Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

ob vom Mägelche, laden Se ehr Gepäck ob, ech foahre benn Schritt 
weiter. Entwpeder — oder!“ Hier miften im Urwald, ohne Kenntnis 
hon Weg und Steg, mit schwerem Gepäck, das war eine mißliche 
Zache. Dr. Ernst entschied sich für das Entweder, er versprach mit 
Hand und Mund dem pfiffigen, aber gerechten Bürgermeister: „Ja, 
ihr Dickköpfe habt diesmal Euren Willen durchgesetzt und gesiegt. Ihr 
sollt einen im Seminar ausgebildeten Lehrer, den Kandidaten Kraft 
As Lehrer haben. Wie ich nach Hause bomme, werde ich die 
Anstellung verfũgen und Kraft die Bestellung ũberreichen lassen.“ 
Jetzt ging die Fahrt nach Oberaula flott von statten, und man 
am glücklich am Bestimmungsort an. Mit einem bräftigen Druck 
der Hand schieden beide Kontrahenten; eine Bezahlung lehnte 
Fenner mit den Worten ab: „Es war mir eine Ehre und Freude, 
Hochwürden fahren zu dürfen.“ 
Nach eiwa 14 Tagen erschien auf dem Bürgermeisterhof ein 
Wãgelchen mit etwas Hausgerät. Der neue Lehrer Kraft, eine 
zräftige Gestalt mit feinem Auftreten, zog ein. Vom Bürger- 
meister freudig begrüßt und bewillkommt, nahm er Besitßz vom 
Schulhaus, Kost vorerst im Wirtshaus. 
Pfarrer Schnegelsberg machte ein saures Gesicht, aber schwarz auf 
weiß jtands geschrieben: Kraft und kein anderer. Er mußte sich 
war noch einer Prüfung im Gesang und Orgelspiel unterziehen. 
Beides gelang vorzüglich. Selbst das schwerste Lied unseres alten 
urhejsijchen Gesangbuches Nr. 8160: Sucht man die Freundschaft 
n der Welt nur unter solchen, die sich gleichen? Alles blappte 
is aufs Tippelchen. 
Neues Leben zog ins Schulhaus; die Kinder kamen gern zur 
5chule und lernten fleißig. Der neue Lehrer erzog ein gutes 
zeschlecht. Geliebt von seinen Schülern, geachtet von seinem Vor⸗ 
eseßten und seiner lieben Gemeinde, fühlte er sich wohl und be⸗ 
riedigt. Das Band zwischen Lehrer und Gemeinde wurde immer 
nger und befestigte sich dadurch noch, daß Kraft eine Schwälmerin 
ur Frau erkor. Woer bonnte das wohl anders sein als des 
Zürgermeisters Töchterlein Anna Gela, Die Ehe war sehr 
lũcklich. Der einzige Sohn Karl entschied sich für den Beruf 
zines Vaters. Ausgebildet im Seminar Cassel wurde er 1826 in 
holzhausen angestellt. Spãter ließ er sich nach Lütelwig versetzen. 
ẽr hat dem Kreise Homberg 50 Jahre gedient und im März 1816 
ein 50 jähriges Jubilãum feiern kLönnen. 
Kurz darauf trat er in den wohlverdienten Ruhestand. Ein 
Sohn, der sich dem Kaufmannsstand gewidmet, starb frũüh, und 
ine Tochter war an einen Landwirt in Lützelwig verheiratet.“ 
A i 
uf Heimatwegen. 
Im Kaufunger Wald. 
Von Heinrich Ruppel. 
Drei sonnenhelle Sommertage bei der grũnen Farbe verbringen 
önnen — wörtlich genommen: in den grünen Tiefen des Waäldes, 
ildlich: bei den Segern des Forstes — ich weiß nicht, was jchöner 
väre. Nur der Anmarsch zum Kaufunger Wald von Cassel her 
ist ziemlich mühsam. Aber zu Kad 
aßt sich's immer noch besser schaffen 
als zu Fuß. Der drũckenden Schwüle 
der Großstadt entkommen, nimmt 
nich hinter Heiligenrode das herrliche 
niestetãälchen aufs, das in geruhigen 
Vindungen z3wischen bewaldeten 
Hãngen hinfließt. Die Straße ist noch 
seucht vom leßten, rasch vorüber ge⸗ 
rauschten Gewitterregen. Und eine er⸗ 
quickende Kühle steigt aus dem abend⸗ 
lichen Tal und seinen Wiesen auf. 
Hinter Aschlag, dem hanndverschen 
Dorf vor den Toren Cassels, führt die 
Straße in allmählicher Steigung nach 
Escherode hinauf. Vor Anbruch der 
Nacht lande ich in Forsthaus Eichkamp 
am Waldrand über Escherode, von 
quten Freunden gastlich aufgenommen. 
In stiller Sonntagsfrühe werden 
nah und ferne Glockenstimmen laut. 
Aus dem Schaͤtten hoher Eichen fliegt 
der Blick ins Land: ährengoldene 
Breiten ũberall, an allen Hängen und 
n allen Tälern, dazwischen Wald und 
onntagsfrohe Dörfer. Eine trostreiche 
Fenteverheißung liegt auf Erden, und 
vird sie segnende Erfüllung sein, dann 
gibt sie unserem Volke wiederum sein 
äglich Brot. 
Swischen hohen Tannenwänden 
chweben uüberm Wege tausend weiße 
Falter. Des Försters bleines Mädel 
gilft sie haschen. Es weiß, sie sind die 
hesten Freunde nicht von Mutters 
Harten. Wir schlagen mit dem Taschen⸗ 
tuch, daß sie zu Boden taumeln. Gleich 
rabbeli ein Ameischen herzu und packt sich einen Kohlweißling. 
Der jchlägt noch mit den Schwingen und hebt sich hoch und trägt 
die tapfere Emse mit, als wäre er ein Ameisenflugzeug, sinkt 
wieder nieder, hebt sich abermals zu neuem Absturz, und nun sind 
chon zwei, drei, vier Feinde ũber ihm und zerren den besiegten 
Falter langsam und ruckweise fort. Zuletzt mũht sich ein ganzer 
Trupp um ihn, der nun schon die Schwingen baum noch regt. 
Sein Leben scheint erloschen. Das Waldkind sieht erstaunt den 
Kampf der Kreatur und will es stets von neuem sehen. Kaum 
inkt ein Sommervogel in den warmen Sand des Weges oder in 
das hohe Waldgras, sind auch schon die bleinen, tapferen Soldaten 
us dem Nadelberg zur Stelle und machen ihm den Garaus. An 
inem großen Schmetterling tragen sieben Ameislein. Fürwahr, 
hre seid mir wackrer als die sieben Schwaben! 
Sauersleute gehn geruhsam durch die Felder und sehen, 
vie die Ernte steht. Der Sonntkag geht zur Küste und weicht dem 
auhen Bruder Werktag. Da wandern die Heuer auf weiten 
Vegen zu den Waldwiesen am Großen Steinberg. Beecrensamm- 
erinnen streifen die Gehege nach Himmbeeren ab. In hohen 
Buchenbronen ist ein wunderbares 
Vechseljpiel von Licht und Schaͤtten. 
Ein Reh bricht durch die Bũsche. Bei 
jedem schlanken Sprung taucht's auf 
wie eine schöne, braune Welle, und 
dann versinki es wieder meinen Blicken. 
VDon einer Lichtung aus zeigt sich das 
Dorf Nienhagen und das liebliche 
Tälchen des Ingelheimbaches. Woer 
möchte da nicht Sandschaftsmaler sein! 
Es säumt und träumt sich wohl im 
quellfrischen Waldesfrieden. Ein längst 
Hollendeter, der Odenwaldpfarrer Karl 
Ernst Knodt, tritt an meine Seite und 
redet aus des Waldes reiner Seele: 
„Alles ist Gnade, 
Auch einsame Pfade.“ 
Hast recht, Odenwaldpfarrer! Auf 
einjamen Pfaden wie diesen wandeln, ist 
Bnade, jeltene Gnade, die uns das 
euhlose, lärmende Leben nicht oft 
oergönnt. 
Trari — trara! klingt's in den 
Wald. Das Jagdhorn ruft zu Tisch. 
Ich gebe Antwort mit Hallo — Hallo! 
Und spute mich, um nicht zu spät zu 
Lommen zum Wildschweinbraten, den 
man in dieser Gũte wohl nur im Forst- 
haus ißt. Am Nachmittag geht es 
an Freundes Seite nach Forsthaus 
Nonnenholz bei Kleinalmerode. Swei 
Stunden Waldweg über Berg und 
Tal. In einer Tannendickung ragt 
ein alter, abgestorbener Baumgigant, 
gespenstisch groß und bnorrig. Ein 
Waßser rieselt wegentlang und gluckst, 
ils fiel's in einen leeren Topf. Die Stelle nennt man „An der Boller⸗ 
asche“. Die gerade Bahn hinauf, erreichen wir die drei Buchen, die 
veit die Wälder überschäuen. Wie Säulen ragen sie empor. Auf 
iner ijt ein Hochsiß angebracht, den einst in hehrer Pfingsttagfrühe 
ein paar lustige Burschen sich sozusagen als Kneipzimmer auser-— 
ahen. Das Ende vom lustigen Lied in luftiger Höhe war, daß 
ie aus ihrer Verstiegenheit nur schwer den Grund wieder fanden. 
Um solche hohen Trinegelage zu verhindern, die dem Trinber 
richt eher als der Flasche den Hals brechen bönnen, ließ die für— 
orgliche Forstbehörde die Leiter zum Hochsitz entfernen. Der 
mhle Kimborn spendet einen Labekrunk. Von der Wildkammer 
rus fällt der Blick auf den Casseler Brocken: den Bilstein mit 
Gedenbkstein für
	        
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