Wandern ebenso geheimnisvoll wie das Leben selbst. Leben ist
nur da, wo Bewegung ist. Bewegung aber bedingt einen steten
Vechsel. Wo finden wir nun einen ausgedehnteren Wechsel als
hei der Natur, zu der uns ja das Wandern ganz naturgemäß
führen muß. „Die Welt ist innerlich ruhig und still, und so muß
auch der Mensch sein, der sie betrachten will.“ (Gottfried Keller.)
Die Natur will aljo verstanden sein. Darum müssen wir sie uns
auch mit ihrem Werdegang betrachten, wie sie eine Menge Hinder⸗
nisse aus dem Wege schafft, um sich Achtung und Geltung zu ver—
schaffen. Unsere Naturbetrachtung muß erfüllt sein von Ehrfurcht
bor ihr. Rur so werden wir ein Erleben
haben, das uns erst die richtige Lebens—
weihe gibt, die uns ũüber das Alltagserleben
erhebt. Dann wird uns auch die Natur eine
liebe Freundin sein, die uns in allen Lebens⸗
agen treu bleibt und bei uns nur Freude
auslösen möchte. Freude ist Ozon für Leib
ind Geist, sie erhältf und nährt den Optimismus
und wehrt dem Pessimismus. „Freude und
Ergötzung tun dem Menschen ebenso notwendig
vie Essen und Trinken“, meint schon Dr. Martin
Luther. Die Freude an der Natur sei aber
iimmer ehrlich und natürlich. Krankhafte
Naturschwärmer sind mir ebenso zuwider wie
römmeinde Schwäher, die, während sie doch
noch gesund und munter auf Gottes herrlicher
Erde piigern, fortwährend nur vom himmlischen
Heimatziel und von einer „Erlösung aus diesem
jammertale“ reden. Woher bommt es nun
aäber, daß so vielen sogenannten Wanderern
die Befähigung, die Ratur in ihrer erhabenen
Sröße zu würdigen, und damit zugleich der
wahre Genuß einer Wanderung ganz und gar
ibgeht? Warum bommt das Samenborn
des Gefühls für das Schöne und Erhabene
in der Natur, obwohl es doch der Schöpfer
in jedes Menschen Brust gesenkt hat, bei
berhältnismãbig so wenigen zum Keimen?
Einfach, weil biele Leute mit ihren leiblichen Augen nicht sehen
und mit ihren leiblichen Ohren nicht hören können. Die
Fahigkeit, Landschaften und Naturstimmungen durch das Auge
unmitelbar festzuhalten, kann aber durch UÜbung erworben
werden. Wenn der Wanderer erst wirkblich schauen gelernt
hat, so wird er bald selbst herausfinden, was schön und
was häßlich ist. Dann steht ihm auch der Weg zum
isthetischen und bünstlerischen Schauen schon halb offen. Die
zenußfähigbeit wird noch erhöht, wenn unser Ohr wieder hören
ernt, weniger auf die schier ausartende Melodie der Mandoline
ils vielmehr auf die Muttersprache der Natur, wenn es abgestimmt
st auf das RKauschen des Waldes, das Murmeln des Baches, das
ubeln der Lerchen. In diesem Sinne faßt RKiehl den Begeriff
es Wanderns treffend zusammen: „Wandern heißt auf eigenen
zũßen gehen, um mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen
Dhren zu hören.“ Kommt zu den offenen Augen und den offenen
OHhren als Drittes im Bunde das offene Herz, dann ertönt
als Echo der Dreiklang: „Sonnenschein,
Frohsinn, Liebe“. Wandersleute, die ein
solches Naturgefühl erwandert haben, sind in
der Tat glückselige Leute. Also freisch
auf zum fröhlichen Wandern!
„O wunderschön ist Gottes Erde
Und wert, darauf vergnũgt zu sein;
Drum will ich, bis ich Asche werde,
Mich dieser schönen Erde freun.“ HSölty.
Der Schandpfahl
in Elmshagen.
Wer von Hoof über die Langenberge nach
dem durch seine hervorragende Aussicht be—
annten Niedensteiner Kopf wandert, trifft im
Dorfe Elmshagen ein Denkmal aus alter Seit
an. Es ist dies ein etwa zwei Meter hoher
Pfahl, an dem eine schwere eiserne Kette an-
gebracht ist. Am Ende dieser Kette befindet
uch ein ringförmiges Halsecisen. Dieser mittel-
alterliche Schandpfahl diente dazu, die Abel⸗
äter, die sich gegen das Eigentum ihres Mit-
menschen vergangen hatten, oder auch solche,
die andere verleumdet hatten, öffentlich an den
Pranger zu stellen, um sie jo dem Hohn und Spott
der ODorübergehenden preiszugeben. In den alten
Chroniken liest man viel von diesem vortrefflichen Mittel, die Böse-
vichter zu besjern. Damit ein jeder wußte, was der pder die
Zetreffende berbrochen hatte, wurde dem Sträfling ein Settel
—
ie Kedensart „Jemandem etwas anhängen“. Der Schandpfahl
n Elmshagen wurde vor mehreren Jahren als Seuge unserer alten
Herichtsbarkeit unter Schutz gestellt und mit einem Gitter umgehen.
Der Schandpfahl in Elmshagen.
Phot. W. Muhe.
Der Eulenturm zu Melsungen 0 Von M. Herbert 7*.
Auf der Friedhofsmauer hat Posten gefaßt
Des Eulenturms Majestät.
Aus seinen Scharten in Sonne und Glast
Die Brombeerfahne weht.
ESin Sämling hoch in der Rinne grünt.
Und nachts mit dem Eulenflug,
Wenn Tod das herbe Leben sühnt,
Naht nebelnder Geisterzug.
Es geht um des grauen Turmes Rund
Die flatternde Prozession.
Da werden viele Geschlechter bund,
Der Dater und der Sohn.
Die junge Frau, die im Kindbett starb,
Wiegt ihr totes Bübchen im Arm.
Ach, wie so kalt ist mein liebes Kind!
Daß Gott sich meiner erbarm!
Die schöne Maid in dem Hochzeitskranz
5chwebt leuchtend im weißen Kleid,
Sie wiegt und biegt sich im Mondenglanz,
Ihre Tränen sind ihr Geschmeid.
Und eine friert in dem nassen Gewand.
Hat langes, triefendes Haar!
Sie zogen mich an den Fuldastrand,
Weil der Liebste so treulos war.
Der fromme Prediger steigt aus der Gruft
Und hält die Sibel hoch.
Und ob ihr tausend Bücher schreibt:
Dies bleibt das einz'ge doch.
Das silberschneeweiße Mütterlein
s5teht händeringend am Weg.
Ich zog zehn Kinder dem Leben auf,
Hing einsam den leßten Weg.
Der greise Dobtor der Medizin,
Der schüttelt den klugen Kopf.
Ich habe so lange den Tod beschrien,
Nun hält er mich lachend am Schopf.
Der Geiger streicht sein Instrument.
Das blagt und bittet und fleht.
Das heischt und sucht — das glüht und brennt,
Fin Liebeslied — ein Gebet.
Die toten Soldaten marschieren heran,
Sie kommen zu Fuß und zu Pferd,
WVeil ein wahrer Deutscher nicht schlafen bann
In fremder, feindlicher Erd'
Und alles, alles, was jemals war
Im Städtlein, in Frieden und Sturm,
Ddas wallt und weht, eine Geisterschaar.
Um den mitternächtigen Turm.