Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

— 
Auf Heimatwegen. 
Homberg an der Efze. 
Mit Aufnahmen von Walther Goebel. 
II. 
Ein Blick in die Pfarrstraße auch vom andern Ende, von 
Nordwesten her, ist, wie Abbildung 53 zeigt, ganz besonders schön. 
Die Aufnahme ist vom 
Hrundstück unserer Taub— 
stummen-Anstalt aus ge— 
macht. Das Bild hat den 
rinen großen Fehler, den 
auch die andern mehr oder 
veniger aufweisen: es feh⸗ 
en die Farben. Darum 
empfehle ich dieses Eckchen 
Janz besonders unseren 
Heimatmalern als danb— 
bares Motiv! Die beiden 
alten, fast zweihundertjähri⸗ 
gen Häuschen warten förm— 
ich darauf, daß sie einmal 
in eine Künstlermappe ge— 
holt werden. 
In dem oberen Eckstüb— 
chen des vorderen Hauses 
wohnte hinter Geranien— 
fenstern ein uraltes, ge— 
chãftiges Maännchen mit 
oollem, weißem Bart und 
diederem, gutmütigem Ge— 
icht. Ansere Kinder liebten 
es und erblickten wohl in ihm 
den alten, guten Weihnachts⸗ 
nann. Wenn der Alte im 
charakteristischen, verwitter⸗ 
ten, braunen Filzhut — ein anderer würde zu dem Bilde überhaupt 
nicht passen! — von der Bastelarbeit aus Garten und Feld heim 
behrte, ein großes Bündel dürrer Aste für den Herdbrand über 
der Schulter, mußte ich jedesmal an das altke Bechsteinsche Märchen 
denken von dem Mann mit der Reisigwelle, den der liebe Gott 
in den Mond versetzte. Im Gegensaßz zu diesem hat unser Groß— 
väterchen nur die Gabe, sich den lieben Sonntagmorgen schöner und 
gemütlicher zu gestalten, trotzdem es seinen Baushalt ohne jede 
Arbeitsteilung führen muß. Einsam wandert der Alte durchs Leben 
Seit 33 Jahren ist er Witwer, und seine Kinder leben weilweg von 
hier. Sein Mittagbrot bocht er sich selbst. Seine Wäsche muß er 
allein waschen und ausbessern. Auf einem Bindfaden vor dem 
rechten Fensterchen hing gewöhnlich die bescheidene Trockenwäsche. 
An warmen Abenden aber sah man regelmäßig eine lange Pfeife 
da heraushängen. Großvater im runden, schwarzen. blumendestickten 
Wandern wir zusammen die Bischofstraße und dann durch 
ine der beiden Krempelgassen zum Märktpiatz (Abb. 6) hinab. 
inks sind die vier eigenartigen alten Wohnungen unter dem 
Ziechplatz, die augenblicklich Geschäftsleuten der Stadt als Lager⸗ 
äume dienen. Ich hatte von diesen Wohnungen bereits ge· 
prochen. — AUber dem Spitzbogeneingang der am weitesten rechts 
elegenen führen beiderseits 
reppen hinauf. Die Stufen 
ereinigen sich unter dem 
Zlätterdach der Kirchen⸗ 
nde in einer altanartig 
usgebauten Plattform; ein 
fleck, wie geschaffen als 
ednertribüne bei Volks— 
ersammlungen unter freiem 
»immel. Vor zwei Jahren 
ind hier eine allgemeine 
RNotestversammlung statt, 
achdem die schmachvollen 
Zedingungen des Versailler 
friedens bekannt geworden 
oaren. Selbst in den Wipfel 
es alten Baumes, der 
offentlich in nicht allzufer⸗ 
er Seit wieder frohere, frei⸗ 
re Menschenmengen festlich 
nter sich vereinigt sieht, 
yaren jugendliche Suhörer 
estiegen. 
Dasselbe erhebende Bild 
rschaute die alte Linde am 
0. November 18883 (die 
dierhundertjahrfeier von 
Martin Euthers Geburts- 
ag, 10. November 1488). 
Ein schmuckes, mit Holztäfelchen bebleidetes Häusel schließt sich 
echts an; zierlich, wie aus einer Holzschachtel herausgegriffen; so 
echt geeignet für den heĩmatlichen Wodellbau in unsern Schüler⸗ 
verbstätten. 
Dahinter zweigt sich die Obertoerstraße vom Warbtplatz ab. 
die in ihrer Verlängerung vor dem Tore über Wöeshausen nach 
Meljungen oder nach Spangenberg führt. 
Swischen dem Lindengeäst über den Treppenstufen blickt unser 
Kathaus durch, das wir uns noch genauer ansehen wollen. Wir 
teigen deshalb noch einmal hinauf auf den Kirchplatz. 
Im Schatten der Linde liegt das mit einem Wimperg gezierte 
Züdportal unserer Kirche (Abb. T). üuber der “mittleren 
reuzblume ist in einer kleinen, rechteckigen Nische ein Mutter⸗ 
Jottesbild — eigenartigerweise ais Kundbogenfigur — eingelassen 
Abb. 6: Kirchplatz vom Marbt aus. 
Abb. 8: Altes und neues Kathaus. 
Sammetläppchen blies nach vollbrachtem Tagewerk blaugraue, nach 
Tabab- und Waldmeistermischung duftende Kauchwölbchen und mit 
ihnen all die bleinen Sorgen in die Dämmerung hingus. Von 
einer mustergiltigen Ordnungsliebe erzählte alles in dem bleinen 
Hauswojen: jedes Gerät, jedes Mobel, jedes Wäschestück, bis ins 
bleinste. Ich wünschte manchem einen Blick in das stille, schmucke 
Stübchen des alten Heren! 
Wenden wir uns nach rechts weiter, so erblicken wir (Abb. 8) 
inter der mittleren Linde ein hohes, schönes Gebäude, das bereits 
m Jahre 1582 erbaut worden ist. Es ist unser altes Rathaus. 
dängere Seit war es nach NAufgabe seiner eigentlichen Bestimmung 
ils Schule eingerichtet und dient jetzt seit annähernd einem Jahr⸗ 
undert dem zweiten Pfarrer als Dienstwohnung. Eine unterkeliette 
Straßenerhöhung bildet einen besonderen Vorplakß.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.