vor — wieder zugemauerte Mühlenpforte. Noeben
dem hohen Landgrafen-Schlosse steht gewissermaßen als Echkpfosten
der Stadt der Turm beim Kasseser Tore in der Nähe der jetzigen
Stadtjchule. Auch hinter dem Schloßgarten und am Kotenburger
Tore erheben sich Türme. Am staͤttlichsten präsentiert sich aber der
noch heutzutage fast vollständig erhaltene Eulenturm beim Friedhofe.
Sein spitzes Dach wird linbs und rechts durch je einen Dachreiter
geziert. Früher (z. B. 1515) nannte man ihn Diebesturm. er diente
lange Seit als Gefängnis.
VDon Gebäuden der Stadt sind auf Dilichs Bild nur die Kirche,
das VRathaus zwischen Kirche und Euienturm und das Schloß deut
lich erkbennbar, überdies allenfalls noch am Fuldawehre die Wag
mühle und ihr gegenüber am rechten Afer eine andere Mühle.
Sei Merian steht neben dem Schlosse das Burggrafenhaus, das
pätere Kentamt. Der Bau macht im Bilde einen gefälligen Ein.
druck; ob er jemals so ausgesehen hat? Sogar ein Türmchen ist
ihm verliehen: auf den älteren Bildern erblickt man da den Stadt
mauerturm am Schloßgarten. Einzelne schließen daraus: Merian hat
beine neue selbständige Seichnung angefertigt oder anfertigen lassen.
jondern eine ältere Vorlage benutzt. In einem solchen Falle bietet
es dem Seichner, auch bei genauer Ortskenntnis, beinahe unüber
windliche Schwierigbeiten, die Einzelheiten zu treffen
Auf allen drei Bildern
indet die Umgebung der Stadt
Serücksichtigung. KRechts oben
auf dem Berge lagern, bei
Dilich Laum wahrnehmbar, die
Lrümmer der Befestigung auf
dem Heiligenberg, der einstmals
als vorgeschobener Posten das
erzbijchöflich mainzische Fritzlar
schützte. Links unten liegt ein
Dorf, das kann nur NAdels-
hausen sein. Merian läßt auf
dem andern, dem linken Fulda⸗—
ufer, auch Obermelsungen
blicken. Einiger Zweifel ist er⸗
laubt, ob man alles dies von
einem Punbte des Karlshagens
aus hat umfassen können. Bei Melsunger Siegel 1262:
Dilich fällt ganz im Vorder— Bild eines Tores der Stadt.
grunde, oberhalb der Brücke,
ein hohes Kruzifix auf; es wird als Wegkreuz am Anfange der
Sälzerstraße (Waldstraße) gestanden haben.
Die beiden späteren Bilder zeigen in einer Ecke das Meljsunger
Siegelbild: ein Stück Stadtmauer mit einem Tore und einem turm—
artigen Baue darüber. Links oben im Siegelbilde sieht man EN,
die letzten Buchstaben des Namens Melsungen; dem Schneider des
Siegels, das schon 12607 so vorkommt, fehlte der Kaum, um die
beiden letzten Buchstaben in die Umschrijt hinein zubekommen. Bei
Werian ist aus dem EN ein GN geworden, bei jeinem Vorgänger
jehlt dem E der mittlere Querstrich, so haben wir bor dem Neine
schmale, abnehmende Mondsichel; ein Anfang zur Weiterbildung
des Stadtsiegels war hiermit gemacht. An der anderen Seite des
Torturmes stellen, wie bei Merian und schon 1267. weiĩ Sterne
das Gleichgewicht her.
Das mittlere der drei alten Silder ist ein Spottbild. Vermut—
lich joll es die Kaiserlichen verhöhnen, denen es am 13. Dezember
1625 nicht gelang, in Melsungen einzudringen. Am folgenden
Tage freilich glückte es ihnen, nachdem sie bedeutend verstärbt
waren, nur zu gut. Das Bild trägt die UAeberschrift: Timidus
miles facile excusationem invenit, d. bh.: Ein furchtjamer Krieger
indet leicht eine Entschuldigung. VBie Anterschrift bildet das
Distichon:
Holla viril properate ad me, prorumpite cuncti
Abstulit invictum cor lepus iste meum.
Dann bommt als Uebersetzung der deutsche Vers:
Holla! Holla, eillet zu mir,
Thut Hülff! dann dieses graujam Thier
Hat mir gestoln mein dapfer Hertz.
Eillet! Eillet! O Schmertz, o Schmertz!
Das grausame Tier ist, wie die lateinische Anterschrift mit deut⸗
lichen Worten sagt, ein Hase, der ein Herz im Maule haltend
davonlauft, während ihn ein Krieger in der Tracht des Dreißig-
jährigen Krieges verfolgt.
Einigen künstlerischen Wert wird man höchstens Dilichs Seich-
nung zuerkennen. Die beiden späteren Bilder verehren wir nuͤr
als historische Denkmäler
Surg und Stadt Rotenburg.
Beitrãge zur älteren Geschichte von Wilhelm Lange.
(Schluß)
Soweit uns bekannt, bringen die hessischen Chronisten erst im
I. Jahrhundert dieje Erzählung. Zuerst Merian (1655), der —
iachdem er die Stadt beschrieben und erzählt hat, daß das Schloß
darin anno 1212 vom Kaijser gebrochen jei — fortfährt: „auf
inem hohen Berge, Hausberg genannt, liegt der Trotten Stamm!
»aus, welches in vorigen Kriegszeiten durch die Kotenburger
Bürgerschaft, so mit den Trotten in Streit gelegen, durch eine
ounderbare unflätige Kriegslist erobert und endlich zerstört worden
ein joll.“ Ihm solgt Winbelmann in seiner 16617 erschienenen
Seschreibung des Hesenlandes, der offenbar Merian abgeschrieben,
enn er braucht die gleichen Worte wie dieser. Eine etwas
ibweichende, jedenfalls detaillierende Darstellung des frag-
ichen Ereignisses gibt endlich Lucä (gestorben 1708) in seiner
Lhronib:
„Es ist dieser Hausberg in alten Seiten sehr berühmt gewesen
ind wollen ihn etliche vor der Herren von Trotte Stammhaus
halten, nämlich das auf dessen Spitze gestandene Schloß. Von
desen ersten Erbauung findet man beine sichere Nachricht. Meines
Erachtens, wie ich aus verschiedenen Umständen schließe, ist es eine
Deste, von denen unter der Regierung Kaisers Sudovici J. um
die Jahre 820 und 826, in diesen Gegenden erbauten Berghãäusern
gewesen. Nach gemeiner Aussage sollen in einer alten Mauer
die Jahreszahl von des Schlosses erster Grundlegung an noch
vorhanden sein. Ich habe zwar der Gewißheit selbst nachge⸗
forscht, aber nichts gefunden. Nur so viel ist, das Aeberbleibsel
von alten Mauern hat einen ziemlichen, weiten AUmfang und
bedeutet des alten Hauses Weitläufigkeit, davon vermutlich der
Berg den Namen Hausberg erhalten. Sonst habe noch daran
angetroffen etwas von einer steinernen Treppe und zwei
steinerne Torgerüste. Kurz hernach sollen dieseibigen vollende
iein eingefallen.
Als es vor Jahren niemand mehr bewohnte, impatronierken
siich demselben eine Rotte schädlicher Landplacker, vexierfen und
bedrängten täglich mit RKauben und Plündern die Kotenburger
ꝛechtschaffen. Sothane Plackereien exrmũdeten die —A
gJewaltig. Endlich beobachteten sie das Tempo und bemeisterten den
dausberg durch ein ganz ungemeines wiewohl unflätiges Strata⸗
Jema. Etliche erzählen, gleichjam hätten sie die Quellen und Brunnen,
voraus die Hausberger Placker das Wasser brauchten, weiß nicht
vie, verunreinigt, daher hätten die Landplacker den Hausberg
erlassen müssen und wäre derselbe nachgehends von den Bürgern
bgebrochen und zerstört worden. Die neuesten hoejfischen Historici
lehmen diese Erzählung auch vor bebannt an, wiewohl beiner die
eit, noch das Jahr solcher Begebenheit vorbringt. Es ijt aber
nicht wohl glaublich, daß die Rotenburgischen Bürger aus eigner
Autorität und Macht den Hausberg sollten eingenommen und ver
tört haben.
Ohne Sweifel haben sie solches getan auf Ordre Herrn
Landgraf Heinrich J. welcher reine Straßen hielt und anno 1292
die ersten Edelhäuser, aus welchen Schaden geschahn, bezwingen
und zerbrechen ließ“
Es sind alsjo lediglich Chronisten, welche diese so wunderbar
lusgeschmückte Einnahme der Burg erzählen — die Arkunden
chweigen. Infolgedesen kommt dem ganzen Bericht nur ein jehr
oedingter Wert zu. Anderseits steckt in der Regel aber in allen
derartigen historischen Sagen ein gewisser Kern, der freilich oft in
der wunderbarsten Weise von der Phantasie des Volkes umsponnen
auf die Nachwelt Lommt. Liegt der Sage also ein tatsächliches
Ereignis zugrunde, so ist hier vielleicht eine VDerwechjelung der
Surg auf, dem Hausberg mit jener in der Stadt im Spiele, von
der aus die Bürgerschaft wohl eher bedrückt werden bonnte, oder
das Ereignis gehört in eine verhältnismäßig frühe Seit. Das 15.
und 16. Jahrhundert dürfte dagegen kaum in Frage bommen, weil
ein solch merkwürdiges Ereignis sicher die gleichzeitigen Chronisten
angemerbt häkften.
Nach dem Stand unserer heutigen Kenntnisse muß demnach
die Nachricht von der Eroberung der Kotenburg durch die Bürger,
vie die Sage von der, sie begleitenden Umständen — als historisch
nicht erweisbar abgelehnt werden, weil die angeführten Chronisten
ucht als einwandfreie Gewährsmänner gelten dürfen. Freilich wird
diese unsere Feststellung kaum viel an der Tatjache aändern, daß
die Eroberung des Schlosses doch von der unsern Rotenburgern
nißgünstigen Nachbarschaft noch lange in der bisherigen Form zur
Darstellung gebracht wird