über seine Heirat. Jahrzehnte vergingen, und der Krieg
ram. Feiedrich Wilhelm brauchte nicht mehr mit in den
Kampf hinauszuziehen, er war eben der Militärpflicht ent-
onnen. Sein Geschäft lag jedoch sofort mit dem Kriegs-
rusbruch danieder, und jetzt dachte er manchmal doch wieder
an seine Heimat mit den gesegneten Fluren, die auch in
den schlimmsten Hungerjahren den fleißigen Dorfbewohner
ernährten. Gerne wäre er in den mageren Jahren 1917
ind 1918 einmal zum Hamstern in sein Heimatdorf ge—
gangen, doch scheute er sich und besuchte dafür ländliche
Hegenden, in denen er wenig oder gar nicht bebannt war.
Friedrich Wilhelm war ein großer Obstfreund. Er hatte
eine besondere Vorliebe für gute, saftige Swetschen. Nun
gab es aber in der ganzen Gegend Leine schöneren und
zesseren Swetschen als in seiner Heimat an der Lahn.
Schon mehrmals im Herbste wollte er den Bann brechen und
nach langer, langer Seit wieder seinen Geburtsort aufsuchen.
Doch hielt es ihn immer zurück, als wenn diese Keise nichts
Hutes für ihn bedeuten sollte. Endlich, im Herbste 1028,
dem schiimmsten Jahre der Geldentwertung, stopfte Friedrich
Wilhelm seine Brieftasche mit gesammelten, vielfach ent
vperteten Milliardenscheinen dick voll, schulterte den Hamster-
ack, nahm den Krückstock zur Hand und wanderte seiner
Heimat zu. Allerlei Gedanken beunruhigten ihn unterwegs.
Vie wuͤrde er aufgenommen werden? Was würden die
wohlhabenden Bauern zu ihm, dem armen Städter, sagen?
Doch der Hunger nach einem saftigen Swetschenkuchen und
die Freude über einen schönen Topf Zwetschenmus siegten
iber alle Bedenben: Friedrich Wilhelm marschierte richtig
ein in die Hauptgasse seines Heimatdörfchens. Es erging ihm
anfangs bejser, als er vermutet hatte. Das ganze Jungvolk
rzannte ihn nicht, und manchem Bauern war er aus den
Augen gerückt. Der eine und der andere Hof hatten auch
n der langen Seit seiner Abwesenheit die Besitzer ge—
vechselt, und so klopfte er, innerlich ganz zufrieden und un—
»ekümmert, bei einem solchen Sugezogenen an und fragte
anach Swetjschen.
Allein der einst die Bauernarbeit verachtende, heute
hüteverbaufende Städter sollte seinem Schicksale nicht entgehen.
Nachdem ihm der fremde Bauersmann einen Korb mit
ʒwetschen verbauft hat und Friedrich Wilhelm die mit allen
Sorten Geldscheinen gespickte Brieftasche hervorholen will,
ehlt die dicke Tasche. Er ringt die Hände, jammert und
lagt und sucht in größter Bestürzung den ganzen Hof des
Zauern ab. Der verfolgt mißtrauisch das Gejammer und
ßetue des Fremden, hält die Swetschen zurück und schickt
hn, um ihn los zu werden, zum Bürgermeister zur An—
jeldung seines Verlustes. In höchster Erregung vergißt
friedrich Wilhelm alle Bedenken, stürzt zum Ortsgewaltigen,
ibt sich zu erkennen und fleht um Hilfe in der Herbei—
haffung jeiner Brieftasche. Doch der ist ein Schalk, er
ennt den alten Müßiggänger von ehemals, gibt ihm die
Detsschelle in die Hand und sagt: „Ja, der Ortsdiener ist
uͤcht da, Wilm, hier nimm die Schelle in die Hand und
helle deinen Verlust selbst aus.“
Gesagt, getan. Friedrich Wilhelm schwingt die Schelle,
aust durchs Dorf, bleibt alle fünfzig Schritte stehen und
erkündet: „Armer Mann, wo Quetsche baufe wollt, verlor
uf dem Wege ins Dorf seine Srieftasche.“ Immer schneller
juft der Gehetzte, immer hastiger schellt er aus, immer
ufgeregter wird er und rust jetzt: „Armer Mann, wo
duetsche baufe wollt, verlor auf dem Wege ins Dorf seine
Zzrieftasche. Armer Mann geht ins Wasser.“ Die Orts-
ijassen, erstaunt ob dieses neuen Ortsdieners und der seltenen
zekanntmachung, stecken die Köpfe zum Fenster heraus,
ymmen auf die Straße und ergötzen sich an dem wild schellenden,
ꝛemden Manne. Der wird zuletzt heiser, rennt von Gasse
u Gasse und ruft nur noch: „Armer Mann — Ouetsche
Masser!“ Der mittlerweile zu den erstaunten, lachenden
Zauern tretende Bürgermeister blärt diese über die Person
es neuen Ortsdieners auf, und alle Dorfbewohner begleiten
un unseren armen, in höchster Erregung befindlichen Friedrich
Vilhelm mit der Schelle durchs ganze Dorf.
Mutlos und entbräftet sinkt er endlich an einem Orts-
usgange nieder, ruft noch einmal: „Armer Mann — WMasser!“
birft dann die Schelle weg, rafft sich auf und läuft sporn—
reichs der Lahn zu. Die Bauern eilen ihm nach, einer
„ält ihn am Schlippenrock fest, faßt dabei ein Knäuel und
ieht vor den Augen des gänzlich zerknirschten Friedrich
Vilhelm die dicke Brieftasche heraus. Da lachen alle aus
ollem Halse und sagen, er ist noch der alte Sterngucker.
Friedrich Wilhelm hört nur noch Sterngucker, verzichtet
uf die schönen Swetschen und macht sich eilends aus dem
5taube.
Aus alter Seit.
Stijt Kaufungen.
(Su seinem o00jahrigen Bestehen.)
Mit 4 photogr. Aufnahmen von W. Muhr.
Wo die Losse ihr schönes, wiesenumjäumtes Waldtal verläßt,
im der Fuldaebene zuzustreben, grüßen vom letzten Auslãufer des
zunkbeln Sergwaldes die Gebäude des Kaufunger Stifts mit der
langgestreckten Kirche ins Tal hinab. Es gibt wohl Leinen Ort in
der naheren Umgebung Cassels, der größeren Anspruch auf ge—
chichtliches und bunsthistorijches Interesse machen kLönnte. Ist doch
cin Name verbnũpft mit demjenigen eines deutschen Kaisjerpaares,
dem die Glorie des Heiligenscheines verliehen wurde. Heinrichs II.
ind seiner Gemahlin Kunigunde.
AUber die ältesten Anfaͤnge Kaufungens ist nichts bekannt. Es
teht jedoch fest, daß der Ort schon im frühesten Mittelalter eine
edeutende Rolle gespielt hat. Dies besagt schon jein Name
Capungun“, der darauf schließen läßt, daß es ein alter Kaufplatz
Jewesen sein muß. Hier durch das Lossetal jührte die uralte Handels-
sraße, die das Werratal mit dem Sachsenlande verband. Auf ihr
purde vornehmlich das Salz aus Allendorf ⸗Sooden herübergeschafft,
im in Kaufungen gelagert und verkauft zu werden.
Hermutlich war schon unter Ludwig dem Frommen in Kaufungen
in Frauenkloster gegründet worden, das im Jahre 983 von den
infdllenden Ungarn Zerstört wurde, und tatlächlich sind auch auf
em nahen Hexenberge Reste einer alten Siedlung aufgedeckt worden.
die späteren Kaiser besaßen dort bereits einen Salhof, eine baiser-
iche Pfalz, von der noch Reste vorhanden sind.
Seine Berũhmtheit erlangte Kaufungen erst durch die fromme
raiserin Kunigunde, die den einsamen, zwischen bewaldeten Sergen
elegenen Sahof mit Vorliebe aufsuchte, um sich hier im Dereine
ut gleichgesiniten Frauen der Stille eines gottgeweihten Lebens
inzugeben. Als dann im Jahre 1008 Kaijer Heinrich II. von der
eichsstagung zu Merseburg zurückbehrte, um mit seiner Gemahlin
as Himmelfahrtfest zu begehen, fand er, daß die Erträgnisse des
ur Pfalz gehörenden Meierhofes den Unterhalt der Kaiserin und
rer Unigebung kaum zu bestreiten vermochten. Er beschloß daher,
re den Guüterhof zu Eassel durch Schenkung zu übertragen und
ellte zu Ingelheim eine Urkunde hierüber gus. Hierdurch wurde
er Buͤrgsitz zu Cassel seiner wesentlichen Stũtze beraubt, und wahr⸗
heinlich wãre die Entwicklung der alten Chassalla eine ganz andere
worden, wenn jene Schenkung nicht erfolgt wäre. Denn die
aßeler Pfalz hatie hierdurch an Bedeutung verloren, weil sie den
Anforderungen des Unterhalts nicht mehr gerecht zu werden ver—
nochte und besonders, weil der Kaiser es vorzog, auf, der Kaufunger
Raiz Hof zu halten; verbrachte er doch alljährlich hier das Oster-
nd Weihnachtofest, und zu verschiedenen Malen stellte er hier
lrkunden aus. Als nun Kunigunde, von einer schweren Krankheit
Falsen, in Kaufungen Genesung fand, glaubte sie ihrem Danke
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