Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Pracht“ zeugen Lönnte. Bis auf den Sandstein ist an der Sũdjeite 
der Basalt fortgenommen. Hier an der einstürzenden Wand finden 
wir auch rotgetönte Schichten, die dem Wasser die rote Färbung 
gegeben haben. Anterirdijsche Quellen spülen die Oxydstoffe 
immer wieder herauf, sodaß ein dauerndes Mulmen sichtbar ist. 
Auch nach längerem Stehen im Glase kann man in dem Wasser 
des Koten Sees beinen Bodensatz feststellen. 
Am eindrucksvollsten erscheint der Bruch von unten, wo man 
durch einen schmalen Einschnitt in den riesigen Sirkus schauen 
ann. Heut nimmt die helle Sommersonne diesem Orte alle 
Schrecken. Weidenröschen und Fingerhut haben die dunbklen 
Trümmer freundlich überwuchert. 
Wer aber den See in seiner Unheimlichkeit bennen lernen 
will, der muß ihn in einer Herbstnacht aufsuchen, wenn der halbe 
Mond hinter schweren Wolkbenmassen geistert. Angstliche Ge— 
mũter Lommt dann das Gruseln an; aber auch der naturvertraute 
Wanderer wird einen starken Eindruck mithinwegnehmen. 
Von der freien Höhe des Hesselbühls schaut man weit ũber das 
Werraland und das Eichsfeld. An kblaren Tagen hebt sich die 
ftumpfe Phramide des Brockens am fernen Horizontke ab. 
Ein Gefũhl dieses weltfremden VDerlorenseins, dieser menschen- 
ernen Einsamkeit hat auch unsere Ahnen angewandelt, wenn sie 
as Kornfeld, besonders in der Sauberstille des glühenden Mittags, 
zur Heimstätte von Geistern und Gespenstern machten. Bald waren 
2s koboldartige Kleinwesen, die durch die leichtbewegten Halme 
huschen, bald sind es hohe, ernste Frauen, die als Hüterinnen der 
5aat wachen, bald schattenhafte Mittagsgespenster, die in brütender 
s5tille ihe Wesen treiben. Wer offenen Auges und mit sinnender 
Zeele an der Kornbreite entlangwandert, den ũüberkommt wohl 
eine Ahnung jener weltentrückenden Einsambeit, aus der heraus 
unsere Vorfahren ihre Flurgötter und Feldgeister schufen. 
„Und wegemud' sitz' ich am Kaine wieder 
And träume, wie ein Kind nur träumen kbann.“ 
Wie hat Mutter Natur sich bemũüht, den Rand ihres Kleides 
nit Löstlichen Blumen zu zieren — obgleich der Landmann sie 
„Unkraut“ nennt und ihr Überhandnehmen zu hemmen bestrebt 
jt; schwefelgelber Hederich (Ackersenf und Ackerrettig), den gern 
die Bienen besuchen, Kornblumen und Kornrade, weithin leuch— 
tender Klatschmohn im Weizenfelde — wer möchte sie wohl missen? 
Und z3wischen den braunen Erdschollen bemühen sich Ackervergiß- 
meinnicht, Stiefmũtterchen 
und Ackergauchheil, un— 
scheinbare Blümchen, alle 
Kisse und Anebenheiten 
zu verdecken. 
And einer ganzen Welt 
kleiner, harmloser Tiere 
bietet das Kornfeld Unter⸗ 
jchlupf und Nahrung, zu— 
meist Leutchen ohne Wehr 
und Waffen. Wachtel und 
Kebhuhn, Lerche und 
Ammer in Feldgrau, Laub⸗ 
und Grasfrosch, Feldmaus, 
Grille und Freund Lampe — 
sie alle bedrängen sich nicht 
und wohnen in brũderlicher 
Semeinschaft beieinander. 
Sie bennen sich gegenseitig, 
berstehen sich und warnen 
vor drohender Gefahr. 
Der Poet des Feldes, 
jein Sänger und DVerkünder 
all seiner Herrlichkeit und 
Schönheit, ist unsere Feld⸗ 
lerche. Kunstlos liegt das 
Lerchennest in einer Boden⸗ 
pertiefung oder unter der 
Grasnarbe des KRains; die 
Eier zeigen, wie der Dogel 
elbst, die graubräunliche Schutzfarbe des Feldes. Während das Weib- 
hen brũtet, steigt das Mannchen singend empor und trillert uner- 
nũdlich seine Jůbellieder. Die sind arm an Strophen, aber reich in 
Abwechslung — mit Laudat alauda deum tiroali ftiralaque canendo 
ihmt der lateinische Hexameter die bunten Licder nach. Keine 
Zehle vermag mit der unserer Lerche zu wetteifern, sowohl was Fülle 
md Abwechslung des Gesanges, noch was Aushalten des Tones, 
seschmeidigkeit und Unermũdlichkeit der Stimme anbetrijft. Freilich 
st ihr Lied immer dasselbe, lange nicht so schön wie das der Nachtigall 
der der Grasmücke, aber es entzückt durch seinen Naturklang, der 
janz einzig in seiner Art ist. Kein Dogel wird im Volksliede 
o hãufig und innig besungen wie die Lerche. die Verbünderin der 
Zhoeelichkoit des Ahrenfeldes. 
Im Rhrenfeld. 
VDon Maul Bellardi“. 
Kennst du, lieber Leser, 
den seltjamen, geheimnis- 
pollen Sauber, den ein wo⸗ 
gendes Ahrenfeld auf unser 
Gemüt ausübt? Gibt es 
etwas Lieblicheres, Wun— 
dersameres, als den stillen, 
der Ernte entgegenreifenden 
Saatenwald, die lichtgrũnen, 
wehenden Haferfelder, die 
goldenen Gerstenbreiten, mit 
langen Granen gleich 
Frauenhaar? And wie selt— 
sam schön ist der Anblick 
eines wogenden Kornfeldes 
um die Seit, da der schei— 
dende Juni seine Reize 
darüber ausbreitet! Wie 
hebt es sich aus dem satten 
Grün der Sommersaaten 
wirkungsvoll heraus durch 
das lindere Grün der Halme, 
durch den eigenartigen 
—XE 
der über den Ahren liegt. 
Wenn der frische Morgenwind über das Feld hinrauscht in 
wundervollem Weben und Schweben, dann scheint es ein grau— 
grũnes, flutendes Meer — der einzelne Halm verschwindet darin, 
jede Welle hebt und senbt sich; sie scheint bis an den Rand zu 
fluten und bleibt doch an ihrer Stelle. Kommt aber die schwüle 
Mittagszeit — der Morgenwind hat sich gelegt, und heiße Luft 
zittert über den Halmen — wie geheimnisvoll breitet sich da das 
stille, weite Feld aus! Da wisperts und flüsterts, als zögen die 
Geisterchen, die drin ihre Heimstatt haben, durch den Halmenwald, 
und über der reglosen Breite liegts wie ein fläatternder Schleier, 
den flimmernder Sonnenschein um die Ahren wob. Ist es denn 
ein Wunder, daß es dem verirrten Kinde unheimlich wird zwischen 
den hohen. undurchdrinalichen Mauern? 
Am Roten Soee. 
VDom Pulsschlag der Hoimat. 
Schnurrpfeijereien. 
Die Schlacht am Opferstrauch. 
Die Sonntagsglocken sind verklungen, der Oergelschall ist ver⸗ 
rauscht. Sonntagnachmittagstimmung liegt über das Dorf aus— 
gebreitet . .. In kriegerischem Spiele bewegen sich zwei Ab— 
eilungen Knaben dem Opferstrauch zu. Die eine sucht ihren Weg 
dorthin ũber die „Neue Straße“, die andere, den „Serg“ hinauf. 
Uber „Rrems (Adams) Opferstrauch“ treffen sie aufeinander. 
AUnd nun tun Flitzbogen und Holzsäbel ihren Dienst. Tapfer 
wird aufeinander losgehauen und geschossen. Hin und her kobt 
der Kampf, überlautes Hurrageschrei ertönt auf beiden Seiten. 
F aul Sellardi. Rebtor i. R. (Berlin-Friedenau) vollendete sein 80. 
kine Sorge nur hat jeder der tapferen Streiter, nämlich, daß ihn 
ielleicht ein Schwerthieb ins Gesicht oder ein Pfeil in die Augen 
reffe. Aber beide „Heere“ haben Glũck. So sehr sie auch auf- 
rinander „losgehen“, „Tote“ gibt's nicht. und im Angesicht wird 
niemand verwundet. 
Stundenlang tobt der Kampf. Da ist es, als ob ein Wind- 
virbel zwischen die Jungen gefahren sei, beide Abteilungen wenden 
ich vereint gegen einen Angreijer, der heimlich von R. heran- 
gezogen ist. 
Statt der Flitzbogen wird nun der Steinwurf angewandt. 
Nniemand scheut mehr vor einer Verwundung zurück. Sie gilt jetzt 
hielmehr als Ehrensache. WMütend fliegen die Steine. 
Der Himmel haͤt mit heiterem Gesichte diesem lauten Treiben 
zugeschaut, jeßt verfinstert er sich aber und wirft Donnerbomben
	        
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