Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

pricht aus seinem Gesicht und eine gewisse Härte. Der 
alte Dorflehrer empfängt ihn an der Türe. „Herr Lahrer, 
wot sollet?“ „Nur mal erst herein“, und dann: „Michel — 
hm — hm — da lest mal.“ 
Michel liest den Brief, lächelt verächtlich. — Der Lehrer 
eobachtet ihn genau, sagt noch nichts, eine Weile nichts. 
So still ist's im Stübchen, man hört das Ticken der Ahr. 
Mächtige Kauchwolken pafft des Lehrers Pfeife. Endlich: 
„Na, Michel?“ Da springt der Michel vom Stuhl auf, wirft 
den Brief übern Tisch dem Lehrer zu und will zur Türe 
hinaus. 
„Halt!“ des alten Lehrers Stimme donnert. Michel 
hleibt plötzlich stehen. Und nun sausen ihm die Worte nur 
so um die Ohren. „Die Sache muß ein Ende haben, 
Michel, das sind Eure Kinder; die verlangen nach der 
Mutter, mit Kecht! Die alte Frau grämt sich zu Tode 
um die beiden Buben, und die Anna hier in meinem Hause 
st Ihres Altesten wert. Ich habe das Mädchen jetzt fünf 
Jahre im Dienst; ich benne sie. Seid Ihr denn so ein 
Unmensch, der sjeine leiblichen Kinder von der Heimat stößt, 
ohne sich um ihr Wohl und Wehe zu bümmern? In vier 
Tagen ist Weihnachten, das Fest der Familie, der Liebe. 
Michel — Mann —“, nun wird des Lehrers Stimme weich 
und bittend, „lasset uns alle ein Fest der Liebe und Versöhnung 
feiernl Wir beide haben graue Haare; nicht lange mehr 
wird's dauern, dann krägt man uns hinauf zu den Tannen; 
zielleicht ist's die letzte Meihnachtsfeier diejses Jahr, Michel, und 
was dann?“ Des Lehrers Stimme grollt dumpf auf: „Es 
gibt doch einen Herrgott, Michel! Michel, einen Heregott, 
der uns richtet! Und wo kbönnen wir Verzeihung erhoffen, 
venn wir nicht selbst verzeihen, Michel?“ 
Erschöpft ist der alte Lehrer in seinen Sessel gesunken. 
Auch Michel sitzt wieder; die Strafpredigt hat ihn rauh 
ingegriffen. Kein Wort bommt über seine Lippen; doch 
die wogende Brust verrät den inneren Kampf. 
Da geht die Stubentür leise ein wenig auf. „Anna“, 
uft der Lehrer freudig. Und nun steht weinend ein 
Rädchen vor Michel: „VDerzeihtl!“ Um dieses Mädchen 
erstieß Michel seinen ältesten Bub, und weil der jüngere 
Zruder das nicht lobte, mußte auch er in die Fremde gehen. 
Nichel hört dieses weinende „VDerzeiht“ und senkt den Kopf. 
?angsam steht er dann auf und geht zum Lehrer: „Schreibt, 
ie jollen Lommen!“ — — — 
Weihnachtsabend! Im Lehreesstübchen glitzert ein 
dichterbaum. Der alte Lehrer sitzt einsam dabei. Er raucht 
oie gewöhnlich die liebe „Lange“ und schaut zum Baum und 
»om Baum auf die Photographie seines jüngsten Enbelkindes. 
Die Kinder sind fort in die Welt; er hat das Dörfchen, 
ie Stätte seiner langjährigen Wirksambeit, nicht aufgeben 
nnen. Dong — dong — achtmal schlägt die Uhr. Der 
Alte schmunzelt — noch ein Stündchen, dann bommt die 
roße Weihnachtsbescherung. Wie er sich des Enbkels freut! 
Auf jeinem steifen Knie wird er reiten, seinen weißen Bart 
erzausen, tausendmal Großvater sagen. Weihnachten, du 
fest der Familie! 
Drüben im Nachbarhaus brennt kbein Lichterbaum. 
Nichel sitzt stumm am Tisch, und die gichtgelähmte Mutter 
uht im Ofenstuhl. Und mit einem Male bnarrt die Tür 
suf. Zwei hohe, schneebestäubte Gestalten stampfen herein, 
enen ein blasses Mädchen zitternd folgt. „Mutter — 
dater.“ Die gichtgelähmte Frau springt vom Stuhl, in 
hren Armen hält sie den Jüngsten, ihren Lieblingsbub, 
ind Michel drückt des Altesten Schwielenhand, und dann 
aßt er des Mädchens Kechte: „No, dann met Gott!“ 
Die reichen Klänge eines Harmoniums schwellen durch 
ie Winternacht. Vom Lehrerhause tkönt es leise: Stille 
Nacht — Heilige Nacht ... Deutlich hört man die einzelnen 
5timmen. AMuch ein silbernes Kinderstimmchen ist zu hören. 
Das muß wohl der. bleine Enkel sein, auf dessen Kommen 
ich der alte Großvater so gefreut hat. 
Die Weihnachtsmette õ Von Ella Gonnermann. 
Sie gleiten über Fels und Fluh 
Mit grũnbeschuhtem Fuße, 
Nachtvögel schreien ihnen zu, 
Jed' Wahjer braust zum Gruße. 
Der Berg selbst läßt die starre Ruh', 
Die Bäume tief sich neigen, 
Das Moos, der Stein kũßt stumm den Schuh 
Dem Volk vom blassen Keigen. 
Zur Weihnachtszeit in allem Land 
Dem Boden sie entsteigen, 
Hält jedes seines Nachbarn Hand 
Zum Tanz voll Todesschweigen, 
Trägt auch ein Lichtlein manche Hand 
Zur stillen Weihnachtsfeier, 
ODann faßt der Nachbar das Gewand, 
Die schloßeweißen Schleier. 
Dom Hüunengrab im dunkeln Hain 
Kommt's her auf Geisterflügeln — 
kEs pochen blasse Fingerlein 
An längstverges'nen Hũgeln — 
ẽ?s weblt und geistert Lichterschein 
Um Totenmal und Wasen — 
Es schwebt heran und reiht sich ein 
In Wald wie Städtestraßen. 
Der Sug schwingt auf sich, janft und leis, 
Mit ungezählten Lichtern, 
— Gehl aus ein Leuchten, rein und weiß, 
HOon tausend Angesichtern · 
Sie heben sich zum Himmelsbreis 
In höchste Erdenfernen 
Und stimmen an die Wunderweij' 
Mit Engeln und mit Sternen. 
Ist jedem Menschen anverwandt 
Die endelose Kette, — 
Auch dem Licht wird einst angebrannt 
zu dieser Weihnachtsmette; — 
Die Christnacht lost, was liegt gebannt 
In tiefem Todesschweigen: 
Sein Gloria singt an Himmelsrand 
Das Volk vom blassen Reigen. 
Aus altoer Seit. 
Hans Stade von Homberg, der 
Festungskommandant von Bertioga. 
Schluß.) Von Friedreich Sommer. 
Hans behielt seinen Wohnsitz in dem besten Hause auf der 
Injel Sto. Amaro, wo ihn schließlich sein Geschick ereilen sollte. 
Als er eines Tages den Besuch Heliodoros, mit dem eer sich seit 
den ersten Tagen seiner Ankunft in Sao Vicente angefreundet 
hatte, und eines Spaniers erhielt, die beide von der Oetschaft 
herübergekommen waren, eilte Stade in den Wald, um nach seinem 
Sblaven zu sehen, den er am Tage vorher auf die Jagd geschickt 
atte. Hans wollte seinen Gästen etwas auftischen, und dazu 
rauchte er die erwartete Jagdbeute, denn anderes Fleisch als 
Vild gab es damals nicht zu den Mahlzeiten. Aber kbaum hatte 
mjer Landsmann den Wäld betreten, als er sich von Indianern 
mringt sah, die ihn zu Boden warfen, ihn völlig entbleideten und 
efesseit durch den Wald in ihre Boote schleppten. Wohl wurden 
on der Feste Bertioga aus, wo man der Wilden und ihrer 
Zeute ansichtig geworden war, einige Kanonenschüsse auf die 
flũchtigen abgegeben und einige Boote bemannt, um den gefangenen 
dommandanten zu befreien, aber alles war umsonst, und Hans 
zurde von den Wilden nach ihrer Niederlassung geschleppt, die in 
lbatuba, 30 Meilen nordlich von Bertioga, belegen war. — Hier- 
ait begann für unseren Landsmann die Seit eines Martyriums, 
as 10 und einen halben Monat gewährt und während dem er 
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