Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

auf der Wetterseite geweißt. Die störrigen Ginsterbüsche sind 
vundersame Gebilde geworden, wie sie beine Tropenzone gleich- 
chön hervorbringen mag. 
Es öffnet sich der Wald zur Rechten und gibt einen weiten 
ao frei. Eine steile Waldschlucht stürzt sich zum Gelstertal 
inunter. 
Drüben kauchen Hirschberg und Meißner auf, beide noch lief 
in Wolben gehüllt. Aber schon bricht über uns die Sonne durch 
und glastet auf weißen Flächen nah und fern. 
Da ist auch der tose Wald lebendig geworden. Der Specht 
lacht im Grunde, die Meisen zwitschern, und der Schrei des Habichts 
gellt über die Wälder. Nun ist der Kamm des Gebirges erreicht. 
üÜber ihn hin zieht einer der schönsten Wanderwege des Hessen- 
landes. Von Witzenhausen steigt er über niedrige Vorberge bald 
auf 500 Meter Höhe auf. Vom Roggenberg ab bietet er bald 
lints bald rechts liebliche Ausblicke und endet bei Bransrode am 
Meißner. 
Heute wär da ohne Schneeschuhe nicht gut wandern. Wenn 
auch gestern Frühlingsanfang im Kalender stand, dies Jahr be— 
hauptet der Winter sein Kecht und besonders hier oben. Meter- 
tiefe Schneewehen haben den Weg ganz ausgefüllt. Die Bäume 
kragen glitzernden Rauhreif. Besonders schön hängt in den Jung- 
buchen sein Flitterkeam. Keizende Christbaumbugeln sind die 
tacheligen Fruchtbecher 
er Samenbuchen. 
Drüben über demstillen 
Oberrieder Tal wächst 
das mächtige Massiv 
des Roßlopfs auf. 
Seinen Gipfel hüllt 
mmer noch grauer 
Dunst ein. Auch der 
Meißner schaut bei 
einer Wegbiegung 
herüber. Seine breiten 
Flanken gleißen in der 
Morgensonne; aber 
einen ehrwürdigen 
Scheitel deckt noch 
immer dunbles Gewölb. 
Wir gleiten lautlos 
und unendlich sanft 
durch verschneites 
Stangenholz, das 
hundertfach feine go— 
tische Bogen über uns 
schließt. Kauhreif und 
Neuschnee haben diesen 
Bogen alle Erden— 
schwere genommen. 
Eine unirdische Heiter⸗ 
deit liegt in diesem 
Janz von Sonne er— 
fülltem Kreuzgang. 
Ferne Kirchenglocken erinnern daran, daß wir noch auf dieser Welt 
ind. Sonst ist Lein Halt und Laut. — Nie ist das Gefühl des 
Erdentrücktseins so lebendig in mir gewesen, als auf solch schwei— 
genden Schneeschuhfahrten durch sonnigen weißen Winterwald. 
Tief unten liegt Dudenrode in einem einsamen Talkessel. Der 
onntãgliche Herdrauch steigt feierlich gerade empor über den 
Hãauschen. Das ganze verschneite Dörfchen lieat wie in einem 
Dornröschenschlaf. 
Diel Wildspuren kreuzen unsern Weg und reden von harter 
Winternot. Da bommt aus der Fichtendickung eine Hasenspur. 
Hart daneben winzige Tappen: Das Junghäschen, das mit der 
Mutter über den Kamm gewechselt ist, um drunten im Gelstertal 
settere Asung zu suchen. Dort die grobe Spur einer Muttersau, 
die Streiche haben den Schnee gefurcht. Daneben die zierlichen 
Spuren der Frischlinge. Weiter ab sind die Hirsche zu Tal ge— 
tiegen. Alle Spuren laufen hinab zu tieferen Talgegenden. wo 
die Felder schneefrei sind. 
Nach einer Wegbiegung liegt wieder der Meißner vor uns, 
jetzt aber in Sonne bis zur höchsten Kuppe. Swei scharfe Kalb- 
eippen ziehen sich nach Bransrode hinauf. Sonne hat hier draußen 
den Schnee schon weich werden lassen, es klebt. So beschließen 
wir die Heimfahrt. Wir gleiten durch Weißenbach, ein entlegenes 
Hochdörfchen mit ganz stattlichen Gehöften. Nun wieder hinein 
in den Wald. In der Sonne wird es ungemütlich warm. Es ist 
bald wie in St. Woritz. Wan könnte getrost ein Sonnenbad nehmen. 
Wir blettern am Steilhang des Ibergs hinunter im Treoppen— 
schritt. Endlich ist eine schmale Wiese erreéeicht. die sich hoch hinein- 
chiebt in den Wald. Da gehts hinunter in sausender Fahrt. An 
er Schattenjeite des Waldrands liegt noch weit hinunter Schnee. 
Aljo links ran! Hart an der Schneegrenze, bald vor der Gelster— 
albahn, kommen die Schneeschuh zum Stehen. Handlanges Korn 
juckt neugierig hervor, und die goldenen Sonnen des Huflattichs 
anzen Kingelreihn am Grabenrand. Über Wald und Wiesen 
teigt eine Lerche zur blauen Himmelskuppel auf und füllt das Tal 
nit ihrem singfrohen Liede 
Frühling im Lahntal.. 
VDon Werner Sunkbel, Marburg 
Sonnabendmorgen. Im Beruf. Ein Geschäftszimmer mit 
rbeitenden Beamten, die auf gleichen Stühlen än gleichen Tischen 
tzen und lesen, rechnen, schreiben. Telefongeblingel, Schreib- 
naschinengerassel. — Durch die offenen Fenster dringen von draußen 
ie schrillen Rufe der hastig die Häuser des alten Marburg über— 
jiegenden Mauersegler, die man auch als Turmschwalben bezeichnet. 
Dogel Wupp“ hat Hermann Löns den Segler genannt, und er 
neinte, dieser rastloje Vogel müßte das Wappentier von den Wupp- 
o»uppmenschen der amerikanischen Börse sein: Wupp Telefon, wupp 
Auto, wupp Börse, wupp Kontor, wupp Hochzeit, wupp Scheidung, 
»upp Herzschlag. So ähnlich treibts auch unser Wupppogel: wupp 
ägyptische Phramiden, 
wupp Wettergasse in 
Marburg; er ist der 
modernste Vogel, er 
hat nie Muße, teilt 
peinlich seine Seit ein 
wie ein Geschãftsmann. 
Schon früh morgens 
sausen die schwarzen 
Oõgel, die wie flie- 
gende Anber aussehen, 
uͤber die Dächer, und 
bis abends 9 Uhr ist 
die Luft erfüllt von 
ihrem Geschrei. Pünkt- 
lich am J. Mai kLehren 
die meisten Turm— 
schwalben von ihrer 
Afrikareise heim, um 
2benso genau am 1. 
August wieder zu ver- 
ichwinden. Das Lurze 
Hiersein benutzt der 
Segler zur Fortpflan- 
zung; aber er baut 
bein kunstvolles Nest 
wie andere Vögel, 
nein, auf so etwas 
legt er beinen Wert. 
Unter Dachziegeln er- 
brütet er jeine Jungen, 
lngetüme, die nur aus Rachen, Kropf und Bauch zu bestehen 
heinen. Kaum sind die bleinen Wupppvögel flügge, so sausen sie 
ille über Spanien, Maroblbo, Sahara nach Südafrika, wo sie über 
er Steppe genau so hasten und schrillen wie im Sommer bei uns 
ber den Städten mit hohen Häusern und alten Türmen. 
Wuppwuppvögel — Wuppwuppmenschen! Schnell arbeiten! 
Bald ist's Mittag. Sonnabend-Mittagl Der Plan für die 
ineinhalb dienstfreien Tage ist schon fertig: heute Gang um 
Marburg, morgen hinaus in die Natur. woit weg vom Wupp- 
vuppgetriebe! 
Meine Nachmittagswanderung beginne ich auf der „Ludwig 
Zũcking⸗Promenade“, die wir Marburger alle den „Dammweg“ 
ennen. Wo hier jetzt in einem Garten Kartoffeln und Gemüse 
achsen, erfreute früher den Naturfreund ein Tieridyll: der 
Schützenpfuhl“, den man im Kriege mit Schutt und Erde aus— 
illte. Die meisten Vorübergehenden und natürlich auch die Gäste 
er Schützenpfuhl-Wirtschaff, des (wie das Schild ausdrücklich 
eststellt) „Historijschen Wirtshauses an der Lahn“, merlkten vom 
ierleben des Tümpels höchstens das Quaben der vielen Frösche; 
er Tierfreund aber entdeckte auch im Erlengezweig herumturnende 
Zlaumeisen und grüune Erlenzeisige, gewahrte das winzige, aus 
lühenden VDergißmeinnicht gebaute Stieglitznest in der Weide und 
ꝛeute sich an dem grünfüßigen Teichhuhnpärchen: wie drollig 
hwammen dessen Junge neben ihren tauchgewandten rotstirnigen 
zItern, die oft ohne Scheu auf dem deckungslosen Dammweg 
erumliefen. Heute noch Lönnen wir das anmutige Familienleben 
es Teichhuhns auf der Lahninsel“ beobachten, die auch von 
Aufnahme von F. Kahm
	        
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