der Tonsaß eines Meisters, der ein bebanntes Thema variiert
Und alle Gruppen zusammen bilden doch ein einheitliches, wohl—
geordnetes Ganzes. Swischen den einzelnen Themen sind Fermaten
eingelegt. Scharen bleiner Mädchen tragen bänderverzierte Blumen-
rörbe und bieten so dem Auge einen immer wiederkehrenden
Kuhepunkt im bunt vorüberflutenden Geschehen. Der Himmel
hat ein Einsehen mit den Festzugsteilnehmern in ihren Kostümen;
er läßt die Sonne nicht mehr wie am Vormittag mit flirerender
Glut in die engen Gassen prallen. Ihr Schein ist wie abgeblendet,
während der Festzug den vorgeschriebenen Weg vollendet.
Herolde in mittelalterlicher Tracht eröffnen ihn mit Fanfaren
tkuschen. Es folgt eine Gruppe chattischer Jäger mit der Meute
Stolz schauen sie auf ihre Beute, einen wirklichen, lebendigen Sären.
Gedrungene Gestalten, braungelbe Haut, langes, rotblondes Teutonen⸗
haar, mächtige Fäuste, Hörner als Schmuck der Kopfbedeckung,
Tierjellgewandung und naturechte Mimib und Abtion lasjen beinen
Zweijel aufkommen, daß hier die urwũchsigen Söhne eines von
der Kultur noch unbeleckten Naturvolbes vorũberziehen. Hinter
ihnen wandeln die Bringer der Gesittung und Kultur. Wie ein
monotoner Cantus lirmus schreiten die Monche in ihren braunen
Kutten einher, das Modell des Holzkirchleins tragend, das Bonifatius
der in ihrer Mitte geht, aus dem Holz der Donareiche errichtete.
Chattijche Bauern fahren auf klobigem Wagen, mit schweren Ochsen
bespanni, den gewaltigen Stumpf der gefällten
Eiche herbei, der sie die Ohnmacht ihrer
Götter erblennen läßt. — Sweihundert Jahre
später. Hoch zu VBoß zieht der Sachsenherzog
Heinrich zur Königswahl in Fritzlar ein; ihm
folgen seine Mannen und Getreuen. Von
ferne blingt es mit den feinen Tönen Carl
Loewes: „Herr Heinrich sitzt am Vogelherd
recht froh und wohlgemut . .“ Dann bommt
Kaijer Ottos des Ersten gebietende Majestät
mit Gefolge. War er groß als Kaiser, war
er noch größer als Mensch. Dreimal verzieh
er seinem aufrührerischen Bruder, Herzog
Heinrich, der sich sogar gegen sein Leben
verschwor. Conr. Ferd. Meyers Ballade
„Der gleitende Purpur“ klingt an: „Eid
Weihnacht! Eia Weihnacht! schallt im
Münsterchor der Pfsalm der Knaben. Kaijser
Otto lauscht der Mette, Diener hinter sich
mit Spend' und Gaben...“ SBugleich auch
Heinrich von Mühlers „Otto J. und Heinrich“:
„Zu OQuedlinburg im Dome ertönet Glocken⸗
blang ...“ Deutsche Ordensritter, reckenhafte
Gestalten, ziehen vorüber: „Gen Ostland
woll'n wir reiten“ Und nun kommt —
halli, hallol! — die Schũßzengilde. Warum
singen die Burschen in ihrer grünen Tracht
nicht frisch aus freier Brust: „Es wollt' ein
Jaãger jagen drei Viertelstund' vor Tagen
ein Hirschlein oder ein Reh, ja Rehl“
So mag es vor Seiten gar oft in vollem Chor erblungen sein. —
Dann erscheinen mit den vergoldeten Abzeichen ihres Handwerber-
berufes die mittelalterlichen Innungen. Voran: „Es wollt ein
Schneider wandern am Montag in der Fruh.“ Wie aus der Lade
gestiegen, geschniegelt und gebũgelt sind diese Schneidergesellen,
denen die riesengroße Schere vorausgetragen wird; es Lommen
in köstlichen Grüppen die Simmerleute, Tischler, Kunstschlosser,
Hufschmiede, Knochenhauer u. a. Die Kaiserlichen Feldherren
Tillh und Piccolomini reiten an der Spitze ihrer Offiziere und
Soloͤaten ein, so wie sie vor 8300 Jahren in Fritzlar, wo sie oft
Quartier nahmen, eingezogen sein mögen. Nun nimmt ein
lustiges Schäferspiel die Slicke aller Festgäste gefangen. Ein
Hochzʒeitsʒug aus dem 18. Jahrhundert zieht vorbei. Voern
schreitet selbstbewußt und gewichtig der Hochzeiter, ihm folgtf
das stattliche junge Paar mit den Hochzeitsgästen. Wie reizende
Porzellanfigũrchen nehmen sich manche der Robobodämchen aus.
Und die Herren mit ihren Dreijpitzen auf dem Kopf und ihren
weißen Puderperũcken sind nicht minder graziös. Diese Gruppe
löst vor allen andern die höchste Bewunderung aus; denn sie
ist ganz in Schönheit und Anmut getaucht. Die Garnison
in historijchen Uniformen gibt dem Ganzen den Abichluß. Sie
läßt hessische Husaren (1813), Bürgergarde aus 1848, Artillerie
in blauer Uniform (vor dem Weltkrieg) und Artillerie der Keichs
wehr in Feldgrau und mit Stahlhelm erbennen. Dadurch, daß
der Festzug einzelne Linien des Straßenzuges mehrfach berührt,
—
eit gegeben, alle Gruppen eingehend und in Muße zu betrachten.
Mit höchster Befriedigung und Freude bönnen Veranstalter wie
Hoch zeitsqgruppoe aus
ee auf den wohlgelungenen bulturhistorischen Festzug zurück-
licken.
Nach Beendigung des Festzuges strömen die Massen des Vollbes
in beängstigendem Andrang auf den Festplatz an der Allee, wo
die üblichen Volbsbelustigungen, deren Wert oft ebenso zweifelhaft
ind fraglich ist wie die Freude. und Erholung, die sie spenden, mit
ärmendem Tamtam jfür Anterhaltung sorgen. Doch sei noch gesagt,
daß Fritzlars Festplatz, auf den die altersgraue Stadtmauer mit
weien ihrer Türme schaut, nicht schöner gedacht werden bann.
Am Abend des Hauptfesttages ist die Stadt wieder glänzend
lluminiert.
Für den dritten Tag der Jubelfeier waren sportliche Dar—
ietungen, Besichtigungen der Kunstdenkmäler der Stadt und
Konzerte vorgesehen. Nachmittags strömte alles zu Fuß, zu Roß,
zu Rad und zu WMagen auf den Fritzlarer Exerzierplatz hin aus,
vo unter dem Protebtorat des Generals der Inf. RKeinhardt,
es Oberbefehlshabers des Gruppenbommandos 2, ein Reit- und
Fahrturnier veranstaltet wurde. Vosse und Reiter boten im wett—
ifernden Kennen über den grünen Rasen der Schaulust der Menge
nanch prächtiges Bild; zuweilen fehlte auch eine von heiteren
Konturen umrissene Szene nicht.
Mehr als die Ergebnisse des Kennens zogen den Bericht-
A
der Roboboxceit.
Hofphotoaraph Eberth, Cassel.
illen Himmelsrichtungen gewährt. Wieviel Dörfer ducken sich ins
abendliche Land! Wieviel Berge recken sich zum Himmelsblau
mpor! Von den Waldecker zu den Langen Bergen, vom Wart⸗
derg zum Odenberg, Scharfenstein, Gudensberger Schloßberg,
Maderstein, Heiligenberg, Harler Kopf, Mosenberg, Homberger
Schloßberg, Knüllköpfchen und immer weiter und weiter. Äber-
vältigend schön ist der Kundblick vom KRand dieser Hochebene.
Und mit diesem Slick in die Schönheit des Hessenlandes, mit
Hottfried Kellers: „Trinkt, o Augen, was die Wimper hält. von
em goldnen Aberfluß der Welt!“ heißt es scheiden und zur Stadt
ich wenden, um auch ihr im Abendgrauen Lebewohl zu sagen. Die
— Festtage sind versunken. wie die Sonne hinter don Wäldern
Jersank.
424 —4
„Dora“ (Orossol-Lied).
Du, Drossel, mein liebster Vogel im Wald.
O, wie so lieblich dein Lied erschallt,
Rührst mir die zagende Seele auf,
Am Morgen wockst früh du zum Tageslauf.
Auch wenn Frau Sonne am Himmel glüht,
Stimmst lieblich du an dein süßes Lied;
Oerstummt auch rastend die Schwesternschar,
Du bringst eine neue Strophe mir dar.
Und winkt am Abend den Müden die Ruh,
Noch immer, Waldnachtigall, singest du—
Das singet und klinget von fern und nah:
„Judit. David., Herzlieb. Dorad“ MSunbkel.