Wenn abaer Sonntagsfrieden über Dorf und Flur lag, der
Dater seine Mittagsruhe hielt im Garten unter dem großen Birn-
»aum, wo er das Sonntagsblatt las oder den fleißigen Sienen
zuschaute, die auch am Sonntag beine Ruhe bannten, dann ging
das Dortchen mit seinen Freundinnen frohe Lieder singend durch
den Wald überm Dorf bis zu den hohen Tannen am Sirkhotze
unker denen sie so manchen Sonntagnachmittag verbracht, seit sie
der Schule entwachsen. Immer wieder war es schön, von hier
oben ũber die Heimat mit ihren dunblen Wäldern und leuchtenden
Feldern zu blichen. NAuf dem Hirschkopf stand noch die trotzige
Burg, die im Dreißigjährigen Kriege mehr als einmal der Dorf-
»ewohner geringe Habe, Leib und Leben beschützt und erhalten
hatte. Am Wallenberg drũüben lachten die speießenden Saaten.
Hom Tal her grüßte der alte Kirchturm, der über Häuser und
Härten Waͤche hielt bei Tag und Nacht. Stundenlang saß das
unge Vollb hier oben am Waldesrand und bonnte sich nicht satt
ehen an all der Schönheit ringsumher. Da sangen sie die Lieder
on der Heimat stiliem Tal, von Waldesrauschen und Frühlings-
ust, von Scheiden und Meiden, Sehnsucht und Heimweh, Lieben
ind Leiden. Schon die Väter und Mütter, Großväter und Groß-
mũtter hatten in ihrer Jugend hier oben im Schatten des Waldes
gesesjen und gesungen, gespielt und gescherzt, und manch Liebesband
dar hier gebnüpft, das kein Sturm des Lebens je zerrissen hat.
So oft das Dortchen am Sonntag mit seinen Freundinnen
nach der Wochentage Müh und Arbeit da oben neue Kreäfte holte
us der schönen Goltesnatur, trieb es auch einen andern zu gleichem
Tun. Von Waldhaujsen kbam er durch die Tannen geschritten, ein
röhliches Lied auf den Lippen, ein liebend Herz unter dem blauen
Kittel. Da sjaßen sie dann bald Hand in Händ im Lählen Schatten
und freuten sich der schönen Heimat, nach der sich Heinrich so
manchmal gesehnt, als er in Belgien und Frankbreich im Schützen
graben Wache hielt, daß der Feind nicht ins Land bäme. Heute
sonnte er sich dessen freuen, daß er nicht umsonst vier Jahre gebämpft
und gelitten. Bie Heimat war unversehrt, als ob bein Krieg
gewesen. Dazu winbte ihm nun noch ein besonderer Lohn. Was
der Mund zunächst nicht zu sprechen gewagt, das bündete das Lied,
daß es die Vöglein auf den Zweigen ringsumher gar bald wußten
ind froh mit einstimmten. Und dann schwiegen die Liebenden
pieder und horchten auf das Singen und Klingen in den Tannnen,
ind ihre Gedanben wanderten in die Subunft und hatten bei beiden
das gleiche Siel: Wenn die Weihnachtsglocken durchs Tal blingen
das Lied von der Liebe, die den Himmel einst zerriß, um die
Menschen glücklich zu machen für alle Seit, dann sollen es nicht
aur die Vöglein wijsen, dann wollen wir es da unten im Kirchlein
interm Lichterbaum vor allen sagen, was uns hier oben im Waldes⸗
dom gewiß geworden ist, daß wir uns lieb haben und lieb behalten
vollen in Freud und Leid, in Glück und Mot bis — in alle Ewigkeit.
Darauf haäben sie sich die Hände gegeben, da oben unter den
Tannen am Wäldessäum, und die Abendsonne sah vier Augen
euchten in heiliger Glut, und zwei Herzen schlugen in Seligkeit:
Ewig dir treu!
*8
Es ist Sonnabend abend. Die Wochenarbeit ist getan. Das
dieh hat jeine Sach. Die Axt für Montag morgen frijch geschärft.
Das Abendbrot verzehrt. Die langersehnte Ruhe winkt. Da
»ört man noch einmal die Haustüren gehen. Ins Dunble tritt hier
in Mann, dort ein Bursch. Was gibts noch so spät? Theater
ind Kino Lennt man in Hollenbach nicht, in das Wirtshaus geht
eute auch bein Mensch, weil morgen Sonntag ist; aber im Schul-
dal kann man um acht Uhr die Männer und Burschen vom sieb⸗
zehnten Jahr an treffen, aile, wie sie im Dorf sind, in der Gesang-
tunde. Bald schallt es bräftig durch das Dorf; da werden alle
noch einmal wach. Alle Mãdigbeit ist vergessen. Hier und da
zjnet sich ein Fenster. Die Frau bennt „seine“, Stimme aus allen
indern heraus. So hoch und schön bringts beiner fertig als wie
ihr Hans. Ja, der Hans! Mit Kecht kbann die Anna stolz auf
ihn sein. Heute gibt es etwas ganz Besonderes.
Die Kinder waren daran, den letzten Staub von der Straße
zusammenzubehren, da sah man ein Paar im Sonntagsstagt durch
das Dorf schreiten zum Standesbeamten und dann zum Pfarrer.
Da weiß es nun das ganze Dorf: das VDortchen und sein Heinrich
haben sich einschreiben lassen. Verlobungsbarten kbennt man nmicht;
in das Kreisblatt Lommt es auch nicht. Was geht es die Stadt-
leute an? Sie bennen ja weder den Heinrich noch das Dorfchen.
Aber das ganze Dorf bennt das Dortchen, von dem Tage an,
da es hieß: In Benners ist diese Nacht ein bleines Mädchen an⸗
gekommen. Sie waren dabei, wie die Eller das Kleine unter
hrem großen Mantel zur Taufe in die Kirche brachte; sie sahen
2s an der Mutter Hand zum ersten Mal den Weg zur Schule
gehen; sie hörten sein dreimaliges „Ja“, als es am Konfirmations
altar stand und der Pfarrer dem bnieenden Mädchen unter Hand-
uflegung den Spruch auf den Lebensweg mitgab: „BSleibe fromm
ind halte dich recht, denn solchen wird es zuletzt wohlgehen“; und
ie hätten auch am Traualtar sein „Ja“ gehört, wenn nicht gerade
der Heinrich aus Waldhausen gebommen wäre und es zur Frau
egehrt hãtie. Weil sie es alle so gut kbennen und es allzeit so
reundlich gewesen und sich so gut geführt, deshalb soll es auch
ücht jo ohne Sang und Klang aus ihrer, Mitte fort. Freilich,
enn der Brautwagen gefahren wird, sind die Männer und
Zurschen im Wald beim Holzfällen und haben beine Seit, sich
n die Straße zu stellen und das „Hemmseil“ zu halten, um ihr
debewohl zu sagen und mit einem letzten Händedruck ihr alles
zute zu wünschen: Aber heute, am Sonnabend abend, da haben
e alle Seit, dem Dorkchen zu zeigen, daß sie es immer gern
ehabt haben. Heute abend soll es das Dortchen wissen, wie
e Anteil nehmen an seinem Glück, so ungern sie auch ein Mädchen
us dem Dorf hinaus heiraten lassen. Nach der Gesangstunde zieht
er ganze Verein vor das Haus, in dem das Dortchen nun die
ingsie Seit gewejen ist, wo es gerade mit seinem Herzallerliebsten
dand in Hand hinterm Tisch sißt, während der Vater im Lehn-
uhl am Ofen erzählt, wie er einst Dortchens Mutter gefreit —
ierzig Jahr sind es Pfingsten gewesen, achtzehn Jahr ruht jeine
Annad jchon drüben am Serge hinter der Tannenhecke — da auf
einmal kiingt es vierstimmig unterm Fenster:
Jeju, geh voran auf der Lebensbahn,
Und wir wollen nicht verweilen,
Dir getreulich nachzueilen,
Führ uns an der Hand bis ins Vaterland.
Tief ergrißen lauschen sie drinnen in der Stube, bis das ganze
kied zu Ende gesungen ist. Und während sie ihm noch nachdenben,
hebt es draußen von neuem an:·
So nimm denn meine Hände und führe mich
Sis an mein jelig Ende und ewiglich.
Einoe Strophe nach der andern klingt, durch die Stille der
sacht. Der Heinrich und sein Dorkchen wischen sich die Tränen
rus den Augen, sie bönnen ihrer nicht Herr werden. Sum dritten
Male heben sie draußen an und singen:
Ich und mein Haus, wir sind bereit,
Dir, Herr, die ganze Lebenszeit
Mit Leib und Seel' zu dienen.
Das ist den beiden hinterm Tisch grad aus dem Herzen ge—
angen. BDie Sterne am Himmel funkbein in der balten November-
iacht, daß es ist wie die schönste Lichterchesbirch“), und der über
en Sternen wohnt, der hört das Gebet der zwei Herzen da
nten und spricht sein „Amen“ dazu. Der Verein, der für die
wei gesungen, geht stili nach Hause, die Männer im Gedanken
aran, wie man ihnen vor fünf oder fünfundzwanzig Jahren das-
elbe in der Kirche gesungen, und wie sie es heute noch alle Tage
vieder nötig haben; und die Burschen freuen sich des Tages, da
uch ihnen wird gesungen werden: „Jeju, geh voran auf der
debensbahn“, wenn sie einmal joweit sind und in Ehren vor den
I treien, wie es das Dortchen am Weihnachtsfeste wird tun
önnen.
So nimmt das ganze Dorf Anteil an Dorkchens Glück. Das
nacht nicht nur den Brautleuten diese Abendstunde unvergeßlich,
»as machit sie zur Segensstunde für die ganze Gemeinde.
Schnurrpfeifereien.
Geschickt umgangen.
Ansere Mundarten haben noch einzelne Wörter aus alter
eĩit, die heute beinahe vergessen sind und von dem jüngeren
zeschlecht kaum noch verstanden werden. Da ist z. B. das Wort
deiwe“. Im Lossegrund bennt man eine „Leiwe“, im Pfieffetal
me „Lejwe“ und im Haungrund eine „Lei“. Was bezeichnet nun
ieser Ausdruck eigentlich? Im Haungrund bezeichnet die Lei den
anzen zweiten Stock des Hauses, „de ewerscht Lei“— aber den
Zzoden im Dachgejchoß. In Niederhessen deutet die Leiwe in den
iten Häusern eine obere, nach hinten gelegene Stube an, die
scht gedieit ist, jondern nur einen Lehmfußboden hat; auch Wände
nd Secke sind aus Lehmverputz. Ein Fenster hatte ein solcher
daum nicht, sondern nur ein Loch von einer ungefähren Größe
on 25850 Sentimeter. Ein nicht mehr gebrauchsfähiger, mit
heu oder Stroh gefüllter Sack diente als Verschluß dieses Fenster-
sches. Wollte man etwas sehen, so zog man den Sack heraus,
m ihn nach getaner Arbeit schön jest wieder in das Loch hinein-
audrũcken. In diesem Kaum wurde gewöhnlich das Schlachtewerkb
ufbewahrt, und so sagt man heute noch Wärschtelejwe.
Ein biederer Landmann, der auch noch eine solche Wärschtelejwe
a jeinem alten Hause hatte, war Witwer geworden und verheiratete
) Gottesdienst am Heiligabend mit brennendem Weihnachtsbaum—