gegangen. Auch heute, im dichten Novembernebel, behrten
sich seine Gedanben immer wieder nach innen, besonders
dann, wenn das dumpfe Rollen eines Truppenzuges auf
der Main-Weser-Sahn drüben an sein Ohr drang. Mit
diesen Soldatenzügen eilten seine Gedanken in weite, nie—
gesehene Fernen — niegesehene, ungewisse Fernen.
Ubermorgen würde das Dampfroß auch ihn dorthinaus
kragen. Was dann? And mit einem Wal waren seine
Gedanben wieder bei Haus und Hofß, Mutter und Bruder,
Vieh und Ackern. Was würde aus ihnen werden? Wie
pürden sie sich ohne ihn zurechtsinden? Das war seine
größte Sorge, und dann kam erst die für sein Ergehen da
draußen in der Fremde. Ach ja, hinaus in die Fremde,
in den großen Krieg sollte erl Sis dahin hatte er die
Heimat noch nicht länger als auf einen Tag oder auf zwei
und nur auf burze Entfernung verlassen. Trotzdem hatte es
ihn schon alsdann immer wieder mit Gewalt in seine Heimat
zurũckgezogen. Ja, das stille Dörschen, das war ihm alles
geworden. Da hatte er eine sorglose, friedliche Jugendzeit
gehabt, wie sie nur ein frischer Bauernjunge haben bann.
Es barg die Liebsten, die er auf Erden hatte: seine Mutter,
seinen Bruder und — noch Eine. Doch wollte er sich
jelber seine Neigung immer noch nicht eingestehen, obwohl
ihm stets das Herz höher jchlug, wenn ihm das Mädchen
mit den frischen Wangen, den hellen Augen und braunen
Zõpfen begegnete. Er bewahrte seine Liebe wie eine zarte
Slüutentnospe — vor dem Entfalten, aber auch vor der
Zerstörung durch einen jähen Frost. And wie vieles war
dann noch da, woran er seine Freude empfunden, was ihm
in den schönsten Lebensjahren ein ungetrübtes Glück verschafft
hattel Ja, und morgen war auch sein Geburtstag; fünf-
undzwanzig wurde er da. And übermorgen mußte er aus—
ʒiehen aus der Heimat zu Kampf und — Tod; wer wußte
es Ja, aber zum Kampf für die liebe Heimat mit allen
ihren Gütern, für die heilige Scholle, die frei und deutsch
bleiben sollte, so, wie sie die DRäter gehalten. Das wußte er.
So ging er nun schon seit einigen Stunden. Die Krähe,
die hinter ihm hertappte und auf Mäuse fahndete, bonnte
sich nicht genug wundern über den stillen Ackermann, und
die Stare, die ein Gezänk erhoben um die fettken Engerlinge,
bom Pflug hervorgewühlt, vermochten ihn nicht aus seinem
Sinnen zu wecken. Erst als der Knecht, der nebenan
pflügte, ihm zurief, daß es Seit sei zur Mittagspause, fuhr
er aus seinen Gedanken auf, spannte aus und zog mit seinen
Füchsen dem Dorfe zu.
Seim Mittagessen, das von allen Hausgenossen gemeinsam
in der großen Wohnstube eingenommen wurde, drehte sich
das Gespräch hauptsächlich um die notwendigsten Arbeiten,
die noch zu tun seien, und um die Beschaffung der Aus-
rüstung für ihn, den zum Heer Einberufenen. Es fanden
sich noch gar vielerlei Dinge, die es zu besorgen galt, und
in der Aufregung um die Besorgungen waren die paar
Stunden dieses und des folgenden Tages schnell geschwunden.
Der Andres hatte sich von allen Freunden, Nachbarn und
Sekannten verabschiedet und fuhr nun mit dem Wägelchen
nach der etwa zwei Stunden entfernten Stadt zum Bezirks-
ommando. Die Mutter begleitete ihn. Karl, der zweite
Bruder, der schon die Aniversität besuchte, mußte das Bett
hüten. Nach den UÜberanstrengungen, die das Einbringen
der Ernte auch von ihm gefordert hatte, setzte ihm ein altes
Seinleiden wieder zu. Trotzdem baute der Andres seine
ganze Hoffnung für die Weiterführung der Wirtschaft auj
den studierenden Bruder. Der war eigentlich auch viel
besser zum Hofherrn geeignet. Er faßte die Arbeit ziel-
ewußter an, hatte mehr Energie, bonnte den Leuten eher
efehlen als der sanftmütige, ruhige Andres, dem das immer
chwer fiel.
Die neuangekommenen Kebruten — es waren ihrer
iber zweĩhundert, alle aus der näheren Umgegend — wurden
n der üblichen Weise geordnet und aufgestellt. Dann
narschierte der Sug, von einer Musibkbapelle begleitet, an
den Bahnhof. Dem Andres blieb noch gerade Seit, von
einer Mutter kurz, aber herzlich Abschied zu nehmen. Der
zug fuhr ab und führte ihn mit vielen anderen gesunden,
ernigen Bauernjiungen in die Ferne.
Das Leben in der Garnison brachte viel Neues für den
Andres, und die Welt, die er in seiner Heimat und ihren
Zewohnern schon ganz erfaßt zu haben glaubte, stand mit
jjnem Mal in ganz anderen Bildern vor ihm. Von der
inen Seite betrachtet, war es viel glänzender, prunkender,
ber von der anderen, wie gemein und erbärmlich nahm es
ich da ausl Der Dienst, obwohl mit bestem Willen getan,
nachte ihm Mühen und Beschwerden und manchmal auch
derdruß. Desgleichen der Verbehr mit den Vorgesetzten
ind Kameraden, die ganz anderen Volbsklasjen entstammten,
anz andere Ansichten und Lebensgewohnheiten hatten.
zeine einfache, etwas unbeholfen schüchterne, aber gradeaus
erichtete Bauernnatur stieß immer wieder an. And bei
einer ruhigen, feinfühlenden Art, seiner tiefen Gemütsanlage
mpfand er das doppelt schmerzlich. Ach ja, dann mußte
unwillkürlich an ein Spiel seiner Kinderjahre denben.
Da hatte er ein Schaflämmchen, weil er ihm etwas be⸗
onders Gutes erweisen wollte, mit in die Wohnstube
senommen. AUnd sieh, das becke Ding, das draußen im
Stall oder auf dem grünen Kasen so munter und gewandt
pringen konnte, vermochte auf dem glatten Fußboden nur
janz unbeholfene Schritte zu machen, glitt aus und tölpelte
jegen alles an, was ihm in den Weg kam. Statt der
freude, die sich bei ihm einstellen sollte ob der Gunst, ließ
s sein Stimmchen klagend erschallen und schaute traurig
———
Das Heimweh regte sich. Aber das saß wieder so tief da
rinnen in der Bauernbrust, daß es gar nicht, wie bei so
ielen anderen, zum Vorschein kam. Nein — nur wenn
hm die Post einige Tage nichts brachte, dann ließ er den
Zopf hängen, wenn ihm aber ein Paar Füchse begegneten,
ie ihn an sein Gespann zu Hause gemahnten, dann glänzten
eine Augen heller. Alles, was aus der Heimat bam,
nochten es ein paar Seilen Schrift, etwas Gedrucktes, ein
dabetchen mit den einfachsten Sachen oder gar nur das
derpackungsmaterial sein, alles hatte für ihn eine besondere
Veihe und machte ihm eine kindliche Freude. So bam es,
aß er nicht nur einen regen Briefverbehr mit Wutter,
Anverwandten und Freunden unterhielt, sondern auch immer
vieder ein Pabet mit Lebensmitteln erbat, obwohl es ihm
n der Garnison an nichts gebrach. Doch es galt ihm ja
uücht um die Lebensmittel als solche, zu allerletzt hätte er
ich dann Brot schicken lassen, was er aber regelmäßig tat
— nein, wenn er so ein Stückchen meistens schon spröde
ewordenes Brot hatte, dann hielt er damit ein Stückchen
heimat in der Hand. Auf dem Kohlgrubenacker war es
jewachsen und eine gute Ernte war's gewesen. Es hatte
iber auch viel Fleiß und Sorgfalt gebostet, viel Sorgen
vährend des Wachstums, viel Schweiß bei der Ernte.
Und dann, als es zu Mehl geworden, hatte es die Mutter
elber mit den Mägden zu Brot gebacken, und wer weiß,
pie viele kummervolle Gedanken um ihn und wieviel Liebe
nit hineingebacken waren! So hatte das Stückchen Brot
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