Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Dom Pulsschlag der Heimat. 
Der alte Menges— 
Lang ijt's her, ich war damals ein Junge von so ungefähr 
ehn oder elf Jahren. Hatten die Eltern irgend eine landwirt 
chaftliche Arbeit zu verrichten, die auch die Hilfe der Mutter und 
Eller (Großmutter) erheischte, so mußte ich unsere Gastwirtschaft 
jo lange allein jühren. Es war Sommerzeit, und nur selten er— 
schien ein Gast, der vielleicht ein Halbbaännchen Branntwein oder 
einen Schoppen „ordinäres“ (obergäriges) Sier verlangte. Einen 
Gast bebam ich aber stets, das war der alte Menges.“) Dick stand 
der da, wie ein Sechsmestensack, und breit und voll erglänzte 
ein mit einer großen Warze geziertes, fettes Gesicht. Blaurot 
euchteten ihm die Wangen, und dieselbe Farbe zeigte die dicke 
Nase. Man sah's dem Gesicht an, daß der alte Menges dieses 
Haltesignal“ nicht vom Wassertrinken besaß, sondern, daß er 
leißig dem „Lembach“ und dem „Schafhof“ zusprach. Das hatte 
den Augen etwas Umschleiertes gegeben, und der Verstand war 
dabei immer dünner geworden. Alle Leute wußten, daß das 
rũher einmal anders ausgeschaut hatte. Der alte Menges war 
da eine ganze Seitlang sogar Bürgermeister gewesen, nicht zum 
Horteil für sein Gut. Dem widmete er ehedem schon wenig Sorg 
jalt, während seiner Bürgermeisterszeit ließ ere's gänzlich ver— 
rommen. „Sur eichtigen Seit“ übergabs Menges seiner Tochter, 
und der Ehre (Eidam, Schwiegersohn) mochte nun zusehen, wie 
er es wieder hoch brachte und mit den Schulden fertig wurde, 
die Menges gemacht hatte. Um diese Angelegenheiten kümmerte 
ch der Alte gar nicht, dazu war er zu selbstsüchtig. Er ging auf 
den Auszug, und da dann bald auch seine Amtszeit als Bürger- 
meister ablief, so lebte er wie der Vogel im Hanf. Daß er gut 
zu leben vermochte, dazu hatte er sich vorgesehen, sein Auszug 
reichte mehr als voll für ihn aus, und seine Frau war schon lange 
tot. Jeden Tag, den Gott werden ließ, pilgerte er nun ins Wirts- 
aus. Dort überreichte er sein Bobbelchen (Fläschchen), in das ein 
æãannchen (* /8 Liter) Branntwein ging, und ließ es füllen. 
Var „jure Branntwein“ (gewöhnlicher Schnaps) im Wirtoschänbel- 
hen“, so konnte man hundert gegen eins wetten, daß er „bitteren“ 
Schnaps (der durch hineingetane Stengel von Absynthum artemisium 
Wermut] „elsterbitter“ geworden war) haben wollte. Immer 
zjing er dabei von dem Gedanken aus, frisch aus dem Keller ge⸗ 
hollen Branntwein zu bekommen. Nun war sein Wunsch erfüllt. 
Er ließ sich jetzt ein Halbkännchensglas (' /i6 Liter) hinstellen und 
trank seinen „Buttel“ leer. Er hatte sich den Branntwein erst 
in sein „Bodällchen“ (Bodeille) geben lassen, weil er die Meinung 
pertrat, daß er dann mehr erhieit. Darauf wurde sein Fläschchen 
noch einmal gefüllt, und der aite Menges zog befriedigt schnaufend 
ab, um nach ein paar Stunden wieder zu erscheinen. Das war 
'o gewiß wie das Amen in der Kirche. Der oben geschilderte 
HDorgang wiederholte sich dann in der Weise, daß der alte Menges. 
hatte er vorher „Bittern“ getrunben, jetzt „Suren“ verlangte. 
Ja, der alte Menges war ein ‚närescher Kerl“. — 
Herme. 
Hinter diesem Namen stand ein Mann zäh wie Hosenleder 
ind geizig wie ein Hamster. Jeden Sonntag besuchte er die Kirche 
ind betete und machte ein gar frommes Gesicht, wenn aber einer 
zu ihm kam, um für einen guten Sweck zu sammeln, war Herme*“) 
entweder gar nicht da, oder er rieb doch erst von dem Fünfter, 
den er nach vielen Kedereien beisteuerte, die Schrift ab. Und 
wenn gar ein Bettler vorsprach, dann stellte er sich so arm, daß 
ihm der lieber selbst etwas gegeben hätte. Nur handeln war ge— 
wöhnlich leicht mit Herme; weil er die paar Marbk für eine 
Zeitung sparte, so wußte er selten die Richtpreise, und das bostete 
ihn manchen schönen Taler. Der Volksmund hatte ihm den Namen 
„Landmesser“ angehängt. Das bam daher, daß Herme genau 
eden Grenzstein Lannte, der die Grenze von seinen Ländereien 
und Wiesen angab. Alle Jahre grub er die wenigstens einmal 
nuf, wenn nicht öfter. Böse Mäuler behaupteten, er habe aller⸗ 
vegen genug, nur nicht am „Eng“‘ (Ende, Kand) und sagten ihm 
nach, daß er an jedem Ackerrande mindestens drei Furchen zu weit 
ackere. Sodann war Herme der Ratgeber für das ganze Dorf. 
Wurde er gefragt, so gab er jedem recht. Stritten zwei um eine 
Sache, so fiel er Leinein ab. Er hetzte so lange. bis sie heftig 
ameinander gerieten, damit der Streit vor Gericht ausgetragen 
purde. Wenn ihn dann bald der eine, bald der andere in der 
Angelegenheit aufsuchte, schürte er das Feuer. Je höher der 
*Maanus ) Heermann. 
Srand Flammen schlug, um so größer war Hermes Freude, und 
* hatte einen Trauerfag zu verzeichnen, wenn beide Kampfhähne 
ndiich einjahen, daß ihre Kechthaberei beinem von ihnen nutte. 
da kam die Susammenlegung, und alle seine Landmesserkünste 
aren vorbeĩ. Jede Stunde behelligte er nun die „Derboppelungs- 
ommijsion“ mit seinen Klagen, vergeblich, jeder Jah hinter seinen 
ielen Worten nur unberechtigte Beschwerden. Schlecht und recht 
hnitt er bei der Susamménlegung ab, trotz seiner Kenntnisse in 
er Landmesserei. Verdrießlich darüber übergab er in ver— 
aͤltnismäßig jungen Jahren das Gut jeinem Altesten und ging 
uf den Auüszug. Er wollte von der ganzen Welt nichts mehr 
»ijsen. Heute ist Herme längst gestorben, und er hat das bekommen, 
oas Reichen und Armen nach dem Tode in gleicher Weise zuteil 
dird: eine Schippe voll Erde auf den begehrlichen Mund. Schw. 
Schnurrpfeifereien. 
Der getäuschte Vogelfreund. 
Der alte Fischer in Homberg, der den Spitznamen „Der Brommer“ 
eug, war als Vogelfreund bekannt und jetzte seinen ganzen Stolz 
uf seinen Hänfling, den er für den besten Schläger von allen 
dänflingen in der Webergasse hielt. Immer und überall erzählte 
r, daß jein Hänfling ein Männchen sei, daß aber alle anderen 
dänflinge in der Nachbarschaft nur Weibchen seien. Und das 
sochte jeine guten Freunde und getreuen Nachbarn verdrießen. 
An einem Sonntagmorgen entdeckte der Brommer zu seinem 
zchrecken ein Hänflingsei im Vogelhause seines Sängers. Und 
vie durch Sufali Lamen auch gleich drei nachbarliche Vogelfreunde 
inzu und sagten: „Dein Männchen hat ja über Nacht ein Ei 
elegt!“ Der alte Brommer war baff; an eine Arglist dachte er 
icht· Vollständig niedergeschlagen sagte er: „So hott mech doch 
och nebs hennergehn; 'n ganzes Johr honn ech geglöbet, 's wär 
Maännchen — un nu eß 's doch'n Wibchen!“ Mit diesjen Worten 
iß er die Tür des Vogelhauses auf und schenkte dem Hänfling 
e Freiheit, ohne jedoch zu wissen, daß sein neben ihm stehender 
freund uͤnd Gevatter Heinrich jeinem guten Schläger das Hänf- 
ingsei unbemerkt in den Käfig prabtiziert hatte. B.K. 
Der Hauptsteuerzahler. 
In früheren Jahren, als die Homberger Bürger nachts noch selbst 
ür die Sicherheit ihrer Stadt zu sorgen hatten, übernahm der 
ilte Lattenschnihßer fast ständig die Nachtwachen gegen eine Bezah⸗ 
ung von 40 Pfennig bis 1 Warb. einen halben Schoppen Schnaps 
ind ein Desper. 
Eines Abends trat er auf seinem Dienstgang in eine Gast- 
birtschaft, um sich mit einem Halben zu stärben, und hörte da, 
bie die Gäste über die hohen Steuern schimpften. Da schimpfte 
r feste mit. Auf einmal wandte sich einer der Gäste dem Nacht- 
dächter zu und sagte: „Was hast du denn zu schimpfen? Du 
ezahlst doch keine Steuernl!“ — „Geweß bezohle ech Steiern“, 
nigegnete der Lattenschnitzer, „ech hon jo den Steierzettel derheme 
ejenl“ Als er aber Widerjpreuch erfuhr, er als alter, armer 
Rann brauche doch keine Steuern zu zahien, sagte er: „Ech well's 
ich schon bewieseri, daß ech Steiern bezohle, jetzt geh ech henn 
in holle den Sieierzettel.“ Bald war er wieder zurück und legte 
en Settel mit den Worten auf den Tisch: „Hie hobte den Steier- 
ettell Nu werdes jo woll glöben!“ Einer nahm den Steuerzettel 
n die Hand und — lachte laut auf. Der alte Lattenschnitzer hatte 
en Impfschein von seinem Sohn für einen Steuerzettel dehahlen. 
—* 
Fliegenkost. 
Das Sprichwort pflegt zu sagen: Was der Bauer nicht bennt, 
as ißt er nicht. Doch stimmt das heute nicht mehr ganz. Denn 
ine gerissene Geschäftsrellame weiß jetzt auch den schlichten und 
escheidenen Dorfbewohner nach allen möglichen fragwũrdigen 
Zenũssen begehrlich zu machen. Aber derzeit, da die Annemarth 
och iebte, hatte das Sprichwort noch seine gute Geltung. 
Die Annemarth war brank und mußte sich, so leid ihr das 
uch tat, eine Kur in einem Casseler Sanatorium verschreiben 
assen. Sie reiste ab nach Cassel. Um von all dem vornehmen 
zeschwäh und Geschwänzel möglichst wenig zu sehen, ließ sie sich 
as Essen auf ihr Simmer bringen. Nach dem Essen brachte ihr 
as Mädchen Gefrorenes als Nachtisch. Beim Abräumen fand 
as Mädchen das Eis noch unangerührt auf dem Tisch und fragte: 
Darum haben Sie denn das Eis nicht gegessen?“ Erstaunt 
agte die Annemarth: „So, das sall ech honn zom Essen? Ech 
dite acdoocht. eß wär fer de Fleien!“ SR.
	        
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