Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

arbenprächtigen Eisbögeln und eifrig singenden Vohrsängern be— 
ebt wird. Vor einigen Jahren hörten wir dort auch einer 
Nachtigall zu, deren abendlicher Gesang im „Vollsgarten“ mehr⸗ 
fach eine wahre Völberwanderung bewirbte; dieser Vogel kommt 
in Marburg nur noch selten und nicht in jedem Jahr vor. Woer 
sie in ihrem Brutgebiet bennen lernen und hören will, wandere 
nach Fritzlar oder ins obere Lahntal, wo ich 3. B. am 1. Mai 1910 
abends in Laasphe von meinem Fenster aus, unter dem der 
Fluͤß rauschte, mehrere in den blütenduftenden Gärten singen 
hörle. Es waren die ersten deutschen Nachtigallen, deren Liedern 
ich nach dem Kriege laujchte; lebhaft mußte ich des Maiabends 
vor 4 Jahren gedenken: Vor Ypern im fernen Flandern schlug 
im arg zerschosenen „Granatwäldchen“ bei St. Julien die Macht · 
jängerin, ais ich mit berwundetem, Bein „nach hinten“ humpelte 
ind dem von den Engländern erhaltenen Schuß meine vorüber- 
gehende Rücklehr in das heimatliche Lahntal zu verdanken hatte, 
dessen Nachtigallenlieder im neuen Friedenslenz mich gemahnten 
an das flanderische Schlachtfeld, wo der „Tod von Ppeen“ 
herrschte. 
Sonntags gehts im Frühbähnchen hinaus, mit frischen 
Wandervpögeln, bei denen das germanenblonde Hgar, die 
blauen Begeisterungsaugen und die sonnengebräunte Hautfarbe 
der fröhlich leuchtenden Gesichter, der freien Brust und bräf 
tigen Beine einen 
ebenso nalũrlichen 
Eindruck machen, 
wie ihre hessischen 
Vollslieder. Wo im 
einjsamen Hochwald 
die Drossel ruft, der 
Schwarzspecht häm⸗ 
mert und die Heide⸗ 
serche im Blau der 
blaren Keinheit 
würziger Bergluft 
flötet, da verleben 
wir unsern Frühlings 
sonntag. 
Kufen dann 
abends die Käuze 
und schnurrt die 
Nachtschwalbe auf 
dämmriger Wald- 
blöße, so steigen wir, 
frisch gestärkt an 
Geist, Gemüt und 
Leib für die neue 
Woche, talwärts. 
An der Lahn schla⸗ 
gen die Nachtigallen 
im rosenduftenden 
deee und froh 
immen wir ein 
in den Sang des Schlod Waldech 
mit uns nach Marburg zurückfahrenden jungen Wandervolkes: 
„Dort in jenem Tale, da ijst halt lustig sein: 
Da singt Frau Nachtigalle und manch Waldvögelein!“ 
Ostertour zum Eddersee. 
Von Hede Linsmaher, Frankfurt a. M. 
Im bunten Getriebe der Großstadt geschah es von ungefähr, 
daß mir eines Tages eine Siedlerin von der bleinen Siedelung 
Asel an der Eddertalsperre begegnete. Ihre begeisterte Schilderung 
dieser mir bisher völlig unbekannten Gegend erwoeckhte sofort den 
lebhaften Wunsch in mir, bei nächster Gelegenheit diejses reizvolle 
Fleckchen Erde Lennen zu lernen. Das Osterfest bot hierzu eine 
villlommene Gelegenheit. 
So ging es denn am feierlichen Karfreitagmorgen nach 
Marburg a. d. Lahn, jenem entzückenden Borgstädtchen, das sich 
sedem Besucher ins Herz schmeichelt. Malerisch am Hang hin- 
gelehnt sind die altertümlichen Häuser; das wunderliche Durch- 
einauder von schmalen, halbverborgenen Treppen, engen Gassen 
und geheimnisvoilen Winkbeln ecrinnert an mittelalterliche Romantik. 
Unten im Tal aber liegt die neue Stadt mit ihren modernen Bauten 
und tief im Grün versteckten Villen. Und über all dem thront die 
Surg auf dem Schloßberg, von dessen Plateau aus man einen 
uinvergleichlich herrlichen Rund und Weitblick auf die pittoresben 
Hiebel-und Türme, den munteren Fluß und die Lahnberge ge— 
nießt. Man sitt versunken auf den sonnenbeschienenen Mauecrn 
ind wperrt kaum, wie Stunde auf Stunde ins Meer der Ewigkeit 
ropft. 
In dieser anmutigen Stadt muß es wohl gut zu leben sein, 
ein Wunder, daß untker bunten Studentenmüßen fröhliche Gesichter 
ind blanke Augen glänzen. 
Ein wehmũtiger Abschiedsblick grüßt Marburg, bis der letzte 
schimmer davon entschwunden ist und die bummelige Kleinbahn 
jen Franbenberg briecht. Dies Franbenberg ist ein idyllijcher 
Sommerfrischenort, dicht am Wald gelegen, an der Edder, die hier 
soch klein und bescheiden dahinplätschert, als hätte sie es längst 
ergessen, daß man einst Gold aus ihrem Schoß wusch. Friedliche 
Zuhe nebst der prächtigen Umgebung sind die Hauptvorzüge diejes 
übjchen Plaßzes. 
Nach einem reichlichen, überraschend billigen Abendbrot und 
inem wohligen Schlaf in dem rotbarrierten Bauernbett weckte 
nich morgens strahlender Sonnenschein. Das nächste Siel war das 
iebliche Herzhausen, wo die Edder sich plötzlich secartig dehnt und 
pie ein glänzender, silberner Spiegei daliegt. Das große Motor 
oot Bussard“ läutet zur Absahrt, und nun beginnt die pracht · 
‚olle zweistündige Wasserfahrt durch die sogenannte Eddertalsperre, 
er größten Talsperre Europas. Swischen hohen, schroffen Feljen 
indurch windet sich in ständigen Kurven das breite BSand der 
kdder, bald smaragdgrün, bald tiefschwarz schimmernd. Ab und 
zu wird es licht 
zwischen den Hängen, 
eine jaftgrüne Matte 
mit einer einsamen 
Slockhũtte wird sicht 
bar, — dann schließen 
sich die Berge wie⸗ 
der zu einer dunklen 
Kette. Eine unbe⸗ 
jchreibliche Kuhe 
atmet diese Land- 
jchaft, eine feier⸗ 
liche Verlassenheit. 
— Hinter den 
Sergen freilich 
führen einige Dörfer 
und Siedlungen, von 
der schönen Gegend 
perlockt, ein beschau⸗ 
liches Dasein. 
Das Boot furcht 
unentwegt woiter, 
das Kielwasser 
rauscht, spielende 
Sonnenfunken tan- 
zen darin — plötz- 
lich prasselt ein 
Kegenschauer vom 
nmel⸗ roitrht be 
ellen, denn das 
Aufnahme von F. Kahm. veiler schlagt hier 
chnell um. Nber durch die verschleierten Wolken blinzelt bald 
vieder die Sonne. — — 
Es ist eine köstliche Fahrt: Kaum vermag man es ßu fassen, 
daß das Geschaute ein kbunstvolles Werk menjschlichen Genies ist, 
das hier der Edder ein mächtiges Bett gegraben hat, um durch 
in Staubecken das gesammelte Wasser der Edder dem Hessenlande 
dienstbar zu machen. — Die Bergwände treten allmählich zurück, 
zur Kechten taucht ein kleines Städtchen auf und unmittelbar dabei 
ein Sers mit einem weithin sichtbaren Schloß: Waldeck. Wir sind 
im Siel. 
Vom Schloß aus, das als Kestaurant eingerichtet ist, eröffnet 
ich ein Ausblick, wie er in gleich imposanter Schönheit jelten zu 
inden ist. Tief zu Füßen breitet sich der leuchtende Eddersee aus. 
delle Segelboote gleiten wie weiße Schwäne darüber hin; düster 
raãuen die Serge mit der sich hindurchschlängelnden Edder herüber, 
oweit das Auge reicht Wälder, Wälder ... es ist, als flute eine 
inzige grüne Welle über das Tal. 
Ich stieg hernieder, um nach diesem wundervollen Natur⸗- 
chauspiel nun auch die grandiose Schöpfung von Menschenhand, 
ie eigentliche Talsperre, zu besichtigen. Eine weiße, gepflegte 
ẽhaussee führt in Windungen etwa 20 Minuten zu dem großen, 
jeschnackvolien Steinbau der Sperrmauer, einem Meisterwerb der 
zngenieurkunst. Manch einer mag wohl erstaunt und bopffchüttelnd 
uf dieser Brücke gestanden und über die scheinbare Hexerei nach· 
egrübelt haben — — — auf der einen Seite staut sich der breite 
Soe, auf der anderen rieselt ein harmloser Bach durch den Wiesen- 
zrund. Wunder der Technik!
	        
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