Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Der Gebrauch des Pfeifenmachens hat nach meiner Beobachtung 
zur Seit nachgelassen. Vielleicht liegt die Begründung darin, daß 
die Kinder jeßt fur wenig Geld sich eine bünstliche Pfeife erstehen 
Lönnen. 
Große Freude bereitet der Jugend das Ballspiel. Von den 
bielerlei Arfen unserer jetzigen Balljpiele interessiert hier nur das 
alte Schlagballjpiel.“) 
Ein wichtiger Tag für die Kinder ist der erste Gang zur 
Schule. Meistens schenkt der Pate dem Kleinen die ersten Schul- 
achen: den Schulranzen, die Fibel, die Schiefertafel mit Grijfel 
und Kästchen. Außerordentlich freut sich das Kind über die Sucker- 
düte.') Pfeilgeschwind eilen die Schuljahre dahin, das Kind wird 
Lonfiemiert. Sur Konfirmation erhält der Knabe oder das 
Mädchen das letzte „Angebinde“ von seinem Paten oder von 
einer Gotel. 
Allmaählich erwacht in den jungen Herzen beiderlei Geschlechts 
die Liebe und Suneigung, welche sich in der guten, alten Seit 
auf die gegenjeitige Wersschätzung und Achtung gründete. Wollen 
die Mädchen, welche die Kinderschuhe noch nicht ausgezogen haben, 
erfahren, wo ihr zukünftiger Schatz wohnt, so nehmen sie einen 
grünen Grashalm und drücken den Saft, von unten nach oben 
treifend, heraus. Bleibt das Safttröpfchen gerade oben aufsitzen, 
jo befindet sich der Schatz bereits im Himmel, neigt es sich dagegen 
nach der einen oder anderen Seite hin, so ist er in dem nächsten Orte 
borhanden, den das Tröpfchen durch die angenommene Kichtung 
andeutet. Wollen die Mädchen den Stand des Schatzes ermitteln, 
o rupfen sie die Kandblätter der weißen, großen Maßliebchen 
nacheinander aus und sprechen dabei folgendes VDerschen: 
„Edelmann, Bettelmann, Dobtor. Pastor. Krieger. Krämer, 
Schweinemajor.“ 
Der Stand des letzten Blättchens ist der des Schaßes. Den 
Grad der Liebe erfährt man, indem, bei gleichem VDerfahren, be⸗ 
tändig die Worte: „Er liebt mich, von Herzen, mit Schmerzen, ein 
venig, gar nicht“, bis zum letzten Blättchen wiederholt werden. 
Der Vorname des Schatzes wird dadurch ermittelt, daß die Mädchen 
otblũhendes Herzkraut in den Busen stecken. Der Name der⸗ 
enigen männlichen Person, der sie alsdann zuerst begegnen, ist der 
des Schatzes.)) 
Hat schließlich die Liebe zur Verlobung geführt und ist der 
Tag der Eheschließung bevorstehend, jo Lommt man zum Vorabend 
der Hochzeit, zum Polterabend. An diesem Abend pflegen die 
Kinder den Brautleüten irdene Töpfe vor die Haustür zu werfen.“) 
Jede Hausfrau hält es jür eine besondere Begüänstigung des 
Himmels, wenn sie bei dem Trocknen der Wäsche gutes Wetter 
jat. Ist die Wäsche die erste, welche nach der Hochzeit 
stattfindet, dann unterlassen es die Waschfrauen nicht, die junge 
Frau zu hänseln, d. h. einen mit Bändern geschmückten Blumen- 
strauß an ihren Arm oder an den Waschborb zu binden und dabei 
zu gratulieren, wogegen die Gehänselte in der Regel gern bereit 
ist, den erhaltenen Wink zu befolgen und den Waschfrauen ein 
angemessenes Essen zu verabreichen. Man glaubt nämlich in jedem 
glũcklichen oder unglücklichen Anfang einer Berufstätigkeit den 
glũcklichen oder unglücklichen Ausgang des gesamten Unternehmens 
borauszusehen. Daher ist die junge Frau, wenn sie zu der so— 
genannten Brautwäsche gutes Wekter hat, nicht nur sehr froh, 
ondern läßt sich auch, wie jeder, der eine Erstlingsarbeit nach 
Wunsch vollbringt, gern hänjseln. Um überhaupt sonst gutes Wetter 
beim Waschen zu bekbommen, ist es allgemeiner Gebrauch, alles 
eein aufzuzehren, was am Abend vorher an Speisen auf den Tisch 
Lommt.ꝰ) Denselben Sweck glaubt man erzielen zu können, wenn 
hehufs des Pfeifenmachens ein Vogel geopfert werden soll, so weisen die Steine 
usschließlich auf den in der Weide verehrten Donar hin; denn nur in den Mythen 
and dem Kultus dieses Gottes Lommen Stéine vor. (Seitschr. d. OV. f. hesj. Gesch.S.270.) 
6) Das alte Baͤllspiel ist auf dem Trebkamp nur vom Beginn des Frühlings an 
»is zum Fest der Himmelfahrt Christi, also nur während der Seit üblich gewesen, 
n welcher die Götter mit den Riesen um die Weltherrschaft streitend gedacht wurden 
ind, obgleich oft überwunden, doch endlich als Sieger in die Haine einzogen. 
Oergegenwärtigen wir uns nun, daß das Ballspiel ein altdeutiches Keiegerspiel ist, 
ind daß dramatische Darstellungen göttlicher Taten bei unsern heidnischen Voreltern 
ein wesentlicher, in zahllosen Gebräuchen noch jetzt vorkbommender Teil der Götter- 
»erehrung waren, so wird es baum bestritten werden bönnen, daß das in Rede 
tehende Spiel zur Seit des Götterglaubens eine gottesdienstliche Handlung war, 
velche den mit wechselndem Glück geführten Kampf zwischen den Göttern und Riesen 
darstellen sollte. (Seitsche. d. OV. f. hess. Gesch. Seite 286.) 
6) Das Verabsfolgen der Suckerdüte in dem Schulraum ist heute untersagt, da 
»on vornherein der soziale Anterschied nicht in die Kinder hineingetragen werden soll. 
7) Vorstehende Fragen wurden zur Seit des Götterglaubens ohne Zweifel an 
Donar gerichtet; denn dieser besondere Vorsteher der schönen Jahreszeit war der 
Hott des Grases, der Kräuter und der Blumen, desgleichen der auf eheliche Ver- 
»indung hinzielenden Liebe und des Kindersegens. 
8) Die Töpfe waren ursprünglich wahrscheinlich Opfertöpfe, worin das Opfer- 
nahl gebocht wurde, und die darum zu beinem prosanen Zweck mehr gebraucht 
verden durften. (Kolbe, Seite 168.) 
9) Dieser Brauch hat seinen Grund darin, daß unsere heidnischen Vorfahren, 
venn sie gutes Wetter haben wollten, den wettermachenden Gottheiten ein Bittopfer 
Hausfrau in die erste Hose, welche sie zum Trocknen aufhängt, 
acht. 
ODon einem Menschen, der zuweilen allerlei tolle Streiche 
nacht, pflegt man zu sagen: „Der hat alle neun Unglücker“ oder 
alle neun Teufel im Leib.“ 0) 
Sterben ist das Los alles Irdischen. Ist ein Familienglied 
uf das Kranbenlager geworfen worden, und träumt den Ange— 
örigen von reifen Swetschen, die man vom Baume nimmt, oder 
om trüben Wasser und Sahnausgfallen und ruft schließlich der 
Totenvogel, das Steinbäuzchen, seiln „Kiwit“, dann Lehert der 
kod bestimmt ein. Ist ein Familienglied soeben verschieden, so 
ird jede laute Außerung des Schmerzes eine Seit lang gewalt— 
am zurückgehalten. Es geschieht dieses, weil man glaubt, das 
Veinen der Hinterbliebenen erschwere es der vom Diesseits ge⸗ 
hiedenen Seele, das Jenseits zu gewinnen.) 
Die erste Tätigkeit, die von den Hinterbliebenen nach dem Tode 
ines Menschen vorgenommen zu woerden pflegt, besteht darin, 
illes anzurühren oder in Bewegung zu setzen, was an ktoten und 
ꝛbendigen Dingen im Trauerhause vorhanden ist.“) Man nennt 
as den Tod ansagen. Geschieht das nicht, so nimmt alles Schaden, 
tirebt oder verdirbt. Dagegen wird die Wanduhr des Sterbe— 
immers sofort zum Stillstand gebracht, bis die Leiche aus dem 
dause ist, denn die Lebensuhr ist abgelaufen. 
Soll der Tote die Lebenden nicht nach sich ziehen, so darf 
ein Name eines solchen in dem Leinzeug bleiben, das der Tote 
nit in den Sarg bekommt. Ja, nicht das Geringste von einem 
jJejunden Menschen darf ihm dahin folgen. Darum bnüpft man 
uuch bei dem Nähen des Totenkleides beine Knoten in die Fäden, 
aß nicht etwa durch Befeuchten der Finger mit dem Speichel eine 
Zerũhrung stattfände und so etwas von einem lebendigen Menschen 
nit begraben würde. Wird nämlich der Familienname oder nur 
er erste Buchstabe desselben mit beerdigt, so glaubt man, die 
Janze Familie stürbe binnen burzer Seit an jiener Kranbheit des 
Entschlafenen aus.') 
Am dritten Tage wird der Entschlafene zur Ruhe gebettet, die 
Anverwandten und Freunde geben ihm das letzte Geleit. 
So haben wir den Kreis der volbskbundlichen Anschauungen 
ind Gebräuche in ihrer Verknüpfung mit dem Menschenleben von 
er Wiege bis zum Grabe durchlaufen und insonderheit die hervor⸗ 
ehoben, die in Homberg a. d. Efze noch erhalten geblieben und 
ebrãäuchlich sind. Auffallend mag erscheinen, daß sich fast alle 
ßebräuche und Anschauungen, die Gegenstand diejser Abhandlung 
ind, auf Donar beziehen. Die Begründung liegt vielleicht darin, 
aß über ꝰ/10 der Hessen, als dem Stand der Frilinge angehörig, 
wienne in Donar ihren Haupt- und eigentlichen Standesgott 
erehrten. 
Am Herrenteich. 
Aus ihm lassen im Lenz und Sommer sortgesetzt die Frösche 
hr Lied ertönen, Wasserjungfern (Libellen) tanzen um ihn im 
Zeigen, und nachts zwischen elf und zwölf Uhr blagen die Wasser- 
—E 
erde, die Schafe werden von einigen handfesten Männern gewaschen. 
Ab und zu macht die Schnapsflasche die Kunde zwischen den Schaf⸗ 
oäschern, ist es doch noch schuckrig kalt im Wasser ... Es ist 
zsommer. Wärmend wandern die Strahlen der Sonne zur Erde. 
arbrachten und bei den damit verbundenen Opferschmäusen alles in einem Grad 
ufzehrten, daß sie sogar die Näpfe ausgeleckt zu haben scheinen. (Seitschr. d. V. j. 
ess. Gesch. Seite 8308.) 
10) Diese personifizierken Unglücker erinnern an die neun in das Geschlecht der 
euflischen Kiesen und Elben gehörenden Krankheiten; desgleichen an die neun 
jungfrauen, die, nach dem Fiölsvinnsmal gegen Kranbheiten angerufen, vom Christen- 
um zu teuflischen Wesen herabgedrückt wurden. (Seitschr. d. V. j. hesj. Gesch. S. 828.) 
11) Dieser Glauben bildet einen wesentlichen Teil des nordischen dritten Helgi— 
edes und darf demzusolge als heidnisch bezeichnet werden. (Seitsche. d. V. f. hess. 
hesch. Seite 330.) 
i2) Vielleicht haben wir hier den Kest einer Feier vor uns, die einstens zu Ehren des 
idas Haus eingebeherten Todes stattgefunden haben mag. Nämlich der Tod war 
nseren heidnischen Voreltern ein persönsicher menschenfreundlicher Diener der Götter. 
zein Amt bestand darin, die Seelen der Verstorbenen abzuho len, um sie an den 
det ihrer Bestimmung zu geleiten. Das Christentum machte ihn zu einem menschen⸗- 
eindlichen, gejpenstigen Wesen und gab ihm den Namen Sensenmann oder Meister 
lapperbein. (Zeitsche. d. V. fs. hesß. Gesch. Seite 332.) 
18) Worin alles das seinen Grund hat, ist noch nicht hinlänglich aufgehellt. 
⸗oviel ist gewiß, erstens, daß die Namen unseree Voreltern, weil sie die Eigentümlich- 
eiten der betreffenden Person ausdrücken, das Wesen derselben gleichsam in sich schlossen, 
nd zweitens, daß alles, was den Helweg betrat, der Todesgöttin verfallen war, und 
ierzu scheint man die Personen zu rechnen, von denen ein Teilchen ihres Schweißes 
der Blutes an den beerdigten Sachen klebt. Wahrscheinlich galten ein oder mehrere 
Buchstaben des Namens im Sinne der Runen für die damit bezeichnete Person, 
ind zwar, weil der Einnäher oder Seichner während der Verfertigung an die be— 
reffende Person hatte denken müssen. Demnach bönnte der Schwerpunkt des in 
dede stehenden Brauchs darin liegen, daß, wenn eine Handlung begangen wied, 
ei der man eine gewisse Person fest in seinen Sinn faßt, die Handlung dadurch auf 
— Einfluß bekommt, sie als ihren Inhaͤlt in sich schließt. (Hess. Seitschr. 
Seite 38.
	        
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