Dom Pulsschlag der Heimat.
Der alte Menges—
Lang ijt's her, ich war damals ein Junge von so ungefähr
ehn oder elf Jahren. Hatten die Eltern irgend eine landwirt
chaftliche Arbeit zu verrichten, die auch die Hilfe der Mutter und
Eller (Großmutter) erheischte, so mußte ich unsere Gastwirtschaft
jo lange allein jühren. Es war Sommerzeit, und nur selten er—
schien ein Gast, der vielleicht ein Halbbaännchen Branntwein oder
einen Schoppen „ordinäres“ (obergäriges) Sier verlangte. Einen
Gast bebam ich aber stets, das war der alte Menges.“) Dick stand
der da, wie ein Sechsmestensack, und breit und voll erglänzte
ein mit einer großen Warze geziertes, fettes Gesicht. Blaurot
euchteten ihm die Wangen, und dieselbe Farbe zeigte die dicke
Nase. Man sah's dem Gesicht an, daß der alte Menges dieses
Haltesignal“ nicht vom Wassertrinken besaß, sondern, daß er
leißig dem „Lembach“ und dem „Schafhof“ zusprach. Das hatte
den Augen etwas Umschleiertes gegeben, und der Verstand war
dabei immer dünner geworden. Alle Leute wußten, daß das
rũher einmal anders ausgeschaut hatte. Der alte Menges war
da eine ganze Seitlang sogar Bürgermeister gewesen, nicht zum
Horteil für sein Gut. Dem widmete er ehedem schon wenig Sorg
jalt, während seiner Bürgermeisterszeit ließ ere's gänzlich ver—
rommen. „Sur eichtigen Seit“ übergabs Menges seiner Tochter,
und der Ehre (Eidam, Schwiegersohn) mochte nun zusehen, wie
er es wieder hoch brachte und mit den Schulden fertig wurde,
die Menges gemacht hatte. Um diese Angelegenheiten kümmerte
ch der Alte gar nicht, dazu war er zu selbstsüchtig. Er ging auf
den Auszug, und da dann bald auch seine Amtszeit als Bürger-
meister ablief, so lebte er wie der Vogel im Hanf. Daß er gut
zu leben vermochte, dazu hatte er sich vorgesehen, sein Auszug
reichte mehr als voll für ihn aus, und seine Frau war schon lange
tot. Jeden Tag, den Gott werden ließ, pilgerte er nun ins Wirts-
aus. Dort überreichte er sein Bobbelchen (Fläschchen), in das ein
æãannchen (* /8 Liter) Branntwein ging, und ließ es füllen.
Var „jure Branntwein“ (gewöhnlicher Schnaps) im Wirtoschänbel-
hen“, so konnte man hundert gegen eins wetten, daß er „bitteren“
Schnaps (der durch hineingetane Stengel von Absynthum artemisium
Wermut] „elsterbitter“ geworden war) haben wollte. Immer
zjing er dabei von dem Gedanken aus, frisch aus dem Keller ge⸗
hollen Branntwein zu bekommen. Nun war sein Wunsch erfüllt.
Er ließ sich jetzt ein Halbkännchensglas (' /i6 Liter) hinstellen und
trank seinen „Buttel“ leer. Er hatte sich den Branntwein erst
in sein „Bodällchen“ (Bodeille) geben lassen, weil er die Meinung
pertrat, daß er dann mehr erhieit. Darauf wurde sein Fläschchen
noch einmal gefüllt, und der aite Menges zog befriedigt schnaufend
ab, um nach ein paar Stunden wieder zu erscheinen. Das war
'o gewiß wie das Amen in der Kirche. Der oben geschilderte
HDorgang wiederholte sich dann in der Weise, daß der alte Menges.
hatte er vorher „Bittern“ getrunben, jetzt „Suren“ verlangte.
Ja, der alte Menges war ein ‚närescher Kerl“. —
Herme.
Hinter diesem Namen stand ein Mann zäh wie Hosenleder
ind geizig wie ein Hamster. Jeden Sonntag besuchte er die Kirche
ind betete und machte ein gar frommes Gesicht, wenn aber einer
zu ihm kam, um für einen guten Sweck zu sammeln, war Herme*“)
entweder gar nicht da, oder er rieb doch erst von dem Fünfter,
den er nach vielen Kedereien beisteuerte, die Schrift ab. Und
wenn gar ein Bettler vorsprach, dann stellte er sich so arm, daß
ihm der lieber selbst etwas gegeben hätte. Nur handeln war ge—
wöhnlich leicht mit Herme; weil er die paar Marbk für eine
Zeitung sparte, so wußte er selten die Richtpreise, und das bostete
ihn manchen schönen Taler. Der Volksmund hatte ihm den Namen
„Landmesser“ angehängt. Das bam daher, daß Herme genau
eden Grenzstein Lannte, der die Grenze von seinen Ländereien
und Wiesen angab. Alle Jahre grub er die wenigstens einmal
nuf, wenn nicht öfter. Böse Mäuler behaupteten, er habe aller⸗
vegen genug, nur nicht am „Eng“‘ (Ende, Kand) und sagten ihm
nach, daß er an jedem Ackerrande mindestens drei Furchen zu weit
ackere. Sodann war Herme der Ratgeber für das ganze Dorf.
Wurde er gefragt, so gab er jedem recht. Stritten zwei um eine
Sache, so fiel er Leinein ab. Er hetzte so lange. bis sie heftig
ameinander gerieten, damit der Streit vor Gericht ausgetragen
purde. Wenn ihn dann bald der eine, bald der andere in der
Angelegenheit aufsuchte, schürte er das Feuer. Je höher der
*Maanus ) Heermann.
Srand Flammen schlug, um so größer war Hermes Freude, und
* hatte einen Trauerfag zu verzeichnen, wenn beide Kampfhähne
ndiich einjahen, daß ihre Kechthaberei beinem von ihnen nutte.
da kam die Susammenlegung, und alle seine Landmesserkünste
aren vorbeĩ. Jede Stunde behelligte er nun die „Derboppelungs-
ommijsion“ mit seinen Klagen, vergeblich, jeder Jah hinter seinen
ielen Worten nur unberechtigte Beschwerden. Schlecht und recht
hnitt er bei der Susamménlegung ab, trotz seiner Kenntnisse in
er Landmesserei. Verdrießlich darüber übergab er in ver—
aͤltnismäßig jungen Jahren das Gut jeinem Altesten und ging
uf den Auüszug. Er wollte von der ganzen Welt nichts mehr
»ijsen. Heute ist Herme längst gestorben, und er hat das bekommen,
oas Reichen und Armen nach dem Tode in gleicher Weise zuteil
dird: eine Schippe voll Erde auf den begehrlichen Mund. Schw.
Schnurrpfeifereien.
Der getäuschte Vogelfreund.
Der alte Fischer in Homberg, der den Spitznamen „Der Brommer“
eug, war als Vogelfreund bekannt und jetzte seinen ganzen Stolz
uf seinen Hänfling, den er für den besten Schläger von allen
dänflingen in der Webergasse hielt. Immer und überall erzählte
r, daß jein Hänfling ein Männchen sei, daß aber alle anderen
dänflinge in der Nachbarschaft nur Weibchen seien. Und das
sochte jeine guten Freunde und getreuen Nachbarn verdrießen.
An einem Sonntagmorgen entdeckte der Brommer zu seinem
zchrecken ein Hänflingsei im Vogelhause seines Sängers. Und
vie durch Sufali Lamen auch gleich drei nachbarliche Vogelfreunde
inzu und sagten: „Dein Männchen hat ja über Nacht ein Ei
elegt!“ Der alte Brommer war baff; an eine Arglist dachte er
icht· Vollständig niedergeschlagen sagte er: „So hott mech doch
och nebs hennergehn; 'n ganzes Johr honn ech geglöbet, 's wär
Maännchen — un nu eß 's doch'n Wibchen!“ Mit diesjen Worten
iß er die Tür des Vogelhauses auf und schenkte dem Hänfling
e Freiheit, ohne jedoch zu wissen, daß sein neben ihm stehender
freund uͤnd Gevatter Heinrich jeinem guten Schläger das Hänf-
ingsei unbemerkt in den Käfig prabtiziert hatte. B.K.
Der Hauptsteuerzahler.
In früheren Jahren, als die Homberger Bürger nachts noch selbst
ür die Sicherheit ihrer Stadt zu sorgen hatten, übernahm der
ilte Lattenschnihßer fast ständig die Nachtwachen gegen eine Bezah⸗
ung von 40 Pfennig bis 1 Warb. einen halben Schoppen Schnaps
ind ein Desper.
Eines Abends trat er auf seinem Dienstgang in eine Gast-
birtschaft, um sich mit einem Halben zu stärben, und hörte da,
bie die Gäste über die hohen Steuern schimpften. Da schimpfte
r feste mit. Auf einmal wandte sich einer der Gäste dem Nacht-
dächter zu und sagte: „Was hast du denn zu schimpfen? Du
ezahlst doch keine Steuernl!“ — „Geweß bezohle ech Steiern“,
nigegnete der Lattenschnitzer, „ech hon jo den Steierzettel derheme
ejenl“ Als er aber Widerjpreuch erfuhr, er als alter, armer
Rann brauche doch keine Steuern zu zahien, sagte er: „Ech well's
ich schon bewieseri, daß ech Steiern bezohle, jetzt geh ech henn
in holle den Sieierzettel.“ Bald war er wieder zurück und legte
en Settel mit den Worten auf den Tisch: „Hie hobte den Steier-
ettell Nu werdes jo woll glöben!“ Einer nahm den Steuerzettel
n die Hand und — lachte laut auf. Der alte Lattenschnitzer hatte
en Impfschein von seinem Sohn für einen Steuerzettel dehahlen.
—*
Fliegenkost.
Das Sprichwort pflegt zu sagen: Was der Bauer nicht bennt,
as ißt er nicht. Doch stimmt das heute nicht mehr ganz. Denn
ine gerissene Geschäftsrellame weiß jetzt auch den schlichten und
escheidenen Dorfbewohner nach allen möglichen fragwũrdigen
Zenũssen begehrlich zu machen. Aber derzeit, da die Annemarth
och iebte, hatte das Sprichwort noch seine gute Geltung.
Die Annemarth war brank und mußte sich, so leid ihr das
uch tat, eine Kur in einem Casseler Sanatorium verschreiben
assen. Sie reiste ab nach Cassel. Um von all dem vornehmen
zeschwäh und Geschwänzel möglichst wenig zu sehen, ließ sie sich
as Essen auf ihr Simmer bringen. Nach dem Essen brachte ihr
as Mädchen Gefrorenes als Nachtisch. Beim Abräumen fand
as Mädchen das Eis noch unangerührt auf dem Tisch und fragte:
Darum haben Sie denn das Eis nicht gegessen?“ Erstaunt
agte die Annemarth: „So, das sall ech honn zom Essen? Ech
dite acdoocht. eß wär fer de Fleien!“ SR.