Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

jen, die aus der ewigen Einheit sich dir herauslösen, durch 
Ursache und Wirkung aneinander, die du wie ein Netz ũüber 
die Dinge wirfst. Aber wisse: im Ewigen sind sie Eins, 
st nicht Kaum, nicht Seit, nicht Folge — nur Sein. Der 
du waͤrst, bist und sein wirst, stehst mit der Anendlichkeit 
aAllen Wesens unlösbar vergänglich und unvergänglich im 
Hanzen — so vergänglich vor dem Ewigen, wie ein Sonnen⸗ 
hstem, so unvergänglich vor ihm, wie jede Welle, die ein⸗ 
nal fich hebt, wie jeder Windhauch, der einmal weht. 
Fassest du dies, dann wird dir der größte Trost. UAnd du 
aͤhnst die Tiefe der Geheimnisse Gottes. 
Steiler wird der Weg zur Anhöhe. Die Sonne durch- 
värmt den Herbsttag mik glänzendem Leuchten. Tannen 
ind Christusdorn geben einen schmalen Weg frei. Auf der 
uppe ist's Lahl, weit dehnt sich der Slick über die Lande. 
Hũgel an Hügel, Wälder an Wäldern, Wiesengründe da⸗ 
wijchen. KRagende alte Kirchtürme, Windmühlen in der 
Ferne. Klar und scharf in wundervoller Zeichnung, glänzt 
das abwechslungsreiche Bild. Das tiefe Gelb und bräun- 
iche Gold der Buchenwälder steht harmonisch neben tief⸗ 
hunbelgrünem Fichtenwald, gegen das Graubraun des Landes 
ind den sich in Luft verlierenden Farbenton der Ferne. 
Unter mir, in einem Tal im Westen, wogt und flutet ein 
euchtendes Nebelmeer, dessen Kandwolben über die tiefer 
elegenen Buchenbronen zu fließen beginnen und dessen 
angsam steigende Zũge sich weiter nach Norden in unab⸗ 
ässigem Auf und Nieder allmählich vorschieben. Durch den 
Vald steige ich nach Norden zum See hinab. Im Westen 
wächst der Nebel. Als ich den See erreicht habe, hat sich 
juer über ihn, aus dem Westtal her, eine breite Nebel- 
nasse geschoben. Nicht mehr leuchtet sie golden: kalt und 
grau, hoch und drohend, weich und doch unerbitklich umfließt 
jje die Stämme am Ufer drüben, schiebt sie sich hinter einem 
leichten, ihr vorauseilenden Schwaden nach. Die Sonne, 
noch fast eine Stunde vor der Seit des Untergangs, versinbt 
weißgelblich, kalt und schemenhaft in den düsteren —AX 
‚och blaut oben der Himmel. Vom Seeufer steige ich am 
Ostrande hinauf, der Nebel ist schneller als ich, er ist nun 
sber den ganzen See gewandert, fließt und wallt am kahlen 
Hang empor, tastet sich zur Höhe und läuft über sie hin. 
die Landstraße, die oben zieht, nimmt mich auf. Aus an- 
deren Tälern schwingen leise neue Nebel heran, von allen 
Zeĩiten weht es und fließt es, uberall erlöschen die scharfen 
Umrisse von Baum und Wald, von Weg und Feld. immer 
einjamer wirds um mich. 
Noch einmal führt die Straße höher empor, ũber die 
Nebel, und im West wird die Sonne wieder sichtbar, ihre 
etzten Abschiedsstrahlen grübßen die Höhe; zum zweiten 
Wale sehe ich sie sinken. Wieder sührt die Straße abwärts. 
Kechts und links ist sie in unregelmäßigem Wechsel von 
fichen und bnorrigen Weiden eingefaßt. Eichenäste und 
Weidenzweige neigen sich gegeneinander, berũhren sich fast 
iber der Mitte der Straße. Diese steigt weiter hinab, führt 
in dichteren Nebel. Drei, vier nächste Eichbäume und 
Veiden sind sichtbar. Ihre sich zustrebenden Sweige scheĩnen 
erine Torwölbung zu bilden, unter der die Straße in die 
gleichmãßig graue Anendlichkeit des Nebels führt. Nichts, 
dein Land und Weg, kein Hügel und Wald mehr ist vorwärts 
sichtbar. Nur die grauen, weichen, schwingenden Nebel. Ist 
es nicht, als lockt etwas aus ihnen, als riefe es von dort, 
als stünde hinter dem Tor ewige Ruhe, ewiges Vergessen, 
Ausgleich, Erlssung? Dort, wo vorher die unabsehbare 
Abwechslung gestanden, wo die Heimstätten der Menschen, 
Hõfe, Hãuser, Kirchen, Türme grüßten, wo über der farben⸗ 
orächtigen Keife des Herbstes und dem lebendigsten Leben, 
iber den Spuren des Vergehens und der Vergänglichkeit 
in weites strahlendes Himmelsrund sich dehnte — da steht 
etzt nur farblose und gestaltlose Gleichförmigbeit, graues, 
mnftes AUmschließen, Nichtsein, nicht taghaft und nicht nächtig 
-etwas, das zwischen all dem liegt und alles mit weichem 
Aem umfaßt. Ein Anblick, der aufs Tiefste das Gemüt 
ewegt. Alles Sein und alles Kingen, alles Sehnen und 
lles Leiden in der Menschenjseele steht auf, schaut hin und 
mpfindet die ganze erlösende Schönheit dieses Anblicks — 
us allem Leid und Kampf, aus der Fülle des Seins, da- 
in, in den großen stillen Frieden: nur so weit als drei 
andstrabenbãume auseinanderstehen, und du Lannst in ihn 
ingehenl Wie wundervolll Die Schönheit dieses BSildes 
egreift die Seele aufs mächtigste: Abschied hier, Leid- 
zjung dort. Sehnsucht steigt aus den Tiefen, die den Kampf 
im die Lebensinhalte gesehen haben, empor. Ich setze mich 
uf einen Granitblock am Wegesrand nieder, frinke das 
jhrende und ergreifende Bild in mich hinein. Wöchte die 
Arme ausstrecken nach der Verheißung, dem unfaßbar großen 
frieden vor mir. Leises Weh und stille Freude ziehen mit- 
inander durch die Seele. 
Da ist's, als ob eine liebe Hand mir sanft und leise 
ber die Stirn striche, als ob ein lieber Mund leis zu mir 
orãche, eine Stimme, die ich mehr benne, wie die des eige-⸗ 
ien Herzens, die meine Seele grüßt, da sie spricht: 
„Noch bist du nicht am Siel, Wanderer. Was du vor 
ir fiehst, ist Sinnbild und Gleichnis. Deine Straße führt 
och weiter. Gehe ruhig voran. Wo du wandelst, wird 
er Nebel sich weiten. Mancher Tag liegt noch vor die, 
is du vollendet hast. Durch Trübsal und Dämmer mußt 
uu noch wandern, durch Kingen und Wirben noch vorwärts 
ich kLämpfen. Sonnentage liegen hinter die, und ihr Leuchten 
leibt um deine Stirne. In nächtige Dinge soll es dir 
icht tragen. Viel ist dir gegeben, darum liegt noch 
ʒchweres vor dir. Durch Leid mußt du noch gehen, da⸗ 
nt du vom Leid erlöst werden kannst. Aber ich will bei 
ir sein, wo dir Schweres zuteil wird.“ 
So sprach die liebe Stimme zu meiner Seele. Im 
dämmer erhob ich mich, griff zum Wanderstock, ging in 
en Nebel hinein und durch ihn. Wo ich ging, schien er 
ich zu weiten, und hinter mir schlossen jseine Wogen sich 
ieder zusammen. Schatten und Schemen, Baum und 
ztrauch, Blöcke und Hütten tauchten auf und schwanden, 
ind ich fand den Weg zum stillen Städtchen zurück. Sild 
ind Gieichnis und das liebe Wort aber gingen mit und be⸗ 
leiten mich weiter auf der Wanderung, die noch vor mir liegt. 
* 
Novemberabend. 
Der Winter hat sich gestern zum ersten Wale sehen 
issen, warf große Majssen dicker Flocken über das Land, 
— —— die 
ill über Fluren und Hänge, über Wälder und Berge und 
ber die Straßen und Dächer der Stadt sich breitete. Aber 
us Suden blies schon am Abend wieder warmer Wind, 
ie Nacht hindurch fegte sturmgepeitschter Kegen alles blanke 
Veiß wieder weg, und nach einem düsteren Tag steht nun 
in jtiller Abendhimmel, gleichmäßig von Grau verhangen, 
ber der Erde, die gierig alles Naß in sich hineinschlüeft 
nnd das, was sie als wurzelnährendes Grundwasser nicht 
iehr fassen kann, als Kinnsale und anschwellende Bäche 
ch über den graubraunen, weichen Rücken laufen läßt. 
z8 ist schon tiese Dämmerung, aber nun wirds nicht mehr 
unkler werden: hinter dem gleichmäßigen Grau der Wolben 
eht ein zu drei VDierteln voller Mond, und das geringe 
dämmoerlicht läßt draußen Weg und Steg, Stamm und Geäst
	        
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