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uf Heimatwegen.
Vogelleben bei Fritzlar.
Hon Werner Sunkel, Marburg (Hessen).
Wem die heimische Natur ans Herz gewachsen ist und für wen
sie ein wichtiger, vielieicht der wichtigste Teil der Heimat ist, dem
vird es ähnlich gehen wie mir: die Freude, das Leben der Ge—
schöpfe zu belauschen, wird erhöht und bebommt einen personlich⸗
eelijchen Einschlag an Orten, die durch die Goschichte geheiligt
sind. Die Landschaft, die geologische und geschichtliche Vergangen⸗
heit, die Volks- und Stammes-Eigenart, Sprache, Sitten und Ge⸗
hrãauche der Mitmenschen, die Pflanzen und Tiere, die auf demselben
Fleckchen Erde leben, sind Werte. die wir Deutschen in dem
dundersam zarten und doch braftvollen Wort „Heimat“ zum NAus ·
druck beingen. Für mich als bewußten Freund unserer höessischen
Natur und Heimat haben Tier-, besonders Bogelbeobachtungen einen
eigenartigen Keiz gehabt, die ich an geschichtlich hervorragenden
Heten unjeres Hessengaues anstellte. Der Hoheit jener Stätten
wird durch diese Setrachtungen wohl kaum etwas vergeben, war
doch schon dem Wodan, dem obersten Gott unserer heidnischen
Vorfahren, der alten Chatten, der Kolbrabe geweiht und somit ein
heiliger Vogel. In der Gegend von Frißlar, dessen 5wõlfhundert ·
ahr. Jubilãum im Juni dd. J. gefeiert wurde, waren einst die Hauptlult⸗
fatten der heidnijchen Chalten, und gerade das benachbarte Gudens⸗
herg dem Wodäan geweiht, dessen schwarze gefiederte Gesellen, die
staltlichen Kolkraben, den Sturz der Donareiche bei Geismar noch
ange Jahrhunderte überlebten; erst in jüngster Vergangenheit sind
diese stattiichen Vögel in Hesjen ausgestorben, verdienen aber als
ehemals nicht seltene Bewohner unserer Bergwälder als heimat ·
geschichtlich bedeutsame Vertreter der Oogelwelt des Eddergebietes
um Fritzlar einen ehrenden Nachruf. — Wenn ich neben Wodans
Kaben noch einen anderen hijtorischen Gesichtspunkt dafür ins
Feld fũhren darf, daß mich Fritzlars Jubiläum zu einer Schilderung
seines Vogellebens veranlaßt, so erinnere ich daran, daß in der
dortigen Stiftsbirche der Sachsenherzog Heinrich J. zum deutschen
Koönig geweiht wurde: Heinrich der Finkler oder Vogelsteller,
dem seine Wahl zum Herrscher des damals noch großen Deutsch-
Jand verkündet wurde, als er am Finkenherde saß und Vögel fing.
Die ZSeiten haben mancherlei Wechsel gebracht. Das Schichsal
der Donareiche hat mancher Baum geteilt. Die Forstkultur duldete
eine alten hohlen Bäume mehr und beraubte damit zahlreiche
Tiere, besonders die auf hohen Wipfeln horstenden Raubpögel und
Keĩher, ihrer Nistplätze. Die Seiten, in denen in den zerblũfteten
Felsen des Eddertals der Uhu und im Hochwald Fischadler,
Schwarzstorch und Kolbrabe horsteten, sind vorüber. Mit dem Sinn
für die Ratur, die sich im Vogelfang, in der Jagd und der Oogel⸗
liebhaberei ausdrũckte, schwand mehr und mehr auch die Fürsorge
für die Tiere. Welch herrliche, xreichbevölberte Keiher bolonien
boten bei Wabern und sonst in Hessen den Landesfürsten und
Adeligen Gelegenheit zu edlem Weidwerb, zur uralten Seizjagd;
als das Interesse dafũr erstarb, war auch das Geschick der prächtigen
Tiere besiegelt. Man rottete sie fast ganz aus. Ahnlich ging es
den gefiederten Recken, den größeren Kaubvögeln. Es hat wohl
erst dahin kLommen mũssen, daß manche Tiergrten aussterben, bis
die Menschen einsehen, was sie mit ihrer Naturverödung ange⸗
richtet haben. Exrst zaghaft, dann immer tatbräftiger erwachte das
Naturverstãndnis in den heimatbewußten Vollbsgenossen und raffte
sich auf zu dem Willen, von der alten ehemals so reichen Natur
unseres Daterlandes zu retten und zu erhalten. was noch zu retten
ist: Naturschuß ist Heimatypflicht, Volbspflicht; denn die Matur ist
die Grundlage der Heimat und diese die Seele, die Mutterseele des
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Viele Werte der heimischen Natur sind zwar schon vernichtet,
und doch ist es keine UÜberhebung, wenn ich sage: Anser Hessenland
ist noch reich an Naturschönheiten und ein Beweis dafür, daß echte
Zuliur (wir haben in Hessen eine alte Kultur im Vergleich zu
anderen, besonders östlichen Teilen Deutschlands) beine Feindin
der Nalkur zu sein braͤucht, ja wohl nicht sein kann. Sehen wir
einmal zu, was das altehrwürdige Fritzlar an Vogelgestalten in
seinen grauen Mauern und seiner ietzt frühlinasarünen Umgebung
beherbergt.
Vor 6 Jahren um die Pfingstzeit wanderte ich mit meinem
ornithologischen Freunde Dr. Otto Schnurre von Marburg nach
Frißlar. SBei der Durchquerung des Burgwaldes unterhielten
uns die Kufe der Waldbäuze und Ohreulen und die nächtlichen
Sieder der Heidelerche; auch beobachteten wir eine Auerhenne.
Sei Frankenberg machte sich in der Susammensetzung der, Vogel-
welt der Einfluß des Edderflusses bemerkbar: auf, den feuchten
Wiesen sangen die in Hessen sonst seltenen Wiesenpieper, im Ufer-
gebüsch die Sumpfrohrsänager und Kohrammern. Im Talsperren-
jebiet fiel uns damals eine große Armut an eigentlichen Wasser-
»ögeln auf; sie war wohl aus dem Fehlen einer eigentlichen Afer⸗
egetation und dem wechselnden Wasserstand zu erklären. Als ich
pãter im Frũhjahr 1925 gelegentlich einer Vortragsreise mal
vieder an den Eddersee bam, bonnte ich bei Herzhausen zahlreiche
Wildenten und auch einige Reiher beobachten. Wie man mir
rzählte, sind wenigstens die Enten dort Brutvögel, während mir
on der Auffindung, eines Keiherhorstes nichts bekannt wurde.
Die Reiher, dehnen ihre Jagdflüge weit aus und erscheinen regel⸗
näßig auch bei Fritßlar am Afer der Edder, die mit ihren ver⸗
chiedenen Flußarmen, besonders oberhalb der altertũmlichen Stadt,
ein selten reiches Vogelleben aufweist. Dichtes, von Schlingpflanzen
imsponnenes Buschgestrüpp und Weidicht bieten den zahlreichen,
n Sträuchern nistenden Singvögeln die besten Brutplätze, zumal
Schilf, Kletten, Disteln und mannshohe Brennesseln wesentlich mit
azu beitragen, einen lebenden Schutzwall um die Vogelbruten zu
ilden. Hier herrscht an Frühlings- und Sommertagen ein einzig-
utiges Vogelkonzert. Wir hören verschiedene Arten Laubsänger,
srasmücken, Buch⸗, Grũn- und Distelsink, Braunelle, Saunkoönig,
nehrere Meisenarten, Kohr und Goldammer, Bach- und Gebirgs-
telzen, Braunkehlchen, Wiesenschwätzer, das seltenere Schwarz
ehlchen, Wasseramseln und Votkehlchen und vor allem die wasser⸗
iebenden Teichrohrsänger, für die mein Freund Schnurre wegen
hres unaufhorlichen lärmenden Singsangs den Namen, Kohrprolet“
eprägt hat. In den Obstbäumen. Weiden und Pappeln leben
Elstern, Wendehals, Grün-, Grau⸗ und Buntspechte, Kaubwürger
ind Fliegenfänger. Am Ufer trippeln auf den Kiesbänken zierliche
zlußuferlãäufer umher und eilen, wenn wir ihnen nahen, mit hastigen
flũgelschlägen zum jenjeitigen Gestade, wo ein in der Sonne
untschillernder Eisvogel auf einem dürren Weidenzweig hockt und
lach Beute, Wasserkerbtieren und bleinen Fischen, späht. In den
aftigen Wiesen schlagen die Wachteln ihr „Bück' den Rück. —
fürchte Gottl!“, darüber schwebt ein Storch und die stattliche
Habelweihe, die neben den Falken unter den heimischen Raub—
»õgeln wohl das schönste Flugbild hat. Am genußreichsten waren
ins bei Fritzlar (ktroß der Stechmücken!) die Abend- und frühen
Morgenstunden. Um recht früh aus dem Gasthaus herausgelassen
u werden, mußten wir dem Wirt erst am Abend einen langen
Hortrag über den wissenschaftlichen Grund unseres Nichtaus-
chlafenwollens halten; aber die Folge war ein verwundertes Kopf-
chũtteln, am nächsten Morgen — eine doch verschlossene Tür und —
Naturforscher und Feld-⸗, Wald⸗ und Wiesenmenschen wissen sich
mmer zu helfen! — unser Aufbruch aus dem Haus durch die
Fenster. Dann eilten wir wieder zur Edder, ohne jedoch unter⸗
pegs die Beobachtung dessen zu vernachlässigen, was sich uns in
»er Stadt bot.
Die im pfingstlichen Blütenschmuck leuchtenden und duftenden
Härten sind schon erfüllt von taujendfachem Vogeljubel. Aus dem
vechjelvollen Chor entziffert unser Ohr die Gesänge vom Baum—
äufer, vom Gartenspötter und Girlißz; dieser einst sũdländische, mit
em Kanarienvogel nahe verwandte Fink ist ein Neuling in der
eutschen Vogelwelt; er ist dem Obstbau gefolgt und so durch die
nittelalterliche, bejonders kloösterliche Kultur in unseren Gau ge—
angt. Auch das Hausrotschwänzchen, das von allen Dächern
frißlars herab seine heiteren Weisen zum besten gibt, verdankt hier
er menschlichen Kultur seine Lebensbedingungen: ursprünglich ein
Zewohner von natfürlichen Felsen, hat der Rotschwanz in den
steinbauten, zunächst wohl den Burgen, Kirchen und Klöstern
jeue Nistplätße gesunden. NAuch für die, Frißlars Türme um—
lreijenden Mauerjegler und die hellrufenden Dohlen sind die alten
vohen Bauwerbe nichts als Felsen, in denen „man“ nisten Lann.
zelbst die Vogelwelt einer Gegend hat ihre „Geschichte“, und daß
zas Schichsal unserer gefiederten Freunde eng verknüpft ist mit
er Geschichte und Kulturentwicklung der Menschen, wird uns
jerade an dem Beispiel einer alten Staͤdt wie Fritzlar deutlich.
Schnell waren wir wieder an der Edder und lauschten den
diedern mehrerer Nachtigallen und Heuschreckensänger und eines
Blaubehlchens; diese drei Singyõgel gehören bei uns zu den
eltensten Arten. Da nach der drieflichen Mitteilung eines Vogel⸗
enners bei Frißlar außerdem die Nachtjchwalbe, das Teich- und
Wasserhuhn und der sehr seltene Wiedehopf (in Hessen ‚Wudewud“
enannt) vorkommt, ist unsere alte Chattenstadt für die heimische
dogelwelt ein wahrer Garten Eden. Moge diese Landschaft an
er Edder noch lange in ihrer Arsprünglichbeit erhalten bleiben,
leine Flußregulierung oder ähnliche Vorgewaltigung der Natur
Vasjeramjel, Eisvogel, Wiedehopf und die vielen bleinen Sing⸗
dgel vertreiben, damit der stolze Kaubvogeljchrei. das „Kuwitt“
es Kridewißchens (* Steinbauz), das „Fürchte Gott!“ der Waächtel,
der Heuschreckensang des Schwirels. die Kadaulieder der RVohr—