Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

gegangen. Auch heute, im dichten Novembernebel, behrten 
sich seine Gedanben immer wieder nach innen, besonders 
dann, wenn das dumpfe Rollen eines Truppenzuges auf 
der Main-Weser-Sahn drüben an sein Ohr drang. Mit 
diesen Soldatenzügen eilten seine Gedanken in weite, nie— 
gesehene Fernen — niegesehene, ungewisse Fernen. 
Ubermorgen würde das Dampfroß auch ihn dorthinaus 
kragen. Was dann? And mit einem Wal waren seine 
Gedanben wieder bei Haus und Hofß, Mutter und Bruder, 
Vieh und Ackern. Was würde aus ihnen werden? Wie 
pürden sie sich ohne ihn zurechtsinden? Das war seine 
größte Sorge, und dann kam erst die für sein Ergehen da 
draußen in der Fremde. Ach ja, hinaus in die Fremde, 
in den großen Krieg sollte erl Sis dahin hatte er die 
Heimat noch nicht länger als auf einen Tag oder auf zwei 
und nur auf burze Entfernung verlassen. Trotzdem hatte es 
ihn schon alsdann immer wieder mit Gewalt in seine Heimat 
zurũckgezogen. Ja, das stille Dörschen, das war ihm alles 
geworden. Da hatte er eine sorglose, friedliche Jugendzeit 
gehabt, wie sie nur ein frischer Bauernjunge haben bann. 
Es barg die Liebsten, die er auf Erden hatte: seine Mutter, 
seinen Bruder und — noch Eine. Doch wollte er sich 
jelber seine Neigung immer noch nicht eingestehen, obwohl 
ihm stets das Herz höher jchlug, wenn ihm das Mädchen 
mit den frischen Wangen, den hellen Augen und braunen 
Zõpfen begegnete. Er bewahrte seine Liebe wie eine zarte 
Slüutentnospe — vor dem Entfalten, aber auch vor der 
Zerstörung durch einen jähen Frost. And wie vieles war 
dann noch da, woran er seine Freude empfunden, was ihm 
in den schönsten Lebensjahren ein ungetrübtes Glück verschafft 
hattel Ja, und morgen war auch sein Geburtstag; fünf- 
undzwanzig wurde er da. And übermorgen mußte er aus— 
ʒiehen aus der Heimat zu Kampf und — Tod; wer wußte 
es Ja, aber zum Kampf für die liebe Heimat mit allen 
ihren Gütern, für die heilige Scholle, die frei und deutsch 
bleiben sollte, so, wie sie die DRäter gehalten. Das wußte er. 
So ging er nun schon seit einigen Stunden. Die Krähe, 
die hinter ihm hertappte und auf Mäuse fahndete, bonnte 
sich nicht genug wundern über den stillen Ackermann, und 
die Stare, die ein Gezänk erhoben um die fettken Engerlinge, 
bom Pflug hervorgewühlt, vermochten ihn nicht aus seinem 
Sinnen zu wecken. Erst als der Knecht, der nebenan 
pflügte, ihm zurief, daß es Seit sei zur Mittagspause, fuhr 
er aus seinen Gedanken auf, spannte aus und zog mit seinen 
Füchsen dem Dorfe zu. 
Seim Mittagessen, das von allen Hausgenossen gemeinsam 
in der großen Wohnstube eingenommen wurde, drehte sich 
das Gespräch hauptsächlich um die notwendigsten Arbeiten, 
die noch zu tun seien, und um die Beschaffung der Aus- 
rüstung für ihn, den zum Heer Einberufenen. Es fanden 
sich noch gar vielerlei Dinge, die es zu besorgen galt, und 
in der Aufregung um die Besorgungen waren die paar 
Stunden dieses und des folgenden Tages schnell geschwunden. 
Der Andres hatte sich von allen Freunden, Nachbarn und 
Sekannten verabschiedet und fuhr nun mit dem Wägelchen 
nach der etwa zwei Stunden entfernten Stadt zum Bezirks- 
ommando. Die Mutter begleitete ihn. Karl, der zweite 
Bruder, der schon die Aniversität besuchte, mußte das Bett 
hüten. Nach den UÜberanstrengungen, die das Einbringen 
der Ernte auch von ihm gefordert hatte, setzte ihm ein altes 
Seinleiden wieder zu. Trotzdem baute der Andres seine 
ganze Hoffnung für die Weiterführung der Wirtschaft auj 
den studierenden Bruder. Der war eigentlich auch viel 
besser zum Hofherrn geeignet. Er faßte die Arbeit ziel- 
ewußter an, hatte mehr Energie, bonnte den Leuten eher 
efehlen als der sanftmütige, ruhige Andres, dem das immer 
chwer fiel. 
Die neuangekommenen Kebruten — es waren ihrer 
iber zweĩhundert, alle aus der näheren Umgegend — wurden 
n der üblichen Weise geordnet und aufgestellt. Dann 
narschierte der Sug, von einer Musibkbapelle begleitet, an 
den Bahnhof. Dem Andres blieb noch gerade Seit, von 
einer Mutter kurz, aber herzlich Abschied zu nehmen. Der 
zug fuhr ab und führte ihn mit vielen anderen gesunden, 
ernigen Bauernjiungen in die Ferne. 
Das Leben in der Garnison brachte viel Neues für den 
Andres, und die Welt, die er in seiner Heimat und ihren 
Zewohnern schon ganz erfaßt zu haben glaubte, stand mit 
jjnem Mal in ganz anderen Bildern vor ihm. Von der 
inen Seite betrachtet, war es viel glänzender, prunkender, 
ber von der anderen, wie gemein und erbärmlich nahm es 
ich da ausl Der Dienst, obwohl mit bestem Willen getan, 
nachte ihm Mühen und Beschwerden und manchmal auch 
derdruß. Desgleichen der Verbehr mit den Vorgesetzten 
ind Kameraden, die ganz anderen Volbsklasjen entstammten, 
anz andere Ansichten und Lebensgewohnheiten hatten. 
zeine einfache, etwas unbeholfen schüchterne, aber gradeaus 
erichtete Bauernnatur stieß immer wieder an. And bei 
einer ruhigen, feinfühlenden Art, seiner tiefen Gemütsanlage 
mpfand er das doppelt schmerzlich. Ach ja, dann mußte 
unwillkürlich an ein Spiel seiner Kinderjahre denben. 
Da hatte er ein Schaflämmchen, weil er ihm etwas be⸗ 
onders Gutes erweisen wollte, mit in die Wohnstube 
senommen. AUnd sieh, das becke Ding, das draußen im 
Stall oder auf dem grünen Kasen so munter und gewandt 
pringen konnte, vermochte auf dem glatten Fußboden nur 
janz unbeholfene Schritte zu machen, glitt aus und tölpelte 
jegen alles an, was ihm in den Weg kam. Statt der 
freude, die sich bei ihm einstellen sollte ob der Gunst, ließ 
s sein Stimmchen klagend erschallen und schaute traurig 
——— 
Das Heimweh regte sich. Aber das saß wieder so tief da 
rinnen in der Bauernbrust, daß es gar nicht, wie bei so 
ielen anderen, zum Vorschein kam. Nein — nur wenn 
hm die Post einige Tage nichts brachte, dann ließ er den 
Zopf hängen, wenn ihm aber ein Paar Füchse begegneten, 
ie ihn an sein Gespann zu Hause gemahnten, dann glänzten 
eine Augen heller. Alles, was aus der Heimat bam, 
nochten es ein paar Seilen Schrift, etwas Gedrucktes, ein 
dabetchen mit den einfachsten Sachen oder gar nur das 
derpackungsmaterial sein, alles hatte für ihn eine besondere 
Veihe und machte ihm eine kindliche Freude. So bam es, 
aß er nicht nur einen regen Briefverbehr mit Wutter, 
Anverwandten und Freunden unterhielt, sondern auch immer 
vieder ein Pabet mit Lebensmitteln erbat, obwohl es ihm 
n der Garnison an nichts gebrach. Doch es galt ihm ja 
uücht um die Lebensmittel als solche, zu allerletzt hätte er 
ich dann Brot schicken lassen, was er aber regelmäßig tat 
— nein, wenn er so ein Stückchen meistens schon spröde 
ewordenes Brot hatte, dann hielt er damit ein Stückchen 
heimat in der Hand. Auf dem Kohlgrubenacker war es 
jewachsen und eine gute Ernte war's gewesen. Es hatte 
iber auch viel Fleiß und Sorgfalt gebostet, viel Sorgen 
vährend des Wachstums, viel Schweiß bei der Ernte. 
Und dann, als es zu Mehl geworden, hatte es die Mutter 
elber mit den Mägden zu Brot gebacken, und wer weiß, 
pie viele kummervolle Gedanken um ihn und wieviel Liebe 
nit hineingebacken waren! So hatte das Stückchen Brot 
X
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.