Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

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uf Heimatwegen. 
Vogelleben bei Fritzlar. 
Hon Werner Sunkel, Marburg (Hessen). 
Wem die heimische Natur ans Herz gewachsen ist und für wen 
sie ein wichtiger, vielieicht der wichtigste Teil der Heimat ist, dem 
vird es ähnlich gehen wie mir: die Freude, das Leben der Ge— 
schöpfe zu belauschen, wird erhöht und bebommt einen personlich⸗ 
eelijchen Einschlag an Orten, die durch die Goschichte geheiligt 
sind. Die Landschaft, die geologische und geschichtliche Vergangen⸗ 
heit, die Volks- und Stammes-Eigenart, Sprache, Sitten und Ge⸗ 
hrãauche der Mitmenschen, die Pflanzen und Tiere, die auf demselben 
Fleckchen Erde leben, sind Werte. die wir Deutschen in dem 
dundersam zarten und doch braftvollen Wort „Heimat“ zum NAus · 
druck beingen. Für mich als bewußten Freund unserer höessischen 
Natur und Heimat haben Tier-, besonders Bogelbeobachtungen einen 
eigenartigen Keiz gehabt, die ich an geschichtlich hervorragenden 
Heten unjeres Hessengaues anstellte. Der Hoheit jener Stätten 
wird durch diese Setrachtungen wohl kaum etwas vergeben, war 
doch schon dem Wodan, dem obersten Gott unserer heidnischen 
Vorfahren, der alten Chatten, der Kolbrabe geweiht und somit ein 
heiliger Vogel. In der Gegend von Frißlar, dessen 5wõlfhundert · 
ahr. Jubilãum im Juni dd. J. gefeiert wurde, waren einst die Hauptlult⸗ 
fatten der heidnijchen Chalten, und gerade das benachbarte Gudens⸗ 
herg dem Wodäan geweiht, dessen schwarze gefiederte Gesellen, die 
staltlichen Kolkraben, den Sturz der Donareiche bei Geismar noch 
ange Jahrhunderte überlebten; erst in jüngster Vergangenheit sind 
diese stattiichen Vögel in Hesjen ausgestorben, verdienen aber als 
ehemals nicht seltene Bewohner unserer Bergwälder als heimat · 
geschichtlich bedeutsame Vertreter der Oogelwelt des Eddergebietes 
um Fritzlar einen ehrenden Nachruf. — Wenn ich neben Wodans 
Kaben noch einen anderen hijtorischen Gesichtspunkt dafür ins 
Feld fũhren darf, daß mich Fritzlars Jubiläum zu einer Schilderung 
seines Vogellebens veranlaßt, so erinnere ich daran, daß in der 
dortigen Stiftsbirche der Sachsenherzog Heinrich J. zum deutschen 
Koönig geweiht wurde: Heinrich der Finkler oder Vogelsteller, 
dem seine Wahl zum Herrscher des damals noch großen Deutsch- 
Jand verkündet wurde, als er am Finkenherde saß und Vögel fing. 
Die ZSeiten haben mancherlei Wechsel gebracht. Das Schichsal 
der Donareiche hat mancher Baum geteilt. Die Forstkultur duldete 
eine alten hohlen Bäume mehr und beraubte damit zahlreiche 
Tiere, besonders die auf hohen Wipfeln horstenden Raubpögel und 
Keĩher, ihrer Nistplätze. Die Seiten, in denen in den zerblũfteten 
Felsen des Eddertals der Uhu und im Hochwald Fischadler, 
Schwarzstorch und Kolbrabe horsteten, sind vorüber. Mit dem Sinn 
für die Ratur, die sich im Vogelfang, in der Jagd und der Oogel⸗ 
liebhaberei ausdrũckte, schwand mehr und mehr auch die Fürsorge 
für die Tiere. Welch herrliche, xreichbevölberte Keiher bolonien 
boten bei Wabern und sonst in Hessen den Landesfürsten und 
Adeligen Gelegenheit zu edlem Weidwerb, zur uralten Seizjagd; 
als das Interesse dafũr erstarb, war auch das Geschick der prächtigen 
Tiere besiegelt. Man rottete sie fast ganz aus. Ahnlich ging es 
den gefiederten Recken, den größeren Kaubvögeln. Es hat wohl 
erst dahin kLommen mũssen, daß manche Tiergrten aussterben, bis 
die Menschen einsehen, was sie mit ihrer Naturverödung ange⸗ 
richtet haben. Exrst zaghaft, dann immer tatbräftiger erwachte das 
Naturverstãndnis in den heimatbewußten Vollbsgenossen und raffte 
sich auf zu dem Willen, von der alten ehemals so reichen Natur 
unseres Daterlandes zu retten und zu erhalten. was noch zu retten 
ist: Naturschuß ist Heimatypflicht, Volbspflicht; denn die Matur ist 
die Grundlage der Heimat und diese die Seele, die Mutterseele des 
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Viele Werte der heimischen Natur sind zwar schon vernichtet, 
und doch ist es keine UÜberhebung, wenn ich sage: Anser Hessenland 
ist noch reich an Naturschönheiten und ein Beweis dafür, daß echte 
Zuliur (wir haben in Hessen eine alte Kultur im Vergleich zu 
anderen, besonders östlichen Teilen Deutschlands) beine Feindin 
der Nalkur zu sein braͤucht, ja wohl nicht sein kann. Sehen wir 
einmal zu, was das altehrwürdige Fritzlar an Vogelgestalten in 
seinen grauen Mauern und seiner ietzt frühlinasarünen Umgebung 
beherbergt. 
Vor 6 Jahren um die Pfingstzeit wanderte ich mit meinem 
ornithologischen Freunde Dr. Otto Schnurre von Marburg nach 
Frißlar. SBei der Durchquerung des Burgwaldes unterhielten 
uns die Kufe der Waldbäuze und Ohreulen und die nächtlichen 
Sieder der Heidelerche; auch beobachteten wir eine Auerhenne. 
Sei Frankenberg machte sich in der Susammensetzung der, Vogel- 
welt der Einfluß des Edderflusses bemerkbar: auf, den feuchten 
Wiesen sangen die in Hessen sonst seltenen Wiesenpieper, im Ufer- 
gebüsch die Sumpfrohrsänager und Kohrammern. Im Talsperren- 
jebiet fiel uns damals eine große Armut an eigentlichen Wasser- 
»ögeln auf; sie war wohl aus dem Fehlen einer eigentlichen Afer⸗ 
egetation und dem wechselnden Wasserstand zu erklären. Als ich 
pãter im Frũhjahr 1925 gelegentlich einer Vortragsreise mal 
vieder an den Eddersee bam, bonnte ich bei Herzhausen zahlreiche 
Wildenten und auch einige Reiher beobachten. Wie man mir 
rzählte, sind wenigstens die Enten dort Brutvögel, während mir 
on der Auffindung, eines Keiherhorstes nichts bekannt wurde. 
Die Reiher, dehnen ihre Jagdflüge weit aus und erscheinen regel⸗ 
näßig auch bei Fritßlar am Afer der Edder, die mit ihren ver⸗ 
chiedenen Flußarmen, besonders oberhalb der altertũmlichen Stadt, 
ein selten reiches Vogelleben aufweist. Dichtes, von Schlingpflanzen 
imsponnenes Buschgestrüpp und Weidicht bieten den zahlreichen, 
n Sträuchern nistenden Singvögeln die besten Brutplätze, zumal 
Schilf, Kletten, Disteln und mannshohe Brennesseln wesentlich mit 
azu beitragen, einen lebenden Schutzwall um die Vogelbruten zu 
ilden. Hier herrscht an Frühlings- und Sommertagen ein einzig- 
utiges Vogelkonzert. Wir hören verschiedene Arten Laubsänger, 
srasmücken, Buch⸗, Grũn- und Distelsink, Braunelle, Saunkoönig, 
nehrere Meisenarten, Kohr und Goldammer, Bach- und Gebirgs- 
telzen, Braunkehlchen, Wiesenschwätzer, das seltenere Schwarz 
ehlchen, Wasseramseln und Votkehlchen und vor allem die wasser⸗ 
iebenden Teichrohrsänger, für die mein Freund Schnurre wegen 
hres unaufhorlichen lärmenden Singsangs den Namen, Kohrprolet“ 
eprägt hat. In den Obstbäumen. Weiden und Pappeln leben 
Elstern, Wendehals, Grün-, Grau⸗ und Buntspechte, Kaubwürger 
ind Fliegenfänger. Am Ufer trippeln auf den Kiesbänken zierliche 
zlußuferlãäufer umher und eilen, wenn wir ihnen nahen, mit hastigen 
flũgelschlägen zum jenjeitigen Gestade, wo ein in der Sonne 
untschillernder Eisvogel auf einem dürren Weidenzweig hockt und 
lach Beute, Wasserkerbtieren und bleinen Fischen, späht. In den 
aftigen Wiesen schlagen die Wachteln ihr „Bück' den Rück. — 
fürchte Gottl!“, darüber schwebt ein Storch und die stattliche 
Habelweihe, die neben den Falken unter den heimischen Raub— 
»õgeln wohl das schönste Flugbild hat. Am genußreichsten waren 
ins bei Fritzlar (ktroß der Stechmücken!) die Abend- und frühen 
Morgenstunden. Um recht früh aus dem Gasthaus herausgelassen 
u werden, mußten wir dem Wirt erst am Abend einen langen 
Hortrag über den wissenschaftlichen Grund unseres Nichtaus- 
chlafenwollens halten; aber die Folge war ein verwundertes Kopf- 
chũtteln, am nächsten Morgen — eine doch verschlossene Tür und — 
Naturforscher und Feld-⸗, Wald⸗ und Wiesenmenschen wissen sich 
mmer zu helfen! — unser Aufbruch aus dem Haus durch die 
Fenster. Dann eilten wir wieder zur Edder, ohne jedoch unter⸗ 
pegs die Beobachtung dessen zu vernachlässigen, was sich uns in 
»er Stadt bot. 
Die im pfingstlichen Blütenschmuck leuchtenden und duftenden 
Härten sind schon erfüllt von taujendfachem Vogeljubel. Aus dem 
vechjelvollen Chor entziffert unser Ohr die Gesänge vom Baum— 
äufer, vom Gartenspötter und Girlißz; dieser einst sũdländische, mit 
em Kanarienvogel nahe verwandte Fink ist ein Neuling in der 
eutschen Vogelwelt; er ist dem Obstbau gefolgt und so durch die 
nittelalterliche, bejonders kloösterliche Kultur in unseren Gau ge— 
angt. Auch das Hausrotschwänzchen, das von allen Dächern 
frißlars herab seine heiteren Weisen zum besten gibt, verdankt hier 
er menschlichen Kultur seine Lebensbedingungen: ursprünglich ein 
Zewohner von natfürlichen Felsen, hat der Rotschwanz in den 
steinbauten, zunächst wohl den Burgen, Kirchen und Klöstern 
jeue Nistplätße gesunden. NAuch für die, Frißlars Türme um— 
lreijenden Mauerjegler und die hellrufenden Dohlen sind die alten 
vohen Bauwerbe nichts als Felsen, in denen „man“ nisten Lann. 
zelbst die Vogelwelt einer Gegend hat ihre „Geschichte“, und daß 
zas Schichsal unserer gefiederten Freunde eng verknüpft ist mit 
er Geschichte und Kulturentwicklung der Menschen, wird uns 
jerade an dem Beispiel einer alten Staͤdt wie Fritzlar deutlich. 
Schnell waren wir wieder an der Edder und lauschten den 
diedern mehrerer Nachtigallen und Heuschreckensänger und eines 
Blaubehlchens; diese drei Singyõgel gehören bei uns zu den 
eltensten Arten. Da nach der drieflichen Mitteilung eines Vogel⸗ 
enners bei Frißlar außerdem die Nachtjchwalbe, das Teich- und 
Wasserhuhn und der sehr seltene Wiedehopf (in Hessen ‚Wudewud“ 
enannt) vorkommt, ist unsere alte Chattenstadt für die heimische 
dogelwelt ein wahrer Garten Eden. Moge diese Landschaft an 
er Edder noch lange in ihrer Arsprünglichbeit erhalten bleiben, 
leine Flußregulierung oder ähnliche Vorgewaltigung der Natur 
Vasjeramjel, Eisvogel, Wiedehopf und die vielen bleinen Sing⸗ 
dgel vertreiben, damit der stolze Kaubvogeljchrei. das „Kuwitt“ 
es Kridewißchens (* Steinbauz), das „Fürchte Gott!“ der Waächtel, 
der Heuschreckensang des Schwirels. die Kadaulieder der RVohr—
	        
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