Die Gedanben ließen den Pfarrer Leütewein nun nicht
vieder los. So betrachtet, waren denn die des Abendmahls
vürdig, die bußlos logen und trogen, die Heimtückischen,
die Gehässigen, die Uebermütigen, die Scheinheiligen, die
Geizigen, die Verführer, die Schmutzlinge, die Tagediebe,
sie alle und Dutzende andrer, die im Dunbeln munbelten?
Freilich: Zucht muß sein, auch Kirchenzucht. Aber
warum nur in diesem Fallel War's nicht oftmals so, wie
hier, daß der gewiß unschuldigere Teil doppelt mit Plagen
ind Schanden. gestraft wurde, während der VDerführer den
Flechken — äußerlich — mit ein paar tausend Mark ab—
vusch!“
In den folgenden Tagen stand das Hausmützchen des
Pfarrers Leutewein oftmals auf „veränderlich“ ...
Dann bam der Mbendmahlstag. Sittsam und nett
gebleidet war Ann zur Kirche gegangen. Neußerlich geschah
das ganz ruhig, Schrittchen vor Schrittchen. Kein NAuge
»erwandte sie links, beins rechts. Aber da drin unter
hrem Knopfding?), da glühte und hämmerte es ...
Sie tktrat an den gewohnten Platz. Ihre Hände falteten
ich gewohnheitsmäßig. Aber beten — sie bonnte es nicht
— ihre Worte waren eine Gotteslästerung. Erschrocken
hielt sie inne. „Nein, nein,“ flüsterte sie, „nicht auch noch
mit Dir zerfallen, lieber Gott, verzeih mir, vergib mir —
alles — —.“
Dann setzte sie sich. Die heilige Handlung nahm ihren
Gang.
) Leibchen.
Zuerst gingen die Männer „zu“. Kichtig, der — Helwig
oar auch dabei — gewissenlos, bußlos. Wieder stiegen die
adernden Gedanken glutheiß in ihr empor: „Lieber Gott,
du bist schrecklich ungerecht!“ Doch wieder flehte sie:
Nein, nein, nicht auch noch mit Dir — lieber, lieber
Hott ...“
Nun waren die Frauen an der Keihe. Mechanisch folgte
luch Ann dem Strom, der zum Tische des Herrn und dann
vieder zurückflutete.
Und dann war's geschehen. Als Ann am Allar stand,
eichte ihr der Pfarrer bein Brot und zog auch den Kelch
urück.
So sanft, so unauffällig hat er das getan. daß es Laum
»en Sunächststehenden bemerkbar wurde.
Aber gesehen war's doch worden und auch von einem,
»em hatte es alles Blut nach dem Kopf gedrängt, der
vurde bald blutrot und dann wieder leichenblaß. Und der
reug von da ab die Höllenschuld für diese Surückweisung in
einem Herzen — lebenslang.
Nach der Kirche ging die Mär wie ein Lauffeuer durchs
Dorf von dem, was der Heerr Pfarrer heute getan hatte.
Und gelobt wurde der Heer Pfarrer: „Kecht hat er — so
ꝛin schlechtes Menschl .. .“
Don da an saß Ann als eine Gefallene nicht mehr bei
den Mädchen, sondern in den Frauenbänben.
Hanz allein.
WVer's von den ehrlichen und ehelichen Weibern ein—
eichten bonnte, benutzte eine andre Banb.
ƷMurũckgewiesen — ausgestoßen! ... Fortsetzung folgt.)
—
Aus alter Seit.
— 323 3 3 Vor mir liegen drei Bilder der Stadt Melsungen. Das älteste.
Die ältesten Silder der Stadt n der Geschichte Melsungens wiedergegebene, hat Dilich um 1501
Melsungen eszeichnet, das jüngste ist von Merian, * 1650 herausgegeben, das
* azwischenstehende stammt aus Daniel Meisners Sciographia cosmica 6
VDon Dr. phil. Armbrust. P. Fürst extudit 1638), 65. Die drei Bilder lassen sich leicht ver-
leichen, weil sie alle drei von derselben Seite aufgenommen sind:
rotzbem aber darf sich nur das zweite Bild der Anabhängigbeit
on Dilich rühmen.
Melsungen selbst hat sich in jenen Jahren gar nicht verändert.
qur die große Brücke zeigte einen erheblichen Unterschied. Auf
dilichs Seichnung liegt sie noch in Trümmern, nur Brocken von
Nauerwert ragen hier und da aus dem Wasser hervor; wenige
zchritke oberhalb führt über die Fulda eine Holzbrücke. Auf der
Mitte der neuen Stein—
brücke erhebt sich ein
Häuschen, das wohl in
erster Linie bei der Ein—
nahme des Brückenzolls
dienen sollte, im Notfalle
aber auch den Verteidigern
der Brücke einen Unter—
chlupf bot. Die Stadt-
nauer befindet sich in
jutem Sustande. Von den
Coren der Stadt ist allein
»as Brückentor sichtbar.
Es ist nicht nur mit einem
ur Verteidigung einge—
ichteten und darum nur
nit winzigen Fenster-Gff-
iungen versehenen Hause
iberbaut, sondern außer—
»em durch einen Turm
geschützt. Auf der Stadt—
nauer ragen mehrere
Türme empor. Ganz im
dordergrunde, dem Be—
chauer gegenüber, sieht
nan den Mühlenturm am
Sande. Er doeckte die
Das Bild derjenigen Oxrtschaften, die beine Hauptstädte sind
und durch beinen Vorzug in den Brennpunkt des Lebens gerückt
perden, ändert sich im Saufe der Seiten nur langsam. Wenn aber
roße Ereignisse, Umwälzungen und Neuerungen über die Mensch-
Zeit und über die Erde hingehn, wie sollten kleine Wohnplätze
davon unberührt bleiben!
Die Fortbildung der Feuerwaffen zu verderblicherer und ferner
virbender Kraft war ein
Anlaß, daß das Bild
leiner Städte sich wan—
delte. Was im Sieben—
ährigen Kriege noch als
Festung diente und Be—
agerungen zu trotzen juch⸗
te, ließ man von da ab als
offenen Ort gelten, und
die Mauern und Türme
der Umwallung verfielen.
Melsungen hielt im Jahre
1762 noch eine Belage-
eung aus, dabei flogen
aber die Kanonenkugeln
von den umliegenden
Höhen mitten in die Stadt.
Man erbannte die Be—
festigung als zwecklos, ja
als schädlich und machte
sich nicht mehr die Mühe,
einstürzendes Mauerwerk
auszubessern. Die Steine
varen willkommen zur
Pflasterung der Straßen;
zu Bauten mag man auch
hiele verwendet haben.
Melsungen 1591,
ezeichnet von Scheffer-Dilich, herausgegeben von Theuner mit Erlaubnis der
Elwertschen Verlagsbuchhandlung in Marburg.