Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

krieges, in denen Deutschland noch ungeschwächt und siegreich 
dastand, keine Worte des Siegestaumels entlocht, sondern ein 
heißes Wünschen, das er der Kriegsausgabe der „Arsula“ 
mitgab: „Möge die deutsche Eiche nach der langen Winterstarre 
wieder mit frischem Grün ausschlagen, in dem neuen Frühling 
stolz und freudig ihre Krone heben und mit allen ihren 
nospenden SZweigen frei und fröhlich wachsen, einer neuen 
Zeit entgegen.“ Und diese neue Seit wird Specks Dichtergabe 
nicht untergehen lassen, ja, sie wird sie nötig haben. — 
Ich Lann mich baum noch der Seit entsinnen, da ich ihn von 
Angesicht zu Angesicht gesehen habe. Er kbam oft in unser 
Elternhaus, seit er zehnjährig von seinem Geburtsort Groß- 
almerode nach Cassel übergesiedelt war. Unsere Väter waren 
Freunde, und ich dachte noch nicht ans Licht der Welt, als der 
Achtzehnjährige 1819 zur Jubelfeier des Lyzeum Friderici⸗ 
anum einen selbstverfaßten Prolog vortrug, und als die 
Unseigen gar manchmal nach Schönfeld hinauspilgerten, 
um im Garten des Strafanstalts- 
lehrers Speck ein paar stille Nach- 
mittagsstunden zu verbreingen. Als 
ich dann auch auf den Schauplatz 
ktrat, da war der junge Pfarrer 
schon aus dem Heimatland nach 
Osten übergesiedelt und tat in 
Küstrin Dienst an denen, in deren 
Seele es dunkel war: an den 
Strafgefangenen. Ich weiß noch 
genau, wie in meinem Elternhaus 
seine erste Erzählung,Die Flücht- 
linge“ eintraf, und wie der junge 
Dichter stolz von seinem Erstling 
im Begleitbriefe schrieb: „Es ist 
ein wahrer Tausendsasal“ Es war 
rin Buch von „Menschen, die den 
Weg verloren“, und unter diejem 
Titel ist es später, mit „Ursula“ 
in einem Band vereinigt, heraus 
gegeben worden, ein Buch von 
Schuld und Sühne, die Frucht der 
ezrsten Eindrücke der Tätigkeit in 
dem Hause, das Dostojewsbi ein 
Totenhaus nennt. Und während 
ihm in diesem Buch Leine andere 
Sühne recht dünkt als die durch 
den Tod, tritt er dem Problem der Schuld gereifter, tiefer 
schürfend entgegen im „Ouartettfinale“. Da wird die Schuld, 
die eine junge Frau durch einen flüchtigen Liebesrausch auf 
sich lud, durch Höheres gesühnt als durch den Tod: durch 
schweigendes Tragen der Last, durch entjsagenden, stillen 
Liebesdienst am Nächsten. Und wiederum spürt er der 
Seele eines Menschenbindes nach, das ein paar mal hart 
am Abgrund entlang wandelt und doch braft seiner inneren 
Keinheik den rechten Weg nicht verfehlt, in „Arsula“, der 
Geschichte aus Waldesgründen, in der der lichte Buchen⸗ 
wald der Meißnerhänge so frühlingshell rauscht. Da hat 
er so recht aus Heimatquellen geschöpft und Heimatkinder 
gezeĩichnet, wie sie fast noch lebensfrijcher uns entgegentreten 
im „Joggeli“, der auch im Meißnerland, auf der Höhe von 
Orpherode, seine Heimat hat. Das ist ein Hesse, und das 
bann nur ein Hesse sein, der junge und der alte, liebe 
Joggeli, der zwei Heimaten hat, die eine da, wo seine 
Lieben wohnen, und die andere, wo seine Wurzeln im Boden 
liegen. And die letztere hält ihn dennoch am festesten. 
Was aber Speck zu einem der Großen in unserem 
Dichterwald machte. das war sein Koman „Swei Seelen“. 
Wilhelm 
»as Vermächtnis all' der unendlich schweren Jahre der 
Arbeit an den Menschen, die den Weg verloren. Es 
st wohl das einzige Buch Specks, das bei seinem Erscheinen 
virkliches Aufjehen erregt hat, und es war in der so seichten 
ind aufs Außerliche eingestellten Seit um die Jahrhundert- 
vende wirklich eine Tat, einmal rücksichtslos den Schleier 
vegzuziehen von dem Innenleben derer, die die bürgerliche 
Moral so leichthin mit dem Wort „Verbrecher“ weit von 
ich fortschob und für deren Schicksal sie sich damit jeder 
veiteren Derantwortung überhoben glaubte. Es war eine Tat, 
inmal ohne pastorale Salbaderei den Swiespalt zu schildern, 
er den bald nach einfachem, bürgerlichem Glück VDerlangen- 
»en, bald von seiner zweiten Seele wieder in die Bahn 
es Derbrechens Surückgeschleuderten nicht eher zur RKuhe 
ommen läßt, als bis er sich freiwillig dem Richter stellt 
ind mit dem Leben abschließt. Aber es war auch eine 
Tat. in dieser Seit oberflächlicher Selbstgerechtigkeit des 
deutschen Durchschnittsbürgers 
der Gesellschaft eine solche An— 
Aage ins Gesicht zu schleudern, 
vie sie aus jedem Blatt dieses 
Buches spricht. 
Als Lyriber hat Speck wohl 
einen Liederfrühling in der Jugend 
erlebt. Der harte, selbsterwählte 
Beruf wies ihn auf das Epische, 
in dem er Größeres leistete, doch 
hat es sein bester Freund, unser 
iieber hessischer Sänger Johann 
Lewalter, der nun wieder einen 
VManderkameraden weniger hat, 
oerstanden, uns manches frische 
Lied des Lyrikers Speck auf 
Flügeln der Töne ins Herz zu 
ragen. 
Von seiner Art, zu schreiben 
und die Sprache zu handhaben, 
zibt uns das treffendste Bild 
die Einleitung Hanns MWMartin 
Elsters zu „Swei Seelen“ (NAus- 
gabe der Dichter-Gedächtnis- 
Stiftung in Hamburg), in der es 
heißt: „Eichendorffs, Wöribes, 
Stifters und Kaabes Stimmen 
slaubt man oft zu vernehmen, mit dieser Dichter Augen oft zu 
ehen: letzten Endes sind es doch aber immer Specks Worte, 
5pecks Blicke. Denn seine Einfachheit im Ton, seine Ergriffen- 
eit im Herzen, seine Innerlichkeit im Schauen bilden bei ihm 
ujsammen mit seiner Weltanschauung voller Güte und voller 
derstehen die wunderbare Einheit, die nur der große Dichter, 
er zugleich eine Persönlichkeit ist, besitzen kann. Wer 
inmal den reinen Feiertagsklang in den Büchern Specks 
ernommen hat, wird ihn immer hören, so lange des Lebens 
Hlocken klingen.“ 
Wilhelm Specks letzte Lebensjahre waren ein Leidens- 
veg. Als er, unter der Last des Dienstes an den Aus- 
estoßenen fast zusjammenbrechend, in der Kückbehr ins Hessen- 
and, im Pfarramt in Simmersrode, Kuhe und Genesung 
uchte, da sollte es nur für kurze Seit sein. Schon nach zwei 
Jahren mußte er die Hand sinken lassen. Der Sprache 
eraubt und des Gehens fast unfähig, trug er still sein 
chweres Geschick, das ihm leichter wurde unter der uner⸗ 
nüdlichen, treuen. Pflege seiner Gattin, und wenn von außen 
er einmal ein Strahl von Freundschaft und ehrendem 
Hedenken in seine Einsamkeit drang. Und wenn nun den 
Speck *
	        
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