Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

auf dem Schloßplaßz, die alten Linden in der Allee und den schönen 
Park am vergessenen Wallteich. Nur deine Altertümer hab ich 
geschaut, die schrägen Strebemauern deines Schlosses, den dicken 
Kundturm, die Mauerrunde hinterm alten Pfarrgarten hin, das 
von Teufelszwirn übersponnene Wallwerk am Pulverkeller, jedes 
Winkelchen und Eckchen hab ich aufgesucht. Und auf die Schwälmer 
hab ich immer geguckt, auf ihre langen dunklen Kittel, die ihre 
hohen Gestalten noch größer machten, auf die kleinen runden 
Mũtzen mit der langen schwankenden Troddel und auf die schwenben⸗ 
den Strumpfbändel. Und nach den stolzen Schwälmerinnen hab 
ich geguckt, in ihren vielen gefältelten, leuchtendbunt gerandeten 
Wippröocken, dem roten Kappchen auf dem Kopf, den weißen 
Strũmpfen und den langen flatternden Strumpfbandschleifen. Das 
war ja alles beine erlebte Gegenwart, das war gelesene Ver— 
gangenheit, das waren BSBilder deutscher Maler aus alter Seit 
Und eine alte Schwälmer Kutsche bam jeßt gefahren, ganz wie 
die auf Schwinds Hochzeitsreise, ganz gemãchlich am, Herrenboden“, 
am „Steinernen Haus“ vorbei, nach dem Schloßplaß hin, ich hab 
wie verloren gestanden und geschaut und geschaut. Das war ja 
ein Gemälde, ein Stimmungsgemälde aus einer Schwind-Mappe. 
Denn darum, daß wir die mittelalterliche Vergangenheit fast nur 
bvon der Kunst geschenkt bennen, durch eine Künstlerseele erhöht 
und verblärt, kträgt sie für uns in der Wirblichkeit außer dem Reiz 
des Unalltäglichen, Seltneren den Schimmer der Kunst. 
NMun kenn ich dich ganz, du Städtchen, heut am Abend des 
blauen Frühlingstages, denn ich kenne dein Bestes und Schönstes, 
in dir und um dich. 
Und wenn mir's auch überall gefällt, wohin der Lebenswagen 
mich fährt und rasten läßt, weils überall Schönes gibt und ich mich 
ũberall dem Schönen ganz hingebe, hier wird mirs sehr gut gefallen 
und ich werde nicht drängen zur Weiterfahrt. Meine Seele hat 
zu wohnen gefunden. 
Abschied. 
Die Menschen pflegen auch ihren Abschiedsbesuch zu machen, 
ehe denn sie scheiden von all ihren Bebannten und Gefreunden, 
die ihnen ans Herz gewachsen sind. Und setzen ihr Lebewohl am 
Tag des Scheidens auch in die Seitung. 
So will auch ich denn Abschied nehmen von allem, das mir 
lieb und wert geworden und ans Herz gewachsen ist. Trennen 
Lönnen wir uns ja nicht, wenn ich auch von dannen ziehe, denn 
es muß in meinem Herzen mit mir gehen, darin es verwurzelt ist, 
wohin ich auch immer geh. Oder ein Stũck meines Herzens muß 
dableiben, wie der Vogel sein Nest zurückläßt, dahin er nächst⸗ 
frühlings zurücklehrt, und so kann ich immer wieder heimfinden. 
Abschied. 
Noch einmal bin ich gestern durchs Festungsstädtchen gegangen, 
inhe⸗ Februarsonnenschein legte lieb seinen lichten Glanz auf 
alles hin. 
Noch einmal seh ich heut Morgen zum nachtdunklen Fenster 
hinaus, in die hohen Linden, die sich schwarz gegen den Himmel 
zeichnen, lausch noch einmal zum Mühlenwehr hinunter, das so laut dem 
ommenden Tag entgegenraujscht, blick noch einmal ũber die Wald⸗ 
fichten zur Festung, über die wie ein Feuerzeichen am Himmel 
der Lichtschimmer des hellumleuchteten Gefangenenschlosses steht. 
Noch einmal geh ich am dunklen Wintermorgen den schmalen 
Grasweg hin auf dem alten Totenfriedhof, wo die Fichten auf 
mich warten, wie sie immer auf mich gewartet haben, vom Morgen 
zum Abend, und immer für mich da waren, all die Jahre, wann 
ich quch kam, mit ihrer stillen Kuh. Menschen haben so wenig 
Zeit für einander und jo wenig Ruh. Die Fichten haben alle 
meine Tage hier allmorgen ein Stück höher getragen mit ihrer 
Waldjeele, daß ich nie ganz unten gehen mußte in Sorge und 
Alltag, daß immer noch lauter waren die leisen Stimmen der 
VDom Pulsschlag der Heimat. 
Schnurrpfeifereien. 
Wirtsprabtik. 
In einem Werradorf wohnte der alte Lorenz, der daheim nicht 
piel gezählt wurde und beim Essen briegte, was er haben sollte, womit 
er auch stets zufrieden war. Gern ging er über Feld, den Kanzen mit 
dem Kehfellchen und den Rehpfökchen umgehängt. Doch gab ihm 
jeine Frau wenig oder gar beine Groschen mit und nur ein Stück 
Brot, darauf das Fett dünn aufgekratzt war. Ging er in der Schlacht- 
zeit über Land. bekam er einen Knust Brot in den Kanzen und ein 
Klümpchen „Sedder“ in Papier gewickelt. Das ist eine gelatine⸗ 
artige, mit Wurstfett vermengte Masse, die aus den frischen Würsten 
quillt, wenn sie vor dem Käuchern gepreßt werden. Solchen Sitter 
bebam der alte Lorenz, wenn er wintertags auswärts zu tun haätte 
fichtenspißen als die bösen Worte der Menschen. Noch einmal 
jeht heute ein leises Flüstern durch ihre Wipfel, noch einmal senkben 
ie ihre Sweige wie Segenshände auf meinen Weg in die Fremde. 
Und mein Herz ist voll Dank. 
Noch einmal hängt nun mein Auge an dem stillen Wasser des 
chõnen Weihers, der aus alter Seit hier noch verblieb wie aus 
em Märchen her. Und Fichten und Eichen und Buchen und 
Weiden und Schneebeecrenbũsche haben sich in dichtem engen Kreis 
arum gestellt, daß sie ihn vor der Wirklichbeit verstecken. 
Sis zu dem feinästigen Ahornbaum am Ende des Wegs und 
des Gartens gehe ich, wie immer, zu ihm, der frühlings als erster 
o ũbergolden seine lichten, duftgefüllten Blüten der Sonne ent— 
zegenhält. Der im Herbst als leßter ein heiliges, goldenes Leuchten 
zlüht am Rande des stillgewordenen Friedhofgartens wie das 
Sonnengold am Saume untergehender Tage. 
Und zwischen dem Ahorngold, dem ersten grünlichten der 
SBlüten und dem letzten rosenroten der Blätter, blühen die DVeilchen 
ind Narzisjen, die Margriten und Violen. prunkt der Rotdorn, 
rangt der Schneeball, duftet der Flieder, schlingt das Hecken⸗ 
õschen Ketten und Kränze, und beut der Holderbusch auf weißen 
Blũtentellern betãaubenden Duft. Schwirren die Glũhläferlein die 
johannisnachtreigen, taumeln die Falter im Sonnenschein und 
ingen die Amseln und Finken, Stare und Rotbehlchen, Gras— 
nũcken und Laubsänger, bis wieder winters nur die Krähen die 
fichten zu Schlafbãumen sich wählen. 
Wie oft bin ich hier gegangen! Wie oft habe ich die Sonne 
im den Votdornbusch gesehen, all ihre feurige Lohe um sein rotes 
Blühen hüllend. Wie oft hab ich die Mondscheinstrahlen aus 
ben Fliederblũten trinben sehn und mit silbernen Keifen sie schmücken 
zum Dank. Wie oft hab ich die bleinen Sänger aufgestört aus 
hrem Traum, wenn 
meine Seele dunklem Traume 
nachjuchte unterm Fliedergewõlb. 
Unterm Ahornbaum steh ich noch, am bleinen Gattertor, von 
»em ich so oft in die Weite geschaut. Heut schau ich nur zurück, 
iber den ganzen Garten hin, wie man einem lieben Menschen 
noch einmal in Aug' und Seele schaut bei leßtem Händedruckh. 
Unoͤ ich strecke meine Hand aus in den Garten hinein: „Leb wohl! 
debt aile wohl! Blüht wieder und duftet wieder, falter- und vogel⸗ 
umflogen, liedumsungen und bienenumsummt, wenn die Sonne 
vieder warm scheint, und der Wind wieder mild weht. Lebt! 
And auch ich will wachsen und leben, in Reues hinein, aus 
Altem empor. 
Aber mit mir weiterleben sollt ihr, in mir. Ich will euch 
uͤcht vergessen. Nach euch werde ich zurücksinnen, nach euch werde 
ch mich zurũcksehnen, die ich mit euch eins geworden bin. Du stillor 
Veiher, deine Wellen werden auch weiter ihre versonnenen Kreise 
„iehn in meiner Seele Grund, und Fichten werden daran ragen 
vpie hier. Und ein großer Ahornbaum wird frühlings seine Blũten 
ragen und herbsttags sein Blättergold. 
Und langsam geh ich wieder auf mein Haus zu, heim von 
neinen Abschiedsbesuchen von allen, die mir am nächsten standen. 
Nun geh ich noch einmal durchs Haus, mein Märchenhaus am 
Fichtenweiher, und sag ihm Lebewohl und Dank, dem Blick aus 
zem Dachfenster oben, der ũüber ganz Siegenhain hinweggeht bis 
zu den blauen fernen Hügelzũügen, dem Fenster im kleinen Käm— 
nerlein, das immer in meinen Garten hinaussieht und maimond- 
iachts traute Swiesprach hält mit dem weißen Fliederstrauch, der 
jrauen, verwitterten Hoftür, die allmorgen spinnwebübersponnen 
par, eine Wehr fremdem Menschenschritt. als wären die Spinnen 
aus Dornröschens Schlafschloß hierhergekommen., um mich einzu- 
pinnen in tiefe, träumende Ruh. 
UAUnd dann geh ich fort. 
Oft hatte der Lorenz in DVacha zu tun. Da kbehrte er bei 
»em Krugjörrje ein. Dem war aber nichts gelegen an diesem 
Hast, der nur ein Halbes trank und sich sein Brot mitbrachte, 
vährend die anderen Gäste eine Portion verzehrten. Und daß 
er Lorenz dann immer noch so kat, als äße er den Sitter mit 
zroßer Vorliebe, das ärgerte den Wirt. „Na, was haste denn heut, 
ilter Kerle?“ fragte er gewöhnlich. „Es geht doch nischt über 
o'n bißchen Sedderzejg“, sagte der Lorenz, „das gibt's nun die 
zjanze Woche durch.“ — „Na“, dachte der Wirt, „dich brieg ich 
chon noch mal.“ 
Als nun der Lorenz nach einigen Tagen wiederkam, nötigte 
hn der Wirt, seinen Ranzen in der Rähe des Ofens aufzuhängen, 
ohne daß der Lorenz sich etwas Arges dachte. Er ging zur 
Besorgung seiner Geschäfte in die Stadt und kam mit einem
	        
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