Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

UÜber der Lebenopforte Fritzlars glänzt auch der Name 
Heinrichs J. und verleiht der Stadt auf Jahrhunderte hinaus 
röniglichen Glanz. 
Diejelben drei Männer stehen auch an der Schwelle des 
deutjchen Reiches. Je nach der religiös-birchlichen Einstellung 
wvird der Deutsche Bonifatius und sein Werb verschieden einschätzen. 
Der Historiker aber wird ihm das Verdienst zuerkennen, daß er 
durch die religiös-birchliche Einigung der deutschen Stämme die 
Grundlage für die spätere politische Einigung des deutschen Volkes 
geschaffen hat. Diese politijche Einheit schuf Karl der Große. 
Sein unermeßliches Keich, ein buntes Gemisch vieler Nationen 
und Sprachen, wurde durch die ũberragende Persönlichbeit des 
großen Karl gewaltsam zusammengehalten. Von Bestand bonnte 
eine jolche Schöpfung nicht jein. Besonders die deutschen Stämme 
im großen Karolingerreich drängten nach Selbständigkeit, die sie 
durch Heinrich J. exrangen. Er löste Deutschland von dem Riesen- 
reich Karls los und bewirkte unter der Oberhoheit der Sachsen 
eine innige Verschmelzung von Germanentum und Christenfum. 
Nun tritt das Keich in die goldne Jugendzeit. An seiner Spitze 
steehen die Reckengestalten der Kaiser. Die Grenzen dehnen sich. 
Im Inneren blühen Handel und Gewerbe. In Walter v.d. 
ODogelweide, im Nibelungenlied, in den deutschen Domen drängt 
die Kunst nach höchster DVollendung. Das Leben der Nation 
Die Sünfte im Festzug. 
offenbart sich in einer Einheit und Geschlossenheit der inneren und 
üußeren Kultur, wie sie die Geschichte nur einmal gesehen hat— 
in der griechischen Antikbe. 
Fritzlar ist reich an Seugen aus dieser goldnen Jugendzeit. 
In jeiner Kaiserpfalz schlug das Herz des Keiches. Die Ottonen 
und Heinriche zogen hier ein und aus. Reichs- und Kirchen— 
persammlungen wechselten in bunter Folge. Oft standen sich hier 
die Gegner in Kampfhandlungen oder Friedensverhandlungen 
gegenüber. Die Kunst, besonders die der Goldschmiede, schuf 
wundersame Werbe. So bennt man sogar eine „Fritzlarer Kunst— 
schule Rogerscher KRichtung“. Noch heute birgt der Domschatz 
Löstliche Kleinodien aus den Meisterhänden jener Seit. NAus 
religiösem Schwung heraus entstanden große, segensreiche Stiftungen. 
Zwischen 1216 und 19 schrieb Herbolt von Fritzlar sein „Lied von 
Troye“, das den Trojanischen Krieg besingt. Und Hermann von 
Fritzlar gab ein „Heiligenleben“ heraus, das gosammeite Prediaten 
deutscher Mystiker enthält. 
Doch Jugend hat auch Schatten. Und Schatten fallen auch auf 
Fritzlars Jugend: die Stadt liegt mit dem Stift, die Sünfte liegen 
mit der Stadt im Streit. Su diesem inneren Unfrieden bommen 
äußere Kämpfe. König und Gegenbkönig befehden sich. Stadt und 
Dom fallen den Scharen des Gegenkönigs Rudolf v. Schwaben 
zum Opfer (1079). 1232 gehen sie durch die Truppen des Land— 
grafen Konrad von Thüringen abermals in Flammen auf. Fritzlar 
ersteht wieder aus der Asche. Doch in den 150 jährigen Kämpfen 
zwischen Mainz und Hessen hat die Stadt als Mainzer Vorposten 
piel Drangsal zu erdulden. Ansäaliches erleidet sie auch im 
Dreißigjährigen Krieg. Im Siebenjährigen Krieg wird Fritzlar 
o hart mitgenommen, daß es aufhört, eine feste Stadt zu sein. 
Das ist die Leidensgeschichte Fritzlars, zugleich auch die des 
Zeiches in seinem Niedergang und Serfall. Nach Jahren jsehn- 
üchtigen Harrens erstand das Reich wieder in Glanz und Herrlich- 
eit, um dann wieder in Staub zu fallen. Ein Deutschland 
tarb — das Deutschland nicht. Es stirbt nicht; es lebt und wird 
höner und herrlicher leben. Auch dafür ist Fritzlar Sinnbild und 
Vahrzeichen. Es hat sich erhoben und steht nun geschmückt wie 
n jeinen bräutlichen Tagen, da die Kaijer zu ihm bamen; es schaut 
tolz auf seine glanzvolle und sturmbewegte Dergangenheit zurück 
ind mit festem Gottvpertrauen in die Lommende Seit. Eine geheime 
Traft hat Fritzlar in Not und Tod erhalten und immer wieder 
ur Höhe geführt: der Idealismus, der Gott als den fruchtbaren 
Quellgrund alles Seins anerbennt, Welt und Ich seinen Gesetzen 
interwirft, das Ich zum Du erhebt und zum Wir macht, zum 
ebendigen, starken, opferfreudigen Wir der Heimat- und Daterlands⸗- 
iebe. Liebe zur Heimat, Liebe zur Religion sind die Heilkräfte, 
ie Deutschland Genesung bringen werden. So sei auch Fritzlar 
n dieser Beziehung Mahn- und Wahrzeichen: Der deutsche Adler 
vird sich wieder vom Boden erheben, getragen von den Flügeln: 
Keligion und Vaterlandsliebe. — 
Das war die Festrede, die alle Hörer wie mit starken Armen 
emporriß und umso höher trug, als sie es mit 
bewundernswertem Geschick vermied, Tren— 
nendes ankblingen zu lassen, wofür sie das alle 
deutschen Christen Einigende und Gemeinsame 
umsomehr betonte. Es wird den Festredner 
gewiß nicht kränken, wenn einer von der 
anderen Seite, ein Protestant, dieses sein 
Bestreben und dessen volliges Gelingen frohen 
Herzens anerbennt. 
Die höchste Anerbennung fũr die stille und 
erfolgreiche Forscherarbeit eines Lebens sollte 
dem Kedner ganz unerwartet aus berufenerem 
Munde werden. Am Schluß der Redoe erstieg 
zur Überraschung aller der Rektor der Uni— 
versität Marburg, Prof. Dr. Bornhäuser, 
in vollem Ornat die Bühnenstufen, um nach 
einer Ansprache Migre. Jestädt vor großer 
Zeugenschar zum Doktor der Philosophie zu 
promovieren, indem er das Dobtordiplom 
perlas: 
„Unter dem Vorsitz des Rebtors Prof. 
Dr. Bornhäuser verleiht die Philosophische 
Fabultät der Universität Marburg durch ihren 
Dekan Osbar Weigel Monsignore Prälat 
Jestädt, dem Sammler und Erhalter der 
Kunstschãtze des Kreises und der Stadt Fritzlar, 
—* Hüter und Verschönerer ihres Domes, 
dem Führer der Wissenschaft und dem tat— 
kräftigen Manne, ehrenhalber Titel, Kechte 
und Würden eines Dobtors der Philosophie 
„cum lauda“. 
Vollzogen zu Marburg am 11. Mai 1025. 
Der Deban der Philosophischen Fabultät 
Osbar Weigel.“ 
Ergriffen dankte der neue Ehrendobtor in geistvollen, wohl⸗ 
jeseßten Worten. Er halte sich nicht wert dieser hohen Aus— 
eichnung. Da jedoch eine höhere Instanz ihn nach reiflicher Prũfung 
ür würdig befunden habe, nehme er die hohe Ehre an. Uber 
die Pforten der deutschen Hochschulen könne man schreiben: Dem 
Wahren, Schönen, Guten! Dieser Dreiheit habe auch jein Leben 
ind Schaffen gegolten, und ihr wolle er fürderhin noch mehr als 
isher sein Leben in Wort, Schrift und Tat weihen. — Lebhafter 
Seifall gab die Freude der Festgäste über die wohlpordiente Aus- 
zeichnung des Geehrten bund. 
Das traumhafte Schwalbengezwitscher unter dem Dach der 
Festhalle versank in den rauschenden Khythmen eines Kärassier- 
narsches, der, von einer deutschen Prinzessin bomponiert,. diese 
Feier des Friedens mehr laut als sinnig beschloß. 
hotoqgraph Eberth, Cassel. 
Nachmitkags 2 Uhr bewegt sich vom Kasernenhof her der 
ulturhistorische Festzug, dessen kLünstlerische Leitung Prof. 
5autter und Kunstmaler Lewerenz aus Cassel übertragen war, 
zurch die Straßen der Stadt, von Sehntausenden begrüßt und 
ewundert. Das Programm hat nicht zuviel versprochen. Der 
festzug ist eine Sehenswürdigkeit. Farbenprächtige Gruppen sind 
nit künstlerischem Blick und mit historischer Treue zusammengestellt. 
Jede einzelne ist in ihrem bunten oder einfarbigen Gewand wie
	        
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