Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

durch die Mitte schlängelt sich die Abflußrinne wie eine offene 
Ader. Auf einem Pfaähle hängt ein Kranzgewinde und zeigt die 
Stelle, wo ein junger Mensch, der mit den Wanderfreunden froöhlich 
tagen wollte, sein Leben in der Flut des Teiches lassen mußte. 
HDom Wald steeicht Krähenvolk herüber und schwingt sich mit 
zerjchlitzten Flügelrändern durch die Nebelluft. Vom hohen Teich- 
damm an der Straße geht der Blick zurück zum Haus im Werden. 
Ja, wo der Rohbau steht, da muß es stehen, nicht anderswo hier 
»ben. Die Straße senkt sich von der Höhe nach Schwarzenborn 
»inab und führt an einsamen Mühlgehöften vorbei nach Greben— 
»agen, das durch die Autolmie; Homberg — Kaboldshausen dem 
Veltgetriebe näher ist. Früh bricht die Nacht herein. Freudig 
degrüßt der Wanderer die gluhen Augen des herannahenden Autos 
und läßt sich durch das Dunkel heimwärts tragen. 
VDom Buchertische der Hoeimat 
Der dunkle Weg. Balladen von Heinrich Ruppel. Heimat- 
jchollen-Oerlag, A. Bernecker, Melsungen. Preis Me. 5.—. 
Heinrich Ruppel, eme der stärkbsten dichterischen Persön- 
lichkeiten, deren Schaffenskraft nach Beendigung des Weltbkeiegs 
hoffnungweckend in Erscheinung getreten ist, hat in seinen bis- 
herigen Veröffentlichungen dargetan, daß zu den für ihn charabte⸗ 
eistischen Eigenschaften neben der entschieden epischen Begabung, 
die sich in mehreren novellistijchen Büchern kundgab, eine durchaus 
ursprüngliche Fähigkeit zur versmäßigen Gestaltung gehört. Da 
diese beiden Eigenschaften Grundelemente der Balladendichtung 
sind, konnte es nicht wundernehmen, daß in den Gedichtbücheren 
Ruppels von Anfang an balladeobe 
Prägungen bemerkbar waren. So 
darf es auch als folgerecht bezeichnet 
werden, daß der Dichter nun mit 
einem Werk vor die GEffentlichkeit 
tritt, das ausschließlich Balladen ent⸗ 
hält und mit dem Anspruch erscheint 
in der Balladendichtung der Gegen— 
wart, die ja mehrere markante 
Charaktere aufweist, einen beacht⸗ 
lichen Platz einzunehmen. Denn es ist 
nicht zu leugnen, daß die bünstlerische 
und geistige Wesenheit Ruppels in 
diesen Dichtungen einen besonders 
konzentrierten Ausdruck gefunden 
und dazu beigetragen hat, daß Werke 
entstanden, die in ganz besonderer. 
höchst eigener Weise auf die zeit— 
genössische Menschheit zu wirben be⸗ 
sttimmt sind. Weit mehr als die Hälfte 
dieser Balladen spielen in der Gegen⸗ 
wart. Wie auch in den Prosa- 
Erzählungen Ruppels, sind auch ihre 
Motive größtenteils dem Landleben. 
in dem ja der Dichter selber wurzelt,. 
rntnommen und gehen fast in jedem 
Fall auf sächliche Begebenheiten 
zurück. Das gibt dem Buch nakfüelich 
eine Note, die es von der Mehrzahl 
ʒzeitgenõssischer Balladenbũcher unter⸗ 
jcheidet, denn in denen handelt sichs 
zumeist darum, die alte Form auch mit 
altem Stoff zu füllen. Kuppel will aber, wie immer, auch hier dem 
Leben dienen. das um ihn ist und ihn innerlich beschäftigt. und es 
mag bei dieser Gelegenheit bemerkt werden, daß der Ballade, 
einer an sich „veralteten“ Kunstform, nur auf diese Art wirkliches, 
warm pulsierendes Leben zugeführt werden bann, ein Leben, 
das mehr aus ihr macht als ein literarisches Experment, das auch, 
wonn es noch so gut gelingt, Literatur bleibt, des Susammenhanges, 
nämlich mit dem fließenden Dasein, ermangeind. Dieser Susammen- 
hang ist es eben, der den Ruppelschen Balladen ihre ungemeine Wir⸗ 
kungskraft verleiht und ihe Erscheinen in vorliegender Form als em 
geistiges Ereignis von Kang empfinden läpt. Es kann natürlich 
beinem Swoeifel unterliegen, daß einem Künstler, dem es gelingt, 
neuzeitliche Motive, wie etwa den Sturz eines Kindes aus dem 
Zimmerfenster auf den Bahnhofsperron, oder das Schicksal eines 
Srubenpferdes, oder den Untergang eines Hochzeitszuges polnischer 
Erntearbeiter in einem deutschen Fluß, dichterisch zu gestalten, auch 
geschichtliche Vordommnisse, Motive aus der Vergangenheit, zu 
meistern versteht, wobei denn freilich festzustellen ist. daß er vor 
allem legendäre Vorgänge mit bemerkenswertem Erfolg zu ver— 
werten weiß. Bei alledem bommt die Fähigkeit des Dichters, die 
Umwoelt des jeweiligen Geschehens anschaulich und stimmungstief 
darzustellen, zu einem die Wirkung des Ganzen glüchlich fördern— 
den Ausdruck. Anschaulichkeit aus der einen und Stimmungstiefe 
auf der anderen Seite sind ja ebenso, wie das epische und das 
ehhthmische Element, Grundkräfte der Ballade, und so ist es am 
Ende beine Vermesjenheit. Heinrich Kuppel anläßlich seines neuen 
Buches als einen der stärksten Verteeter der neuzeitlichen Ballade 
zu begrüßen. Hiervon abgesehen aber darf „Der dunble Weg“ 
ils ein Werk angesprochen werden, das unker den Buch ⸗Erschei⸗ 
iungen der gegenwärtigen Adventszeit mit an erster Stelle ge— 
nannt und allen Freunden lebendiger Dichtung nachdrücklichst emp⸗ 
ohlen zu werden verdient. W. SG. 
Das Eschweger Tütemännchen. Original-Holzschnitt von 
Ernst Metz -Eschwege. 
Der ulkige Kerl mit Sipfelmũtze, Schlafrock und Hauspantoffeln, 
der auf einer so seltsamen Trompete bläst — so hat ihn Ernst 
Metz in Holz geschnitten und hübsch bunt abgezogen — ist das 
Eschweger Tütemännchen. Tüte- 
maännerchen werden ja die Eschweger 
jelbst, wenn emer sie uzen will, ge— 
nannt, aber das hat seinen Grund, 
der, wie ũüberall, in der Geschichte 
der Stadt zu suchen ist. Allerdings: 
ganz kblar ist er in diesem Falle nicht. 
Die einen nämlich sagen, die Esch— 
weger hatten ihren Kirchturmwächter 
das Tütemännchen genannt, und dieser 
Spottname wäre dann im Lauf der 
Zeit auf sie selbst übergegangen, wo— 
mit aljo gleichsam das Schicksal das 
arme Tũütemannchen — Pardonl den 
armen Turmwächter — gerächt habe. 
Andere sagen aber, am landgräflichen 
Schloß zu Eschwege wäre eine bunst- 
volle Uhr angebracht gewesen, die 
mit der vollen Stunde ein eisernes 
Männchen hätte hervortreten und die 
Stunde aus einem Horn blajen lassen. 
Das wäre das Tütemännchen ge— 
wosen, von dem die Eschweger noch 
heute den ihnen von losen Vögeln 
aufgehängten Namen haben. Wie 
dem nun auch sei: das Bildnis, das 
Ernst Metz von dieser sagenhaäften 
Gestalt gemacht hat und das hier in 
einfarbiger VDerkleinerung wieder⸗- 
gegeben ist, darf als ein sjehr amũ- 
sjantes bleines Kunstwerk angesehen 
werden, das in mehrfarbiger Aus— 
ũhrung 2.50 Mb. bostet. Vom selben Künstler ist das ebenfalls 
nehrfarbige „Stadttor in Sooden“ (S. — Meb.) sowie das Kathaus in 
Meljungen (6. — Me.). Die drei Kunstblätter koönnen sowohl vom 
Aünstler selbst als auch durch den Heimatschollen DVerlag bezogen 
verden. Da von dem Holzstock nicht jsehr viele Abzüge, die ũübrigens 
Frenst Metz jselbit anfertigt. gemacht werden bönnen. haben diese 
Blätter den Wert von Originalen und bönnen allen Freunden 
eimischer Kunst angelegentlich empfohlen werden. W. S6. 
Bubenböpfe und Mädchenzöpfe. Ein Kinderbuch von 
Olga Stückrath-⸗Stawitz und Otto Stückrath. Bildschmuck von 
Kobert Sincke. Hematschollen-⸗Derlag, A. Bernecker, Melsjungen. 
Das Dichterehepaar vom Rhein, das der deutschen Jugend 
chon mit so manchem schönen Buch, vor allem aber mit dem 
„Bäumchen. rüttel dich“‘“ und den „Maärchen der Heimat“, innige 
ind beharrliche Freude gemacht hat, legt Kindern und Eltern 
iese Weihnachten eine ganz besondere Gabe auf den Feiertisch. 
Bubenköpfe und Mädchen zöpfe“* heißt sie und bringt „ein gerüttelt 
Naß voll“ Märchen, Gedichte. Schwänkbe und Rätsel von der 
eiteren und herzlichen Art, die dem innigen Umgang der Großen 
nit den Kleinen entspeicht. Denn wie immer bei diesen beiden 
Dichtersleuten werden auch diese neuen und höchst vergnüglichen 
Unterhaltungen in der Kinderstube aus der lebendigen Praxis, 
ius dem wirkblichen, tagtäglichen Verkehr mit der Jugend, der 
janz frischen, versteht sich, hervorgegangen sein, denn sie haben so 
jar nichts Eertüfteltes an sich. sondern sind voll Saft und Kraft, 
rämlich voll guter Laune und blühender Phantasie. Was da aus 
Das Eschweger 
Tutemännchen.
	        
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