Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

logische Bestimmung des Storches glauben, mit dem, Bemerben 
berabreicht wird, das Neugeborene habe es mitgebracht. In den 
ersten Tagen nach der Geburt statten befreundete Frauen der 
Wochnerin einen Besuch ab, um ihr und dem Kinde Glüchk zu 
wünschen.“) 
Dabei ist es Sitte, ein Geschenb für das Kind mitzubringen 
FJäckchen, Hemdchen usto.). Abwechselnd ũberreichen auch die 
hefreundeten Frauen der Wöchnerin die sogenannte „Wochensuppe“. 
Sis vor kurzem war es Brauch, daß der Vater der Eller oder 
Hebamme in das erste Badewasser ein, Geldstũck als Angebinde 
warf. Dieses Herausnehmen des Geldstückes nannte man auch 
sijchen“. Während der ersten Tage nach der Geburt vermeiden 
die Hausangehörigen auf das Fragen fremder Frauen dreimal 
hintereinander mit, Ja“ zu antworten, da sonst die Hexen dem 
Findlein die Milch nehmen bönnen. Vor der Taufe vermeidet 
man, das Kind mit seinem demnächstigen Namen zu rufen und 
nennt es in der Seit „Heidewölfchen“. 
Freunde, Nachbarn oder Bebannte haben sich inzwischen den 
Paten bestellt oder füũr den Fall, daß der Storch ein Mädchen 
gebracht, die Gotel. Ist der Pate oder die Gotel gewählt, jo werden 
zie RNamen des Kindes beraien und festgestellt. Schließlich schreitet 
man dann zum heiligen Taufabt. Es ist Sitte, daß der Pate oder die 
Sotel das Kind zur Taufe neu bleidet, man nennt das ein „Wachse- 
lleidchen“ schenken. Ferner werden die Kinder wmit anderen 
Begenständen (Silbersachen) reichlich beschenkt. Wird das Kind 
zur Taͤufe gewickelt, so gibt man der Hebamme ein Geldstũck, das 
mt eingewicrelt wird, denn alsdann wird, so hofft und wũnscht man, es 
dem Kinde später nie an Geld mangeln. Die Taufe selbst findet in der 
Kirche, zuweilen auch im elterlichen Hause statt. Weint das Kind 
bei der Tause, so soll, wie man sagt, der Pate es nicht gern 
gehoben haben. Sind mehrere Paten zugegen, so belommt jeder der⸗ 
selben den Täufling einmalauf den Arm, man nennt das im 
Holksmunde heben“, Die Paten- oder Gevatterschaft hatte jrũher 
hei uns eine viel höhere, ernstere Bedeutung als jetzt. Nach der 
»eiligen Handlung folgt ein ausgedehntes Taufmahl, und mancher 
sräftige Schluck, verbunden mit Trinkjprüchen auf den jungen 
Spropᷣsing, wird bei dieser Gelegenheit getan. — Sind die Finger⸗ 
nagel des Kindes so lang geworden, daß sie gekürzt werden mũssen. 
o geschieht das durch Abbeißen derselben. Die hingefallenen 
Stũckchen werden gesjammelt und augenblicklich verbrannt.) 
Es ist Sitte, die Kinder in der Jahreszeit der Brust zu ent 
vöhnen, in welcher die Rosen blũhen, damit sie das Glück haben, 
hre Wangen von dem Tage der Entwöhnung an bis an das Ende 
hres Lebens mit Kosen geschmückt zu sehen. Fände die Entwöhnung 
n der Seit statt, in welcher die Feldstoppeln offen sind, so wũrde 
sus dem Kinde ein sogerianntes „Stoppelbalb“, ein Menschenkind, 
em viel Unglũck im Leben zustößt; derselbe Lebenspfad wird auch 
dem Kinde zugeschrieben, das nach der Entwöhnung von neuem 
in die Brust gelegt wird.') 
Das Hervorbrechen des ersten Sähnchens ist ein Ereignis. 
Ver den ersten Sahn beim Kinde entdeckt, erhält ein Geschenk. 
ẽs wird gern gesehen, wenn das Kind zuerst die Sähne im Anter- 
sjefer und dann im Oberkiefer erhält. Dabei herrscht die Auf- 
asung: zuerst Sähne im Oberbiefer bedeutet ein „Einhacken“ in 
die Erde, ein frühes Sterben. 
Wechselt das Kind die ersten oder sogenannten Milchzähne, 
o muß es mit jedem, der ihm ausfällt, vor ein Mauseloch gehen 
ind sagen: „Maäuschen, hier habe ich einen hölzernen Sahn, gib 
nir dafür einen Lnöchernen“.“) Leiden die Kinder an Sahnschmerzen, 
oglaubt man sie davon zu befreien, wenn man ihnen ein Samt- 
ãndchen um den Hals bindet oder den Sahn jelbst mit einer 
Brotbruste einreibt. 
Fällt im Mai ein sogenannter Mairegen, d. h. regnet es leije, 
vãhrend die Sonne scheint, dann lassen sich die Kinder, um recht 
zroß und stark zu werden, naß regnen. Dabei wird gesungen: 
„Mairegen, mach mich groß, 
Sin so klein wie ein Hotzelblos.“ 
Wenn jedoch Kinder unter einem Jahr noß werden, so herrscht 
ie Aufahung, daß sie im Gesicht viel Sommersprossen erhalten 
ollen, man sagt dafür „Sommervögel“. Kleine Kinder läßt man 
icht gern in den Spiegel jehen, da sie sonst, wie man glaubt, ein 
Affengesicht oder einen Gänseschnabel bekommen. 
Wenn sich die Kinder abends spät auf der Gasse herumtreiben, 
jo droht man ihnen mit dem Bußemann, burz auch Boratz, der 
sich an dunbelen Orten aufhalten soll.“) GSchluß folgt.) 
va ti D — 
Vom Büuchertische der Heimat. 
Hermann Froeb: Ernst Kochs „Prinz Rosa Stramin“. 
Ein Beitrag zur hessischen Literaturgeschichte. Ne. 24 der Beiträge 
zur deutschen Literaturwißssenschaft, herausgegeben von Prof. De. 
Fenst Eister. Marburg a. L. N. G. Elwertsche Ooerlagsbuch⸗ 
andlung, G. Braun. 
Wer einen Sonderfall, aus welchem Bereich der Kullur—⸗ 
geschichte auch immer, behandeln will, der muß zuvor den allge⸗ 
einen Grundriß dieses Bereichs blar erbannt haben, so blar 
zumindest, daß ihm beine groben Schnitzer unterlaufen bönnen. 
Einer der gröbsten Schnitzer literarhistorischen Gepräges ist es 
Per, wie der Verfasser diejer Untersuchung tut, in der Einleitung 
derjelben wörtlich zu behaupten: „Unter den Großen und Größten 
unserer deutschen Dichtung befindet sich kein Hesse.“ Und dies, 
nachdem er zuvor das hejssische Kulturgebiet als zwijschen Ober⸗ 
weser und KRhein gelegen bezeichnet und damit logischerweise auch 
Soethe mit eingeschlossen hat; denn Frankfurt, wenn es auch 
‚olitijch selbstãndig war, gehort doch stammesgeschichtlich und mithin 
Julturgeschichtlich zu Hessen, zumal es weder zu dem bayerischen 
Stammesgebiet im Osten noch zu dem rheinischen Stammesgebiet 
m Westen zählt, und einen frankfurterisjchen Volksstamm gibt es 
doch wohl nicht. Im übrigen braucht, was die Vergangenheit 
anlangt, nur an den Dichter des Nibelungenliedes, an Alrich von 
Hutten, Eobanus Hessus, Burkhard Waldis, Christoph Grimmels- 
hausen erinnert zu werden, um die „achtbare Mittelmäßigkeit“, die 
hen hessischen Schriftstellern zugesprochen wird, ad absurdum zu 
hren. Hinsichtlich der Gegenwart vollends erübrigt sich jeder 
Segenbeweis, da in der Tat ein sowohl dem Umfang wie dem 
Vert nach hervorragender Anteil Hessens am zeitgenõssischen 
Schrifttum festzustellen ist. 
Sieht nach alledem die vorliegende Arbeit, was ihre allgemeinen 
Oorausjehungen anlangt, auf schwachen Füßen, jo kommt sie doch 
zfichtlich ihres eigentlichen Gegenstandes zu beachtenswerten 
Ergebnissen. Schon die Bewertung des „Prinz Rosa Stramin“ 
ils eines „anspruchslos-frohen Bũchleins“ laßt den Verfasser als 
inen Mann erscheinen, dem das wissenschaftliche Objebt nicht, wie 
—A vorbommt, zur chinesischen Mauer gegen die 
ibrige Welt auf- und mithin ũber den Kopf wächst. Indem er sich 
unãchst mit der Entstehungsgeschichte des Werkes abgibt, beleuchtet 
r das Leben und Schaffen Ernst Kochs, weist die Motive nach, 
ie zur Abfassung des „Prinz Kosa Stramin“ geführt haben, und 
eigl, welche Besstandteile das Werl außer den aus dem Verhältnis 
u Henrieite von Bosse hervorgegangenen enthält. Es ist das 
or allem eine ganze Keihe von Einzelverdffentlichungen in Casseler 
zeitungen vor der Bebanntschaft mit Henriette, ferner eine Anzahl 
on Jugenderinnerungen und Betrachtungen, die während der 
Abfassung des Buchés, doch ohne Beziehung auf das Liebes 
rlebnis, entstanden sind, das denn auch im zweiten Teil des 
Peinzen“ mehr und mehr zurũcktritt. um nur am Ende noch einmal 
6) Dieser Brauch hängt höchstwahrscheinlich mit dem Mythus zusammen, der den 
Intergang der Welt schildert. Kurz vor diesem Ereignis wird nämlich das aus den 
jageln der Toten angesertigte Schiff Naglfar flott. Um nun den Bau des Schiffes, 
iso den Weltuntergang, zu verzögern, wird deingend empfohlen, den Toten die 
lägel zu beschneiden. (GSeitsche. d. V. f. hess. Gesch., Seite 268.) * 
6) Diese Anschauung findet seine Begründung im folgenden Mythus; Sollte 
ei unsern heidnischen Vorfahren etwas glücken, dann ite es in einer Seit ge— 
hehen, die den Göttern angenehm war, wie 3. B. das ussäen der Früchte zur 
zeit des ersten Mondviertels und Vollmonds. Wurde die betreffende Seit nicht 
ingehalten, dann stand ein Mißlingen in sicherer Aussicht. In der KHosenzeit, also 
Ligentlichen Soinmer, triumphierten nun die Götter über die menschenfeindlichen 
iesen und übten eine unbestristene Herrschaft in der Menschenwelt aus. Die Vose 
elbst war dem jugendlichen Donar, dem Goit des Sommers, geweiht. In den sieben 
is neun mythoslogischen Stoppel- oder Wintermonaten wurde dagegen den Göͤttern 
ne Herrschaft streitig gemacht, teils entzogen. (Seitscheift d. V. s. hes. Gesch. S. 264.) 
7) Die Mäuse sind hier an Stelle der Schwarzelben getreten, welche alles 
hmieden, was die Matur hervorbringt. (Hess. Seitschrift S. 266.) 
s) Der Butzemann gehörte bei unseren, Vorfahren zu den Hausgeistern, die 
»äterhin den Ramen Kobolde führten. Ehrte mäan diese Wesen in Worten und 
verbon auf die rechte Weise, das heißt. sprach man nur Gutes von ihnen und ver⸗ 
jumte nicht, sie zuweilen mit einem, wenn auch geringen Speisopfer zu bedenkben. 
waren sie dem Hause von außerordentlichem Nutzen, sie bewahrten 3. B- die Kinder 
or Schaden, verscheuchten die Diebe, gaben, auf das Feuer acht, schafften in der 
dot Naͤhrungsmittel für Menschen und Dieh herbei, trieben das faule Gesinde zur 
Iebeit an und siraften es für Fahelässigkeit, fleißiges hingegen durfte sich ihres 
zeistandes versichert halten. Wurden aber die Kobolde nicht der alten Ordnung 
emãß behandelt, so waren sie rechte Plagegeister, sie Llopften die ganze Nacht, 
ugstigten die Kinder, verscheuchten das Gesinde aus den Ställen, Kellern und von 
on Böden. (Mühlhause. Seite 40.) 
) Diese Besuche und dargebrachten Glückwünsche waren bei unsern heidnischen 
—WR religiöse Handlung, welche im Mornenglauben ihre höchste 
Au⸗bildung erhielt. Nach diesem Glauben zogen die drei Nornen, Wurd, Werdandi 
nd Shuid im Lande umher und tkehrten in den Hãusern ein, wo soeben ein 
Kind geboren war. Der Sweck dieses Besuches war, das Schicksal zu verhängen 
ind auszusprechen, was dem Kinde begegnen solite. Den beiden, ersten Nornen 
vird wohlwollende, der deitten üble Gesinnung ʒugeschrieben. (Seitschr. d. V. s. hess. 
Hesch. XI. Seite 258)
	        
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