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Heimat Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst
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Erscheinungsweise 2 mal monatlich. Bezugspreis 1,20 Me. im Vierteljahr. Frühere J
Jahrgänge bönnen. soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-Derlag nachbezogen werden 5. Jahrgang
Heimat und Nationaldichtung 0 Von Will Scheller.
Der röomische Geschichtsschreiber Tacitus hat in sjeinem
Werk über die Deutschen den Satz geprägt: Frisia non
cantat, zu deutsch: die Friesen singen nicht, sie haben beinen
Sinn für das Schöne. Diese Behauptung, im ursprünglichen
Bezug und vor mehr als anderthalb Jahrtausenden vielleicht
berechtigt, inzwijchen aber zweifellos zur Kedensart herab—
gesunken, hat eine seichte Kulturbetrachtung von den Friesen
auf die Hessen übertragen; aus welchem besonderen Grunde,
weiß kein Mensch. Aber zumal bebanntlich nichts auf der
Welt auf so festen Füßen steht, wie der Irrtum, hat sich auch
dieses Schlagwort festgenistet im zeitgenössischen Tages-
geschwätz — dergestalt, daß ein Fremder, der es hört, leicht
zu dem Glauben verleitet wird, es gebe überhaupt bein
geistiges Leben und Schaffen in Hessen, in jener deutschen
Landschaft, deren Bewohner am längsten von allen deutschen
Stämmen an der von ihren Vorfahren, den Chatten, in ur—
geschichtlicher Zeit besiedelten Scholle haften. Und es ist in der
Tat ein solcher Ireglaube, obwohl schon ein flüchtiger Blick auj
die wirklichen Derhältnisse lehrt, daß eher das Umgebehrte
der Fall ist! Infolgedessen wird es den Wissenden als eine
Ehrenpflicht erjcheinen müssen, immer wieder gegen den Stachel
jenes Irrtums zu löcken und an seiner endgültigen Uber—
windung nach Kräften mitzuwirben. Dazu soll auch die
gegenwärtige Betrachtung einen Beitrag liefern.
Selbstverständlich Lann hier nicht von einer Heimatpoesie
die Kede sein, die sich darauf beschränkt, örtliche oder land-
schaftliche Interessen in gemeiniglich anspruchsloser Form zu
pflegen. Diese sicherlich gut gemeinten Erzählungen gern
geschichtlicher Art und Versfolgen, meist gemütlicher Prägung,
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literaktur angesprochen wird. Wie sehr auch immer ijene
Frzeugnisse der Förderung des Heimatbewußtseins dienen
nögen — sie verhalten sich zur lebendigen Dichtbunst ähnlich
vie das Moos, das am Boden üppig wuchert, zu den
Zäumen, die sich hoch droben im freien Kaum braftvoll und
vesentlich entfalten. Wenn von dem Anteil Hessens an der
eueren Dichtbunst in Deutschland gesprochen werden soll,
zann kann sichs nur um solche Autoren handeln, deren
erechtigter Anspruch auf Geltung über den Heimat—
»ezirk hinagus, weit hinausgeht, ganz gleichgültig, ob sie
ich in ihrem geistigen Tun mit diesem selbst befassen oder
ucht. Denn nicht das Gegenständliche entscheidet den Wert
ünstlerischer Schöpfungen, sondern allein die allgemein mensch⸗
iche Geistes- und Herzensbraft, mit der sie zum Besitztum
der Nation geläutert und gestaltet worden sind.
Auf diese Weise, aber auch nur auf diese Weise wandelt
ich die Heimat von einem lediglich gefühlsmäßigen Begriff
ur nationalen Macht. Es vollzieht sich hier eine geistige
Umwertung vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Ein—
amen zum Gemeinsamen, von der Gebundenheit zur Freiheit,
hne daß die lauteren Lebensquellen, die im heimatlich
Besonderen und Gebundenen strömen, dabei zu versiegen
rauchen. So läßt sich sagen: mag Deutschland auch viel
in äußerem Besitz verloren haben, ihm ist doch viel geblieben,
vas beine Swangsmaßnahme ihm entwinden kann — die
heimat in ihrer vielfältigen Erscheinungsform, und das, wenn
iuch häufig unbewußt webende geistige Schaffen der
hHeimat, das in seiner urlebendigen, reichhaltigen Lebensart
a die Grundlage bildet für das geistige Dasein des
janzen Volkbes. And je tiefer jemand von seinem heimat—
ichen Standpunkt aus eindringt in das geistige Dasein des
eufichen Volkes. um so größer ist sein Staunen über den