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Heimat· Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art, Geschichte und Heimatkunst
I 10/ 1925
Erscheint 2mal monatlich. Bezugspreis 1,20 Mb. im Vierteljahr, einschl. Porto. Frũhere
Jahrgänge bönnen., soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-Derlag nachbezogen werden
5. Jahrga ng
Die schöne Lore und der lustige Eberhard.
Don Otto
Es lebte einmal ein großmächtiger König, der hatte eine
einzige Tochter. Sie war schön von Angesicht, ihre Hände
waren zart und fein, denn sie brauchte nicht schwer zu arbeiten,
da alle Tage tausend Hände bereit waren, ihr das Leben
jo schön wie nur möglich zu machen. Alle Leute nannten
sie die schöne Lore, und von weit und breit kamen Peinzen
zur Brautschau, denn sie war so alt geworden, daß sie freien
konnte. Aber es gefiel ihr unter all den Prinzen keiner.
Der eine war ihr zu dick, der andere zu schmächtig, der eine
zu stark, der andere zu schwach, der hatte abstehende Ohren,
jener eine Himmelfahrtsnase, kurzum: sie kbonnte sich nicht
entjchließen, einen von ihnen zum Manne zu nehmen.
Eines Tages hörte sie aus der Küche ein fröhliches
Lautengeblimper und vernahm ein so lustiges Liedchen, daß
sie Lust bekam, den Sänger einmal zu sehen. Leisje schlich
sie die Treppe hinunter und schaute durch das Küchenfenster.
Da sah sie am Herde einen jungen Knaben sitzen, und um
ihn herum saßen und standen der Koch und die Küchen-
mägde und lauschten seinem Spiel und Wort. Diesmal sang
er ein trauriges Lied. Das klang so wehmütig und haͤtte
jo schwermütige Worte, daß das Herz der schönen Lore
anfing zu zittern und zu beben, ihre Augen füllten sich mit
heißen Tränen, und sie weinte herzbrechend. Als der
dreinnen aber nun wieder die Laute zu einem fröhlichen
Tanzlied stimmte und die Mägde und Burschen zu einem
Keigen antraten, da lachte sie unter Tränen so hell, daß
ihr Lachen wie ein silbernes Glöcklein in die Küche hinunter-
jchallte. Da lief der dicke Koch geschwind nach dem Lichte,
löschte es und sagte pischpernd: „Still! Still! Mir war, als
hörte ich die Prinzessin lachen!“ Die schöne Lore schalt sich
Stückrakh.
iber ihre Dummheit und schlich leise in ihr Simmer zurück.
Da stand sie noch lange am Fenster, denn sie dachte, die
Musik würde noch einmal angehen, aber sie wartete ver—
jebens. Da legte sie sich endlich zu Bett mit einem Hoerzen
voll Lachen und Weinen.
Am nächsten Morgen sagte sie zu ihrer Kammerfrau:
Höre, ich muß nun doch bald heiraten, da möchte ich doch
venigstens sobiel von der Küchenarbeit lernen, daß ich meinem
Manne einmal einen Braten machen und ihm Kartoffeln
azu bochen kann.“ Die Kammerfrau schlug die Hände über
dem Kopfe zujammen, lief zum König und jammerte vor
hm, die gnädige Prinzessin müsse wohl bkrank geworden sein,
der aber sie wolle jetzt irgend einem Freier ihre Hand und
hr Herz schenken, denn sie wolle jetzt das Kochen lernen.
Der König wiegte sein weißes Haupt hin und her, stützte
s dann in beide Hände und dachte nach. Aber so viel er
iuch nachdachte: es bam nichts dabei heraus. Da ließ er
ich den Hofarzt rufen und fragte ihn, was wohl seine
Meinung über den Fall wäre. Der Hofarzt zog die Stiene
raus, dachte ebenfalls nach und sagte dann bedächtig:
„Herr König, da muß ich einmal das Hofmedizinalkollegium
ören, ich allein möchte die Sache nicht entscheiden. Ich bin
vohl gut bewandert in Kranbkheiten, aber diese Sorte von
Zrankheit ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen.“
Der König nickte sehr gnädig und befahl dem Hofarzt, ihm
o bald als möglich Nachricht zu bringen, was denn das
Hofmedizinalbollegium für eine Meinung über die Ange-
egenheit hege.
Moch beine drei Minuten war der Hofarzt vom König
peggeqgangen. da liefen schon die Boten nach allen Kich—