Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

vor — wieder zugemauerte Mühlenpforte. Noeben 
dem hohen Landgrafen-Schlosse steht gewissermaßen als Echkpfosten 
der Stadt der Turm beim Kasseser Tore in der Nähe der jetzigen 
Stadtjchule. Auch hinter dem Schloßgarten und am Kotenburger 
Tore erheben sich Türme. Am staͤttlichsten präsentiert sich aber der 
noch heutzutage fast vollständig erhaltene Eulenturm beim Friedhofe. 
Sein spitzes Dach wird linbs und rechts durch je einen Dachreiter 
geziert. Früher (z. B. 1515) nannte man ihn Diebesturm. er diente 
lange Seit als Gefängnis. 
VDon Gebäuden der Stadt sind auf Dilichs Bild nur die Kirche, 
das VRathaus zwischen Kirche und Euienturm und das Schloß deut 
lich erkbennbar, überdies allenfalls noch am Fuldawehre die Wag 
mühle und ihr gegenüber am rechten Afer eine andere Mühle. 
Sei Merian steht neben dem Schlosse das Burggrafenhaus, das 
pätere Kentamt. Der Bau macht im Bilde einen gefälligen Ein. 
druck; ob er jemals so ausgesehen hat? Sogar ein Türmchen ist 
ihm verliehen: auf den älteren Bildern erblickt man da den Stadt 
mauerturm am Schloßgarten. Einzelne schließen daraus: Merian hat 
beine neue selbständige Seichnung angefertigt oder anfertigen lassen. 
jondern eine ältere Vorlage benutzt. In einem solchen Falle bietet 
es dem Seichner, auch bei genauer Ortskenntnis, beinahe unüber 
windliche Schwierigbeiten, die Einzelheiten zu treffen 
Auf allen drei Bildern 
indet die Umgebung der Stadt 
Serücksichtigung. KRechts oben 
auf dem Berge lagern, bei 
Dilich Laum wahrnehmbar, die 
Lrümmer der Befestigung auf 
dem Heiligenberg, der einstmals 
als vorgeschobener Posten das 
erzbijchöflich mainzische Fritzlar 
schützte. Links unten liegt ein 
Dorf, das kann nur NAdels- 
hausen sein. Merian läßt auf 
dem andern, dem linken Fulda⸗— 
ufer, auch Obermelsungen 
blicken. Einiger Zweifel ist er⸗ 
laubt, ob man alles dies von 
einem Punbte des Karlshagens 
aus hat umfassen können. Bei Melsunger Siegel 1262: 
Dilich fällt ganz im Vorder— Bild eines Tores der Stadt. 
grunde, oberhalb der Brücke, 
ein hohes Kruzifix auf; es wird als Wegkreuz am Anfange der 
Sälzerstraße (Waldstraße) gestanden haben. 
Die beiden späteren Bilder zeigen in einer Ecke das Meljsunger 
Siegelbild: ein Stück Stadtmauer mit einem Tore und einem turm— 
artigen Baue darüber. Links oben im Siegelbilde sieht man EN, 
die letzten Buchstaben des Namens Melsungen; dem Schneider des 
Siegels, das schon 12607 so vorkommt, fehlte der Kaum, um die 
beiden letzten Buchstaben in die Umschrijt hinein zubekommen. Bei 
Werian ist aus dem EN ein GN geworden, bei jeinem Vorgänger 
jehlt dem E der mittlere Querstrich, so haben wir bor dem Neine 
schmale, abnehmende Mondsichel; ein Anfang zur Weiterbildung 
des Stadtsiegels war hiermit gemacht. An der anderen Seite des 
Torturmes stellen, wie bei Merian und schon 1267. weiĩ Sterne 
das Gleichgewicht her. 
Das mittlere der drei alten Silder ist ein Spottbild. Vermut— 
lich joll es die Kaiserlichen verhöhnen, denen es am 13. Dezember 
1625 nicht gelang, in Melsungen einzudringen. Am folgenden 
Tage freilich glückte es ihnen, nachdem sie bedeutend verstärbt 
waren, nur zu gut. Das Bild trägt die UAeberschrift: Timidus 
miles facile excusationem invenit, d. bh.: Ein furchtjamer Krieger 
indet leicht eine Entschuldigung. VBie Anterschrift bildet das 
Distichon: 
Holla viril properate ad me, prorumpite cuncti 
Abstulit invictum cor lepus iste meum. 
Dann bommt als Uebersetzung der deutsche Vers: 
Holla! Holla, eillet zu mir, 
Thut Hülff! dann dieses graujam Thier 
Hat mir gestoln mein dapfer Hertz. 
Eillet! Eillet! O Schmertz, o Schmertz! 
Das grausame Tier ist, wie die lateinische Anterschrift mit deut⸗ 
lichen Worten sagt, ein Hase, der ein Herz im Maule haltend 
davonlauft, während ihn ein Krieger in der Tracht des Dreißig- 
jährigen Krieges verfolgt. 
Einigen künstlerischen Wert wird man höchstens Dilichs Seich- 
nung zuerkennen. Die beiden späteren Bilder verehren wir nuͤr 
als historische Denkmäler 
Surg und Stadt Rotenburg. 
Beitrãge zur älteren Geschichte von Wilhelm Lange. 
(Schluß) 
Soweit uns bekannt, bringen die hessischen Chronisten erst im 
I. Jahrhundert dieje Erzählung. Zuerst Merian (1655), der — 
iachdem er die Stadt beschrieben und erzählt hat, daß das Schloß 
darin anno 1212 vom Kaijser gebrochen jei — fortfährt: „auf 
inem hohen Berge, Hausberg genannt, liegt der Trotten Stamm! 
»aus, welches in vorigen Kriegszeiten durch die Kotenburger 
Bürgerschaft, so mit den Trotten in Streit gelegen, durch eine 
ounderbare unflätige Kriegslist erobert und endlich zerstört worden 
ein joll.“ Ihm solgt Winbelmann in seiner 16617 erschienenen 
Seschreibung des Hesenlandes, der offenbar Merian abgeschrieben, 
enn er braucht die gleichen Worte wie dieser. Eine etwas 
ibweichende, jedenfalls detaillierende Darstellung des frag- 
ichen Ereignisses gibt endlich Lucä (gestorben 1708) in seiner 
Lhronib: 
„Es ist dieser Hausberg in alten Seiten sehr berühmt gewesen 
ind wollen ihn etliche vor der Herren von Trotte Stammhaus 
halten, nämlich das auf dessen Spitze gestandene Schloß. Von 
desen ersten Erbauung findet man beine sichere Nachricht. Meines 
Erachtens, wie ich aus verschiedenen Umständen schließe, ist es eine 
Deste, von denen unter der Regierung Kaisers Sudovici J. um 
die Jahre 820 und 826, in diesen Gegenden erbauten Berghãäusern 
gewesen. Nach gemeiner Aussage sollen in einer alten Mauer 
die Jahreszahl von des Schlosses erster Grundlegung an noch 
vorhanden sein. Ich habe zwar der Gewißheit selbst nachge⸗ 
forscht, aber nichts gefunden. Nur so viel ist, das Aeberbleibsel 
von alten Mauern hat einen ziemlichen, weiten AUmfang und 
bedeutet des alten Hauses Weitläufigkeit, davon vermutlich der 
Berg den Namen Hausberg erhalten. Sonst habe noch daran 
angetroffen etwas von einer steinernen Treppe und zwei 
steinerne Torgerüste. Kurz hernach sollen dieseibigen vollende 
iein eingefallen. 
Als es vor Jahren niemand mehr bewohnte, impatronierken 
siich demselben eine Rotte schädlicher Landplacker, vexierfen und 
bedrängten täglich mit RKauben und Plündern die Kotenburger 
ꝛechtschaffen. Sothane Plackereien exrmũdeten die —A 
gJewaltig. Endlich beobachteten sie das Tempo und bemeisterten den 
dausberg durch ein ganz ungemeines wiewohl unflätiges Strata⸗ 
Jema. Etliche erzählen, gleichjam hätten sie die Quellen und Brunnen, 
voraus die Hausberger Placker das Wasser brauchten, weiß nicht 
vie, verunreinigt, daher hätten die Landplacker den Hausberg 
erlassen müssen und wäre derselbe nachgehends von den Bürgern 
bgebrochen und zerstört worden. Die neuesten hoejfischen Historici 
lehmen diese Erzählung auch vor bebannt an, wiewohl beiner die 
eit, noch das Jahr solcher Begebenheit vorbringt. Es ijt aber 
nicht wohl glaublich, daß die Rotenburgischen Bürger aus eigner 
Autorität und Macht den Hausberg sollten eingenommen und ver 
tört haben. 
Ohne Sweifel haben sie solches getan auf Ordre Herrn 
Landgraf Heinrich J. welcher reine Straßen hielt und anno 1292 
die ersten Edelhäuser, aus welchen Schaden geschahn, bezwingen 
und zerbrechen ließ“ 
Es sind alsjo lediglich Chronisten, welche diese so wunderbar 
lusgeschmückte Einnahme der Burg erzählen — die Arkunden 
chweigen. Infolgedesen kommt dem ganzen Bericht nur ein jehr 
oedingter Wert zu. Anderseits steckt in der Regel aber in allen 
derartigen historischen Sagen ein gewisser Kern, der freilich oft in 
der wunderbarsten Weise von der Phantasie des Volkes umsponnen 
auf die Nachwelt Lommt. Liegt der Sage also ein tatsächliches 
Ereignis zugrunde, so ist hier vielleicht eine VDerwechjelung der 
Surg auf, dem Hausberg mit jener in der Stadt im Spiele, von 
der aus die Bürgerschaft wohl eher bedrückt werden bonnte, oder 
das Ereignis gehört in eine verhältnismäßig frühe Seit. Das 15. 
und 16. Jahrhundert dürfte dagegen kaum in Frage bommen, weil 
ein solch merkwürdiges Ereignis sicher die gleichzeitigen Chronisten 
angemerbt häkften. 
Nach dem Stand unserer heutigen Kenntnisse muß demnach 
die Nachricht von der Eroberung der Kotenburg durch die Bürger, 
vie die Sage von der, sie begleitenden Umständen — als historisch 
nicht erweisbar abgelehnt werden, weil die angeführten Chronisten 
ucht als einwandfreie Gewährsmänner gelten dürfen. Freilich wird 
diese unsere Feststellung kaum viel an der Tatjache aändern, daß 
die Eroberung des Schlosses doch von der unsern Rotenburgern 
nißgünstigen Nachbarschaft noch lange in der bisherigen Form zur 
Darstellung gebracht wird
	        
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