Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Hause wohnte, mit in den Wald. Es mußte die Füchse „pringen 
machen“. Das besorgte Waldine ausgezeichnet. Bei einem solchen 
Tun ist sie denn eines Tages im „Bau“ stecken geblieben, betrauert, 
a beweint von mir und allen meinen Geschwistern. Schw. 
Schnurrpfeiferecien. 
Als ich noch ein Schuljunge war, begab ich mich, wenn so ein 
echter Knũllregentag war, wo man die Nase nicht aus dem 
Fenster stecken Lonnte — mein Großvater hat immer gesagt, daß 
es durch sieben Paar lederne Hosen regnet, wenn der Wind von 
Homberg bäme — allzu gern in unsere Kumpelecke. Das war 
ein Kaum auf dem Häusboden, wo die alten Sachen aufbewahrt 
wurden. Da herrschte so ein altertümlicher Geruch, den ich nicht zu 
deschreiben vermag. Sahlreiche Spinnen hatten zwischen den 
Balben ihre Netze ausgespannt, als wenn sie die Altertümer ver- 
schließen wollten. Da stand ein alter Säbel, den ein Siebziger 
aus Frankreich mitgebracht hatte. Er stammte von einem franzsö 
sijchen Kürajsier, dem wahrscheinlich der Arm abgehauen worden 
war im scharfen Kampfe. Man jsah noch die Parierhiebe und die 
tarken Lücken in der Schneide, die er sich beim, Daraufhauen 
geholt. Der Säbel enthielt auch eine mir damals unbekannte 
Injchrift. Im Geiste sah ich den harten Kampf, und darnach den 
armen Invaliden mit einer Hand. Daneben stand unser altes 
Fett⸗Hangelicht“, alt, sehr alt, aber jetzt vergessen, weil es der 
Petroleumiampe hatte weichen mũssen. Die Einführung der letzteren 
war nicht so einfach, wie manche denken. Suerst beschaffte sich der 
damals bestehende Gesangverein eine solche. Da man schon von 
Explosionen gehört hatte, jo klopfte den meisten Sängern doch am 
Abend vor Angst das Herz. Nur nicht so nahe bei das „Deiwels- 
licht.“ Es war auch zu heil, und viele Leute befürchteten, daß sie 
hlind werden würden. Die alte „Annels“ meinte, ihre Augen 
wären seit den ersten vier Tagen, wo die Lampe da war, schon 
biel schwãcher geworden. Sie Lönne die Liednummern am Sonntag 
in der Kirche nicht mehr lesen. Aber die Gespenster gingen vor 
allem nicht an das neue Licht. Bei „Kanzkurts“ war mal mitten 
während der Spinnstube das Licht von selber rund rum gemacht. 
Das war selbstverständlich die Alte gewesen, als sie vier Wochen 
tot war, und bei Schmidts war das Licht direkt von einem Gespensi 
ausgeblasen worden. Als dem Hirsch seine „Kalle‘ am, Abend 
nochmal mit dem Licht in der Hand nach der Siege habe sehen 
wollen, hatte der „Tellerhund“, der unter dem bleinen Brückchen 
sein Logis hatte, direkt darnach geschnappt, daß es gleich ausging. 
Das waär nun alles besser bei dem Pefroleumlicht. — An einem 
alten, rostigen Nagel hing der Ranzen, der abgenutzt war und den 
schon der Großvaker getragen, wenn er zum Homberger Weizen- 
markt ging, uin seine Ochsen zu verbaufsen. Wieviel „Karlinen“ 
mõgen wohl da rein- und rausgerutscht sein. Wieviel „Schawwes 
schmus“ mag er vernommen haben bei dem vielen Gehandel! Ja, 
der Homberger „Weesmart“, das war ein Fest, auf das sich alt 
und jung das ganze Jahr im voraus freute. Wenn ich doch 
auch einmal dieses sagenhafte Homberg hätte sehen Lönnen! Hinter 
dem Schemberg lags weit, weit dahinten, wo unser Heu beĩ der 
letzten Windhose, die über unsere Wiese gefegt war, hingeflogen 
war. Meine Mutter war auch hin zum Markt. Was wird sie mir 
mitbringen? Ich wußte selbst nicht, was. Aber was Schönes 
Sie bam; was hatte sie mitgebracht? Eine handvoll „Bollerchen“ 
Die ein König freute ich mich darüber; denn solche hatte ich noch 
nie gehabt! And sie schmeckten gerade so süß wie die gelben 
Schalen, die ich einmal unter Pfarrers Fenster aufgelesen hatte. 
Das waren Apfelsinenichalen qus Afrißa gewesen. Apfelsinen 
In der „KRumpeleck“. 
abe ich nie gesehen noch gegessen. Wer kannte die auch damals! 
And dieser Weltranzen hing nun da. Wenn er mir nun noch 
vas erzãhlen bönnte von Siegenhain, von der Irrlichtgeschichte, die 
nein Großvater mal bei dem „Neuen Teich“ erlebtl Und dann 
tand da eine richtige „Diebeslaterne“, die hatte der „Berliner“ 
nitgebracht, ein fahrender Geselle, der ein Tausendkünstler war, 
ich in unjerm Dorf niedergelassen hatte und das Schnapsglas am 
öchsten hob und am schnellsten leer hatte. Nachdem er so ein 
der zwei Jahre den Leuten die Stuben verschönert hatte — er 
var von Beruf Maler und Weißbinder — war eines Tages eine 
hõone Singeleiche, wobei wir das Anglück hatten, daß wir beine 
ö Pfennige bekamen, weil der lustige Berliner nichts hinterlassen 
atie als seine Schablonen, und die hatte der Wirt in Beschlag 
enommen. Aber die Diebeslaterne hatte er uns schon früher 
— 
iochmal in den Stall wollte, um nach dem Vieh zu sehen. Ein 
olches Ding benutzte man also in Berlin zum Stehlen, zum Ein- 
rechen! Im Geiste sah ich den rotbenasten Einbrecher, in der 
echien Hand das scharfe Messer und in der linken die Diebes- 
aterne. Schon sehe ich ihn aus dem Dunkbel des Hausbodens 
auftauchen, und schnell war ich die Bodentreppe hinumter. eiel 
XXiese. 
Will viel sjagen. 
Sarchen war das Anglũck geschehen, daß sie die ganze Treppe 
herabfiel. Und wie ein Häufchen Anglück lag sie unten. 
Ha erschien Moses, ihr Mann, auch auf der Bildfläche. Er 
tand oben auf der Treppe und fragte besorgt: „Sarche, bist de 
»aut?“ ODie antwortete: .Daut net. aber sprachlos.“ Schw. 
Schwer zu befriedigen. 
Annemarie, die Haushällern (Haushälterin) beim Spächtsbur, 
vollte Sulperkbnochen „ũberbringen“ (aufs Feuer setzen). Sagte 
ßrettchen, die Großmagd: „Mach noch in Knoche mih dðXbeil“ 
Mache noch einen Knochen mehr dabei.) Annemarie tat's. 
Aber, o weh, im Februar waren die Sulperknochen schon alle, 
die bis in den Sommer hinein reichen sollten. 
„Annemarie höt bee Endeeleng“ (Annemarie hat beine Ein- 
eilung) latschte Gretiche nun im Dorfe herum. 
Annemarie aber blagte, als ihr das Geschwätz zu Ohren 
rang: „Beim Geseng därf meesch allweil mache, bie m'r well, 
mmer eß falsch‘“. (Beim Gesinde darf man's allweil machen, 
pie man will. immer ist's falsch.) Schw. 
Ein Dummerjungenstreich. 
Die „Frau“ hatte schon die ganze Woche davon „geliert“, 
ie wolle bald mal „heim“, um ihren Vater zu besuchen. 
Am Sonntagmorgen in aller Herrgottsfrühe wurde deshalb 
die „Chaise aus der Wagenremise“ gezogen. Swei dicke Acker- 
jäule Lamen davor, und dann ging's mit den zwei Kindern, Karl 
ind Lisbeth, in langsamem Trott, dem bald der gewohnte Schritt 
olgte, dem Dorfe zu, aus dem die Frau des „Gutsbesitzers“ stammte. 
Ser Altweibersommer spann seine Fäden, und an der Straße 
Jlühten die Vogelbeeren im Sonnengold. 
Karl, der Junge, jagte: „Hannfrieder, du bannst mir 'n paar 
Oogelbeeren abmachen.“ Gutmütig, wie der Knecht mal war, 
tieg der auf den „Bock“, um die roten Dolden zu erreichen. 
88 in demselben Augenblick sagte Karl⸗ 
—W 
Die beiden Pferde zogen an, und Hannfrieder purzelte in 
die Gegend unter dem lauten Gelächter des Jungen, der gar nicht 
ihnte, daß so ein rechter Dummeriungenstreich von ihm geliefert 
porden war. Schwo. 
Vom Buͤchertische der Heimat. 
Carl Haeberlin, Blätter aus meinem Lebensbuche — 
Heimatscholien⸗Verlag, A. Bernecker. Melsungen. In Ganz- 
einen 3.50 Mb. 
In zwei Teilen (Wandern und Schauen, Tun und Leiden) 
gibt uns Dr. Carl Haeberlin, der zugleich Dichter und Denkbker ist, 
Slätter aus seinem Lebensbuche, aufs denen die Größe und Er— 
habenheit des Lebens nicht minder als die rätjelvolle Schönheit 
und das Schweigen des Todes dargestellt sind. „Wandern und 
Schauen“ in der ewig sich erneuernden Natur, auf, dem Gebiet 
—EV— 
geben iäglich neue, im Dienst der leidenden Menschheit notige 
Kraft. Diese Kraftquellen des Arztes sind Kraftquellen eines 
jeden Menschen, der jeinen Beruf mit Ernst und Hingaboe ergreift 
In „Tun und Leiden“ wird die bräfteperzehrende ärztliche Klein- 
irbeit, der Seele ebenso wie dem Leibe zugute bommend, in 
harabkteristischen Sildern gezeichnet, die sich in der Skizze „Blitz- 
chlag“* bis zu blassischer Einfsachheit und Größe steigern. Der 
Oerfasser schreibt eine gepflegte und beschwingte Proja. Sein Buch 
macht nachdenblich und schärft das Gewissen. Möge es das bei 
eechi pvielen tun und dem deutschen Volbe zum Heiltrank werden! 
Otto Blüse, Wandlungen der Seele. Gedichte. Heimat- 
chollen⸗Verlag, A. Bernecker, Melsungen. In Ganzleinen gebunden 
Preis 8. — Me. 
„Ich sehe in Ihnen einen neuen, verheißungsvollen Lyriker“, 
jo schrieb der bekannte Literarhistoriker Adolf Bartels an den 
derfaßer dieses schön gedruckten und vornehm gebundenen Buches. 
And in der Tatl In ihm stellt sich ein junger Dichter vor, dessen
	        
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