Tun der jungen Jöbbelsleute lag. Aber es hatte niemand
den Mut, ein Wort zu sagen. Denn der altangesessene
Sauer will ungestört auf seiner Scholle sitzen. Anrecht, das
hm nicht wehtut, mag Anrecht sein. Was ihn nicht brennt,
das bläst er aicht.
Seltsamerweise war neben den religiösen Lernstoffen noch
»twas anderes in Adams Geist lebendig geblieben: eine
Hrabinschrift, die er als Junge auf einem Bergfriedhof ge-
lesen hatte. Mit tiefer Ergriffenheit sagte er sie den
Kindern auf:
„Die schönste Rose dieser Flur,
Doretie schlummert hier.
Sie war dein Lieblingskind, Natur!
Und alles war sie mie.“
Selbst die Kinder, die den Vers doch nur halb verstanden,
purden ergriffen. Es war ihnen zumute, als habe der Adam
ein hohes Glück besessen, das nun entschwunden sei und von
hm in seltsam feierlichen, feinen Worten bekblagt werde.
Der Adam schien den Inhalt der Worte bis in ihr Tiefstes
zu erfassen. Aber dann fuhr der Bruder mit seinem Donner⸗
petter über den Adam und seine Schwarzbraune her, daß
die Kinder erschreckt davonstoben. Und der Adam tappte
weiter in der Tretmühle des Tagewerks.
Nur Sonntags hatte der Adam ein wenig Kuhe. Nach
der Fütterzeit am Morgen mußte er sich für die Kirche
zurecht machen. Er fing mit dem Kasieren an. Aber das
Mosser schnitt schlecht und sollte doch das Sartgestrüpp von
einer ganzen Woche wegschaben. Es bratzte miserabel.
Schon hatte er sich in den Backen gezwickt, daß das Bluf
ief. Da warf er das Messer auf die Fensterbank und hörte
nitten im Kasieren auf, weil er sich geschnitten hatte. Er
ah ja die borstige Gesichtshälfte nicht. Also mochte sie
bleiben. Nun zog er sich an. Meist trug er abgelegte
Sachen von einem. Verwandten aus Berlin, der ein großer,
hornehmer Herr war. Etwas Neues anschaffen — das
gab's bei seinem Bruder Friedrich nicht, ebensowenig wie
r einen Groschen Sonntagsgeld bekam. Der Kerl verdiente
sa kaum das Fressen, geschweige denn noch neue Lumpen
oder Taschenheller. Der Adam zog den Schlippenfrack des
Serliner Onkels an, dazu die langen Stiefel, die mit Ofen-
schwärze gewichst waren. Um den Hals trug er einen
Hemdkragen aus hausgewebtem Leinen und ein schwarzes
Knüpftũchelchen, dessen schön geschlungener Knoten unter
dem vorstehenden Adamsapfel saß. So wurde der Adam
um neun Ahr in die Kirche gejagt. Er kam aber immer
erst an, wenn schon das Schlußlied gesungen wurde, oder
noch später. Denn er war sehr neugierig auf das, was die
Leute im Sonntagsbochtopf hatten, und hing sich auf dem
Veg zur Kirche an jedes Fenster: „Was bocht Ihr denn
Guts? Ach, sprecht mir's dochl!“ Die einen taten seiner
Neugier nach, die anderen jagten ihn fort: „Geh fort, alter
Flaat, du reißt uns ja den ganzen Fensterschub raus!“ —
Dann ging er gemessenen Schrittes zur Kirche, aus der ihm
oft schon die Gemeinde entgegenströmte. Er trat hinein und
ram gleich wieder heraus. Er war in der Kirche gewesen.
In der klammen Seit, da schon der Weizen und der
Hafer nach der Sense schrieen, wenn der Koggen noch nicht
eingebracht war, und eine Arbeit die andere drängte,
bniete der Friedrich seinem Bruder hart auf der Seele.
Anablässig krieb er ihn ans Werk, wie man den Stier am
Pfluge treibt. Und der Adam war nur noch Arbeitstier.
Die Befürchtung, seinen Leuten nicht genug zu schaffen, wich
nicht mehr von ihm. Deshalb warf er über Tags oft Heu
und Stroh vom Tenngerüst auf den Futterboden herab, um
spät abends. ohne Licht. noch Häcksel zu schneiden. Eine
daterne durfte dabeĩ nicht beennen. Dafür war das Streich-
dᷣlzchen zu bostbar und das Petroleum auch. Als er eines
Abends vom Hächselschneiden in die finstere Küche kam,
vo auch bein Streichholz verschwendet werden durfte, erlebte
r etwas sehr Merbwürdiges. Der Kachelofen in der Stube
vurde von der Küche aus gefeuert. ÜUber dem Feuerloch
ag die große Blase, das Wasserschiff, darin das Tränke⸗
vasser sür VDieh und Schweine heiß gemacht wird.
Adam hörte, wie der halbrunde Eisendeckel hochgeklappt
vurde, und wie es in dem Wasser plätscherte. Vor dem
Ofenloch unterm Schornstein stand eine flammenwabernde
Hestalt. Die blitzte ihn mit feuergluhen Augen an und
sob eine glührote Faust, aus der sich ihm Krallen wie aus
geschliffenem Stahl entgegenkrünmten. „Der Jãhzorn!*
Jachte der Adam. „O mein Gott, der Jähzorn! Der will
in mich!“ And dann zischte es so — so furchtbar, so
vutheiser. Schreiend sprang der Adam hinaus und polterte
ebend die Treppe zu seiner Kammer hinauf.
Am frühen Morgen fragte der Friedrich seinen Bruder,
vpas er in jpäter Nacht noch so zu schreien habe. Der
Adam zog den Kopf in die Schultern und murmelte etwas
Anverständliches. „VDerrückter Hund, dul Wenn du wieder
nal so beebst“), briegste einen Tag lang nichts zu fressen.
Danach richt' dich, du Faulenzer!“
Den Kindern im Dorf erzählte der Adam, er habe den
Jähzorn gesehen. „O, ihr Kinderchen, alle Haare standen
nir zu Berge! 's war wie so Feuerblumpen. und gezischt
at's wie der Deuwel.“
„Mach doch mal wie der Jähzorn!“ sagten die Jungen
ind kicherten.
AUnd er zischte, fauchte und gurgelte, daß ihm das Blut
ns Gesicht stieg, und daß es manche Kinder mit der Angst
u tun bekamen und nicht mehr lachten. Wenn sie ihn nach
iesem Geschehnis des Weges bommen sahen, riefen sie schon
on weitem: „Der Adam kbommt, der Adam, der den Jäh-
orn gesehen hat!“ — „Lacht net, ihr Kinderchen!“ sagte
ann der Adam näherkommend. „Lacht net! Sonst kbönnt
he 'n auch noch sehen. Ja, 's ist wahrl Gesehn hab ich
n, den Jähzorn. Ein Gosicht, sag ich euch, ihr Kinder
ach Gottche, was für 'n Gesicht hat der Jähzorn — hu.
vie der Deuwel, rein wie der Deuwell“
„Schweig mie still von deinem Jähzorn!“ rief Mötzners
Zürichen. „Deinen Bruder wirste gesehn haben. Das ist
der Jähzorn.“
HDa stand der Adam lange still, als besinne er sich
juf etwas, das ihm entfallen war und nicht wieder in den
Sinn kommen wollte. Den knochigen Kopf auf die schmale
Zrust hãngen lassend, blagte er traurig: ‚Ja, wenn meine Mutter
och lebte, meine Mutterl“ und storchte mit weiten Schritten
avon.
Mit jeiner Mutter war das auch ein schwacher Trost.
denn wenn die Jöbkelschen wirblich noch gelebt hätte, dann
»är's doch nur mit gebundenen Händen gewesen. Der
Zaufbrief war der Strick, der ihr die Hände gebunden hätte.
don dem geringen Auszug, der ihr nach ihres Mannes Tod
ur noch zur Hälfte zustand, konnte sich ein Mensch bnapp
itt essen, geschweige denn zwei. Doch wäre wohl für den
Adam manchmal ein Stückchen Brot und öfters ein gutes
Vort abgefallen, wenn sie auch beiĩ Lebzeiten mit den andern
iuf ihm herumgetrampelt hatte. Sie hatte nicht gewußt,
o»as sie kal. Heute würden ihr die Augen aufgehen, wenn
e noch lebte. Ja, wenn sie noch lebtel Es wäre doch
twas gewesen für den gottverlassenen Dorfnarren.
*) beeben ⸗ schreien.
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