Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Durch Eichbusch und ũüber Graswege gehts aus der sonnen- 
durchglänzten Waldeinsambeit hinab zum Tal, hart an dem 
schweigenden Schloß mit den Dutzenden geschlossener Fenster- 
läden vorüber, dann quer über die große Landstraße, auf 
der ratternde Kraftwagen ostwärts und woestwärts fahren, 
und dann wieder hinauf am nächsten Hang, der steil und 
ahl emporsteigt und zu anderen Bergwäldern führt. Im 
Steigen weitet sich schnell der Blick, Höhen drüben wachsen 
mit empor, weit breitet sich das Tal des bleinen Flusses, 
Dörfer, Städtchen mit weißen Häusern und roten Dächeren 
im Nachmittagssonnenschein leuchtend, werden sichtbar, blar 
und scharf zeichnen sich die Umrisse ferner Höhenzüge ab, 
weit hinaus dehnt sich die Ebene. Das Wandern in der 
warmen Luft hat Lippen und Sunge trocken und durstig 
gemacht, und hier, in halber Höhe 
des Berges, springt leise rauschend 
und klar ein Quell aus dem Gestein, 
rine natürliche Höhlung wie eine 
Schale füllend, über deren Kand 
sein Wasser bergabwärts läuft. 
Hier kniet sichs weich im Moos, 
unter blauem Himmel im warmen 
Sonnenschein, die Hände stützen 
sich auf, und mit langem Suge 
trinben die trockenen Lippen die 
Herrlichkeit des kLlaren Wassers. 
Und mit dem köstlichen Trunb 
geht etwas von der großen Ar⸗ 
reinheit der Natur in den Menschen 
ein, kreist lebensspendend und er⸗ 
frijchend in den Adern, und die 
reine Luft der Höhe weht her— 
nieder und füllt die Lungen, als 
wollten die Elemente, einander 
suchend, zujammen in Herz und 
Ader wirken und am Leben des 
Lebendigen mitschaffen. 
Aufwärts gehts dann durch 
den hohen Dom eines Waldes 
mächtiger Tannen; in Tälchen und 
Falten, in Mulden und Senben, 
überall Fließen und Kinnen, hie 
und da ein bleiner Tümpel bristall 
klaren Wassers. Vorüber an dem 
bleinen, altertümlichen Försterhause. 
Wie oft hat der Förster dort den 
VODorübergehenden oder bei ihm 
Einkbehrenden begrüßt; jetzt schläft er seit Jahren den ewigen 
Schlaf irgendwo im Argonnenwald. Der Witwe hat man 
hier die Wohnung gelassen, die zweĩ Buben wachsen stämmig 
heran und nie, nie mehr wird der Dater heimkommen ins 
Forsthaus, in seinen lieben Wald. Wer kbann die Größe, 
den unbegreiflich tiefen Sinn des Opfers ausdenben, das 
Hingeben des Lebens für die Nächsten? Das große Heil- 
geheimnis, in dem Gott selbst herniederstieg, litt und starb? 
Hüter des Geheimnisses, Walter des Heils, Sucher und 
Bote des Grals zu sein, Opfer zu leben und zu sterben, 
werden immerdar Erwählte berufen in mancherlei Gestalt. 
Die Sonne steht im Westen, die Schatten werden länger. 
Ein letzter steiler Aufstieg führt zu dem Gipfel, der, breit 
und massig aus der Ebene sich hebend, weit und hoch über 
sie hinschaut. Große geschichtete Tafeln von Quarzitschiefer 
liegen oben frei, Urgestein, das noch nie in den Kreislauf 
des Lebendigen eingetreten war, das schon fertig gebildet 
in den fernvergangenen Seiträumen sich gefügt hatte, wo 
roch bein lebendes Geschöpf auf dem Rücken der Erde 
vohnte. Stumm und wuchtig ruht der Seuge urältester 
dergangenheit, der harte Fels, Wind und Regen singen 
died und Sang ewiger Bewegung über ihn hin, und gleich- 
srmig unbewegt und starr liegt seine Masse bis tief hinunter 
n den Kern der Erde. In Fernen dehnt sich der Ausblick 
om Gipfel. Sahllose wellige Linien der Berge und Berg- 
ãmme, Einschnitte der Täler, nähere und entferntere Höhen, 
unkle Wälder und braune Hochflächen, scharf gegen den 
hʒoriʒzont stehende Amrisse einzelner mächtiger Bäume und 
veiche Masjen niederen Waldes, alles überflutet von warmem 
Abendlicht und hier und da mit tieferen Schatten geschieden, 
o steht das Gebirge zur einen Seite. Sur andern dehnt 
ich die weite fruchtbare Ebene, jetzt noch Grau in Braun 
und Braun in Grau, VDörfer, 
Städte, Waldstücke, Ackerland 
uind gerade Linien der Landstraße 
und Schienenwege durch sie hin. 
Fin paar hundert Meter unter 
dem Gipfel, an den Fuß des 
Serges geschmiegt, mit grauem 
Schiefer und roten Siegeldächern, 
nit Kirchtürmen und umwoben 
bon einem feinen bläulichen Dunst, 
der aus Schornsteinen und Essen 
aufsteigt, liegt das Heimatstädtchen. 
Der King der Wanderung schließt 
ich — aus der Höhe geht der 
Slick nieder zur Welt des All- 
ags, in die dort drunten Leben 
und Sein des Wanderers heimisch 
und heimlich verknüpft und ver— 
slochten sind. Freiheit — Not— 
wendigkeit. Auch in diesem Bilde 
stehen wieder still und unergründlich 
die großen Fragen. Wenn auf 
der Höhe dieses Berges, von dem 
du über Lande und Gebirge und 
in die unendlichen Weiten des 
Himmels schaust, der Versucher 
zu dir träte, dir hinabwiese zur 
Stadt, von den eisernen Klammern 
dir redete, in die du dort mit 
all deinem Dasein gefügt bist, 
bon zwingendem Swang, damit 
du gebunden bist, von dem un— 
erbitterlichen Muß, zu dem du 
viederkehren willst aus dem Tag der Freiheit, wenn er dir 
Angebundenheit und Schrankenlosigkbeit, alle Schätze des 
Vissens und Erbkennens verspräche, so du ließest von der 
Veit da drunten, in der du deine Stätte und dein 
Virben hast und liebhast, du würdest ihm in die listige Fratze 
achen und wissen: Fest und unlöslich gefügt sind alle Kinge 
es Seins, einer in den andern, und Schaffen und Wirben, 
deben und Weben ist frei und gebunden zugleich; wo die 
ausend Wurzeln deines Seins im Boden des Lebens dir 
aften, wo du der Teil wardst, der du im Ganzen bist, 
voo du wuchsest und wo du wirkbst, da allein bann dein 
*ein voll Sinn, voll Inhalt sein. — Leid, Liebe und Tat 
aß in Eins, aus ihnen schmiede dir Wehr und Werkzeug 
ind webe dann getrost unerfüllbarer Sehnsucht goldene Fäden 
n das Gewand deines Alltags, daß ein heimliches Leuchten 
n ihm sei. Dort, wo des Lebens Mächte dich führten, 
vo sie dem Großen dich einfügten, da wirkel Und Sonnen- 
rufgang, Sonnenuntergang und Sternenhimmel gibts dort 
Studentenheim. (Zum Aujsatz: Studentennot und Selbsthilfe.)
	        
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