Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Die Gedanben ließen den Pfarrer Leütewein nun nicht 
vieder los. So betrachtet, waren denn die des Abendmahls 
vürdig, die bußlos logen und trogen, die Heimtückischen, 
die Gehässigen, die Uebermütigen, die Scheinheiligen, die 
Geizigen, die Verführer, die Schmutzlinge, die Tagediebe, 
sie alle und Dutzende andrer, die im Dunbeln munbelten? 
Freilich: Zucht muß sein, auch Kirchenzucht. Aber 
warum nur in diesem Fallel War's nicht oftmals so, wie 
hier, daß der gewiß unschuldigere Teil doppelt mit Plagen 
ind Schanden. gestraft wurde, während der VDerführer den 
Flechken — äußerlich — mit ein paar tausend Mark ab— 
vusch!“ 
In den folgenden Tagen stand das Hausmützchen des 
Pfarrers Leutewein oftmals auf „veränderlich“ ... 
Dann bam der Mbendmahlstag. Sittsam und nett 
gebleidet war Ann zur Kirche gegangen. Neußerlich geschah 
das ganz ruhig, Schrittchen vor Schrittchen. Kein NAuge 
»erwandte sie links, beins rechts. Aber da drin unter 
hrem Knopfding?), da glühte und hämmerte es ... 
Sie tktrat an den gewohnten Platz. Ihre Hände falteten 
ich gewohnheitsmäßig. Aber beten — sie bonnte es nicht 
— ihre Worte waren eine Gotteslästerung. Erschrocken 
hielt sie inne. „Nein, nein,“ flüsterte sie, „nicht auch noch 
mit Dir zerfallen, lieber Gott, verzeih mir, vergib mir — 
alles — —.“ 
Dann setzte sie sich. Die heilige Handlung nahm ihren 
Gang. 
) Leibchen. 
Zuerst gingen die Männer „zu“. Kichtig, der — Helwig 
oar auch dabei — gewissenlos, bußlos. Wieder stiegen die 
adernden Gedanken glutheiß in ihr empor: „Lieber Gott, 
du bist schrecklich ungerecht!“ Doch wieder flehte sie: 
Nein, nein, nicht auch noch mit Dir — lieber, lieber 
Hott ...“ 
Nun waren die Frauen an der Keihe. Mechanisch folgte 
luch Ann dem Strom, der zum Tische des Herrn und dann 
vieder zurückflutete. 
Und dann war's geschehen. Als Ann am Allar stand, 
eichte ihr der Pfarrer bein Brot und zog auch den Kelch 
urück. 
So sanft, so unauffällig hat er das getan. daß es Laum 
»en Sunächststehenden bemerkbar wurde. 
Aber gesehen war's doch worden und auch von einem, 
»em hatte es alles Blut nach dem Kopf gedrängt, der 
vurde bald blutrot und dann wieder leichenblaß. Und der 
reug von da ab die Höllenschuld für diese Surückweisung in 
einem Herzen — lebenslang. 
Nach der Kirche ging die Mär wie ein Lauffeuer durchs 
Dorf von dem, was der Heerr Pfarrer heute getan hatte. 
Und gelobt wurde der Heer Pfarrer: „Kecht hat er — so 
ꝛin schlechtes Menschl .. .“ 
Don da an saß Ann als eine Gefallene nicht mehr bei 
den Mädchen, sondern in den Frauenbänben. 
Hanz allein. 
WVer's von den ehrlichen und ehelichen Weibern ein— 
eichten bonnte, benutzte eine andre Banb. 
ƷMurũckgewiesen — ausgestoßen! ... Fortsetzung folgt.) 
— 
Aus alter Seit. 
— 323 3 3 Vor mir liegen drei Bilder der Stadt Melsungen. Das älteste. 
Die ältesten Silder der Stadt n der Geschichte Melsungens wiedergegebene, hat Dilich um 1501 
Melsungen eszeichnet, das jüngste ist von Merian, * 1650 herausgegeben, das 
* azwischenstehende stammt aus Daniel Meisners Sciographia cosmica 6 
VDon Dr. phil. Armbrust. P. Fürst extudit 1638), 65. Die drei Bilder lassen sich leicht ver- 
leichen, weil sie alle drei von derselben Seite aufgenommen sind: 
rotzbem aber darf sich nur das zweite Bild der Anabhängigbeit 
on Dilich rühmen. 
Melsungen selbst hat sich in jenen Jahren gar nicht verändert. 
qur die große Brücke zeigte einen erheblichen Unterschied. Auf 
dilichs Seichnung liegt sie noch in Trümmern, nur Brocken von 
Nauerwert ragen hier und da aus dem Wasser hervor; wenige 
zchritke oberhalb führt über die Fulda eine Holzbrücke. Auf der 
Mitte der neuen Stein— 
brücke erhebt sich ein 
Häuschen, das wohl in 
erster Linie bei der Ein— 
nahme des Brückenzolls 
dienen sollte, im Notfalle 
aber auch den Verteidigern 
der Brücke einen Unter— 
chlupf bot. Die Stadt- 
nauer befindet sich in 
jutem Sustande. Von den 
Coren der Stadt ist allein 
»as Brückentor sichtbar. 
Es ist nicht nur mit einem 
ur Verteidigung einge— 
ichteten und darum nur 
nit winzigen Fenster-Gff- 
iungen versehenen Hause 
iberbaut, sondern außer— 
»em durch einen Turm 
geschützt. Auf der Stadt— 
nauer ragen mehrere 
Türme empor. Ganz im 
dordergrunde, dem Be— 
chauer gegenüber, sieht 
nan den Mühlenturm am 
Sande. Er doeckte die 
Das Bild derjenigen Oxrtschaften, die beine Hauptstädte sind 
und durch beinen Vorzug in den Brennpunkt des Lebens gerückt 
perden, ändert sich im Saufe der Seiten nur langsam. Wenn aber 
roße Ereignisse, Umwälzungen und Neuerungen über die Mensch- 
Zeit und über die Erde hingehn, wie sollten kleine Wohnplätze 
davon unberührt bleiben! 
Die Fortbildung der Feuerwaffen zu verderblicherer und ferner 
virbender Kraft war ein 
Anlaß, daß das Bild 
leiner Städte sich wan— 
delte. Was im Sieben— 
ährigen Kriege noch als 
Festung diente und Be— 
agerungen zu trotzen juch⸗ 
te, ließ man von da ab als 
offenen Ort gelten, und 
die Mauern und Türme 
der Umwallung verfielen. 
Melsungen hielt im Jahre 
1762 noch eine Belage- 
eung aus, dabei flogen 
aber die Kanonenkugeln 
von den umliegenden 
Höhen mitten in die Stadt. 
Man erbannte die Be— 
festigung als zwecklos, ja 
als schädlich und machte 
sich nicht mehr die Mühe, 
einstürzendes Mauerwerk 
auszubessern. Die Steine 
varen willkommen zur 
Pflasterung der Straßen; 
zu Bauten mag man auch 
hiele verwendet haben. 
Melsungen 1591, 
ezeichnet von Scheffer-Dilich, herausgegeben von Theuner mit Erlaubnis der 
Elwertschen Verlagsbuchhandlung in Marburg.
	        
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