Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Humme“ und im, Heesfeldischen „Huppe“. — Die kleineren 
Heschwister und all das Krabbelzeug aus der Nachbarschaft freuen 
ich schon auf die bevorstehende Eroberung: 
Zup F,hup. — Zup —. —.huu. upl 
Die schadhafte Stéelle wird gleich abgeschnitten, das andere 
Ende ein bißchen zusammengedrückt und“ mit den Wesser der 
äußersten (grünen) Haut entledigt. Fertig ist die Laube: Hup, 
hup. hu ..u .. pl! 
Nun wird schnell ein hũbscher Ast von einem der Weiden— 
bäume am Bach oder Holzgraben geholt. Da im Geäst bereits 
ein guter Freund sitzt und bei „Saft, Saft, Siere“ tüchtig klopft. 
hraucht unser junger Instrumentenmacher gar nicht exrst auf den 
Baum zu blettern. Der oben wirft ihm das Material bostenlos 
zu, und der unten braucht sich nicht erst das Hojenläht aufzureißen. 
Diesmal gelingt aber die Pfeife besser. Ein wahres Wunder 
verb ist entstanden, und die neiderfüllten Suschauer sind von Herzen 
dankbar, daß auch sie mal „piffen“ dürfen. 
Mitten in die lauten Töne der wohlgelungenen Pfeife und 
das Getute der Faorze mischt sich aus unmittelbarer Nähe die 
gedämpfte Musik eines Waldhorns — drüben im Hersfeldischen 
sagt man „Schalmai“ —. Das ijst eine „Faorze“ aus einem dicheren 
Stück Weidenholz (Erlenbast), die durch übereinandergewickelte, in 
Streifen abgeschälte Weidentinde bünstlich verlängert ist. Diese Ver 
ängerung wird durch Schlehendörner zusammengehaiten. — 
O, die herrliche Frühlingsmusik: Pfeife, Faorze, Waldhorn. 
Schön ist sie nicht, — aber laut und doch blingt es mir dauernd 
nn den Ohren, das Kinderkonzert aus Jugendtagen. L. Mitzel. 
Auf mundartlichen Wanderungen. 
Schluß.) 
An einem der darauffolgenden Tage sahen mich die Bäume 
des Seulingswaldes so von oben herab an, als sob sie mir Vorwürfe 
nachen wollten, daß ich nicht auch mit Sense, Sichel und Stroh— 
seilern hinausginge“ Genau so war der Blisck des Gastwirts in 
einem bleinen hochgelegenen Dörflein nach dem Landecker zu. 
Früher bannte ich diesen Namen nur aus vder Sibel, dann hörte 
ch in der Schule, daß es in der Nähe ein gleichnamiges, abgelegenes 
Rest gäbe, wo sich die Hasen und Füchse „gute Nacht“ sagten. 
Hier war ich jetzt, uͤnd wie schön war's! Es schien sich in den lehzten 
Jahren, mancherlei verändert zu haben, seit auf zwei Seiten in 
der Nähe die Eisenbahnlokomoliven vorbeiankten, weil sie so viel 
zu dinsen hatten. Wenn es nicht spät abends gewesen wäre, ich 
hätte noch ein paar Stunden im Freien zugebracht. Ich gehe ins 
Wirtshaus: „Kann ich hier übernachten?“ Sedenblich sieht mich 
der stämmige Wirt von oben bis unten und von unmen bi— oben 
an, mustert meinen nicht gerade festtagsmäßigen Anzug — bekannt 
lich zieht man auf Fußwanderungen nicht das Beste an — und 
gibt mir zur Antwort, er müßte erst mit seiner Frau sprechen. 
Hierzu findet er aber, wie ich sehe, vorläufig beine Seit, da es 
oiele Gäste zu bedienen gibt. Auch ich lasse mir ein Schnäpschen 
bringen und bestelle gleich darauf o, Bier. Anaufhörlich werde 
ich vom Schenktisch aus mit Mißtrauen beobachtet, und auch mancher 
Gast richtet seine Augen fortgesetßzt auf, mich. Die Seit verrinnt, 
und der Wirt bommt vor Arbeit nicht zu seiner Frau. „Herr 
Wirt“, rufe ich dazwischen, „ich habe Hunger! Was kann ich zu 
essen bebommen?“ Vielleicht Butterbrot mit Wurst oder Eiern, 
oder wollen Sie lieber gesottene Kartoffeln essen?“ Ich entschließe 
mich kurzerhand für Kartoffeln mit aufgeschlagenen Eiern und will 
ihm gerade noch klar machen, daß er nicht mit Speckgrieben sparen 
soll, als mir meine Nachtruhe wieder durch den Kopf geht. Ehe 
zr draußen war, frage ich ihn noch einmal: „Kann ich hier bleiben? 
Ich muß es jetzt wissen.“ Die burze Antwort hieß: „Selbstver. 
tändlich.“ Gleich ging's mit ihm auf die Oberstlai! Als ich mich 
dort ein bißchen frisch gemacht und das Himmelbett, das meinen 
müden Körper in dieser Nacht aufnehmen jollte, besichtigt hatte, 
18. ich unten mein böstliches Abendbrot, au das sich nach einer 
Aussprache über den Sweck meiner Keise eine fröhliche Anker 
zaltung mit Wirt und Gästen schloß, die mir zutraulich biel böstliches 
Sprachgut — darunter manches, was man so leicht nicht erfährt — 
einbrachte. — Am schönsten war aber noch der folgende Morgen. 
Vohlausgeruht sitze ich am Tisch und krinbe meinen erfrischenden 
Morgenkaffee, ais mir mein Nachtwirt die Rechnung vorlegt. — 
Den Betrag will ich nicht nennen, vielleicht würde mir's gar nicht 
geglaubt, wenigstens von vielen. Heute würde man in Frankfurt 
aum ein Ei für dies Geld bekommen. — In der anderen Hand 
hält er ein Buch, und ich merle, daß er sich was überlegt. Bann 
zrklärt er mir den Sweck dieser Einrichtung und bittet mich, meinen 
Namen doch mit allem, was dazu gehört, hineinzuschreiben. Der 
Sendarm sei sehr streng und jorge für Bestrafung, wenn dies 
Buch nicht in Ordnung sei. Ich nehme also den Federhalter und 
chreibe: Suname — Vorname — dann Seruf: Student usw. Als 
ch fertig bin, hebt er den Eintrag gegen das Licht, sieht mich 
chmunzelnd an und sagt „So ein hoher Herr hat doch noch nicht in 
neinem Hause logiert“, faßt meine Kechte mit der bernigen seinigen 
ind fügt hinzu: „Und wenn Sie wieder mal in de Nähe sind, 
ejuchen Sie mich wieder!“ Ein halbes Jahr später hab ich seinen 
»amaligen Wunsch erfüllt, übernachten bonnte ich nicht, da es früh 
im Tage war und ich noch ein gut Stück Arbeif vor mir hatte. — 
Das war im Frühjahr, als nach langer winterlicher Kuhezeit 
ieder Leben auf den Feldern war. Hier wurde Mist gebreutet, 
ort ackerte ein eben aus der Schule gebkommener Junge, drüben 
ah man die Drillmaschine in Tatigkeit, und auf der anderen Seite 
treute ein rüstiger Alter aus seinem Sätuch Samen adus. Asl— 
iese Rührigkeit zu sehen, läßt einem das Hoerz höher schlagen, 
ind ich freute mich von Herzen über den unermüdlichen Fleiß. 
n Gedanben versunben, bebam ich bald einen Keisegefährten in 
inem graubärtigen, aber noch wetterharten Sechziger, der die 
arten, Scholpen kleingeklopft hatte und nun der Mittagsuppe ʒu- 
trebte, die Hacke auf dem Kücken. Wie Pamen nach beiderseitigem 
reundlichen Gutenmorgengruß ins Gespräch, und der Alte mochte 
oohl merken, daß ich bein Handwerkbsbursche war. Bald waren 
vir vor dem Dorf, und ich mußte mich beeilen, wenn ich noch 
illerhand von meinem Nachbar erfahren wollte. Eben schlug die 
Uhr vom nahen Kirchturm elf Ahr, und gleich darauf lautete es 
Mittag, als mir einfiei, daß ja Mittwochs um diese Seit vielerorts 
ie Schule schon aus sei. Woilte ich also noch ein paar Kinder 
ũr meine Swoecke erwischen, mußte ich mein Marschtempo etwas 
eschleunigen. „Um elf Uhr ijt wohl die Schule schon aus?“ fragte 
ch. „Ja, aber nur für die Kleinen, die Großen sind bis um 12 Ahr 
rin.“ Das Gespräch war plötzlich auf die Schule gekommen. 
sch erbundigte mich danach, wiebiei Lehrer am Ort seien und wie 
ie hießen. Das alles berichtete er mir wobei sich herausstellte, 
aß ich den jüngsten ja auf der Seerdigung eines lieben Freundes 
ennen geleent hatte — und fügte auch noch hinzu, wie lange der 
inzelne schon am Orte sei und ob ihn die Leute gern hätten. 
Doch, plötzlich machte er Halt, guckte mir voller Hochachtung in die 
Jugen und sagte: Sie sind doch nicht der Herr Schulrat und wollen 
nal revidieren, ob hier oben in der Ecke alles ordentlich zugeht?“ 
Für etwas ganz anderes wurde ich an einem anderen Tage 
ehalten. In der Racht, die ich wie innmer in einer Wirtschaft, — 
iesmal in einer mit uralter, vielleicht taujendjähriger, knorpeliger 
zinde davor — zugebracht hatte, hauste ein fürchterliches Unwwetter. 
der Sturm zauste die Bäume, als wenn man unartige Jungen 
in den Ohren kriegt, dazu regnete es in Strömen, zu Noahs 
deit Lonnte es nicht viel schlimmer gewesen sein. Früh am Morgen, 
ls der Sturm sich gelegt hat und der Himmel sein Wajsser 
urch ein feineres Sieb läßt, sodaß es nur noch fijselt, nehme 
h den Wanderstab wieder zur Hand. Eine Stunde päter klopfe 
h an die Schultür eines in Ehren ergrauten Schulmeisters. Wie 
o manchmal, wird auch jetzt ein armer KReisjender draußen 
ehen und auf ein Almosen warten, denkt er, entnimmt seinem 
zeldbeutel ein Kupferstück, kommt allmählich vom Katheder herab, 
ffnet die Tür und streckt, ohne mich zu Wort kbommen zu lassen, 
zeine Kechte mit der „kleinen Gabe“ aus Aßper dann, welche 
eẽnttäuschung, als ich mich verneige, und meinen Namen nenne und 
u berichten anfange, daß ich von der Univorsität Marburg komme 
jw. usw. Schließlich lachen wir beide herzlich. Ich berichte ihm 
uf seine Fragen, daß im allgemeinen da, wo wichtige mundartliche 
Interschiede vorhanden sino. meist alte Grenzen vorliegen und 
war entweder zwischen Staaten oder Kreisen oder Aemteru oder 
uch Kirchspielen. Dann unterhalten wir uns darüber, wie es 
ommt, daß die Sahl der echten mundartlichen Wörter immer mehr 
bnimmt, daß der Verbehr. die Schule und gauch das Militär 
huld daran sind. 
Die Kinder waren auch hier mit Leib und Seele dabei, als ich 
hnen meine Fragen vorlegte, und ich merkte ihnen an, wie sie sich 
reuten, daß man ihrer Sprache so viel Interesse entgegenbrachte, ja. 
aß ihre Sprache über die „vornehme“ Sprache gestellt wurde. 
Demgegenüber bann ich auch eine traurige Beobachtung nicht 
erjchweigen, die ich häufig bei Erwachsenen gemacht habe. Wie 
ft habe ich erlebt, daß man es ängstlich vermied, mir die 
Vorte zu nennen, die ich suchte. Und wenn ich dreimal behauptete: 
Hier müssen die Leute statt Kabe Kra“ ARer „Krab“ sagen“, 
nmer wieder bebam ich zu hören „Kabe.“ Das hat mir in der 
eele leid getan! Warum schämt ihr euch? Seid ihr nicht stolz 
uf alles, was ihr von euren Elkern und Großeltern geerbt habt, 
uf Haus und Hof. Felder und Wiesen? And die Sprache eurer 
däter wollt ihr verleugnen vor einem, der sie so gut versteht wie 
yr, selbst? Ein solches Verhalten ist nur zu entschuldigen, wenn 
uch jemand gegenübersteht, der euch mit dem besten Willen nicht 
erstehen kann OWitzel.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.