Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Sich selbst ins Loch geliefert. 
In einem Dorfe lebte ein dicker, bLurzgepackter Gastwirt und 
Meßzger, überall ais bleine Atzel bekannt. Bei dem war vor 
rurzem eine briminale Schlägerei gewesen, und er hatte großen 
Schaden an zerbrochenen Stuhlen und Gläsern gehabt. Ein paar 
eauflustige Brũder waren als Urheber und Hauptũbeltãter bestraft 
und zu Schadenersatz perurteilt worden. Aber wo nichts ist, da 
hat auch die kleine Atzel ihr Recht verloren. und wenn sie's 
chwarz auf weiß besitzt. 
Nun sollte aber auch das Metzgerchen wegen irgend einer Sache 
in Untersuͤchungshaft genommen werden. Doch traute sich kein Land- 
ãger, die Atzel einzuliefern; bis es durch geschickt ausgenußten 
Zufail einem alten Landjäger gelang, das Stuckchen zu volljũhren. 
Der alte Landjäger betritt die Gaststube: „Guten, Tag, Heerr 
AD 
n Glaschen Bier!“ — „Das bönnen Sie haben.“, — „Trinben Sie 
juch eins mit! Wir können uns auch mal'n bißchen unterhalten.“ 
Das tut der Gastwirt gern. And sie sitzen zujammen und erzählen 
ich was. Auf einmoi sagt der Landjäger; „Da fallt mir ein: 
cch muß ja heut noch nach W. Das hätt' ich doch beinahe ganz 
pergejjen. Und nun muß zu allem Anglũck auch noch mein Kad 
laputt sein. Da weiß ich wahrhaftig nicht, wie ich hinkommen soll.“ 
Darauf meint der Wirt: „Ich hab ja auch noch was am Amt 
e dunn. Die schlechten Kerle — Sie bennen ja die Kõotzenflicker⸗ 
geselischaft aus dem Dorf da unten — diese Kerle haben mir doch 
damais die Sachen burz und blein geschlagen. Verurteilt sind sie 
— aber für den Schaden hab ich noch beinen Pfennig. Das Lönnt 
ch heut nochmal anregen. Da will ich doch gleich anspannen.“ — 
Na, sehn Sie, Herr 3. das paßt ja ganz schön!“ — Das Metz⸗ 
jerchen spannt an, jeder steckt sich noch eine Sigarre ins Gesicht, 
nd so sihhen die beiden friedlich nebeneinander auf dem Sißbrett, 
rzãhlen sich auf der Fahrt was Lustiges und belachen es brãftig. 
30 Uommen sie nach W. Sie steigen ab. Sweĩ Landjäger treten 
eran, fsaßen den guten Mann am Arm und sagen: „Sie, bkommen 
zie doch gleich mal mitl“ Er ahnt nichts Gutes und zeigt wenig 
ust, mitzugehen. Am liebsten wär er jetzt auf dem Slocksberg 
eresen. Aber schon trifft ihn wie ein Schlag auf den Kopf das 
Vori Sie sind verhafteil“ Suerst bleibt ihm vor schreckhaftem 
zrstaunen das Maul einen Augenblick lang jperrweit aufstehen, 
ann aber bricht er los; „Kreuzkrummnot, so 'ne Schlechtigbeit! 
don ich Esel honn je verdammt mich selwer ens Loch gesahren!“ 
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Mitleid. 
Der alte Mieb in Hagendorf hatte die Gast- und Landwirt⸗ 
haft seinem Sohn Hans übergeben und sich auf den Auszug zur 
zuhe gesetzt. Doch eines Tages hatte der Alte das Anglůck, sich 
nen Arin aus dem Schultergelenk auszurenlen. Der Dobtor 
„urde geholt, den Arm wieder einzurenken. Der Patient legte 
ch auf den Fußboden. And damit er nicht zappelte, legten sie ihm 
jn Handtuch über die Brust hin und blemmten den gesunden Arm 
it imnter. Nuf den Enden des Handtuches bniete hüben der alte 
ippelkonrad, drüben der junge, Dippelkonrad. Der Posaunen- 
ũller stand dabei, freute sich auf das Lommende Wehegeschrei des 
fen Miel und sagte: „Weunn der schreit, lach ichl“ Da verbiß 
ch der alte Mieß das Schreien troß der größten Schmerzen, 
Imit nur der andere nichts zu lachen briegte. Und als er sich 
ehob, meinte er: „Der Vobtor hat mich schön gegärrjelt (gequält), 
ber zu lachen hab ich dem Müller doch nichts gegeben.“ Dann 
etzte er sich an den Tisch, ließ Schnaps auffahren und trank, 
is er unter dem Tisch lag. K. 
Vom Büchertische der Heimat. 
Georg Mohr, Die letzten Altenburger. Heimatjschollen⸗ 
Oerlag in Melsungen. Preis in Halbleinen 2.50 Mbe. 
Hieser historische Koman aus der Seit des Bauernkrieges vor 
unmehr 400 Jahren ist so spannend erzählt, daß es den Leser 
iicht ioolaßt, ehe er nicht die Schicksale der Vertreter des Ritter- 
Bürger- und Bauernstandes bis zum Schlusse verfolgt hat. Der 
derfaßer weiß jeine Personen scharf zu charabterisieren und eine 
pielberschlungene Handlung zu einem einheitlichen, in sich ge⸗ 
schlosenen Bilde abzurunden. Die stolze Altenburg im unteren 
Eddertale wird zur Kuine, und der letzte männliche Sproß derer 
von Holzheim jällt im Kampf um die ihm anvertraute Burg. 
Mit ihm fällt auch der leßte von Wildeck, der als Mãllerssohn 
Jũrgen am Fuße des Bergschlosses erwuchs und durch zarte Liebes- 
zande an das Burgfräulein Tiide und die Bewohner der Burg 
Jebnũpft ist. Erst bei seinem Opfertode, mit dem er das Leben der 
edrohten Geliebten und ihrer Familie erbauft, enthüllt sich dem Leser 
has Geheimnis, das seine jugendliche, heldenhaft edle Gestalt umgibt. 
Ein gediegener und jehr empfehlenswerter geschichtlicher heimatroman, 
der uns die Gegenwart aus der Vergangenheit verstehen lehrt. 
W. M. Ide, Ein Frühlingslied. Hessisches Lustspiel in 
drei Akten. Einzelpreis 0,60 Mb. 
H. Ruppel, Das Muhkbalb. Lustiger Einabter, Einzel 
reis o.25 Mb. 
M. O. Johannes. Goldes Fluch und Segen. Heimatliches 
Sagenjpiel. Einzelpreis o.800 Mb. 
Jungbolk und vereinsbũhne, Heimatschollen · Oerlag, Melsungen. 
W. M. Ide hat seinen Landsleuten ein herelich blingendes 
OPeeislied auf hessische Liebe und Treue, Standhaftigkeit und Tat- 
raft angestimmt. Sein Frählingslied sollte wie Finkenschlag in 
len Hesengauen erklingen. Wie Joh. H. Schwalm in seiner 
zpijchen Dialektdichtung Jonker Hoose“ den Schwãlmer Hans 
Hooje und seinen Landesvater, den Landgrafen Karl, verherrlicht, 
ↄ feiert Ide die Treue und BSiederbeit der Schwälmer in dieser 
ramatischen Dichtung, die durchweg von lyrischen Begleittönen 
Jetragen wird. Eine sich liebevoll bemũühende Aufführung wũrde 
t diejem gefũhlsbetonten, echt heimatlichen Spiel die Saiten der 
Zeele mitschwingen lassen. — H. Ruppel bieteèt ein bleines dörf · 
siches Posenspiel mit einem guten Kern, nach der Art des ehr⸗ 
samen Hans Sachs. Ein boöser Nachbar stört ungblässig die 
Sonntagsruhe und erhält dafür sein wohlverdientes Trabtament. 
Arwüchsiges Volkstum steckt in diesem Stũckchen, das nur drei 
—A einfachsten Mitteln wirbsam darstellen 
ãßt. — Das Sagenspiel von W. O. Johannes ijt fũglich den 
bejsten Heimatspielen zuzuzählen. In seinen Versen ist das Wellen⸗ 
rauschen und der betörende Klang des Goldes eingefangen, Die 
bremende Sucht nach dem gleißenden Metall geht zum Anheil 
es armen Fischers Thomas in Erfüllung. Doch die bittere 
zterbensnot jeiner Frau hat schon die Macht des Fluches ge⸗ 
rochen. Das in selbstischer Gier erraffte Gold wird durch die 
elische Lauterung des Fischers gezwungen, hinfort nur Gutes zu 
ringen. In einer milden Stiftung für die Armen der Stadt 
Allendorf wirkt es nun Segen. Der ethische Gehalt, ganz unauf- 
ringlich in eine feine Form gebleidet, macht das Sagenspiel zu 
inem Meisterwerbchen, dessen sich die Liebhaberbühnen gern an- 
ehmen jollten. Seine Aufführung wird alle Maãhe reichlich lohnen. 
Gustav Schröer, Der Schuß auf den Teufel. Preis in 
einen 6. ne. (300 S.) Heimatverlag für Schule und Haus 
dalle a. d. S. 
In dieser „Geschichte aus dem Franbenwald“ weiß der stahl⸗ 
arte Wille eines Weibes, das um sein erstes, großes Liebesglũck 
etrogen wurde, alle dunklen Mächte der tief im Aberglauben 
ersteckten Volksseele aufzupeitschen, um Rache an dem treulosen 
Nann zu nehmen, der sie betrog, um sein einziges Kind und da⸗ 
ait ihn seibst vernichtend zu treffen. Teufelsglaube und Haß, 
Zlatjch und Tratsch müssen das Feuer unter dem Hexenbessel 
hůren helsen. Slle guten Kräfte scheinen gebunden und leidend, 
ile bösen entfesjelt und tätig — und dennoch triumphiert das 
zute, siegt aus der zwingenden Notwendigkeit des Glaubens an 
ie dem Weltlauf innewohnende Gerechtigbeit. Wie mit sicheren 
Neißelschlagen sind die Menschen herausgearbeitet. Die sprachliche 
draft des VDichters schafft sich in kLnappen Sätzen formvollendeten 
Ausdruck. Zeitlich ist das Geschehen in den Rahmen eines 
alben Jahres — Herbst bis Frũhjahr — gespannt. Dem Buche, 
as die Pshche des Dorfes erbenntnisstark durchdringt, sind viele 
eser in Stadt und Land zu wünschen. R. 
Hesjenland. 31. Jahrg. Heft 3. B. Jacob, Aus der Geschichte 
er Wejerschiffahrt; Dr. C. Knetsch, Hessisches aus alten Keije⸗ 
eschreibungen; P. Heidelbach, Die Vergijtung des Labaien 
Zechstadt; Heidelbach, Ein Kasseler Kunsthandwerber; Ch. Surger, 
kaßeler Masbenfeste aus 83 Jahrhunderten; W. Scheller, Hans 
zrimm; A. Latwesen, Vom Kajsseler Schauspiel; W. Kramer, Die 
eichenfeier; Gedichte von Schelier, Lorenz, Neuhaus. 
Hesjenland. 81. Jaheg. Heft 4. F. Pfaff, Die Entstehung der 
tädie im hessischen Viemelland; DBr. F. Stichtenot, Musik- 
astrumente ais Künder hessischen Kuhms; H. Kuppel, Woher? — 
Vohin?; H. Ruppel, Ein Traum vom Tod; F. Keller, Heinrich 
zuppel; H. Kuppel, Unterwegs; H. Ruppel, Stimmen; Dr. G. 
ziruck, Hans Thoma-GedächtnisAusstellung im Kasseler Kunst - 
aus; Jaͤcob. Aus der Geschichte der Weserschiffahrt u. a. 
Nachdruck nur nach gIderenntunst wi dem deguegec gestattet. 
herausgeber: Konrad Beruecher. Druch und Verlag: M. erneder in Melsungen.
	        
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