Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Hyeimat· Schollen 
Slätter zue Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
Nr. M/ 1028 
Erscheinungsweise 2mal monatlich. Sezugspreis 1,20 My. im Vierteljahr. Frũhere 
Jahrgãnge bönnen. soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen⸗ Verlag nachbe zogen werden 
5. Jahrgang 
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Ernst Kochs Schulerinnerungen aus Lenzbach. 
Ernst Koch, der glücklose hessische Dichter, dessen Harfe 
jo hell und rein wie baum eine andere blang, lebt noch heute 
in jeinem romantischen Jugendwerb „Prinz Rosa- Stramin“. 
Der Dichter wurde 1808 im Hause seines Großvaters, des 
Obervogkis K. H. Murhard, in Singlis geboren, verbrachte 
seine Jugend- und Schuljahre in dem schönen Werrastädtchen 
Witzenhausen, das er Lenzbach nennt, studierte in Marburg 
und Göttingen und war Keferendar in Cassel. Dort verlobte 
er sich mit Henriette von B. und erreichte in jugendfrohem, 
glũckbeflügeltem Auffchwung den Höhepunbt seines Schaffens 
in „Prinz Kosa-Stramin“, dem ein von der Braut geschenbtes 
Notizbuch in rojafarbenem Stramin mit dem eingestickten Bild 
eines perfischen Prinzen den seltsamen Namen gab. Der Fünfund 
zwanzigjährige ließ seine entzückende Dichtung unter dem 
Pseudonym Eduard Helmer erscheinen. Doch brachten 
uͤnselige politische Verhältnisse den jungen, weich und träu⸗ 
merisch veranlagten Poeten bald um sein Liebes- und Lebens⸗ 
glück. Die Eltern der Braut lösten das VOVerlöbnis. An 
sich und der Welt verzweifelnd, verließ Ernst Koch seine 
Heimat, trat in die französische Fremdenlegion ein, stand in 
Algier, Lämpfte zwei Jahre im spanischen Karlistenkrieg, Lam 
mit gebrochener Lebensbraft zurück und lebte bis 1858 als 
Prosessor der deutschen Sprache in Luxemburg, wo er 
seine letzte Kuhestätte fand. 
Anläßlich der 00- Jahrfeier Witzenhausens bringen wir 
aus „Prinz Kosa-Stramin“ das 83. Kapitel, Ernst Kochs 
Schulerinnerungen aus Lenzbach. 
* 
dem Alter, wo man noch an das Christkindchen glaubt, und 
vo einem spaßhafte Leute weismachen, man bönnte die Vögel 
angen, wenn man ihnen Salz auf den Schwanz streute. 
sene beiden Schulen hießen die Kantorschule und die Kebtor-⸗ 
hule und erschienen mir als die beiden einzigen Stufen und 
ʒtationen zur erschrecklichsten Gescheitheit. Aber ich habe 
ernach gefunden, daß sich der Weg bis zur Geoscheitheit jehr 
ang zieht, wie die Station von Lutter am BSarenberge bis 
Sraunschweig. Die Kantorschule und die Kebtorschule waren 
air, sozujagen, die beiden Aniversalbrüste aller menschlichen 
Veisheitsmilch. Die erstere säugte den Knaben mit Liebe 
ind lehrte ihn das Wort Gottes buchstabieren, ihr verdank 
ch also das meiste. Bei der anderen briegt' ich die rasendsten 
Drügel, worauf ich gleich zurückkommen werde. Es ergibt 
ich jchon hieraus ein fühlbarer Anterschied zwischen beiden 
5chulen. Ein anderer bestand darin, daß in der ersteren 
weimal wöchentlich gesungen, in der anderen aber alle Tage 
geheult wurde, eben wegen der Prügel. AUnd ein dritter 
Unterschied war der, daß in der Kantorschule viele frohe 
Zinder saßen und jedes zwei Kinderfreunde vor sich hatte, 
inen, um in ihm lesen zu lernen, und den anderen, um es 
»von ihm zu lernen, denn dieser war der Kantor selbst. Nur 
inen Vereinigungspunkt hatten beide Schulen, nämlich die 
gemeinschaftliche Türe aus einer Schulstube in die andere. 
In dieser Türe war ein Guckloch, das der Kantor geschnitzt 
hatte, um zu sehen, ob faule Schüler die Singstunde etwa 
„Frivatim und heimlich in der Rebtorschule hielten. Das 
Auge, das oft durch dieses Loch sah, ist nun längst gebrochen, 
AUberhaupt war es eine gute Seit, als ich nur zwei und meine Liebe weint ihm dankbare Kindertränen nach. 
Schulen kannte. Ich war damals noch ein leiner Junge, Der Kebtor aber prügelt lustig im Schaumburgschen fort. 
zu Lenzbach. wo meine Eltern wohnten. und ungefähr in Kaff hätte was gescheiteres tun sollen. als seine Natur- 
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