Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Tun der jungen Jöbbelsleute lag. Aber es hatte niemand 
den Mut, ein Wort zu sagen. Denn der altangesessene 
Sauer will ungestört auf seiner Scholle sitzen. Anrecht, das 
hm nicht wehtut, mag Anrecht sein. Was ihn nicht brennt, 
das bläst er aicht. 
Seltsamerweise war neben den religiösen Lernstoffen noch 
»twas anderes in Adams Geist lebendig geblieben: eine 
Hrabinschrift, die er als Junge auf einem Bergfriedhof ge- 
lesen hatte. Mit tiefer Ergriffenheit sagte er sie den 
Kindern auf: 
„Die schönste Rose dieser Flur, 
Doretie schlummert hier. 
Sie war dein Lieblingskind, Natur! 
Und alles war sie mie.“ 
Selbst die Kinder, die den Vers doch nur halb verstanden, 
purden ergriffen. Es war ihnen zumute, als habe der Adam 
ein hohes Glück besessen, das nun entschwunden sei und von 
hm in seltsam feierlichen, feinen Worten bekblagt werde. 
Der Adam schien den Inhalt der Worte bis in ihr Tiefstes 
zu erfassen. Aber dann fuhr der Bruder mit seinem Donner⸗ 
petter über den Adam und seine Schwarzbraune her, daß 
die Kinder erschreckt davonstoben. Und der Adam tappte 
weiter in der Tretmühle des Tagewerks. 
Nur Sonntags hatte der Adam ein wenig Kuhe. Nach 
der Fütterzeit am Morgen mußte er sich für die Kirche 
zurecht machen. Er fing mit dem Kasieren an. Aber das 
Mosser schnitt schlecht und sollte doch das Sartgestrüpp von 
einer ganzen Woche wegschaben. Es bratzte miserabel. 
Schon hatte er sich in den Backen gezwickt, daß das Bluf 
ief. Da warf er das Messer auf die Fensterbank und hörte 
nitten im Kasieren auf, weil er sich geschnitten hatte. Er 
ah ja die borstige Gesichtshälfte nicht. Also mochte sie 
bleiben. Nun zog er sich an. Meist trug er abgelegte 
Sachen von einem. Verwandten aus Berlin, der ein großer, 
hornehmer Herr war. Etwas Neues anschaffen — das 
gab's bei seinem Bruder Friedrich nicht, ebensowenig wie 
r einen Groschen Sonntagsgeld bekam. Der Kerl verdiente 
sa kaum das Fressen, geschweige denn noch neue Lumpen 
oder Taschenheller. Der Adam zog den Schlippenfrack des 
Serliner Onkels an, dazu die langen Stiefel, die mit Ofen- 
schwärze gewichst waren. Um den Hals trug er einen 
Hemdkragen aus hausgewebtem Leinen und ein schwarzes 
Knüpftũchelchen, dessen schön geschlungener Knoten unter 
dem vorstehenden Adamsapfel saß. So wurde der Adam 
um neun Ahr in die Kirche gejagt. Er kam aber immer 
erst an, wenn schon das Schlußlied gesungen wurde, oder 
noch später. Denn er war sehr neugierig auf das, was die 
Leute im Sonntagsbochtopf hatten, und hing sich auf dem 
Veg zur Kirche an jedes Fenster: „Was bocht Ihr denn 
Guts? Ach, sprecht mir's dochl!“ Die einen taten seiner 
Neugier nach, die anderen jagten ihn fort: „Geh fort, alter 
Flaat, du reißt uns ja den ganzen Fensterschub raus!“ — 
Dann ging er gemessenen Schrittes zur Kirche, aus der ihm 
oft schon die Gemeinde entgegenströmte. Er trat hinein und 
ram gleich wieder heraus. Er war in der Kirche gewesen. 
In der klammen Seit, da schon der Weizen und der 
Hafer nach der Sense schrieen, wenn der Koggen noch nicht 
eingebracht war, und eine Arbeit die andere drängte, 
bniete der Friedrich seinem Bruder hart auf der Seele. 
Anablässig krieb er ihn ans Werk, wie man den Stier am 
Pfluge treibt. Und der Adam war nur noch Arbeitstier. 
Die Befürchtung, seinen Leuten nicht genug zu schaffen, wich 
nicht mehr von ihm. Deshalb warf er über Tags oft Heu 
und Stroh vom Tenngerüst auf den Futterboden herab, um 
spät abends. ohne Licht. noch Häcksel zu schneiden. Eine 
daterne durfte dabeĩ nicht beennen. Dafür war das Streich- 
dᷣlzchen zu bostbar und das Petroleum auch. Als er eines 
Abends vom Hächselschneiden in die finstere Küche kam, 
vo auch bein Streichholz verschwendet werden durfte, erlebte 
r etwas sehr Merbwürdiges. Der Kachelofen in der Stube 
vurde von der Küche aus gefeuert. ÜUber dem Feuerloch 
ag die große Blase, das Wasserschiff, darin das Tränke⸗ 
vasser sür VDieh und Schweine heiß gemacht wird. 
Adam hörte, wie der halbrunde Eisendeckel hochgeklappt 
vurde, und wie es in dem Wasser plätscherte. Vor dem 
Ofenloch unterm Schornstein stand eine flammenwabernde 
Hestalt. Die blitzte ihn mit feuergluhen Augen an und 
sob eine glührote Faust, aus der sich ihm Krallen wie aus 
geschliffenem Stahl entgegenkrünmten. „Der Jãhzorn!* 
Jachte der Adam. „O mein Gott, der Jähzorn! Der will 
in mich!“ And dann zischte es so — so furchtbar, so 
vutheiser. Schreiend sprang der Adam hinaus und polterte 
ebend die Treppe zu seiner Kammer hinauf. 
Am frühen Morgen fragte der Friedrich seinen Bruder, 
vpas er in jpäter Nacht noch so zu schreien habe. Der 
Adam zog den Kopf in die Schultern und murmelte etwas 
Anverständliches. „VDerrückter Hund, dul Wenn du wieder 
nal so beebst“), briegste einen Tag lang nichts zu fressen. 
Danach richt' dich, du Faulenzer!“ 
Den Kindern im Dorf erzählte der Adam, er habe den 
Jähzorn gesehen. „O, ihr Kinderchen, alle Haare standen 
nir zu Berge! 's war wie so Feuerblumpen. und gezischt 
at's wie der Deuwel.“ 
„Mach doch mal wie der Jähzorn!“ sagten die Jungen 
ind kicherten. 
AUnd er zischte, fauchte und gurgelte, daß ihm das Blut 
ns Gesicht stieg, und daß es manche Kinder mit der Angst 
u tun bekamen und nicht mehr lachten. Wenn sie ihn nach 
iesem Geschehnis des Weges bommen sahen, riefen sie schon 
on weitem: „Der Adam kbommt, der Adam, der den Jäh- 
orn gesehen hat!“ — „Lacht net, ihr Kinderchen!“ sagte 
ann der Adam näherkommend. „Lacht net! Sonst kbönnt 
he 'n auch noch sehen. Ja, 's ist wahrl Gesehn hab ich 
n, den Jähzorn. Ein Gosicht, sag ich euch, ihr Kinder 
ach Gottche, was für 'n Gesicht hat der Jähzorn — hu. 
vie der Deuwel, rein wie der Deuwell“ 
„Schweig mie still von deinem Jähzorn!“ rief Mötzners 
Zürichen. „Deinen Bruder wirste gesehn haben. Das ist 
der Jähzorn.“ 
HDa stand der Adam lange still, als besinne er sich 
juf etwas, das ihm entfallen war und nicht wieder in den 
Sinn kommen wollte. Den knochigen Kopf auf die schmale 
Zrust hãngen lassend, blagte er traurig: ‚Ja, wenn meine Mutter 
och lebte, meine Mutterl“ und storchte mit weiten Schritten 
avon. 
Mit jeiner Mutter war das auch ein schwacher Trost. 
denn wenn die Jöbkelschen wirblich noch gelebt hätte, dann 
»är's doch nur mit gebundenen Händen gewesen. Der 
Zaufbrief war der Strick, der ihr die Hände gebunden hätte. 
don dem geringen Auszug, der ihr nach ihres Mannes Tod 
ur noch zur Hälfte zustand, konnte sich ein Mensch bnapp 
itt essen, geschweige denn zwei. Doch wäre wohl für den 
Adam manchmal ein Stückchen Brot und öfters ein gutes 
Vort abgefallen, wenn sie auch beiĩ Lebzeiten mit den andern 
iuf ihm herumgetrampelt hatte. Sie hatte nicht gewußt, 
o»as sie kal. Heute würden ihr die Augen aufgehen, wenn 
e noch lebte. Ja, wenn sie noch lebtel Es wäre doch 
twas gewesen für den gottverlassenen Dorfnarren. 
*) beeben ⸗ schreien. 
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