Namen, mit Namen batholischer 
heiligen, bezeichnet wurden. 3. B. wurde aus der Mittelgasse 
ine Dionysiussiraße, die Oberste Gasse zur MWartinsstraße, der 
Zack zur Ambrosiusstraße ujw. Diese Namen bürgerten sich jedoch 
nemais ein. Erst 1861 ließ man dieje jremden Bezeichnungen sallen. 
Sodann hieit Geh. Rat Scheibe einen vollendeten Vortrag 
iber den vorreformatorischen Humanismus. Der Gelehrte widmete 
seine Ausführungen dem Lebensbilde des Mucianus Rufus. Conrad 
Muth, mit deutschem Namen, stammt aus Homberg, wo jein 
ater Katsherr war. Nach vorzüglicher Ausbildung in der be— 
hmten Schule des Alexander Heglus bezieht Mutianus schon mit 
5 Jahren die Universität Erfurt. Eine große Erbschaft gibt ihm 
die Moͤglichkeit, in Italien seine Studien zu beenden. 1495 er⸗ 
angte er in Bologna den Dr. juris. Sodann finden wir ihn als 
Kanonikus in Gotha, nachdem er eine Lehrstelle an der Erfurter 
Universität ausgeschlagen hat. Mutianus wird dann zum Führer des 
ungeren Humanismus. Es verbinden ihn Beziehungen mit allen 
edeutenden Personlichkeiten der damaligen Seit. Seit 1519 ver⸗ 
laßte infolge Bürgerzwist, Bauernkrieg und Pest auch jein Ruhm. 
Er stirbt 33jãährig am 830. März 1526. Mit ihm geht ein glänzender 
Charakter unter den vorreformatorischen Humanisten dahin. 
Der gesprengte „Hahn“ beĩ Holzhausen. 
Der allen Wanderern und Naturfreunden bekbannte Basalt- 
legel, der „Hahn“ bei Holzhausen, ist durch eine 400 Sentner 
schwere Spreugladung zerstört worden. Gleich dem Scharfenstein 
und Maderstein gab er der Landschaft ein charabteristisches Gepräge. 
Ein Drittei des Berges ist verschwunden. Die nach Gudensberg 
gelegene Sũdjeite ist ein wildes Durcheinander von Steintrümmern 
die ein Steinbruchunternehmer für seine Swecke ausbeuten wird. 
Schmerzlich getroffen fũhlen sich alle hejsischen Naturfreunde; auch 
die jungen wie aiten Bauern der Umgegend beblagen sich bitter 
darüber, daß behördlichersjeits nicht eingescheitten worden ist. 
Der hessijche Gebirgsverein hat sich erfreulicherweise sofort 
der Sache wärmstens angenommen und man will wenigstens ver⸗ 
uchen, dem weiteren Serstörungswerb Einhalt zu tun. Der rũhrige 
Horsitzende Wenning eichtet daher einen Appell und eine Anfrage 
in die Regierung und an die maßgebenden Stellen, in der die 
Sprengung näher beleuchtet und die Forderung aufgestellt wird, 
den Berg jchnellstens unter Naturschutz zu stellen. Die Schönheiten 
der Natur, die Allgemeingut sind, müssen vor der Ausbeutung 
Einzelner geschũtzt werden. Bei dieser Gelegenheit wird auch der 
Kuf nach der Verabschiedung des längst ausgearbeiteten Natur- 
schutzgesetzes wieder laut. 
Eine hessische Grönland-Expedition. 
Die beiden hessischen Gelehrten K. K. E. Krũger, Assistent 
im Geologischon Instiiut der Technischen Hochschule in Darmstadt, 
ind Professor Feitz Kiute, Ordinarius jũr Geographie an der Landes- 
aniversität Gießen, sind wohlbehalten von einer viermonatigen 
arktijchen Expedition durch Grönland mit außergewöhnlichen Erfolgen 
und großer Ausbeute an wissenschaftlichenn Material zurückgekehrt. 
Die beiden Forscher bamen Ende Juli mit einem dänischen 
Kegierungsdampfer in Umanak in Grönland an, wo das Schiff 
erlassen wurde. Sowohl bei den dänischen Behörden, wie in 
Bröniand selbst fand die Expedition das weitestgehende Entgegen⸗ 
sommen. Hauptaufgabe der Exrpedition war die geologische Er⸗ 
orschung der Westhüste Grönlands. In Booten sowie zu Fuß 
ind im Schlitten wurden in vier Monaten über 1000 Kilometer 
rönländischer Landschaft durchreist und systematisch erforscht. Die 
jroße Halbinsel Nugsuaß wurde im Sommer durchquert, ein Unter⸗ 
iehmen, das bisher noch nie versucht wurde, da bisher die Halb— 
injel nur im Winter mittels Schlitten als begangbar galt. Unter 
großen Schwierigheiten wurde in Begleitung zweier Grönländer 
diese Aufgabe glänzend gelöst, wobeĩ die Forscher, mit einem 
Zentner Gepäck auf dem Rücken einen T00 Meter hohen, starb 
hergletscherten Paß ũberschreiten mußten. Darauf wurde eine 
Keije in das Innere der Insel unternommen. 
Die Ausbeute der Expedition ist derart groß, daß Hessen nun⸗ 
mehr ũber die zweitgrößte Sammlung von Gesteinen der West⸗ 
züste Grönlands versügt. Außerdem wurde eine große Menge 
wertyoller Schaustũcke mitaebracht. Das Material wied den Samm⸗ 
ungen der Technischen Hochschule in Darmstadt und der Universi⸗ 
ät Gießen zugeführt werden. Besonders wertvolle Funde wurden 
iuf der Halbinsel Nugsuak gemacht. Auch viele photographische 
Aufnahmen bonnten hergestellt werden, die der deutschen Wissen 
chaft zugänglich gemacht werden jollen. 
Wilhelm Speck und die Nachwelt. 
Ein Dichter, desjen tragisches Geschick es war, sein Schöpfer- 
um unbvollendet und sein Bestes ungesagt lassen zu müssen, weil 
rũhzeitige VBerdũsterung des Gemũts das von strengster bLünstlerijcher 
Hewissenhaftigkeit bonfrollierte Schaffen innerlich lähmte, bis es 
on außen, durch unheilbare Erbrankung des Körpers, gänzlich 
bgesjchnitten wurde — ein solcher Dichter hat mehr als andere 
Anspruch darauf, von der Nachwelt in besonders lebendigem An- 
enben gehalten zu werden. And freilich nicht bloß in dem Sinne, 
aß die paar Bücher, die herauszubringen ihm gelang, die „Swei 
ʒeelen“, die als „Suchthausroman“ ein reichlich schiefes Etikett 
on seiten der zünftigen Literarhistorie erhalten haben, und die 
leineren Erzählungen vom „Joggeli“, von „Ursula“, den „Flücht- 
ingen“ und dem „Quartettfinale“, im geistigen Haushalt des deutschen 
doibes, vorsichtiger gesagt, der deutschen Lesewelt, ihren ehrlich 
eworbenen Plaß behalten. Nein, das ist selbstverständlich und 
arum handelt sichs nicht. Die Schuldforderung, mit welcher das 
njagbar traurige Schicksal eines der feinfühligsten Menschen und 
orgsamsten Projaiker dieser Seit die Nachwelt belastet, liegt in 
er Aufgabe, die Persönlichkeit Wilhelm Specks, die mensch- 
iche und geistige Gesamterscheinung dieses Dichters festzuhalten, 
he sich ihr Biid verflüchtigt. Die überaus liebenswerten, wahr⸗ 
aft ans Herz greifenden Sũüge diejes Bildes ergeben sich in der 
kät nicht bloß aus den Dichtungen, in denen sie ja erst hinter der 
darstellung aufzuspũren sind, sondern vor allem auch aus den 
Zrießfen, die Wilhelm Speck hinterlassen und in denen er eine 
anz eigentümliche Begabung, das innere Erleben zu fixieren. 
fenbart hat. Speck war ein Briefschreiber, wie es nicht viele 
aehr gibt; es ist in seinen Briefen aber nicht nur die selbständige 
form, die erquickt und fesselt, sondern auch, was er zu sagen hat: 
enn eben darin gibt sich eine Geistigkeit von ungewöhnlicher 
Selbstdurchdringung und Weltverarbeitung bund, eine Wesensart, 
ie näher bennen zu lernen die Nachwelt auch im eigenen Interesse 
niicht versäumen darf. Heinrich Spiero hat ja mit der Veröffent 
ichung von Wilhelm Specks „Briefen an einen Freund“ (Martin 
Varneck, Verlag, Berlin) einen dankenswerten Anfang gemacht. 
Aber es ist noch viel Material da, das verwertet werden will und 
nit den Erzählungen des Dichters zusammen die Grundlage einer 
iographischen Synthese zu buden hat, eben jener Aufgabe, 
nit deren Erfüllung die Nachwelt, einen geistigen Torso organisch 
rgänzend, Wilhelm Specks Bestimmung in der Tat erst noch 
»ollenden muß. W. S. 
Junghessisches Kunstschaffen. 
In den Räumen des Casseler Kunstvereins hat gegenwärtig 
die „Malergruppe 1028* ausgestellt, die sich vor zwei Jahren im 
zeichen des Protestes gegen eine einseitig expressionistische Kunst 
heorie und Kunstpolitiß zujammengeschlossen hat und ein durchaus 
mabhangiges Schaffen junger Kräfte repräsentiert. Su ihnen 
jehört als männlichfie, lebensvollste Begabuung Heinrich Dersch, 
zer, vor allem Landjchafter, auch diesmal Beweise reifen und 
varmblũtigen Könnens liefert. Starke geistige Impulse empfängt 
ie Gruppe von Rudolf Siegmund, der auf der Ausstellung 
nit farbenfrohen Landschaften und figũrlichen Sildern gut vertreten 
st. Gerhard Sh, wie Dersch ein Banter-Schüler, hat, wie 
mmer, Landschaften und Bildnisse beigesteuert, wäͤhrend ein anderer 
hemaliger Schüler der Casjeler Abademie, der jetzt in München 
ebende Wilhelm Heise, mit Steinzeichnungen phantastischer 
Art seine weitere Entwickelung dobumentiert. Er sowohl wie 
friedrich Fennel, der ausgesprochen hessische Landschafter, sind 
zãste der Gruppe, der sich auch der hochbegabte Casseler Sildhauer 
jritß Wach smuth angeschlossen hat; seine Holzplastil erscheint 
edeutender, weil selbständiger und durchgeistigter als die des noch 
iemlich im Naturalismus befangenen Weimaraners Arnold 
dahlke, der ebenfalls in der Gruppe 23 gastiert. Als Ganzes 
eigt die Ausstellung ein Niveau, das den wenig befriedigenden 
indruck der Ausstelung im Vormonat auszugleichen und mit der 
Dobumentierung ernsten künstlerijchen Wollens und beachtlichen 
Aönnens eine Ehrenrettung des heimischen Kunstschaffens zu 
ewirben geeianet ist w. S. 
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Nachdruch nur nach Abereinkunft mit dem Herausdeber gestattet. 
Herausgeber: Konrad Bernechker. Deuck,und Verlag: M. Seernecker. Melsungen. 
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