Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

O, wie ihn schauert!/ 
Vie in der Gruft — wie in der Gruftl — 
Dumpf ist die Luft. 
Und schaut er nach oben: 
Ein riesiger Kloben 
Zperrt den Himmel ihm ab. 
Da wieder dies Knacken, 
Ddas Scheppern und Klacken! 
hier ist's wie im Grabl — 
„Weg dal“ gellt ein entsetztes Schreien. 
Fin Sprung rũckwärts — er steht im Freien! 
Da oben stößt eine Riesenfaust 
Den wanbenden Berg — ein Block bommt gesaust! 
5chon hat er zum Sprunge sich aufgerafft — 
die Boͤhrmaschine! ob er's noch schafft? 
dorstürzt er zur Wand — 
5schon packt sie die Hand: 
Dda kLommt es wie rauschender Wasser Schall, 
Vie tosender Fluten dumpfer Fall, 
Und der wuchtigen Massen Schwall 
Sricht ũber ihn mit donnerndem Hall! 
Zleiner Steinchen ein rieselnder Keigen, 
Ddann — Schweigen! — 
Fine Stille lastend — wer weiß wie lang! 
Und nun ein Schrei, so tierisch bang, 
Ein Schrei aus wunder Vaterbrust: 
Mein Kind! mein Kind, du hast es gewußt! — 
Helft, Männer! helft! und angefaßt, 
hehmt ab meinem Jungen die Bergeslast!“ 
Da löst sich der Bann. 
hinter Wagen und Slöcken sie stürzen heran. 
hoch zitternd — selber vom Tode bedroht 
Da liegt was — ein Menschl — der ist kot! — 
Dem Berschütten entronnen in jaher Flucht 
zet eines stürzenden Blockes Wucht 
en Hans zu Boden gewettert. 
Er liegt da, zerschmettert. 
Ach, meinem Jungen sein guter Freund! — 
Zeine Hoffnung für mich.“ —- Der Vater weint 
Und weint und blettert, ein grauer Swerg. 
Vo die Halde sich tũürmt, ein chaotischer Berg, 
Und die greisen Hände rũütteln und packen 
die grauen Blöcke und scharfen Sacken 
Und kraßzen wie irr das Gestein beiseite, 
Als ob das den lieben Jungen befreite! 
ẽr lauscht, — als wenn aus der Grabestiefe 
zein Kind ihm riefe! 
Und wühlt und weicht den andern nicht, 
Sis er lallend zusammenbricht. — 
Als spät vom Waldesrande 
Die Amjel schluchzend ruft, 
Da hat man ihn gefunden 
In jeiner dunklen Gruft. 
Der arme Leib zerschmettert 
Die Bohrmaschine deckt, 
5ie hält er noch umblammert, 
zein Blut hat sie befleckt. 
diel Volk in dumpfer Runde, 
3wei Tote bleich und stumm. 
ẽs bohrt in jedem Herzen 
Derzweifeltes , Warum?“ — 
ẽEs stehn die Eltern im Harme. 
Die Braut zusammenbrach. 
Uüber dem Dorf und dem Walde 
HOerblühte ein Maientag. 
Auf Hei 
uf Heimatwegen. 
VDon Witzenhausens 700-FJahrfeier. 
Von Adolf Häger. 
Festsonnabend, der Auftablt der 100.Jahrfeier, läßt sich nicht 
jut an. Der Himmel geht mit schweren Kegenwolben und wirft 
on Seit zu Seit einen Sprühregen in das ameijsenhaft geschäftige 
Ddlbchen da unten. Am frũhen Nachmittag aber bommt die Sonne 
ind läßt alle Farben der flatternden Fahnen tiefer glühen. Die 
ngen Kleinstadtstrahen sind ganz überblüht von Fahnen zwilschen 
jzrünem Laubgewind. ÜUber die zyhklopisch schwere Werrabrücke 
zin, die einmal Tillhs und Wallensteins Kriegsvölker heranrücken 
ah, tänzelt heute ein seliger Reigen: sich wiegende Bänderkränze 
och an weißen Masten, schaubelnde Guirlanden und flatternde 
Dimpel, darunter das Gewoge erwartungsfroher Menschen. 
Hie Sũge werfen immer neue Menschenmassen in die Stadt, 
chon sind die engen Straßen überflutet. NAuf dem weiten Festplatz 
in der Werra iegt man letzte Hand an die Riesenbauten der 
Attrabtionen“. Es fehlt nicht die gewaltige Achterbahn, das 
Teufelsrad und ein riesiges blau⸗weißes bayrijches 
Sierzelt. Dazu kommen in großer Sahl die 
»ebannten sinnvollen Anlagen, Menschen in der 
fFestfreude das Geld aus den Taschen zu locken. 
Ain Ende des Festplaßzes erhebt sich eine große 
Festspielhalle, ausreichend jür 1200 Menschen. 
Der Abend bringt das Schönste dieses Tages 
Da sind in den Fenstersimsen der alten Häuser 
ieltausend Lichter erglommen, rot, weiß und 
jrün, und versetzen den traulichen Warktplatz 
n eine Märchenstimmung. Ein endloser Fackelzug 
geht durch die Straßen des Städtchens. Minuten- 
ang ist der wuchtige Rathausbau in grünes 
dicht getaucht, und da bei allen Freudegefühlen 
es Menschen Lärm in jeder Form eine ganz 
ervorragende Rolle jpielt, so dũrfen die erschreck⸗ 
ichen Kanonenschläge nicht fehlen. Spät erst 
erlãäuft sich das Volk von den Straßen. Die 
rinkfesten Bürger und die aus allen Teilen der 
Veli heimgebehrten Kinder der Stadt verweilen 
ioch lange beim Festkommers. 
Nachts um Punbt 12 Uhr kbommt der Läufer 
»om Sternlauf zum Hermannsdenkmal durch 
Vitzenhausen. Vor dem Festplatz ũbergibt ihm 
Bũrgermeister Dombke eine Lünstlerisch aus⸗ 
zeführte Urkunde, die von Witzenhausen und 
einer Feier handelt. 
Am Sonntagmorgen gehen viel besorgte 
Slichke zum grauen Wolbenhimmel hinauf: hält 
er wohl dicht? — Nun, so ein rechtes Festwetter 
at der Sonntag nicht gebracht, aber die leichten 
zprũhregen konnten der Freude kLaum Abbruch 
un, und zum Nachmittag wagte sich gar die 
5onne wieder zeitweise hervor. 
Kolonialschule Wißenhausen. 
dofphotograph Eberth, Cassel. 
194
	        
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