Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Wieder pochte es. Der Ortsdiener kam, seinen Tages- 
befehl zu empfangen. Ehrerbietig blieb er mit der Mütze in 
der Hand an der Tür stehen. 
Der BSürgermeister raffte sich zujammen. 
„Dem Schneider seine Gänse sind wieder in der Breite 
gewesen. Er ist eingeschrieben. Kannst es bestellen!“ — 
‚Will ich tun, Herr Bürgermeisterl“ — 
„Der Bäcker Bolte hat sein Holz immer noch auf dem 
Gemeindegerechtsam liegen. In acht Tagen muß es weg sein, 
onst wird er bestraft. Kannst es bestellenl!“ — 
Will ich tun, Herr Bürgermeister!“ 
„And das alte Amgritt ist wieder um Holz hiergewesen. 
Heh hin und sag ihm: es sollt' sich nicht noch mal unterstehn, 
zu kommen, es hätt' seine Klafter gebriegt und möcht 's sich 
einteilen. Wir müssen das auch.“ — 
„Will ich tun, Herr Bürgermeisterl“ — 
„Und dann ist noch eine Sache mit dem neuen Kantor 
u erledigen. Die Gemeinde soll für die armen Kinder 
desebũcher anschaffen. Das ist in meinem Leben in Eschen- 
rode noch Leine Mode gewesen. Wir wollen das auch nicht 
aufbringen. Einen schönen Gruß, und dafür wäre kbein Geld 
dal Kannst das bestellenl“ — 
„Will ich tun, Herr Bürgermeisterl“ — 
„And hier ist was zum Ausschellen: Der Schweine- 
schneider Lkommt die andere Woche, das betrifft die Impfung 
der Kinder, und heute abend ist Sitzung.“ — 
Der Orksdiener ließ sich die Papiere einhändigen und ging. 
Hastig griff der Bürgermeister nach dem Schriftstück. 
WVort für Wort las er es halblaut: 
„Zu der am Montag nach Quasimodogeniti von Magi- 
trat und Bürgerschaft unserer Stadt beschlossenen Grenz- 
bereisung erlauben wir uns, den Wohllöblichen Ortsvorstand, 
wie die ganze Gemeinde einzuladen mit der Bitte, sich am 
genannten Tage vormittags bei guter Seit am Osterholze 
einzustellen.“ — 
„So was! — Muß mir das noch passieren! Achtund- 
wanzig Jahre sind nun herum! Hätte ich doch vor vier 
Jahren gedankt! Ich Schafskopf!l“ 
Er schlug sich vor den Kopf und stand auf. Voll Unruhe 
gzing er hin und her. 
„Ich melde mich brank, dann können sie allein hingehn.“ — 
Plotzlich blieb er stehen, schlug mit der Faust auf den 
Tisch und jagte: „Nun gerade gehe ich mit! Wer will mir 
denn etwas vorwerfen? Kein Mensch weiß etwas davon, 
bein Mensch. And ich lasse nichts merkenl“ — 
—AD 
wieder auf. Da führten ihn seine Gedanken weit mit sich fort. 
In weiter Ferne teilte sich eine Wolkenwand: Das 
Land der Jugend tauchte herauf. 
Ein Springer von zehn Jahren bonnte er gewesen sein, 
da war eines schönen Morgens sein VDater an sein Bett 
getreten: „Hannes, ich geh' zur Grenzbereisung! Willst du 
nit?“ — Mit einem Satz war er aus den Federn. Ohne 
Schwierigkeiten erhielt er Schulurlaub, und in lustiger Ge⸗ 
elljchaft mehrerer Altersgenossen ging es den Erwachsenen 
ooraus dem Osterholze zu. 
Auf der großen Hute zwischen den Wäldern, wo sich 
die Gemarkungen trennten, hatten sie der Städter geharrt. 
Am Grenzsteine erhielten dann die Jungen die Ohrfeige: 
„Nimm's in acht!“ hieß es dabei. — 
Anwillkürlich griff sich der Alte an den Backen. Brannte 
der noch von jenem Schlage 
And gleich enthüllte sich ein anderes Sild, näher und 
deutlicher als das erste. aber es leuchtete nicht. 
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Der Knabe war ein Mann geworden, ein willensstarker, 
veltseliger Mann und reich obendrein. Der große Plan 
im Oberholz, in der Städter Gemarkung gelegen, war 
urch Heirat sein Eigentum geworden. 
Es war eine Märznacht, stürmisch und mondhell. Da 
ing er dem Osterholze zu. Der Hund hatte so jämmerlich 
inter ihm hergeheultf. Seine Frau beruhigte er mit der 
Zemerkung, er wolle nachsehen, ob der Schäfer auch auf 
em Damm sei. Durch die Wiesen schlich er über das 
Zöhrwasser, wo er fast den Fuß versprang, die Kosenäcker 
inauf ins Holz. Der Mond, der ab und zu aus dem 
agenden Wolkenschiffe schaute, war sein stiller Begleiter. 
Die ausgedehnte Hute am Waldessaum war wie der 
Vald Eschenroder Gemeinde-Eigentum. Dicht daran stieß 
rin Plan. Beim letzten Pflügen hatte er eine längst gehegte 
Absicht endlich ausgeführt und seinen Besitz um ein halb 
dutzend Furchen vergrößert. Niemanden erwuchs ein Nach- 
eil daraus, denn brach lag das Land all die Jahre her. 
setzt wollte er nun endlich den Grenzstein entsprechend ein- 
ücken. Das Handwerbszeug, die große Kodhacke, lag 
ereits neben dem Pfluge. 
Es war ein schweres Stück Arbeit, denn Grenzsteine 
tehen tief. Aber starken Fäusten gelingt zuletzt alles. 
Der Mond kat, als hätte er nichts gesehen, und trat 
inter eine schwarze Wand. Die Schläge der Hacke blieben 
ingehört, denn der Wald hatte sich den Sturm geladen. 
er ihm ein wildes Lenzlied harfen mußte. 
Aber so ganz glatt war die Sache doch nicht abgelaufen. 
die rechte Hand hatte er sich arg verpackt. Dadurch war 
r noch wochenlang in seiner Arbeit behindert gewesen. 
dann kamen die Jahre und gingen, eins wie das andere, 
»des mit dem gleichen Inhalt: arbeiten und erwerben. 
zwischen vollen Scheunen und Schubladen hindurch ging 
s der höchsten Amtswürde des Dorfes entgegen. Früh 
ieß ihn seine Frau allein. Das Mädchen war gut ein- 
ejchlagen. Schon mancher Freier mußte abgewiesen werden, 
beil der Junge immer noch beine Anstalt zum Freien traf. 
Ind Ersatz mußte doch erst da sein, ehe das Trineken ging. 
ẽ᷑ben überschlug er, wieviel es den beiden Kindern wohl 
eagen würde. Da bam Trineben festen Schrittes herein. 
Neugierig forschte sie: „Was ist denn da gekommen?“ 
„Eine Einladung ist's“, antwortete der Alte äcrgerlich, 
Hrenzbereisung soll wieder sein.“ 
Das Mädchen ließ beine Ruhe, bis ihr der Dater das 
useinandergejsetzt. 
Am Ende sagte er: „Mir ist heute so frostig zumute, 
zannst ein bißchen Feuer anstecken.“ 
Feuer anstecken? Jetzt noch? Die Sonne scheint doch 
o warm! Ich will Euch was sagen, trinkt einen Bitteren 
ind bewegt Euch ein bißchen draußen im Hof, sollt sehen, 
ann werdet Ihr wieder warm.“ 
Der Alte gehorchte wie ein Kind. 
II. 
Am Montag früh nach Quasimodogeniti saß der Bür— 
ermeister im Sonntagsstaat in seiner Stube und wartete 
uf den Gemeinderat. Nach und nach traten die Männer 
rüßend mit witzigem Wort herein. Einer machte den Vor- 
chlag, den Sustreckeweg durch den Garten über das Vöhr— 
vasser zu gehen. 
Der Bürgermeister hielt sich hinten. Die Männer stießen 
ich an: „Er ist doch höllisch alt geworden, guck nur einer, 
vie klapperig er geht.“ 
So redeten sie über ihn und mußten jeden Augenblick 
hen bleiben. damit er sie einhole.
	        
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