krieges, in denen Deutschland noch ungeschwächt und siegreich
dastand, keine Worte des Siegestaumels entlocht, sondern ein
heißes Wünschen, das er der Kriegsausgabe der „Arsula“
mitgab: „Möge die deutsche Eiche nach der langen Winterstarre
wieder mit frischem Grün ausschlagen, in dem neuen Frühling
stolz und freudig ihre Krone heben und mit allen ihren
nospenden SZweigen frei und fröhlich wachsen, einer neuen
Zeit entgegen.“ Und diese neue Seit wird Specks Dichtergabe
nicht untergehen lassen, ja, sie wird sie nötig haben. —
Ich Lann mich baum noch der Seit entsinnen, da ich ihn von
Angesicht zu Angesicht gesehen habe. Er kbam oft in unser
Elternhaus, seit er zehnjährig von seinem Geburtsort Groß-
almerode nach Cassel übergesiedelt war. Unsere Väter waren
Freunde, und ich dachte noch nicht ans Licht der Welt, als der
Achtzehnjährige 1819 zur Jubelfeier des Lyzeum Friderici⸗
anum einen selbstverfaßten Prolog vortrug, und als die
Unseigen gar manchmal nach Schönfeld hinauspilgerten,
um im Garten des Strafanstalts-
lehrers Speck ein paar stille Nach-
mittagsstunden zu verbreingen. Als
ich dann auch auf den Schauplatz
ktrat, da war der junge Pfarrer
schon aus dem Heimatland nach
Osten übergesiedelt und tat in
Küstrin Dienst an denen, in deren
Seele es dunkel war: an den
Strafgefangenen. Ich weiß noch
genau, wie in meinem Elternhaus
seine erste Erzählung,Die Flücht-
linge“ eintraf, und wie der junge
Dichter stolz von seinem Erstling
im Begleitbriefe schrieb: „Es ist
ein wahrer Tausendsasal“ Es war
rin Buch von „Menschen, die den
Weg verloren“, und unter diejem
Titel ist es später, mit „Ursula“
in einem Band vereinigt, heraus
gegeben worden, ein Buch von
Schuld und Sühne, die Frucht der
ezrsten Eindrücke der Tätigkeit in
dem Hause, das Dostojewsbi ein
Totenhaus nennt. Und während
ihm in diesem Buch Leine andere
Sühne recht dünkt als die durch
den Tod, tritt er dem Problem der Schuld gereifter, tiefer
schürfend entgegen im „Ouartettfinale“. Da wird die Schuld,
die eine junge Frau durch einen flüchtigen Liebesrausch auf
sich lud, durch Höheres gesühnt als durch den Tod: durch
schweigendes Tragen der Last, durch entjsagenden, stillen
Liebesdienst am Nächsten. Und wiederum spürt er der
Seele eines Menschenbindes nach, das ein paar mal hart
am Abgrund entlang wandelt und doch braft seiner inneren
Keinheik den rechten Weg nicht verfehlt, in „Arsula“, der
Geschichte aus Waldesgründen, in der der lichte Buchen⸗
wald der Meißnerhänge so frühlingshell rauscht. Da hat
er so recht aus Heimatquellen geschöpft und Heimatkinder
gezeĩichnet, wie sie fast noch lebensfrijcher uns entgegentreten
im „Joggeli“, der auch im Meißnerland, auf der Höhe von
Orpherode, seine Heimat hat. Das ist ein Hesse, und das
bann nur ein Hesse sein, der junge und der alte, liebe
Joggeli, der zwei Heimaten hat, die eine da, wo seine
Lieben wohnen, und die andere, wo seine Wurzeln im Boden
liegen. And die letztere hält ihn dennoch am festesten.
Was aber Speck zu einem der Großen in unserem
Dichterwald machte. das war sein Koman „Swei Seelen“.
Wilhelm
»as Vermächtnis all' der unendlich schweren Jahre der
Arbeit an den Menschen, die den Weg verloren. Es
st wohl das einzige Buch Specks, das bei seinem Erscheinen
virkliches Aufjehen erregt hat, und es war in der so seichten
ind aufs Außerliche eingestellten Seit um die Jahrhundert-
vende wirklich eine Tat, einmal rücksichtslos den Schleier
vegzuziehen von dem Innenleben derer, die die bürgerliche
Moral so leichthin mit dem Wort „Verbrecher“ weit von
ich fortschob und für deren Schicksal sie sich damit jeder
veiteren Derantwortung überhoben glaubte. Es war eine Tat,
inmal ohne pastorale Salbaderei den Swiespalt zu schildern,
er den bald nach einfachem, bürgerlichem Glück VDerlangen-
»en, bald von seiner zweiten Seele wieder in die Bahn
es Derbrechens Surückgeschleuderten nicht eher zur RKuhe
ommen läßt, als bis er sich freiwillig dem Richter stellt
ind mit dem Leben abschließt. Aber es war auch eine
Tat. in dieser Seit oberflächlicher Selbstgerechtigkeit des
deutschen Durchschnittsbürgers
der Gesellschaft eine solche An—
Aage ins Gesicht zu schleudern,
vie sie aus jedem Blatt dieses
Buches spricht.
Als Lyriber hat Speck wohl
einen Liederfrühling in der Jugend
erlebt. Der harte, selbsterwählte
Beruf wies ihn auf das Epische,
in dem er Größeres leistete, doch
hat es sein bester Freund, unser
iieber hessischer Sänger Johann
Lewalter, der nun wieder einen
VManderkameraden weniger hat,
oerstanden, uns manches frische
Lied des Lyrikers Speck auf
Flügeln der Töne ins Herz zu
ragen.
Von seiner Art, zu schreiben
und die Sprache zu handhaben,
zibt uns das treffendste Bild
die Einleitung Hanns MWMartin
Elsters zu „Swei Seelen“ (NAus-
gabe der Dichter-Gedächtnis-
Stiftung in Hamburg), in der es
heißt: „Eichendorffs, Wöribes,
Stifters und Kaabes Stimmen
slaubt man oft zu vernehmen, mit dieser Dichter Augen oft zu
ehen: letzten Endes sind es doch aber immer Specks Worte,
5pecks Blicke. Denn seine Einfachheit im Ton, seine Ergriffen-
eit im Herzen, seine Innerlichkeit im Schauen bilden bei ihm
ujsammen mit seiner Weltanschauung voller Güte und voller
derstehen die wunderbare Einheit, die nur der große Dichter,
er zugleich eine Persönlichkeit ist, besitzen kann. Wer
inmal den reinen Feiertagsklang in den Büchern Specks
ernommen hat, wird ihn immer hören, so lange des Lebens
Hlocken klingen.“
Wilhelm Specks letzte Lebensjahre waren ein Leidens-
veg. Als er, unter der Last des Dienstes an den Aus-
estoßenen fast zusjammenbrechend, in der Kückbehr ins Hessen-
and, im Pfarramt in Simmersrode, Kuhe und Genesung
uchte, da sollte es nur für kurze Seit sein. Schon nach zwei
Jahren mußte er die Hand sinken lassen. Der Sprache
eraubt und des Gehens fast unfähig, trug er still sein
chweres Geschick, das ihm leichter wurde unter der uner⸗
nüdlichen, treuen. Pflege seiner Gattin, und wenn von außen
er einmal ein Strahl von Freundschaft und ehrendem
Hedenken in seine Einsamkeit drang. Und wenn nun den
Speck *