Sonntagsstill ist das Dörschen, kaum ein Mensch läßt sich blicken,
Sescheid zu geben auf, unsere Frage nach dem Wege. Die Häuser
imdrangen das Kirchlein, dessen Sugangsweg einem schmalen, grün
berwachsenen Laubengange gleicht. Seim Verlasjen des Dörfchens
perschũiten uns die Wolken mit ihrem unerwünschten Segen. Doch
rabt das die Stimmung nicht. Steil geht's hinter dem Dorf den
Pfad zur Höhe hinauf. Oben lächelt wieder die Sonne. Sur
inken laucht der Blick in ein schluchtartig tiefes, herrliches Waldtal.
Am Wegebreuz trennen wir uns. Die enen wenden sich links nach
der Franzosenstraße, der alten Grenze zwischen dem Hessengau und
der khũringischen Germaramarb, wir anderen steigen nach Wollstein
hinab. Woilstein, das verlassene Dorfchen — wie lange schon war
das Siel meiner Wanderwũnschel Wie oft schon ließ ich mir
‚on ihm erzählen: wie es in den siebziger Jahren von jeinen
Sewohnern, die nach Amerika gingen, verlassen wurde wegen
einer Hoͤhenlage, die das Scharwerken des Landmanns mit kargen
Ertirãgen iohnte; wie im verlaßsenen Kirchlein ein Glöckchen hing,
das seine Stimme ũber die Wälder erschallen ließ, wenn ein Wanderer,
der sich in diese Welkabgeschiedenheit verlief, am Glockenstrang zog.
Lange Seit wohnten nur ein Knecht und eine verwitwete Frau als
Magd in Wollstein, bis sie im Weiltkrieg sich endlich entschlossen,
einander zu freien. Doch bedangen sie sich aus, daß sie nur im
Wolisteiner Kirchlein und nicht anderswo getraut werden wollten.
Und so geschah es dann auch.
Die Feidmark, die wir durchschreiten, bann nur karge Ernten
penden. Nur als Weidefläche wird sie einen Ertrag abwerfen.
Hrundwasser sickert an allen Stellen hervor und rieselt ins Tal
inab. Wir bommen näher. Im Hohlweg, der zum Gutshof führt,
zrhebt sich am Steilhang ein alter Sirnbaům, der alle jeine Wurzeln
einwendig in die Wand des Weges jchlägt und so den Stamm fest
überm Bodenlosen hält. Erdbeeren laden späireif zum Genuß,
ꝛrmangein aber der kLöstlichen Sũße dieser Frucht.
Das erste Haus am Eingang zum Gutshof steht noch von
rüher her; doch mußt' es innen von Grund auf erneuert werden.
Auf seinem vorspringenden Mauerrand sehnt noch die alte Gemeinde⸗
afel· Dorf Woillstein Kreis Wißtz enhaujen Kegierungsbezirkb
Casßsel.“ Darũber hangt die neue Tafel an der Wand: „Gut
Soslsiein Kreis Wikenbausen Kegierungsbezirk Cassel.“ Erst der
Oberbaufungen: Chor der Stiftskirche.
Anblick dieser Tafel läßt uns wirklich glauben, daß Wollstein ein
Dorf gewoejen ist, richtiger ein Doͤrschen, das sogar eine Schule
hatte, die jetzt noch steht und einem Knecht als Wohnung dient.
Auch das Gutshaus, ein sauberer Fachwerbbau, stammt aus den
ierziger Jahren und sieht in jeinem Weiß ganz sonntäglich aus.
mütlen auf dem geräumigen Hof, den praktijch angelegte Scheunen
nd Stallungen umgeben, stäubt ein Wassersirahl in ein gußeisernes
Secken. Vom sorgsam gepflegten Garten aus, den wir unter liebens⸗
durdiger Führung der Gutsherrin besichtigen dũrfen, bietet sich eĩn
Slick kalab auf ein Idyll in waldumschlossener Einsamkeit. Hohe
Pappeln rahmen einen Steilhang ein, wo eine Herde schwarz und
deiß gefleckter Friesenbũhe weidet. Der Wald teitt nah heran.
Am Abend, wenn der Mond im Osten aufsteigt, muß dieses Land⸗
chaftsbild das Herz zur Andacht stimmen.
Dir treten auch ins Kirchlein ein. Wie blein und fein! Und
var doch vor wenig Jahren noch ganz verwahrlost und verfallen. Am
Soden wuchs das Gras. Die neue Gutsherrschaft ließ das bleine
dosteshaus in wũrdiger Weise wieder herstellen. Den Altar mit
dem Krugifixus zwischen hohen Kerzen schmũcken heute Asternstrãuße.
Auch vor dem Bilde Dr mit dem gnadenreichen Herzen duften
olche Blumenopfer. as alte Glochlein möcht' ich sehen. Wir
eigen hinauf. Doch jehlt die Treppe, die von der Empore zum
urm führt. Auf eines Wanderfreundes Schulter steigend, erreich'
h das Gebälk und blimme bis zum Glöcklein. Es ist nicht mehr
Is aite; pielleicht hat das der Krieg geholt. Ein neues Glöckchen
ãngt im Turm. Es trägt die Inschrift „Ave Maria“ und die
ahresʒzahl 1921. Auf dem Balken über der Kirchentũr steht zu
esen: „Dieser Kirchenbau ist erbaut durch den Zimmermeister
hartung 1821.“ Da⸗
aals muß also die
leine Gemeinde
oirtschaftlich nicht
llzu schlecht gestellt
ewesen jein; denn
in Kirchenbau, und
ei er noch so klein,
efordert Kosten.
weifellos stand
uch vor 1821 hier
hon eine Kirche.
kin bleiner Grab-
tein auf dem Kirchhof
rägt noch deutlich
2s8bar die Jahres-
ahl 1523. So hat
iuch dieser stille
Valdwinkel seine
heschichte, wenn sie
uch im Dunbeln, im
dergesjen liegt.
Talauf dem Wald
ntgegen! Der Hafer
teht noch auf dem
dalm und wartet lan ·
je schon auf Sonne,
im zu reifen. Den
Valdweg, den wir
un betreten, jäumen
Veymouthsbiefern
mit langen, zarten Nadeln. Wir biegen bald vom Wege ab und folgen
inem Pfade zu den Großen Steinen, die das Volb auch Hollensteine
jennt. Grotesk gestaltet, mit Vorsprüngen gleich den Köpfen vor—
intflutlicher Tiere, ragen die mächtigen Zechsteindolomitfelsen empor.
dem ANuge bietet sich der Anblick des herrlichen Waldbereiches
wischen Wohra und Schemmerbach, jal· und schluchtenreich, hier
ind da mit Lleinen Ausschnitten aus den scholienbraunen Dorf
emarkungen. In der Ferne hebt sich der Steilabsturz des Heldra⸗
leins gegen den regenwolbengrauen Osthimmel ab. And drũben
vdlbt sich der Frau Hollen·Serg, der jagenklangumrauschte Meißner.
Ein unvergleichlich schöner Ausblick auf Hessens grũne Wãlderwogen,
die hier und dort in einem hohen Wellenberg zusammenschlagen.
Im nahen Keichenbach winki frohe Einbehr; sͤe gibt Erfrischung
ind Erholung von dem Auf und Ab der Wege. Dann steigen
vie zur hochgelegenen Ordensbirche hinauß, wahrscheinlich auf den
ßrundmeuern einer alten Klosterbirche errichtet. Der Turm wirbt
nassig wie ein Bergfried. Er deutet darauf hin, daß die Kirche
zinjt befestigt war. Die Schönheit des romanischen Gotteshauses
nit seinen wuchtigen SGäulen und reichverzierten Kapitellen wird
est durch bunstverständige Ausmalung voll zur Geltung Lommen.
Zeim Verlaßsen des Dorfes in der Kichtung auf KRuine Reichenbach
mtdecken wir an einem der leßlen Häuschen eine sinnige Haus ⸗
nichrift: „Wenn auch unser Heim nur blein,
Gottlob, daß wir zufrieden sein.“
Auf gemächlich ansteilgendem Weg bommen wir dem Siele näher.
doch vor dem Aufstieg bietet sich von einem Kahlhieb rechts des
Veges ein lohnender Slick auf die Lichtenauer Hochfläche, auf
friedrichsbrũck, den Kaufunger Wald mit Silstein und Hirschberg,
uf Rommerode, Sahnhof Walburg, Velmeden und Laudenbach,
ausen am Meißner und Hopfelde. Dann weiter aufwärts! VDon
er Waldwiese unterhalb der Kuine wendet sich der Blick zurück:
Sonnenschein Dorf Reichenbach mit jeiner hohen Kirche vor
inem Bergsaltel, der vom bahlen Kindelberg zum Eisberg streicht;
in kannendunkler Höhenrũcken riegelt fern den Soergpaß ab und
jibt dem Dorf den großen Hintergrund. Darũber taucht der Kinggau
uf; scharf zeichnel sich die Boyneburg ins silbergraue Licht.
Der Bergfried der Kuine ist gesperrt, weil jein Besteigen
oegen Baufänigkeit nicht ungefähelich ijst. So muß der Wanderer
uf den Ausblick, der sich hier nach allen Seiten bietet, zu seinem
deidwesen berzichten. Was sonst an bärglichen Trũmmerresten noch
Oberbaufungen: St. Georgsbirche.