Endlich aber war das Holz erreicht. Rückschauend ge-
wahrten sie einzelne Trupps nachfolgender Knaben und
Burschen, die in heiterster Stimmung waren.
Das raubte dem aufgeregten Manne seine mühsam be—
wahrte Ruhe. Die leuchtenden Buchenstämme fingen vor
seinen Augen zu kanzen an. Angstschweiß stand auf jeiner
Stirn. Plötzlich blieb er stehen, tappte auf einen Stamm
zu und wäre sicher zu Boden gesunken, hätte ihn nicht einer
der Begleiter aufgefangen. Man wusch seine Schläfen mit
Schnaps. Dazu nahm er auch einen bräftigen Schluck.
„Nun geht das schon wiederl! — Es wurde mir ja auf
einmal ganz schwarz vor den Augen! Wie das nur kam?“ —
Die Umstehenden schauten in ein verstörtes Gesicht. —
Die Stimmen der Jugend blangen nahe. Weiter ging es.
Sald war die Hute erreicht. Die Morgensonne übergoß
die Gegend mit ihrer lenzlichen Fülle. Gleich Kabeten
schossen die tollen Jungen aus dem Gebüsch und überschlugen
sich auf der schlüsselblumenbunten Aue.
Das Land des Bürgermeisters trug Korn. Davor
blieben die Männer stehen.
„Ihr habt doch immer das beste Korn im Dorfe“,
schmeichelte einer.
„Na ja, wie der Karl aber auch das Ackerwerk versteht“,
gab ein anderer bei.
Sonst hatte der Alte das gern gehört. Nur heute lag
ihm nichts daran, gar nichts. Er mochte nichts hören noch
sehen. Am liebsten wäre er auf und davon gerannt. Er
kannte sich ja selber nicht mehr. War er ein anderer ge⸗
worden? Ein Neues schien da auf einmal in ihm zu er—
wachen, dem er nicht mehr ausweichen bonnte, das sich dem
alten Menschen drohend gegenüberstellte: Heraus mit deinen
Heimlichkeiten.
Ein Kudel Knaben raste vom jenseitigen Waldrande
mit Hurraruf daher: „Sie kommen, sie Lommen!“ —
Dichter trat der Haufen zusammen. den Surgermeister
in der Mitte.
„Laßt uns erst noch mal trinben“, hieß es. Das Glas
ging in die Runde.
Einzelne Finger wiesen über die hügelige Flue.
„Dort hinten am Holz! Siehst du sie da? Ein Keiter
voraufl“ —
Der Alteste aus dem Gemeinderat blopfte dem Bürger-
meister auf die Schulter: „Weißt du noch, Hannes, vor
sechzig Jahren, wir waren so Läufersl — Wo steht denn
eigentlich der Stein. an dem wir unsere Ohrfeige be⸗
bamen?“
„Ja, ja“, lächelte der Bürgermeister wie ein VDer⸗
ʒweifelnder. „Das ist lange her, lange her“, sonst wußte
er nichts.
Sein starrer Blick hing an der Waldecke, als müsse
sich von dort sein Geschick erfüllen.
Ein Keiter tauchte ausf. Jetzt noch einer und wieder
einer. Nun wälzte sich eine ganze Kavalbade über das
hũgelige Gelände herzu. Der Wald gab das lustige Wiehern
der Kosse schallend zurück.
Die Eschenröder gerieten in Bewegung. Ein Lächeln
lag auf allen Zügen, die der Morgenwind frisch gerötet hatte.
Nur der Bürgermeister stand da, geisterhaft. totenbleich.
Seine Augen tränten unaufhörlich.
„Hurra, hurra“, schallte es auf beiden Seiten. Nun
eitten die Städter zwischen die Eschenröder, und sie reichten
einander die Hände. Ein langer Sug folgte krendelnd zu
Fuß, und die hohen Buchenwipfel schauten verwundert auf
ie durcheinanderwogende, fröhlich feiernde Menge.
Der Bürgermeister der Kreisstadt trat, die Flurkarte in
der Hand, auf die Eschenröder zu: „Die Eschenröder sollen
eben!“
Ein schallendes Hoch brauste in die Lüfte.
„And die Hohensteiner daneben!“ Ein dreifaches Echo
jab der Wald zurück.
Nun nahm der Hohensteiner Bürgermeister seinen Kollegen
im Arm, führte ihn auf die Stelle, wo die Eschenröder
sSrenze die des Nachbarortes ablöst und schritt mit ihm auf
en elwa fünfzig Meter entfernten Grenzstein zu. In bunter
Keihe folgten unter Lachen und Scherzen die Anwoesenden.
Ein dichter Kreis umschloß am Grenzstein die beiden
Oberhäupter. Der Städter sagte:
„Die Hohensteiner Grenze ist richtig und bebannt,
Der Herrgott hat alles in seiner Hand.“ —
Darauf ergriffen vier Hohensteiner den Eschenröder an
Armen und Beinen, um ihn in der üblichen Weise mit dem
Srenzsteine in Berührung zu bringen.
Sei ihm aber hatte die Erregung ihren Höhepunkt
ꝛrreicht.
Kaum hielten ihn die Männer umfaßt, als der schwere
Mann wild um sich schlug und wie ein Toller sich gebärdete.
Aber solch Benehmen überrascht und erschrocken, ließen
ie die Hände los, und der baumlange Mann fiel hart zu
Boden.
VDorwürfe wurden laut: „Ihr mußtet doch festhalten !“
So hat das beiner gemacht, er ist selber schuld“, wehrten
ich die Männer.
Winselnd krümmte sich der Alte. MWan richtete ihn
uuf, er konnte nicht sitzen. Ein Keiter wurde nach dem
Dorf beordert, ein Fuhrwerb zu holen.
Der Hohensteiner Bürgermeister gab sich Mühe, von
einem Koilegen eine Erklärung für das eigentümliche Der-
alten zu erlangen, doch war der Verletzte zu keiner
Außerung zu bewegen. Die Eschenröder erzählten von dem
ʒchwãcheʒustand im Walde. Man war geneigt. einen Schlag⸗
infall anzunehmen.
Auf einem Wagen mit Stroh und Betten holte Karl
einen Dater heim. Die Eschenröder folgten und schüttelten
ie Köpfe über das traurige Ende ihrer Grenzfahrt. Der
ʒerbeĩgeholte Arzt stellte einen Bruch der Wiprbelsäule fest.
An Heilung war in dem Alter nicht mehr zu denben.
In seinen wilden Fieberphantasien weilte er im Osterholz
ind am Grenzstein. Immer sorderte er die KRodhacke.
„Er muß wieder raus, er muß wieder rausl!“ Das war
ein ständig Wort.
Und wenn Karl odere Trineben an sein Bett traten und
ange fragten: „Was meint Ihr, VDater?“ dann jah er sie
zläsern an: „Die Hacke, die Hackel Kaus muß er, raus!“
jef er unaufhörlich, bis er die Augen vor Mattigkeit schloß.
Ohne die Besinnung wieder erlangt zu haben. ist er nach
venigen Tagen eingeschlafen.
Rach Jahren, als die Derboppelung kam, wurde den
Eschenrsdern die Sache blar. Nun wußten sie, der Mann,
den sie für untadelig gehalten, war auch einer wie sie alle,
die immer nur den eigenen Vorteil im Auge haben.
Um die Mitternacht will heute kein Eschenröder an jener
telle vorbei, wo der Bürgermeister sich den Tod geholt.
Denn dort geht er um, sagen sie, mißt die Acker und ver—
etzt Steine. Der Schäfermärten hat ihn leibhaftig gesehen.
Oon dem wissen sie os