schauend, sagte der Vater: „Wir wollen anfangen.“ Indem »desmal eine Fröhlichkeit, wenn der Dobtor den letzten
schlug es zwischen sie ein und warf alle zu Boden. Das Sesuch gemacht hatte, denn dann war bei Möllers alles
Mädchen weist eine rote Stelle im Nacken. „Da hat's vieder in Ordnung gekommen, und wenn wir uns das nächste
mich getroffen.“ Aber sie und die beiden Knechte standen Nal bei einer Krankheit wiedersahen, war die Hoffnung
hald wieder auf, der Dater blieb liegen. Seine Uhr lag nit zu Gaste, und sie war nie zu Schanden geworden. So
ꝛin Stück von ihm, und die Stiefeln waren ihm ausgerissen. var zwischen den Bewohnern des Bauernhofes und dem
Wie er sich gar nicht rührte, hoben sie ihn auf den Wagen, ODobtor stets eine besondere Art freundlichen Vertrauens.
deckten ihn zu und fuhren durchs Städtchen an das Doktorhaus. Mit dem Mädchen trete ich in den Hof, und als die Bäuerin
„Ist er wirklich tot?“ neiner ansichtig wird, geht über ihr gutes, breites Gesicht
„Ja.“ ꝛin helles Lächeln, sie läßt die Hühner, geht auf mich zu
„Ist gar nicht zu helfen?“ ind streckt schon auf weite Entfernung mir die Hand entgegen.
„Nein.“ Ich bin ein paar Schritte vorgegangen, bleibe stehen, mache
„Ach, die Mutter! Herr Dobtor, gehen Sie mit zur Mutter.“ vohl eine Gebärde des Bedauerns; sie versteht nicht, kommt
Ich weise die Knechte an, weiter zu fahren zum Friedhof. reundlich lächelnd näher, schaut mich an, scheint das Kind
„Ei warum?“ fragt das Mädchen, und dabei fängt sie jar nicht zu beachten.
gewissermaßen von einer anderen Seite her an zu begreifen, „Frau Möller, es ist ein großes Unglück geschehen.“
wie tot der Dater ist. „Das muß so sein, und wir gehen Sie versteht nicht, aber das Lächeln wandelt sich langsam
zur Mutter.“ Während der Wagen mit den starken Pferden nnstilles Fragen. Sie sieht zur Tochter hin, die jetzt bei uns ist.
sich langsam in Bewegung jsetzt und die Knechte an den Köpfen „Der Blitz“, stößt das Mädchen hervor.
der von ihnen am Sügel burz geführten Tiere gehen, um In das Fragen auf den Sügen der Bäuerin fließt der Schreck.
die große, im weiten Bogen nach dem Friedhof ziehende „Der Dater — ist er getroffen?“
Fahrstraße einzuschlagen, gehe ich mit dem Mädchen auf Das Kind beugt das Haupt auf die Brust, greift nach
rürzerem Feldweg nach dem Bauernhof, der nicht weit vom Mutter und faßt ihre linke Hand.
Friedhof liegt, und hinter dessen Obstgarten die Friedhof— „Tot?“
traße vorüberzieht. Ich nicke. Der Arzt soll heute der Bote des Todes sein.
Das Gewitter ist abgezogen, der Kegen hat aufgehört. And nun gleitet das Wissen um den Tod des liebsten
Schwer und schön steht die reifende Frucht auf dem Feld, Menschen wie ein Erstarren über die Süge der Frau, so
an den Ahren laufen Kegentropfen ab, weit dehnt sich der vie im Frost über die Fläche eines Sees, der die liebe
Blick über gesegnete Fluren, auf denen überall das Grün Natur eben noch gespiegelt hat, eine Eisdecke sich breitet.
des Wachsens in das Gold der Keife übergeht. Der Boden Die Farbe weicht, alles Lächeln ist längst geschwunden, die
dampft leise, und eĩn starker Geruch entströmt dem aufgeweichten Augen werden größer und schauen in furchtbare Fernen.
Erdreich, Kornblumen, Mohn und Winden schimmern zwischen Der Blitzstrahl, der ihr den Gatten geraubt, trifft jetzt auch
den Halmen. Das Mädchen neben mie ist im Innersten ie, läßt sie am Leben, aber dringt ins Mark. Und das
erregt, sie redet unaufhörlich. Wie der Blitz zwischen sie Erstarrksein ruht auf ihren ZSügen.
fuhr, wie sie wieder aufstanden. Rückwärts zu der furcht- Gorgo Medusa — Entsetzen, Erstarrung und tiefe Todes-
baren Erschütterung des Leibes und der Seele und vorwärts chönheit haben die Alten dein eigen genannt, grauenvolle
zu der armen, armen Mutter eilen die Gedanken hin und S„chönheit des Todes, die nur der Todgeweihte ganz zu
her und her und hin, unmenschlich viel für das junge Bauern- chauen vermag, die der mitten im Leben noch Stehende
mädchen. Wie kann sie's nur der Mutter leichter machen? dJar nicht erfajjen kann — wie viel, wie kief hat das Griechen-
„Herr Dobtor, sagen Sie der Mutter nicht, daß er um um Rätsel und Geheimnis von Tod und Leben gewußt.
gleich tot war. sagen Sie ihr doch, er hätte noch gelebt und Was wissen die meisten Menschen heute denn noch in der
wäre erst bei Ihnen gestorben, da ist es ihr nicht jo schwer.“ Armut ihres Oberflächensinnes von diesen gewaltigen Dingen,
Sie sieht mich im zitkernden Schreiten fragend an: ob das geht? n denen sie mitten inne stehen, unvermögend, ihre Größe
Wir kommen näher an den Bauernhof. Da steht des und ihre Wunder auch nur von ferne zu ahnen.
Wöllerpeters stattliches Bauernhaus, das er burz vor dem Die Möoðllerbäuerin hat sie in dieser Stunde erlebt.
Krieg noch gebaut hat, schmuck und sauber, mit den grünen Sie wankbt, ich fasse ihre Kechte und halte sie am Arm.
Fensterläden auf den weißen Wänden beider Stockwerke, AUnd aus der großen Erstarrung ringt sich ein Laut aus
darüber das hohe Schieferdach. Und daneben die große hrer Kehle, bein Wort, bein Name, ein Laut so weh und
Scheuer, die ansehnlichen Ställe; das alles umfaßt von einer so blagend, wie ein weidwundes Tier ihn ausstößt.
Bruchsteinmauer mit einem weiß gestrichenen Holzgitter darauf; And nun klagt die Tochter:
mitten drin das große, wuchtige Holztor. „Ach Mutterchen, ach Mutterchen, daß nur dir nixr
„Ach, wenn meine Mutter mich nur nicht kommen sieht; »assiert, wenn wir dich auch noch verlieren, eĩ da wären
sie erschrickt ja so furchtbar, wenn sie mich allein sieht; ach,. vir ja ganz alleine, ach Mutterchen, du mußt doch bei uns
daß ich allein kLomme!“ bleiben.“
Sie duckt sich hinter Hecken und Halmen, und ihr Schritt Das weiche, warme Jammern des Kindes weckt etwas
jliegt doch über den Boden hin der Mutter zu. Endlich WMeiches in der Mutterseele, die im Leid erstarrt war, und
stehen wir am Tor. Swischen seinen starben Holzstäben »inzelne Worte der Klage brechen aus ihr hervor. Heilig
jchaue ich in den Hof — dahinten steht in behäbiger Zufrieden- st das große Leid, es ist der Ewigkeit nahe.
heit die Bäuerin und füttert die Hühner, die sie mit freund- Mit langsamen Schritten nähern wir uns dem Hause.
lichem, mütterlichem Rufe lockt. Wie oft bin ich durch dies WMie aus tiefem Traum fährt die Frau auf: „Wo ist er
Hoftor gegangen, wenn eines der beiden Kinder krank war, denn? Ich will bei ihm sein.“ Ihr Schritt wendet sich zum Tor.
eine Erbältung, eine Halsentzündung, ein schlimmer Finger „Dort, Frau Möller, auf dem Wege zum Friedhof.“
die Eltern besorgt machte. Und dann war die Freude „Ich will hin, ach mein lieber, lieber Mann.“
immer groß, wenn alles wieder gut wurde, und Bauecr und Wir schlagen zu dritt den Weg zur Friedhofsstraße ein,
Bäuerin lachten. und die Kinder lachten mit. So war es und nun redet die Bäuerin. redet, blagt, und Gedanken fügt
der