Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

für den Andres eine ganz eigene Würze und mundete ihm 
unbeschreiblich gut. 
Es war burz vor Weihnachten gewesen, als wieder so 
ein rundes Pabet mit einem Laib Brot für ihn angekommen 
war. Als er es auf der Schreibstube in Empfang genommen, 
da hatten die anwesenden Anteroffiziere gelacht und gesagt: 
„Da seht euch den — hmehm — an! Das ist wohl dein 
Weihnachtsgejchenk von zu Hause?“ Auch die Schreiber⸗ 
jeelen hatten hinter ihren Brillengläsjern, den unvermeidlichen 
Insignien ihrer Weisheit, hämisch gegrinst, weil sie ihn für 
einen Fresser halten mochten. 
Wie bonnten auch die Men— 
jchen, die vielleicht niemals 
eine Heimat im wahren Sinne 
gebannt, die Gefühle eines 
echten Bauernjungen ehren! 
Dem Andres aber hatte das 
sehr weh getan, und er schrieb 
—XV 
Mit dem letzten Pabet habe 
ich mich schwer blamiert. Ich 
bin verlacht und verhöhnt 
worden, als ich es in Em— 
pfang nahm. Das hat mir 
bitter weh getan, und weißt 
Du, liebe Mutter, was ich 
tat? Ich ging an ein stilles 
Plãtzchen, wo mich niemand 
sah, und — weinte.“ 
Doch bald darauf traf ihn 
noch ein viel herberes Ge— 
schick. Er erhielt plötzlich die 
Nachricht von dem Tode 
jeines zweiten Bruders. Dies⸗ 
mal haͤtte sich das Beinleiden 
nicht wieder durch eine Ope- 
ration eindämmen lassen, son- 
dern sich rasch verschlimmert 
und den Tod herbeigeführt. 
Traurig trat der Andres den 
Urlaub zur Beerdigung seines 
Sruders an, und noch keauriger 
fuhr er nach ein paar Tagen 
aus der Heimat wieder zur 
Garnison zurück. Wie ganz 
anders hatte er sich immer 
seinen ersten Urlaub in der Hei⸗ 
mat vorgestellt! — Wie sollte 
es nun zu Hause werden? 
Nach einiger Seit bonnte 
die Mutter dem Suge ihres 
Herzens nicht mehr widerstehen und fuhr zu ihrem Sohn in 
die Garnijon. Gleichzeitig brachte sie auch ein wohlbegrün⸗ 
detes Keblamationsgesuch mit, nicht wie so viele andere aus 
purer Selbstjucht und Mangel an Opfergesinnung; o nein, 
sie tat es aus berechtigter Sorge um die Erhaltung des 
Hofes. Doch der Andres wollte von so etwas durchaus 
nichts wissen, so schwer es ihm auch fiel, die Hoffnung der 
Mutter zu zerstören. Die Pflicht, fürs Daterland einzu— 
stehen, galt ihm als die höchste. Als dann am Sonntag, 
nachdem beide in der Kirche gehört hatten, daß der Herr 
Pastor die Anschaffung von Sanitätshunden als ein gutes 
Werk hinstellte, die Mutter den Vorschlag machte, einen 
jolchen Hund zu baufen, der leiste ja in mancher Beziehung 
noch mehr als ein Mann, und so wäre ein guter Ersatz für 
hn, den Andres, geschaffen, wenn er entlassen würde — da 
hatte der Sohn zur Antwort gegeben: „Ja, Mutter, wenn 
der Hauptmann sagt: Gut, Ihr Sohn ist in der Heimat 
vötig, er kann gehen, wir schicken dann statt hundert Mann 
rur neunundneunzig ins Feld — wenn er so spricht, dann 
vill ich's zufrieden sein.“ Aber der Herr Hauptmann sprach 
ucht so. Und der Andres? — „Nun, wenn dieser Hundertste, 
der für mich hinaus müßte, der Sohn einer noch ärmeren 
Vitwe wäre und fiele, wie bönnte ich das verantworten! 
Ich tu meine Pflicht und gehe ins Feld. Das andere mag 
doer liebe Gott machen, wie 
᷑ MA Aα. O,—A—ACAC;,— er will.“ 
AUnd er ging ins Feld.— 
Just, als der Frühling 
ins Land gekommen war 
und der Mai sich rüstete mit 
all jeiner Pracht, da stand 
der Andres in Flandern im 
Schützengraben, wenn man 
die Erdmulden dort so nennen 
wollte. Es war ein wunder— 
schöner Frühlingstag, und die 
Gedanken an die Heimat 
regten sich gar mächtig. Doch 
es waren Leine freudigen 
GHedanken, so eigenartige, 
ahnungsschwere, als müßte 
heute noch etwas Besonderes 
bevorstehen. Es währte nicht 
lange, da stellte sich das Be— 
sondere auch schon ein. Die 
Kompagnie wurde zum Sturm 
auf ein dicht vor der Stellung 
iegendes Gehöft befohlen. 
Der Andres machte sein 
Sturmgepäck fertig, und krotz 
der Begeisterung, die sich in 
der Aufregung bei den 
Kameraden hier und da be— 
nerbbar machte, wurden jeine 
Ahnungen immer trüber. Sur 
estgesetzten Seit brach der 
Sturm los. Doch der Feind 
hatte sich fester eingenistet, 
als man gedacht, und richtete 
mit seinen Maschinengewehren, 
die in großer Sahl eingebaut 
waren, große Verheerungen 
in den Keihen der Stürmenden 
an. Mutig ging der Andres 
voran und haͤtte als einer 
der ersten das Gehöft schon bald erreicht. Da — auf einmal 
— was war das? Er griff in die Luft, taumelte und brach 
zusammen. Ganz grün wurde es um ihn — und sonnig, 
ind ihm war's, als atme er den Duft frischgebrochener Erde. 
Und da — da stand seine Mutter und neigte sich über ihn. 
Und jetzt — das waren seine Brüder, die auf ihn zueilten. 
Mein Herr und — mein Gott!“ und es war geschehen. 
fFin Kopfschuß hatte ihm einen schnellen, schmerzlosen Tod 
ebracht. 
Als dann der Feind wich und die Kameraden den 
Siegesruf anstimmten, war es da nicht, als ob sich sein 
Angesicht verklärtel Und wenn er es nicht mehr hörte, er 
uhte doch sanft in dem Grabe, das ihm seine Freunde 
chaufelten. Er hafte seine Pflicht getan. 
Aufnahme von W. Muhr.
	        
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